Haben Gleichstellungsprogramme, Quotierung und Frauenförderung die Lage der Frauen in dieser Gesellschaft wirklich verbessert? Kristina Pirker betrachtet die aktuelle Lage der Frauen und beleuchtet die Hintergründe.
(Funke 11/Frühjahr 1996)
Stell dir vor, du würdest am Arbeitsplatz von einer vorgesetzten Person sexuell belästigt werden, und traust dich nicht, dich aufzuregen, weil dir sowieso niemand glauben würde. Stell dir vor, du hast gerade die Universität fertiggemacht und findest einen Job im öffentlichen Dienst oder in einem Unternehmen, und kommst drauf, dass dein Studienkollege einen besser bezahlten Posten bekommen hat, obwohl er die gleiche Qualifikation hat wie du. Oder du möchtest, nachdem du einige Jahre beim Kind warst, wieder arbeiten gehen, und findest keinen Kindergartenplatz für dein Kind. Vielleicht gehörst du auch zu den Glücklichen mit Arbeitsplatz und Kindergartenplatz, aber wenn du nach der Arbeit nach Hause kommst, muss die Wäsche gewaschen und gebügelt werden, Partnerin oder Partner und Kinder mit Essen und Zuneigung versorgt werden.
Frauen in Niedriglohnbereichen – eine Reservearmee
Die Auflistung mag banal erscheinen, aber diese Probleme sind für viele Frauen Realität. Die Liste ließe sich noch fortsetzen, denn Frauen sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen Problemen und Behinderungen ausgesetzt, die Männer nicht oder nur bedingt kennen. Im Gegensatz zu Männern werden Frauen durch Maßnahmen „diszipliniert“, die ihren Angriffspunkt im weiblichen Geschlecht und Körper haben: körperliche Misshandlung, Vergewaltigung (außerhalb und innerhalb einer Partnerschaft), sexuelle Belästigung (z.B. am Arbeitsplatz), Zwangssterilisation, etc. Was den Produktionsbereich betrifft, gehören Frauen zur Reservearmee des Kapitals: sie sind überrepräsentiert in Niedriglohnbereichen und bei wirtschaftlichen Strukturveränderungen am ehesten vom Arbeitsplatzabbau bedroht. In den ostdeutschen Bundesländern gehören Frauen, vor allem auch Alleinstehende mit Kindern, zu den „Verlierern der Einheit“ mit überdurchschnittlicher Arbeitslosenquote.
In der Familie sind sie hauptverantwortlich für die Hausarbeit, auch wenn sie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Ein Großteil der von Frauen geleisteten Arbeit (z. B. Hausarbeit) fällt nicht unter die Definition von Lohnarbeit, wird volkswirtschaftlich nicht bewertet und ist damit gesellschaftlich nicht geachtet. Wenn man den Begriff „Arbeit“ weiter fasst (als die traditionelle Hausarbeit), leisten Frauen weltweit 2/3 aller Arbeit, erhalten jedoch nur 1/10 des Welteinkommens und kontrollieren l /100 der Produktionsmittel (taz, 30.8.1995)! Wir leben in einer Gesellschaft, die die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aufrechterhalten will, indem Bedürfnisse von Frauen an den Rand gedrängt werden und sie systematisch von gesellschaftlichen Machtpositionen ausgeschlossen werden. Der Zweck des Ganzen? Frauen sollen weiterhin ökonomisch von einem Mann abhängig sein, und weiterhin kostenlose Versorgungs- und Pflegearbeit in den Familien leisten. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen Frauen: Klassenzugehörigkeit, Alter, regionale und ethnische Zugehörigkeit entscheiden über Chancen: gut ausgebildete, junge Frauen ohne Kinder und mit der Bereitschaft zur beruflichen und lokalen Mobilität haben Möglichkeiten, von denen ihre schlecht ausgebildeten Geschlechtsgenossinnen nicht einmal träumen können. Diese Gleichberechtigung ist aber nur durch die Ausbeutung von Frauen der Arbeiterklasse und der Entwicklungsländern möglich. Das heißt, die Ungleichheit wird einfach verlagert.
Jede Frau macht – je nach Klassenzugehörigkeit – unterschiedliche Erfahrungen mit geschlechtsspezifischen Diskriminierungen, und wird unterschiedlich damit fertig. Damit sind wir bei einem Grundproblem der feministischen Analyse: Frauen sind, was ihr biologisches Geschlecht betrifft, gleich und sonst eine höchst unterschiedliche Gruppe mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen, klassenspezifischen und anderen Lebenszusammenhängen.
Marxistische Analyse: Engels und Bebel
Bereits die marxistischen „Klassiker“ setzten sich mit der Benachteiligung der Frau auseinander. Engels bezeichnete die Ungleichheit der Geschlechter als ersten Antagonismus unter den Menschen. Die Ursache für die Ausbeutung der Frauen ist, laut Engels, ihre körperliche Schwäche und damit ihre reduzierte Arbeitsfähigkeit. Die Befreiung der Frauen könne nur durch ihre Integration in den gesellschaftlichen Produktionsprozess geschehen, weil dann die „häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutenderem Maß in Anspruch nimmt.“ (Engels, Der Ursprung der Familie MEW, Band 21, S. 158). Für Marx und Engels war das Thema „Frau“ ein Teil der Analyse über die Familie. August Bebel, ein Schüler von Engels, ging weiter und versuchte in seinem Buch „Die Frau und Sozialismus“, die Unterdrückung der Frau nicht nur als Begleiterscheinung der Familie und des Privateigentums darzustellen. Die Körperliche Unterlegenheit und die biologische Funktion als Mutter bedingen die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Mann. Gelöst werden kann – darin sind sich die marxistischen Denker einig – das Geschlechterproblem nur im Sozialismus, denn erst dann ist durch die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Produktionsprozess, die Auflösung der Familie und die sexuelle Freiheit der Frauen der Geschlechterwiderspruch gelöst. Zweifellos ist der Grad der Befreiung der Frauen für die marxistischen Klassiker ein wichtiges Ziel, an dem sich der Entwicklungsstand einer jeden Gesellschaft messen lässt. Das Geschlechterverhältnis wurde von ihnen nicht strukturell in die sozialistische Theorie integriert: ein „Nebenwiderspruch“ eben, der in Teilbereichen (z. B: Familie) angesprochen werden kann, aber keine essentielle Rolle für die Analyse spielt.
Dass eine reine formale, gesetzliche Gleichstellung von Frauen in den oben genannten Bereichen allein nicht ausreicht, das zeigt auch ein Blick auf Länder wie Kuba oder in die frühere Sowjetunion. Auch dort ist trotz gewisser Fortschritte eine wirkliche Chancengleichheit für Frauen nicht erreicht worden. Eine Konzentration der Produktionsmittel in den Händen des Staates ist zwar eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung in Richtung Sozialismus. Aber ohne volle demokratische Rechte, ein allmähliches Zurückweichen des staatlichen Unterdrückungsapparates und einen hohen Entwicklungsstand der Produktivkräfte lastet im staatlichen wie auch im kulturellen Bereich das Erbe der Vergangenheit schwer.
Und dazu gehören eben auch althergebrachte kulturelle Einstellungen über Frauen (und Männer) in einer Gesellschaft, die Rollenklischees. „Geschlecht“ ist eine soziale Konstruktion, das heißt, unsere Identität als Frau oder Mann ist weder „von Gott gegeben“, noch biologisch begründbar, sondern hat sich über Jahrhunderte im Rahmen der Kultur, in der wir leben, entwickelt und äußert sich vor allem über Sprache. Der sozialistische Feminismus berücksichtigt nicht nur materielle Prozesse, sondern auch kulturelle. Dabei wird von der These ausgegangen, dass die Unterdrückung der Frau vom Kapitalismus nicht „erfunden“, sondern aus vorhergehenden Klassengesellschaften übernommen und verändert wurde. Inzwischen ist die Ausbeutung der Frauen ein wesentliches Element des kapitalistischen Systems und unabdingbar für sein Funktionieren. Frauen in der Produktion
Frauen sind v. a. in den sogenannten Niedriglohnbranchen tätig (Textilindustrie, Reinigungsgewerbe“…), Männer eher in gut bezahlten Branchen (Metall- oder Druckereigewerbe). Die Diskriminierung von Frauen in bestimmten Produktionsbereichen wurde immer mit Argumenten begründet, die mit dem weiblichen Körper zu tun haben, mit körperlicher Schwäche, Schutz der ungeborenen Kinder, etc. Das ist aber nur ein Vorwand, denn die Arbeit, die sie in den verschiedensten Gesellschaften verrichten „dürfen“, ist meistens körperlich anstrengend (z.B. Feldarbeit, Reinigungsarbeit“…), und die Hausarbeit ist auch nicht unbedingt „gesundheitsfördernd“. Die Begründungen dienen dazu, dass Frauen von den gut bezahlten, sicheren Arbeitsplätzen ferngehalten, und in typische „Frauenerwerbstätigkeiten“ mit entsprechend niedriger Bezahlung und niedrigem sozialem Status gedrängt werden. Beispiele hierzu kennen alle, die im Alltag die Augen offen halten.
Selbst Frauen mit ausgezeichneter Qualifikation verfügen nicht über die gleichen Aufstiegschancen wie Männer, fast immer müssen sie sich mit niedrigeren beruflichen Positionen als ihre gleichqualifizierten männlichen Kollegen abgeben: Bei jeweils gleicher Ausbildung beträgt der Einkommensnachteil von Frauen je nach Ausbildungsstufe umgerechnet auf eine Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden zwischen 19 und 34%. Der weibliche Einkommensnachteil ist am höchsten bei jenen mit Hochschulabschluss.
Frauen: zurück an den Herd?
Dass es Frauen so schwer gemacht wird, sich im Produktionsprozess zu „etablieren“, liegt daran, dass in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sie die Hauptverantwortlichen für die Reproduktionsarbeit sind. Reproduktion umfasst drei Dimensionen: gesellschaftliche Reproduktion (= Reproduktion der Herrschafts Verhältnisse), biologische Reproduktion und Reproduktion der Arbeitskraft. In der herrschenden Ideologie gelten Mutterschaft, Hausarbeit, Versorgung der materiellen und emotionalen Bedürfnisse des Mannes und der Kinder etc. als „natürliche“ Aufgaben der Frau, die den Gesetzen der Freiwilligkeit“ und der „Liebe“ und nicht denen des Marktes gehorchen. Indem diese Arbeiten im privaten Bereich geleistet werden, müssen sich Markt und Staat nicht darum kummern. Die männliche Arbeitskraft wird billiger, kann intensiver ausgebeutet werden und der Staatshaushalt wird finanziell nicht belastet. Für Österreich wurde einmal folgendes Berechnungsmodell aufgestellt: wenn die unbezahlte Reproduktionsarbeit mit nur 65 Schilling/Stunde entlohnt würde, müssten insgesamt 560 Milliarden Schilling ins BIP einbezogen werden. Das Ausbezahlen dieser Beträge würde die Profitraten wohl um einiges schmälern… Dadurch, dass die kapitalistische Konkurrenz immer stärker wird, dass es deshalb immer notwendiger wird, die einzelnen Arbeitenden intensiver auszubeuten, wird der Druck auf Frauen größer, statt Erwerbsarbeit innerhalb der Familie die unbezahlte Pflege- und Versorgungsarbeit zu leisten. Die neokonservativen Angriffe (Kürzung der Karenzjahre um ein halbes Jahr, Streichung der Geburtenbeihilfe, Kürzung der Gelder für Bau und Ausbau von Kindergarten ….) auf die (sowieso spärlichen) Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre für Frauen, zeigen es: Frauen sollen zurück m die Arme des männlichen Versorgers getrieben werden, dann kann er nämlich besser und länger für „seinen“ Chef arbeiten, und muss sich nicht um Haushalt, Kinder, etc. kümmern. Selbst wenn auch mehr Väter bereit wären, ihre Rolle bei der Kindererziehung voll zu spielen und Erziehungsurlaub zu nehmen, scheitert dies oft auch daran, dass die Männer mehr verdienen als die Frauen und das Erziehungsgeld auf maximal 600 DM begrenzt ist. So nimmt in Deutschland nur etwa 1% der in Frage kommenden Männer diese gesetzliche Möglichkeit überhaupt wahr. Die „Institution Ehe“, wird, dank der staatlichen Sparprogramme vor ihrer Auflösung bewahrt.
Rollenbilder sind langlebig
„Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werden dazu gemacht.“ (Simone de Beauvoir). Obwohl das traditionelle Bild der Familie immer weniger der Realität entspricht, denn immer mehr Frauen müssen arbeiten, existiert es weiterhin als gesellschaftliches Leitbild. Warum ist es so schwer, sich von diesen Klischees zu lösen? Im Prozess der Sozialisation, in der Kindheit also, werden diese Leitbilder vermittelt. Als Erwachsener diese eigenen Rollenklischees kritisch zu hinterfragen und zu verändern, ist ziemlich schwer. Die Rollenklischees beziehen sich dabei nicht nur auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern auf sämtliche Eigenschaften der männlichen und weiblichen Geschlechstidentität. Diese Eigenschaften sind unabhängig von der Biologie, werden jedoch von einer Ideologie überlagert, die den Eigenschaften einen bestimmten sozialen Status zuweist und sie der Natur zuschreibt (womit sie praktisch als unabänderbar gelten). Die kapitalistische Gesellschaft schreibt Frauen Werte wie sanftmütig, weich, passiv, kindlich, schwach, geschaffen für die Betreuung von Mann und Kindern, etc. zu, Männern werden die entgegengesetzten Werte zugeschrieben. Indem diesen Werten entsprochen wird, indem mann/ frau handelt, wie ein „richtiger, Mann und eine „wirkliche“ Frau, kommt es zu einer Festigung der männlichen Vorherrschaft und Unterwerfung der Frau unter den Mann. Damit einher geht das formale Unsichtbarmachen von Frauen durch das sprachliche „Nicht-Genannt“ werden. Frauen werden oftmals noch unter den männlichen Begriff gefasst. Wer eine geschlechtsneutrale Schreibweise als übertrieben empfindet, spricht Frauen das Recht ab, genannt zu werden. Sprache, die Frauen und ihre Leistungen ignoriert und Frauen immer nur in Abhängigkeit bzw. Unterordnung zu Männern erwähnt, ist -wie die Gesellschaft in der sie verwendet wird – sexistisch.
Das ungleiche Geschlechterverhältnis kann nur dann verändert werden, wenn es als eigene Unterdrückungsart identifiziert und vor allem auf der maßgeblichen materiellen Ebene bekämpft wird. Das bedeutet: Frauen müssen den gleichen Zugang zur Erwerbstätigkeit haben wie Männer, das heißt u.a., es muss genügend Kinderbetreuungsstätten geben. Damit aber das Schlagwort „gelebte Partnerschaft“ auch wahr werden kann, müssen die Voraussetzungen geschaffen werden: generelle massive Arbeitszeitverkürzung (bei vollem Lohnausgleich), und, damit verbunden, die gesellschaftliche Umverteilung der vorhandenen Arbeit (Erwerbsarbeit und reproduktive Arbeiten) auf alle erwerbsfähigen Personen. Damit Bedürfnisse von Frauen in politischen Auseinandersetzungen nicht mehr an den Rand gedrängt (oder propagandistisch missbraucht) werden, müssen sie auf allen politischen Ebenen in allen gesellschaftlichen Bereichen aktiv mitarbeiten und Verantwortung übernehmen können, denn wer, wenn nicht sie selbst, kann ihre Bedürfnisse am besten vertreten und Lösungsvorschläge erarbeiten.
Zu guter letzt: Männer und Frauen müssen gemeinsam und miteinander die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern und durch eine radikale sozialistische Politik Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Geschlecht, die gleichen gesellschaftlichen Chancen hat
„Dem Sozialismus gehört die Zukunft, das heißt in erster Linie dem Arbeiter und der Frau.“