Madagaskar: Gen Z-Revolution stürzt Präsidenten (Funke Nr. 238)
Nach nur drei Wochen des tapferen Kampfes brachten die Massen in Madagaskar die Regierung zu Fall. Der verhasste Präsident musste ins Ausland flüchten. Doch jetzt versucht das Militär die Bewegung wieder in sichere Bahnen zu leiten. Von Stephanie Langer
Auslöser für diese Proteste waren die anhaltenden Stromausfälle, die die Menschen oft über zwölf Stunden ohne Strom ließen. Inspiriert von den revolutionären Bewegungen in Indonesien und Nepal (siehe Funke, Nr. 237) gingen tausende Jugendliche am 25. September auf die Straße und protestierten gegen Korruption und die mangelhafte Infrastruktur auf der Insel. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei der mindestens fünf Demonstranten getötet wurden, breitete sich der Funke über das ganze Land aus. In jeder größeren Stadt fanden Proteste statt.
Der Stromausfall war nur das Ereignis, das das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Obwohl Madagaskar reich an Rohstoffen ist, leben zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Korruption der Politiker, die öffentliche Gelder aus der staatlichen Energiegesellschaft Jirama in die eigenen Taschen lenken, ist dabei nur Symptom einer tieferen Krise. Madagaskar wird seit Jahrzehnten vom Imperialismus dominiert: durch Schuldenabhängigkeit von IWF und Weltbank und den fortbestehenden Einfluss der einstigen Kolonialmacht Frankreich. Der Kampf gegen Korruption und für eine funktionierende Infrastruktur ist daher untrennbar mit einer antiimperialistischen Perspektive verbunden.
Den Jugendprotesten schlossen sich bald mehrere Sektoren der organisierten Arbeiterbewegung an. Ein Generalstreik brachte die Regierung erstmals in die Defensive. Ein entscheidender Moment der Bewegung trat ein, als sich die Soldaten der politisch sehr einflussreichen CAPSAT-Einheit weigerten, die Proteste mit Gewalt niederzuschlagen. In fast jeder zugespitzten revolutionären Situation kommt ein Punkt, an dem sich der Staatsapparat entlang von Klassenlinien spaltet. Ein Offizier sagte gegenüber Journalisten: „Unsere Kinder leiden; wie könnten wir sie töten oder schlagen? Wir leiden wie sie.“
Die Entschlossenheit der Massen hatte zweifelsohne großen Einfluss auf die einfachen Soldaten und unteren Offiziersränge. Diese kommen selbst aus Arbeiterfamilien und wissen, was es bedeutet, in Armut und mit fehlender Infrastruktur zu leben. Nicht unterschätzen dürfen wir aber die Eigeninteressen der höherrangigen Offiziere, die – wie schon während der Proteste 2009 in Madagaskar – das Ende der Regierung kommen sahen und nicht mit dem sinkenden Schiff untergehen wollten. Sie sind mit dem politischen Establishment und wichtigen Wirtschaftstreibenden eng verbunden und sehen ihre Rolle darin, letztlich dieses korrupte Regime zu beschützen.
Aus den revolutionären Bewegungen der letzten Jahre in Sri Lanka, Bangladesch oder Nepal können wir lernen, was passiert, wenn eine Revolution nicht konsequent zu Ende geführt wird und den Kapitalismus bestehen lässt. Dann ändert sich für das Leben der Bevölkerung nichts und die Machteliten können sich neu sammeln. Aber stellen wir uns vor, was derzeit in Madagaskar möglich wäre, wenn die Massen eine eigene Partei mit revolutionärer und kommunistischer Perspektive hätten. Mit einem solchen Werkzeug könnten sie nicht nur eine Regierung stürzen, sondern ihr ganzes Leben selbst in die Hand nehmen.