Romano Prodis Mitte-Links-Bündnis überstand am vergangenen Mittwoch knapp eine Vertrauensabstimmung im italienischen Senat. Die Regierung bleibt instabil. Wir veröffentlichen hier ein Statement unserer italienischen Schwesterströmung FalceMartello, das sie kurz nach Ausbruch der aktuellen Krise veröffentlichten.
Der italienische Senat wies letzten Mittwoch die außenpolitischen Konzepte der Prodi-Regierung zurück. Der Zeitpunkt, wie auch die Art und Weise wie diese Abstimmung zustande kam, mögen von niemandem erwartet worden sein – die politische Dynamik, die zu diesem Ergebnis führte, sollte aber niemanden überraschen.
Wenn man das Ergebnis der Abstimmung betrachtet, sieht man, dass die Regierung sowohl auf der Rechten (Andreotti, De Gregorio, Pininfarina) und der Linken (Turigliatto, Rossi) an Vertrauen verloren hat. Es braucht nicht viel, um zu verstehen was passiert ist. Um es mit einem Sprichwort zu sagen: „Die Decke war zu kurz“. D’Alema (Außenminister und DS-Obmann) hatte in einer Rede zu den außenpolitischen Plänen der Regierung die Außenpolitik der vorherigen Berlusconi-Regierung aufs Heftigste kritisiert. Es wurde unmöglich, Senatoren der „Mitte“ zu finden, die die Decke verlängern hätten können.
Das Wahlergebnis beschleunigt einen bereits in Bewegung geratenen Prozess. Seit den Senatswahlen im letzten April – und bereits früher – warnte die „Falce Martello“ Strömung, dass die Einheit und der Zusammenhalt der „Unione“-Koalition unvermeidlich und sehr bald zusammenbrechen würde und dass dies das Kräfteverhältnis zu den „Mitte“-Parteien hin verschieben würde. Sprich: Der Sturz der Prodi-Regierung kann nur zu einer neuen, weiter rechts positionierten Koalition führen.
Der Sturz der Regierung stellt den letzten Akt in einer Reihe von Geschehnissen dar, die das Scheitern der Politik der PRC-Mehrheit offen legten. Die Ereignisse der letzten neun Monate sprechen eine sehr eindeutige Sprache.
Anfangs wurde behauptet, dass diese Regierung dank der Loyalität der verschiedenen Kräfte gegenüber dem Regierungsprogramm fünf Jahre halten würde. Und doch sah man in den letzten neun Monaten ein parlamentarisches Manöver nach dem anderen, die von den so genannten Parteien der „Mitte“ inszeniert wurden: Der Senator De Gregorio stimmte mit der Rechten gegen den Vorschlag, Lidia Menapace als Vorsitzende der Verteidigungskommission einzusetzen; das Anti-Vertreibungs-Dekret welches vom Senat abgelehnt wurde; die Katholiken der Margherita (eine bürgerliche „Mitte-Links“-Partei) die gegen die Gleichstellung von unverheirateten Paaren Kampagne machten; und letztendlich die Niederlage der Regierung vor einer Woche als Dini und andere gemeinsam mit der Rechten stimmten. Bei jeder Gelegenheit steckten Giordano (der Nachfolger Bertinottis als PRC-Generalsekretär) und die PRC-Führung den Kopf in den Sand und behaupteten felsenfest, alles wäre in bester Ordnung – bis sie letztendlich das Gegenteil nicht mehr bestreiten konnten.
Nach dem Caserta-Gipfel (einem Treffen aller Parteien der „Unione“-Koalition im Jänner) gingen sie sogar noch weiter. Giordano verkündete feierlich, dass soziale Fragen wieder an der Spitze der Regierungsagenda stehen würden, dass die Partei einen weiteren Sieg errungen hätte, dass sich die Regierung weiter nach Links bewege. Unglücklicherweise gab es keinerlei Anzeichen für einen Linksruck.
Sie behaupteten, dass die „sozialen Bewegungen“ die Regierung von unten her durchdringen und nach Links treiben würden. Das genaue Gegenteil war der Fall: Die massive Bewegung gegen die Erweiterung der US-Militärbasis in Vicenza hatte eine noch stärkere Reaktion von Seiten der Regierung zur Folge. Verteidigungsminister Amato und Vizepremier Rutelli drohten schwere Strafen denjenigen an, die sich an der Demonstration beteiligen wollten. Der italienische Präsident Napolitano verkündete, dass jeder, der meine, Entscheidungen auf der Straße und nicht in staatlichen Institutionen treffen zu können, nur einen Schritt vom Terrorismus (den „Roten Brigaden“) entfernt sei. Am nächsten Tag verkündete Prodi, dass keine Demonstration die Haltung der Regierung ändern könne.
Der Generalsekretär der DS Fassino ergänzte, dass man nicht nur die Demonstranten berücksichtigen müsse, sondern auch alle anderen. Das ist lediglich eine Wiederholung des Ausspruchs von Berlusconi, dass, wenn eine Million Leute gegen ihn demonstrieren würden, die anderen 55 Millionen eindeutig FÜR ihn wären. Fassino sagte auch, dass Italien die internationalen Vereinbarungen, die die vorherige Regierung gemacht hat, einhalten müsse. Padoa Schioppa, der Wirtschaftsminister, kündigte am selben Tag an, dass die Pläne den Hochgeschwindigkeitszug TAV in Val Susa zu bauen nun Vorrang hätten (trotz der massiven Mobilisierung gegen diesen unter der Berlusconi-Regierung) und die letzten Entscheidungen im September getroffen würden.
Also wo bleibt die „Öffnung nach Links“, von der die PRC-Führer fantasierten? D’Alema sagte, dass, sollte man die US-Militärbasis nicht bauen, dies einen feindlichen Akt gegenüber den USA bedeuten würde. Wir sollten daher die Frage stellen: Ist der Bau der Basis nicht ein feindlicher Akt gegen die Bevölkerung, die diesen mehrheitlich ablehnt?
In Wahrheit stärkt die Aussicht auf neue Mobilisierungen (von der sich die herrschende Klasse momentan zu Recht fürchtet) die Position der PRC in der Regierung ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es erhöht sich das Gewicht aller Parteien der „Mitte“, die der italienischen Industriellenverband (Confindustria) sehr nahe stehen. Diese sagen: „Die Regierung ist zu weit Links gewichtet; bevor sie eine Geisel der Straße wird, müssen wir Brücken bauen und einen Dialog mit Berlusconis Rechtsbündnis „Hauses der Freiheit“ beginnen.“
Daher ist die wahrscheinlichste Option nach der Niederlage Prodis eine noch größere und weiter rechts positionierte Patchwork-Koalition.
Der Ruf einiger rechter Parlamentsmitglieder nach Neuwahlen stellt in der gegebenen Situation einen Bluff dar. Die Bedingungen für Neuwahlen – nach weniger als einem Jahr Regierung – sind nicht gegeben. Das Ergebnis einer solchen Wahl wäre höchstwahrscheinlich eine noch instabilere Regierung, was die italienische Bourgeoisie auf jeden Fall verhindern will.
Daher ist das wahrscheinlichste Ereignis, dass Napolitano Prodi dazu aufruft seine Koalition wieder arbeitsfähig zu machen und durch ein Vertrauensvotum ins Parlament zurückzukehren. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Prodi sich neue Verbündete für eine Koalition sucht, um sich eine noch größere Parlamentsmehrheit zu sichern, einschließlich Follini (Führer einer kleinen Mitte-Partei die sich von Berlusconis Allianz losgesagt hat) und anderen Splittergruppen, die sich von der Mitte-Rechten abgespalten haben. Dies wiederum würde eine Neuaufteilung des Kabinetts erfordern, was lange und komplizierte Verhandlungen erfordern würde.
Die Möglichkeit einer Großen Koalition steht ebenfalls offen. Diese wäre dann eine Regierung der „Nationalen Einheit“ deren Aufgabe es wäre, das neue Budget abzusegnen, das Wahlsystem zu ändern und Neuwahlen auszurufen.
Dies sind die drei potentiellen Möglichkeiten, geordnet nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit. Man könnte diese Optionen auch als Stufen der unabwendbaren, sich hinziehenden Regierungskrise betrachten. Klar ist, dass die Perspektive einer fünf Jahre anhaltenden Amtperiode – und mit ihr aller Leute, die auf sie gesetzt haben – ein für alle Mal begraben ist.
Prodi hat eine Niederlage erlitten. Aber im Grunde haben auch all jene Unterstützer der Idee eine vereinigte „Demokratische Partei“ (eine Fusion der DS und einer Reihe bürgerlicher Parteien) Schiffbruch erlitten. Die Perspektive eine Allianz aller „Mitte“-Parteien, die den Zusammenbruch der zwei Hauptblöcke zur Folge hätten, wird den Konflikt zwischen DS und Margherita so wie die parteiinternen Konflikte verstärken. All das eben erwähnte wird viele Hindernisse in den Weg der zu einer vereinten Demokratischen Partei, und damit direkt in die Hölle führt, darstellen.
Die Führung der Rifondazione Comunista hat ebenfalls eine Niederlage erlitten. Die Politik mit Prodi zu gehen, seinen „Bodyguard“ (Giordano) zu spielen, hat endgültig ihre hässliche Fratze entblößt. Den Weg mit Prodi zu gehen, bedeutet gemeinsam mit ihm unterzugehen.
Wir wollen noch auf die Entscheidung Franco Turigliottis gegen die Außenpolitik zu stimmen eingehen. Turigliotti ist Rifondazione-Senator und Mitglied der mandelistischen Strömung Sinistra Critica („Kritische Linke“).
Turigliotti hatte bereits vor der entscheidenden Abstimmung über die Außenpolitik angekündigt, dass er als Senator zurücktreten würde. Sein Handeln unterstreicht jedoch ein interessantes Faktum: Den „kritischen“ Strömungen in der PRC fehlt es an einer gut organisierten Massenbasis mit weitreichender politischer Unterstützung. Das führte dazu, dass sie sich in einer widersprüchlichen Positionen wiederfanden, als sie sich dafür entschieden Parlamentssitze für die PRC anzunehmen.
Grassi und Giannini (die zum neostalinistischen Flügel rund um die Zeitung „L’Ernesto“ gehören und Positionen ähnlich jenen der griechischen KKE vertreten) mussten dem Druck der Parteimehrheit nachgeben. Die Sinistra Critica fand sich in einer peinlichen Position wieder, als sie bei ihrem ersten ernsten Test sofort ein Debakel auslöste. Der Druck von allen Seiten führte dazu, dass Turigliotti gegen die Regierung stimmte und sofort sein Mandat zurücklegte.
Diese zur Schau gestellte Impotenz zeigt die Widersprüche auf, der sich die Partei mit dem Eintritt in die Regierung aussetzte. Aus diesem Grund wird die „Falce Martello“-Strömung jeden Versuch der PRC-Führung, mit Disziplinarmaßnahmen gegen Turigliotti und seine ganze Strömung vorzugehen, entschieden ablehnen. Die Mitglieder der Mehrheitsfraktion täten gut daran, sich und ihrer bankrotten Politik, die sie der ganzen Partei auferlegt haben, einer gesunden Selbstkritik zu unterziehen, anstatt eine Hexenjagd zu initiieren. Die Wir [Falce Martello] laden zu dieser Diskussion auch gerne die Redaktion der Liberazione (das Zentralorgans der PRC) ein. Leider hat es die Liberazione in den letzten neun Monaten vorgezogen, euphorisch reformistische, konformistische Pro-Regierungs-Artikel und Statements abzudrucken. Wir fordern sie auf, Androhungen wie eines „Todestodesurteils“ (der tatsächlich gebrauchte Ausdruck!) gegen Turigliotti zu unterlassen.
Nach dem Fall der Regierung wird der Druck nach Links zu gehen enorm sein. Aber das Ziel dieses Drucks wird nicht sein, die PRC aus der Regierung zu werfen, sondern die Partei niederzuringen und auszuquetschen. Welch bizarre Manöver auch immer wir in der nächsten Periode sehen werden, die Marschrichtung ist klar. So formuliert es beispielsweise das Organ des italienischen Industriellenverbandes:
„Am Ende ging etwas daneben. Was soll man nun tun? Die Verantwortung für die Außenpolitik liegt nicht nur beim Außenminister. Das ganze Kabinett steht dafür gerade. Das bedeutet, dass wir uns einer schweren, ernsthaften Krise gegenüber sehen. Prodi hat die verfassungsmäßige Pflicht den Staatspräsidenten zu konsultieren und alle notwendigen Schritte einzuleiten, um die Krise zu lösen. Das beinhaltet auch den Rücktritt der Regierung, wenn es notwendig sein sollte. Aber vor allem braucht es einen eindeutigen Test, ob die Regierungsmehrheit noch besteht. Wenn sie nicht gewährleistet ist, dann muss die Regierung zur Seite treten. Entweder wird eine neue Regierung gebildet, die fähig ist, die unumkehrbare Krise unseres bipolaren Systems in Betracht zu ziehen (welches sehr gut dafür geeignet ist, Wahlen zu gewinnen, aber nicht der Regierungsfähigkeit eines Kabinetts nicht zuträglich ist). Oder aber sie muss den Ball zurück zu Napolitano spielen, dessen Aufgabe es wäre, das Parlament aufzulösen, nachdem er ihm seine Handlungsunfähigkeit bestätigt hat. Wir erleben heute einen dramatischen Moment in der Geschichte der Legislatur. In jedem Fall can nichts und niemand die Tatsache ungeschehen machen, dass – egal welche Lösung schließlich herauskommen wird – die Zahl der Sitze des Mitte-Links-Blocks im Senat weit davon entfernt ist, einer ernsthaften Herausforderung standzuhalten. Heute ist es die Außenpolitik. Morgen das Pensionssystem und vieles mehr. (Stefano Folli, Il Sole-24 Ore, Online-Edition).
Was besonders bedeutsam ist, ist der Hinweis auf das Pensionssystem. Die UnternehmerInnen wollen eine solide Regierung, die fähig ist, allem gesellschaftlichen Widerstand zu trotzen. Sie drängen auf eine Offensive, nicht nur was die Pensionen betrifft, sondern auch was Deregulierung, Privatisierungen, Angriffe auf die Beamtenschaft usw. betrifft.
Die PRC braucht eine offene und ehrliche Debatte, ohne Beschönigungen, was die vergangenen Ereignisse, und vor allem die Zukunft betrifft. Was nicht passieren darf ist, dass die Partei in den Strudel der Regierungskrise gezogen wird, unter der die Linke als Ganzes und unsere Partei im Besonderen zu leiden haben könnte, wenn sie eine immer schwächer werdende Regierung stützen müsste – bis zur nächsten Krise, in der wir die ersten wären, die unter ihrer Last untergehen würden.
Die nächste Regierung, welche Form sie auch immer annehmen wird, kann nur ein weiterer Schritt Richtung einer Konstellation sein, in der sich die Unione-Koalition diskreditieren und auseinanderbrechen wird. Die Partei sollte akzeptieren, dass die Linie, die beim letzten Kongress angenommen wurde, gescheitert ist und dass es eine neue Ausrichtung braucht – eine Politik, die sich auf der Unabhängigkeit der Partei gründet, auf einem geduldigen Wiederaufbau der Verbindungen der Partei mit der Arbeiterklasse. Wir müssen uns aus der tödlichen Umklammerung lösen. Das bedeutet das genaue Gegenteil vom „bedingungslosen Vertrauen“, dass uns Genosse Giordano abverlangen will.
Die Krise wurde nicht von der Linken ausgelöst, aber sie hat uns voll erwischt. Wenn es eine Krise gibt, dann sollten wir uns das eingestehen und entsprechend handeln. Giordano sollte eine weitreichende Debatte eröffnen, nicht in den Korridoren des Palazzo Chigi (dem Büro des Premierministers), sondern unter den Massen, die für die Unione gestimmt haben. Er sollte sich an die ArbeiterInnen, die Jugend, die PensionistInnen, die Arbeitslosen, die TeilzeitarbeiterInnen und die EinwanderInnen wenden, um zu diskutieren, was den Krise in der Unione-Koalition ausgelöst hat – angefangen beim Krieg in Afghanistan bis Vigenza, aber auch über die Pensionen, die Teilzeitarbeit, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Bildung und so weiter. Wir diskutieren und Entscheidungen fällen – in den Fabriken, in den Wohnvierteln, in den Massenorganisationen. Und die PRC sollte sich dazu verpflichten, diese Entscheidungen ernst zu nehmen und den Forderungen und Hoffnungen der Massen eine Stimme geben. Das ist die einzige Form des „Vertrauens“, die wir befürworten – ganz ohne uns für eine Politik verpflichten zu lassen, die gegen die ArbeiterInnenklasse gerichtet ist.