Interview mit Andy Viner, Mitglied der ASLEF
Andy Viner ist langjähriges Mitglied der ASLEF (der britischen Gewerkschaft für Lokführer). Er arbeitete bei der staatlichen British Rail als Lokführer. Nach der Privatisierung wechselte er zum London Underground.
F: Was waren die entscheidenden Gründe für die Privatisierung der British Rail?
AV: Die Privatisierung fand während einer Serie von Regierungsperioden der Tories statt, welche nur so auf Privatisierungen brannten. Privatisierung von Staatseigentum ist für eine Marktwirtschaft geradezu fundamental. Die generelle Ideologie dahinter war „Privat ist gut / Staatsbesitz schlecht“. Dies wurde mit Beispielen von Miss-Managment im öffentlichen Bereich untermauert. Damals hätte die British Rail (die staatliche Eisenbahngesellschaft, Anm.) riesige Summen an Investitionen in neue Züge und in die Infrastruktur benötigt. Durch die Privatisierungen wird die Einflussmöglichkeit des Staates auf die Industrie geschwächt, öffentliche Ausgaben werden reduziert und ausserdem kann man die Kosten für die Arbeitskräfte leichter senken. Ein weiterer Vorteil ist, dass man die Gewerkschaften entscheidend schwächen kann. Ausserdem sollte Privatisierung die Steuerzahlungen senken, weil nun private Unternehmen für die Eisenbahnen aufkommen würden. Soweit einmal zur Theorie der Privatisierung. Die Realität sah da ein bisschen anders aus.
F: Welche Effekte hatte die Privatisierung der Eisenbahnen in GB auf die Arbeitsbedingungen, Löhne etc.?
AV: Die Privatisierung hatte absolut katastrophale Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen bei der Bahn. 2.000 Lokführer wurden am ersten Tag der Privatisierung entlassen. „Restrukturierung, war damals das grosse Schlagwort! ArbeitnehmerInnen-Rechte, welche über Jahrzehnte hinweg erkämpft wurden, konnten nun mit einer Unterschrift abgeschafft werden. Jedes einzelne Unternehmen der privatisierten Bahn hat nun ihr eigenes Lohnsystem und auch die Rechte der ArbeiterInnen sind unterschiedlich. In den ersten Jahren spürte man die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen am meisten: Die Dauer der Schichten wurde ausgeweitet, immer mehr zusätzliche Minuten und Stunden wurden aus den EisenbahnerInnen herausgepresst. Aber eines konnten sie nicht so schnell abschaffen: Die Gewerkschaft blieb vereint. Dadurch konnten wir in einigen Bereichen sogar Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erreichen. Durch die verrückte Situation, dass die privaten Unternehmen keine LokführerInnen ausbilden, kam es zu einem Mangel an ausgebildeten LokführerInnen. In dieser Situation konnten die Gewerkschaften eine Erhöhung des Lohnes erreichen.
F: Glaubst du dass die Privatisierung Auswirkungen auf die Sicherheitsstandards der Eisenbahnen hatte?
AV: Sicherheit in der British Rail wurde gross geschrieben. In allen Bereichen war die Sicherheit das oberste Ziel. Nach einem Bericht zu einem Unfall vor der Privatisierung (1988: Unfall bei Clapham / London) musste sich die Torie-Regierung dazu verpflichten, das Sicherheitssystem ATP einzuführen. Dies hätte Kosten von 700 Millionen Pfund verursacht. Als es dann zur Privasierung kam, protestierten die privaten Unternehmen und weigerten sich Teile der zerschlagenen Eisenbahn zu übernehmen, wenn sie das Sicherheitssytem zahlen müssten. Dadurch wurde die Installation von ATP verhindert und reines Profitdenken trug den Sieg über die Sicherheit der Passagiere und ArbeitnehmerInnen davon. 1999 gab es dann die grösste Eisenbahnkatastrophe seit 50 Jahren, 30 Menschen wurden getötet und 200 verletzt. Wäre ATP verwirklicht worden, so hätte man das Leben dieser Menschen mit hoher Sicherheit retten können. Selbst nach einer Reihe von weiteren Unfällen und Entgleisungen, überlegen die privaten BetreiberInnen immer noch wie man die Kosten für die Sicherheit senken könnte. Solange private Unternehmen im Eisenbahnbereich agieren wird die Sicherheit auf der Strecke bleiben. Der Share-Holder-Value und die Gier nach höheren Dividenden wird die Kosten für Sicherheit immer zu hoch bleiben lassen.
F: Welche Gründe gab es für die Entgleisungen und Unfälle von denen man immer wieder hört?
A.V.: Der Hauptgrund ist sicherlich, dass die Investitionen in Infrastruktur immer weiter gesenkt wurden. Ausserdem natürlich auch die Zersplitterung der Eisenbahn in durtzende Einzelunternehmen. 3 Jahre nach der Privatisierung erreichten die Zahlen für Investitionen in die Schienenanlagen und Infrastruktur den niedrigsten Level, der jemals ausgegeben wurde. Früher wurde ein Gleis sofort ausgetauscht, wenn es Schäden aufwies. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Dafür gibt es dann um einiges mehr an Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Strecken, welche aber die Probleme nicht lösen. Jene Unternehmen, welche für die Wartung der Gleisanlagen zusändig waren, gaben ihre Wartungsrechte an Subunternehmer weiter, welche diese wieder teilweise an Sub-Subunternehmer weitergaben. Jedes einzelne Unternehmen in dieser Kette versucht seine Kosten zu drücken. Das die Sicherheit dabei auf der Strecke bleibt ist ja klar. 1994 (1 Jahr nach der Privatisierung, Anm.) gab es 31.000 ArbeiterInnen die für Wartungen zuständig waren, 2000 gab es nur mehr 19.000.
F: In GB gibt es mittlerweile ziemlich grosse Unterstützung durch die Öffentlichkeit für die Wiederverstaatlichung der Eisenbahnen. Glaubst du das dies im Bereich des möglichen ist? Würde es die Dinge zum positiven wenden?
A.V.: Vor ein paar Jahren gab es eine Umfrage welche besagte, dass 77% der Bevölkerung die Eisenbahnen wieder in staatlicher Hand sehen wollten. Heute sind die Zahlen eher noch gestiegen, als gesunken. Die Arbeit der privaten Unternehmer war so schlecht, dass die Regierung mittlerweile Railtrack (das Unternehmen, welches für die Schienanlagen zuständig war)durch das staatliche Network Rail ersetzt hat. Alle Wartungarbeiten werden nun wieder in ein und dem selben Unternehmen, dass noch dazu in staatlicher Hand ist, durchgeführt.
Die verstaatlichte Industrie der Vergangenheit war mit Sicherheit nicht ideal, aber besser als die jetzigen Zustände allemal. Die einzige Möglichkeit die Situation zu verbessern, ist das die Verwaltung der Eisenbahn von den EisenbahnerInnen selbst übernommen wird. Wir brauchen eine verstaatlichte Industrie wo alle Beteiligten mitzureden haben, welche demokratisch geführt wird.