Völkermord in Palästina: Für Sozialismus

Das Gaza von heute ist nicht mehr wiederzuerkennen: Die Vernichtungskampagne Israels hat es in einen Haufen Asche verwandelt. Es gibt keine lebensfähige Gesellschaft mehr. Von Michael Scherr.
Jeder fünfte Mensch in Gaza ist aktuell vom Hungertod bedroht. Seit über vier Monaten blockiert Israel jeden Zugang zu Essen, Wasser und Medizin. Vor der Blockade kostete ein Kilo Mehl 30 Cent. Heute sind es 10 Dollar! Am 16. Tag der Blockade brach Israel die Waffenruhe mit der brutalsten Offensive seit Kriegsbeginn. In den ersten dreißig Tagen dieser Militäraktion wurden weitere 1.600 Palästinenser getötet und 4.300 verwundet.
Am 6. Mai kündigte Israels Finanzminister Bezalel Smotrich an, Gaza bis Ende des Jahres „total zerstören“ zu wollen. Die 2 Millionen Palästinenser in Gaza werden systematisch in den Süden rund um die Stadt Rafah in ein Gebiet, das etwa so groß ist wie Krems an der Donau gedrängt. In Rafah wurden allerdings mehr als 90% der Wohnviertel zerstört. 22 von 24 Wasserbrunnen sind nicht mehr funktionsfähig und 85% des Abwassernetzes sind kaputt. Smotrichs Ziel:
„Sie werden völlig verzweifelt sein, weil sie verstehen, dass es in Gaza keine Hoffnung und nichts zu suchen gibt, und sie werden nach einer Umsiedlung suchen, um an anderen Orten ein neues Leben zu beginnen.“
Ende Mai gründete Israel die „Gaza Humanitarian Foundation“ (GHF) in Kooperation mit den USA, um selbst die Kontrolle über die Verteilung von Essen und Hilfsgütern im Gazastreifen zu übernehmen. In Realität ist die GHF eine US-israelische Mafia-Truppe: Unter ihren „lokalen“ Sicherheitstruppen befinden sich von Israel finanzierte kriminelle Banden bestehend aus EX-IS-Mitgliedern, Ex-PA-Geheimdienstlern (PA = Palästinensische Autonomiebehörde) und Mördern. Nordgaza ist dabei komplett abgeschnitten von jeder Hilfe. Entweder man flüchtet oder man verhungert – es gibt keine andere Wahl.
Die Zustände in den „Hilfszentren“ sind katastrophal: Wenn man bei einem GHF Hilfszentrum ankommt, wird man gemeinsam mit tausenden Hungernden in einen engen Gang gedrängt, umringt von hohen Metallzäunen. Der Gang führt zu einer offenen Fläche mit mehreren hundert Essenspaketen in der Mitte. Es ist ein Kampf ums Überleben: Die Menschen stürzen sich auf den Haufen, schubsen und klettern übereinander. Messer werden gezückt, Faustkämpfe brechen aus. Nur wenige haben Glück und können ein Essenspaket an sich reißen. Dann fallen Schüsse: Der Platz wird zu einem menschlichen Schlachthaus. Diese Ereignisse wiederholen sich tagtäglich. Über 500 Palästinenser wurden bisher in diesen Zentren erschossen. Israelische Soldaten berichteten gegenüber der israelischen Tageszeitung „Haaretz“, dass ihnen befohlen wurde, absichtlich in die Menge zu schießen.
Der zu Redaktionsschluss diskutierte Waffenstillstand wird nichts am Völkermord ändern. Im Gegenteil: Er sieht lediglich eine 60-tägige Feuerpause vor, die Israel dafür nutzen will, im Süden des Gazastreifens ein Lager zu bauen, in dem laut des israelischen Verteidigungsministers Katz 600.000 Palästinenser „konzentriert“ werden sollen. Genannt wird das zynisch eine „humanitäre Stadt“.
Auch für das Westjordanland hat Finanzminister Smotrich einen Plan, der „effektiv einen Palästinensischen Staat zerstören“ würde. Der sogenannte „E1 Plan“ beinhaltet den Bau von 3.412 Wohneinheiten für israelische Siedler, um Ostjerusalem vom Westjordanland abzuschneiden. Israels „Operation Iron Wall“ führt seit Jänner systematische Razzien und groß angelegte Zerstörung von Infrastruktur im Norden des Westjordanlandes durch, um das Zentrum des palästinensischen Widerstands in der Region zu brechen.
Erst kürzlich unterschrieben 14 Minister aus Netanjahus Likud-Partei einen offenen Brief an ihn mit der Aufforderung, das Westjordanland sofort zu annektieren. Hunderte Tote Palästinenser, ermordet durch Siedler, aber auch die israelische Armee zeugen von dem (schlecht verdeckten) Krieg, den Israel auch im Westjordanland gegen die Palästinenser führt.
So offen passiert dieser Völkermord mittlerweile vor aller Welt, dass selbst „unsere“ Herrschenden, statt bei jeder Gelegenheit nur das „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ zu betonen, jetzt auf einmal einen anderen Ton anschlagen – etwa Außenministerin Meinl-Reisinger, wenn sie für eine „Zweistaatenlösung ohne Rolle der Terrororganisation Hamas“ argumentiert.
Das ist nicht etwa eine „menschlichere“ Position, die die Interessen der Palästinenser mitbedenkt – ganz im Gegenteil: Es ist der Versuch, das Rad der Zeit zurückzudrehen und zur stillen und heimlichen Unterdrückung der Palästinenser zurückzukommen, wie sie in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen ist.
Die Osloer Abkommen von 1992 und 1995 waren der Versuch einer Beruhigung der palästinensischen Massen, die sich in der ersten Intifada (ab 1987) gegen die Besatzung erhoben hatten. Das Abkommen war ein Deal zwischen Israel und der Führung der Palästinenser, der PLO (Palestinian Liberation Organisation). Dabei wurde die PA etabliert, die Teile des besetzten Gebietes (mit-)verwalten sollte.
Doch das Territorium dieses „Staates“ war nie einheitlich, sondern besteht aus 189 abgetrennten Inseln, durchzogen von israelischen Straßen, Siedlungen und Checkpoints. In den drei Jahrzehnten seither verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Palästinenser ständig, die Arbeitslosigkeit ist explodiert. Die gesamte palästinensische Wirtschaft wird von Israel in Geiselhaft gehalten, 58% aller Importe kommen aus Israel und 86% aller Exporte gehen dorthin.
In der Realität zementierte dieses Abkommen die Unterdrückung und Ausbeutung der Palästinenser: Die PA wurde zur Hilfspolizei für Israel – was zu ihrer Diskreditierung und dem Aufstieg der Hamas ab Beginn der 2000er führte. Gleichzeitig ging der Siedlungsbau und damit der reale Annexionsprozess ungebremst weiter. Seit 1993 hat sich so etwa die Zahl der jüdischen Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem auf 670.000 fast verdreifacht. Der Gazastreifen steht seit 2007 unter Blockade, unterbrochen nur durch regelmäßige Angriffe der israelischen Armee. Friedliche Demonstrationen der Gaza-Bewohner gegen ihre Lage wurden 2018 grausam niedergeschlagen, wobei hunderte Menschen von den IDF umgebracht wurden, darunter 46 Kinder. Der Völkermord im Gazastreifen nach dem 7. Oktober 2023 ist nur die grausame Zuspitzung eines Prozesses, der nach den Osloer Abkommen unter der Oberfläche ständig weitergegangen ist.
Die „Zweistaatenlösung“ ist krachend gescheitert und führte uns geradewegs in die Barbarei eines Völkermords. Der einzige Weg vorwärts ist der Sturz des Kapitalismus – die Revolution durch die Arbeiterklasse im Nahen Osten wie in Österreich. Wenn die ausgebeuteten und unterdrückten Massen die reaktionären Regimes der Region stürzen, wäre die Basis für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens geschaffen, in der die Palästinenser zum ersten Mal ein eigenes Heimatland haben und alle Völker und Religionen friedlich und ohne Armut leben könnten.
(Funke Nr. 235/09.07.2025)