Die zunehmenden Aufstände in Afghanistan lassen das Schreckgespenst einer weiteren beschämenden Niederlage des westlichen Imperialismus in dieser Region aufkommen. Die imperialistischen Strohmänner Musharraf und Karzai sind an einem bisher beispiellosen diplomatischen Spektakel beteiligt, in dem es um die Schuldfrage bei der sich abzeichnenden Niederlage geht. Musharraf beschuldigte Hamid Kazai am 27. September auf einem Gipfel in Washington, sich wie ein Strauß zu verhalten, der den Kopf in den Sand stecke und aus innenpolitischen Gründen in Afghanistan nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden wolle.
Die Imperialisten sehen sich mit der schlimmsten diplomatischen und militärischen Krise seit der US-Invasion im Irak konfrontiert. Die US-Amerikaner versuchen, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen und üben Druck auf die anderen NATO-Staaten aus, die diesen grausamen Krieg weiterführen sollen. In den letzten acht Monaten haben die NATO-Truppen mehr Verluste hinnehmen müssen als in den vorhergehenden Jahren der Besatzung. Im Schatten der imperialistischen Bajonette hat sich die soziale, politische und ökonomische Lage rapide verschlechtert. Die soziale Struktur ist zerbrochen und die kriminellen Warlords herrschen in ihren jeweiligen Machtbereichen. Die Herrschaft des Karzai-Regimes ist auf einige Teile Kabuls begrenzt. In den Stammesgebieten an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan hat die pakistanische Armee mehr als 500 Soldaten verloren. Die Imperialisten drängen das Musharraf-Regime „mehr zu tun“, um die Aufstände zu beenden, aber je öfter er versucht „mehr zu tun“, desto mehr militärische Opfer erleidet er und desto größer werden der Druck und die Gegenreaktionen in der Armee gegen Musharrafs Politik der Umsetzung der imperialistischen Diktate.
Trotz der Dementis seitens Musharrafs sind die westlichen Anschuldigungen, dass der pakistanische Geheimdienst ISI, die Taliban heimlich und logistisch unterstütze, nicht unbegründet. Der bekante Journalist Robert Fisk machte in einem Interview mit Amy Goodman von Democracy Now folgende Analyse zu dieser Verbindung:
„…meiner Meinung nach gibt es eine muslimische Nation, die für den Westen extrem gefährlich ist, die gerammelt voll ist mit Taliban- und Al-Kaida-Anhängern, eine Bombe besitzt und Pakistan heißt. Und darin besteht die wirkliche Krise. (…) Ich glaube, es geht in erster Linie um Pakistan. Ich vermute, dass Pervez Musharraf diesen Balanceakt zwischen dem Militär, dem Geheimdienst, den Taliban-Anhängern und den extremistischen Sunnitengruppen in Belutschistan und anderen Teilen im Nordwesten des Landes voll führt.“ (…)
„Aber in Wirklichkeit weiß er, dass der pakistanische Geheimdienst ISI die Taliban mit Geheimdienstinformationen und Geld unterstützt. Die Taliban in der Provinz Kandahar besitzen jetzt große Geldmengen.“ (…)
„Aber natürlich wird dieses Thema nicht direkt zwischen den US-Amerikanern und Musharraf diskutiert, denn er ist unser Freund beim Krieg gegen den Terror. Das ist ein Teil der Kulisse, und Sie dürfen natürlich nicht die Tapete abreißen, weil sie vielleicht nicht wissen, was Sie dahinter finden werden.“
Obwohl Robert Fisk die Unterstützung für die Taliban und Al-Kaida in der pakistanischen Gesellschaft übertrieben dargestellt hat, so gibt es doch die enge Verbindung zwischen der pakistanischen Armee und diesen islamischen Fundamentalisten. Der reaktionäre Aufstand gegen die linke PDPA-Regierung wurde am Ende der 1970er in Gang gesetzt und in den 1980ern von der ISI auf Geheiß der US-Imperialisten weitergeführt. Der ISI und die CIA organisierten ein ganzes Netzwerk von der Opiumproduktion über die Weiterverarbeitung zu Heroin und den Schmuggel, um den konterrevolutionären Aufstand zu finanzieren.
Die Finanzierung von Aufständischen und anderer Operationen durch den Drogenhandel und durch andere kriminelle Aktivitäten sind keine neue Variante imperialistischer Aggressionspolitik. Während der Opiumkriege im 19. Jahrhundert in China schrieb Marx folgendes über den Opiumhandel des britischen Imperialismus: „Dass britische Kanonen China das Opium aufzwangen, war die hässlichste Vermählung zwischen der Gewalt und dem Freihandel.“ Für die Politiker und Strategen der imperialistischen Vorherrschaft ist es erforderlich, den historischen Gedächtnisverlust über die Ursprünge des Drogenhandels zu überwinden.
Sowohl die Franzosen vor 1954 als auch die US-Amerikaner, die ihnen folgten, bezahlten einheimische Söldner in den Kriegen in Vietnam und Laos mit Profiten aus dem Drogenhandel. Die Drogen wurden oft unter offiziellem Schutz angebaut und mit von der CIA gecharterten Flugzeugen in den 1960ern und zu Beginn der 1970er zu den Märkten befördert.
Der frühere französische Geheimdienstchef Alexander de Marenches erzählte in seinen Memoiren, wie er Präsident Ronald Reagan und dem CIA-Chef William Casey in den 1980ern vorschlug, dass die von den USA geführte Koalition inmitten der sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan Drogen pflanzen sollte, um diese zu schwächen. De Marenches schreibt, dass beide von diesem Vorschlag angetan waren. Das geschah zu dem Zeitpunkt, an dem Nancy Reagan ihre Anti-Drogen-Kampagne „Just say no to drugs“ führte.
Aber der wichtigste Faktor dieses Drogenhandels bestand in der Finanzierung des islamischen „Dschihad“ gegen die „ungläubige“ kommunistische Regierung in Kabul. Wir haben ähnliche Beispiele bei US-Operationen in Lateinamerika beobachtet, wobei der „Contra-Skandal“ in Nicaragua in den 1980ern als bekanntestes Beispiel steht. Hier wurde das Geld aus dem Kokainschmuggel benutzt, um die Contra-Guerillas durch die CIA zu finanzieren und einen konterrevolutionären Aufstand gegen die linke Regierung der Sandinistas in Managua zu führen.
Während des Afghanistan-Krieges von 1979-89 stieg die Zahl der drogenabhängigen Afghanen und Pakistanis, die an der Ausweitung der Drogenproduktion, welche durch die CIA gefördert worden war, um damit die Waffen und den Sold der Mudschaheddin zu bezahlen, beteiligt waren.
Während der letzten fast dreißig Jahre hat sich das Netzwerk der Drogenproduktion weiterentwickelt und dominiert mittlerweile den staatlichen und politischen Überbau in Afghanistan und Pakistan. Nachdem der Westen die Afghanen aufgab und es zu ethnischen und Stammeskriegen und schließlich zur Herrschaft der Taliban kam, wurde dieses Mafia-Netzwerk nicht aufgelöst und gedieh auf verschiedene Weise unter verschiedenen Regierungsformen weiter.
Die riesigen Profite aus dem Drogenhandel wurden von einigen Staatsinstitutionen, die an diesem illegalen Geschäft beteiligt waren, abgesahnt. In Wirklichkeit haben diese das Netzwerk gefestigt. Da Opium und Heroin mittlerweile 80% der afghanischen Wirtschaft ausmachen, geht es bei den meisten politischen und Stammesfehden und Kriegen allein um den Anteil an dieser Beute.
Antonio Maria Costa, der das UN-Büro für Kriminalität und Drogen (UNDOC) leitet, hat gerade krasse Details aus einem UN-Bericht vorgelegt. Der Anbau von Mohnpflanzen zur Opiumgewinnung, die Verarbeitung und der Transport sind Afghanistans bedeutendster Arbeitgeber geworden, die Hauptquelle seiner Kapitalgewinnung und die wichtigste Grundlage seiner Wirtschaft.
Die NATO-Streitkräfte erleiden hohe Verluste beim Kampf gegen die Aufständischen im Süden, besonders in der Provinz Helmand, dort wo der Löwenanteil des Opiums seine Quelle hat. Der Bericht sagt aus, dass die Drogenkultur, die von den afghanischen Behörden unterstützt wird, aus Afghanistan einen Narco-Staat macht.
Die Opiumproduktion ist 2006 gegenüber 2005 um 49% gestiegen, die Anbaugebiete haben im gleichen Zeitraum um 59% zugenommen. Es wird vorhergesagt, dass 2006 die Ernte 6100 Tonnen betragen wird. Afghanistan liefert 92% des Heroins, das sich auf dem Weltmarkt befindet.
Wer ist dafür verantwortlich? – Die USA und die NATO. Denn schließlich besitzen sie den Narco-Staat Afghanistan. Die meisten der so genannten gewählten Parlamentarier sind Warlords und sie verdanken ihre militärischen Macht und ihrem politischen Einfluss diesem Drogenhandel, den die westlichen bürgerlichen Organisationen beklagen. Es ist eine Tatsache, dass die US-Amerikaner die Unterstützung dieser Warlords brauchen. Da sie diese kaufen können, werben sie sie für gewisse Zeiträume und Operationen an und ignorieren wissentlich die Drogengeschäfte ihrer Bündnispartner.
Aber auch die Aufständischen, deren Zahl stark angestiegen ist, stützen sich auf das Drogeneinkommen. Selbst als die US-Amerikaner das Land verlassen haben, blieben sie vor Ort und ihre Kartelle und Netzwerke sind heute organisierter und profitabler als je zuvor. So erhält zum Beispiel ein regulärer Soldat in der afghanischen Armee einen Sold von fünf Dollar am Tag, während ein Soldat in der Rebellenarmee zwölf Dollar bekommt.
Selbst nach Meinung europäischer Denkfabriken verlieren die Imperialisten gegenüber dem Widerstand an Boden. Die Denkfabrik Senlis Council hat soeben berichtet, dass die Taliban im Begriff seien, Afghanistan zurückzuerobern und bereits jetzt die südliche Hälfte des Landes kontrollierten. Damit wird Abschied genommen von den Behauptungen der USA und der NATO, diese würden den Krieg allmählich gewinnen.
Laut Senlis durchleidet der Süden Afghanistans eine von der „britisch-amerikanischen Militärpolitik“ verursachte humanitäre Krise, die Hunger und Armut zufolge hat. Rechercheure von Senlis widersprechen rosigen westlichen Berichten und fanden heraus, dass „die US-Politik in Afghanistan den sicheren Hafen für den Terrorismus wiederhergestellt hat, welchen die Invasion von 2001 eigentlich zu zerstören bezweckte.“
Die USA und die NATO beharren darauf, dass der Abzug ihrer Streitkräfte aus Afghanistan und dem Irak ein Vakuum zurücklassen würde, das mit Gewissheit von den Extremisten gefüllt würde. Diese Behauptungen sind Unfug, denn die Hälfte Afghanistans und ein Drittel des Irak befinden sich bereits größtenteils unter der Kontrolle antiwestlicher Widerstandskräfte. Gäbe es da nicht die massive Luftüberlegenheit der USA, dann wären die US- und NATO-Truppen längst aus Afghanistan und dem Irak vertrieben worden.
Blair, der sich nicht der Geschichte der militärischen Katastrophen seines Landes in Afghanistan bewusst ist, hat seine Truppen in dem unvorteilhaftesten Gelände stationiert, wo sie es mit einem grausamen und zunehmenden Widerstand zu tun haben.
Die vom Westen als „Taliban“ bezeichneten Aufständischen, sind eine wachsende Koalition verschiedener politischer Gruppen, zu denen Nationalisten, Kommunisten, Sozialisten, Stammeskrieger aus der Volksgruppe der Paschtunen und Taliban-Fraktionen gehören. Es entsteht ein nationaler Widerstand gegen die ausländischen Besatzer und nicht, wie die westlichen Medien uns glauben machen wollen, eine obskure fundamentalistische Taliban-Bewegung. Es ist die Rache eines Volkes, dem man Feinheiten wie die so genannte „Demokratie“, „Aufklärung“ und „liberale Werte“ durch das rücksichtslose Zurückbomben Afghanistans in die Steinzeit und durch tonnenweise imperialistischer Gewehre beigebracht hat.
Es gibt ein altes Hindu-Gebet : „Oh Gott rette uns aus den Klauen des Tigers, den Reißzähnen der Kobra und vor der Rache der Afghanen.“ Die imperialistischen Truppen bekämpfen nicht den „Terrorismus“ in Afghanistan, wie westliche Führer behaupten. Sie bekämpfen das afghanische Volk. Jeder Zivilist, der getötet wird, jedes Dorf, das bombardiert wird, jedes Kind und jede Frau, die geschändet werden, werden neue Feinde gegen den Imperialismus erzeugen.
Afghanistan hat eine lange linke Tradition. Schließlich war die Saur- (Frühlings-) Revolution von 1978, trotz ihrer Versäumnisse und Fehler, in der Geschichte Afghanistans ein plötzlicher Sprung nach vorn. Die radikalsten Reformen im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, der Landwirtschaft und in weiteren Bereichen der Gesellschaft wurden eingeführt. Diese Revolution rüttelte nicht an den Fundamenten der alten faulenden Gesellschaft, aber sie gefährdete die imperialistischen Interessen in der Region. Aus diesem Grund wurde der konterrevolutionäre Dschihad geschaffen.
Wir MarxistInnen haben sachlich und kritisch den Versuch unterstützt, das Feudalsystem und den Kapitalismus zu stürzen. Einige Wochen nach der Revolution schrieb Ted Grant im Sommer 1978:
„Dies ist der Weg, den die ‚Kommunistische Partei‘, die zusammen mit den radikalen Offizieren die Macht inne hat, nehmen wird. Die Opposition der alten Kräfte in Afghanistan, wie auch in Äthiopien, wird sie mit aller Wahrscheinlichkeit in diese Richtung treiben.“
„Wenn sie, vielleicht unter dem Einfluss des russischen Botschafters oder des russischen Regimes, abwarten, werden sie den Weg für eine grausame Konterrevolution vorbereiten, die auf der bedrohten Feudalaristokratie und den Mullahs basiert. Falls die Konterrevolution Erfolg hat, wird das alte Regime wiederhergestellt und zwar auf den Gebeinen von Hunderttausenden Bauern, durch Massaker an den radikalen Offizieren und die Ausrottung eines großen Teils der Bildungselite. Bis es eine Bewegung der einzig revolutionären Klasse ist, die in den industrialisierten Länder einen Wechsel in Richtung Sozialismus bringt, scheint momentan die fortschrittlichste Entwicklung in Afghanistan die Errichtung eines proletarischen Bonapartismus zu sein.“
„Obwohl wir unsere Augen nicht vor den neuen Widersprüchen verschließen, wird das einschließen, dass wir MarxistInnen die Entstehung eines Arbeiterstaates auf der Basis einer Übergangswirtschaft ohne Arbeiterdemokratie und die weitere Schwächung nicht nur des Imperialismus und Kapitalismus, sondern auch von Regimes, die auf den Überresten des Feudalsystems in den rückständigsten Ländern basieren, sachlich unterstützen.“ (The Colonial Revolution and the Deformed Workers‘ States, Juli 1978)
Diese Lektionen müssen neu gelernt werden, um eine revolutionäre Strategie für die bevorstehenden Kämpfe der afghanischen Massen zu entwickeln. Heute sind die Revolution und die Konterrevolution in Afghanistan und Pakistan untrennbar verbunden. Die revolutionären Traditionen Afghanistans werden an die neue Generation der Werktätigen und der Jugend weitergegeben. Die Revolution von 1978 hat zumindest bewiesen, dass das Stadium der kapitalistischen Entwicklung in Afghanistan übersprungen werden konnte.
Das trifft heute noch mehr zu. Unter diesem faulendem kapitalistischem System heißt die Zukunft Afghanistans Barbarei. Es gibt jetzt bereits starke barbarische Kräfte in dieser Gesellschaft. Sie können nur durch eine sozialistische Revolution unter einer marxistischen Führung und Partei abgewehrt werden. Dies würde den Weg für eine sozialistische Förderation Südasiens ebnen.
Afghanistan ist vielleicht das auffälligste Beispiel einer Gesellschaft am Scheideweg zwischen Barbarei und Sozialismus. Die Niederlage des Imperialismus hätte nicht notwendigerweise eine fundamentalistische Reaktion zur Folge. Eine revolutionäre Bewegung in Pakistan und anderen Ländern der Region ist ebenfalls möglich und diese würde wiederum einer revolutionären Welle in Afghanistan Aufschwung geben.