Österreich: Nur Die Revolution kann die Krise beenden (Funke Nr. 239)
„Null Einsicht, null Reformwille. Bitte, Brüssel, schick endlich die Troika!“ (Die Presse, 12.11.2025). Wenn ein bürgerlicher Leitartikler die Entmachtung der eigenen Leute durch das europäische Finanzkapital fordert, ist die Krise tief und kompliziert. Die wirtschaftlichen Grundlagen der Zweiten Republik schmelzen dahin. Soziale Rechte, aber auch Föderalismus und Kammerstaat können unter den neuen Bedingungen nicht mehr finanziert werden. Von Emanuel Tomaselli, Chefredakteur Der Funke.
Weltweit gibt es Stahlüberkapazitäten von über 600 Millionen Tonnen, das Fünffache des EU-Bedarfs. Neue Stahlzölle sollen die kriselnde industrielle Basis Europas nun schützen. In fast allen anderen Warensparten, auch der Hochtechnologie, ist es ähnlich: massive Überproduktion, große wirtschaftliche Vorteile chinesischer Produktion und starke politische Protektion der US-Produzenten.
Die Überproduktionskrise führt zu Fragmentierung des Weltmarktes und zur Neuaufteilung von Einflusssphären. Die EU ist ganz auf dem absteigenden Ast. Ihre Perspektive basierte auf globalem Wachstum, Freihandel und multilateralen Abkommen (z.B. Klimapolitik). Aber im Zeitalter des Protektionismus zählt nur noch militärisch untermauerte Machtpolitik.
Die USA setzte die Abkoppelung Europas von billiger russischer Energie durch, damit wurde Deutschlands und Österreichs Industrie nachhaltig geschwächt. Die USA liefern ihr teures Gas nach Europa, was nur durch Russland-Sanktionen möglich ist. Die Preise für Erdgas (und damit Strom) sind daher in Österreich heute doppelt so hoch wie vor dem Ukrainekrieg. Dies startete den alpenländischen Teuerungs-Tsunami – nicht die Löhne, wie kapitalistische Interessensvertreter jetzt fälschlicherweise argumentieren.
Die Impotenz der EU fußt auf der nationalstaatlichen Spaltung des europäischen Kapitalismus. Jede Bourgeoisie hält an ihrem Staat fest. Dies schränkt Entwicklung und Einsatz neuer Technologie ein, und verdammt die EU zur Bedeutungslosigkeit in der Weltpolitik und am eigenen Kontinent. Europa wird zwar rasant militarisiert, aber die EU-Staaten trauen sich einander nicht über den Weg. Der geplante deutsch-französische Kampfflieger wird daher nicht gebaut, Deutschland baut mit Sky-Shield einen eigenen Raketenschild in Opposition zur französischen Atommacht. Die seit 1945 anhaltende Dominanz der USA über (West-)Europa ist einzementiert. Ein (kleiner) Rest gehört Russland, das sich in der Ukraine militärisch durchsetzen kann.
Österreich hat nach dem 2. Weltkrieg eine spezifische Rolle als „neutraler Staat“ und „Brückenbauer“ gespielt. Dies ermöglichte Geschäfte mit jedermann und ab den 1990er auch die Bankenexpansion in die ex-stalinistischen Staaten. Die „besondere Beziehung zu Russland“ ist unwiderruflich vorbei. Österreich hat keine Sonderkonjunktur und auch kein spezifisches politisches Eigengewicht mehr – sondern nur besonders schwere Probleme sich in der neuen Weltlage einzufinden.
Österreichs Hauptexportmarkt Deutschland steckt in derselben Industriekrise wie Österreich. Die USA, zweitgrößter Handelspartner beider Länder, hat eine Zollschranke von 15% gegen EU-Importe erlassen (in spezifischen Warengruppen wie Stahl, Alu und Autos 40 %) und wertet den Dollar im Vergleich zum Euro ab. So verteuerten sich EU-Exporte in die USA um mindestens ein Viertel. Weiters hat sich Österreichs Handel mit Russland im Vergleich zu 2021 (6,7 Mrd. €) mehr als halbiert.
Österreich ist gerade dabei, die längste Rezession der Nachkriegszeit technisch zu überwinden. Das prognostizierte Wachstum bleibt mit 0,3 % (2025) und 0,9 % (2026) insignifikant, die Inflation weiter überdurchschnittlich hoch (2025: 3,5 %, 2026: 2,6 %). Österreich, Deutschland und Italien bilden damit die europäischen Schlusslichter. Die Nationalbank geht in ihrer aktuellsten Prognose davon aus, dass Österreich das Vorkrisenniveau von 2022 erst nach 2027 wieder erreichen wird. Damit ist keinerlei Erholung für den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Budgets in Sicht – im Gegenteil.
Die Industriekrise ist strukturell – die Kapitalisten sind im Investitionsstreik und suchen sich profitablere Standorte. Etwa der größte heimische Industriekonzern: „Der OMV liegt viel daran, zuverlässige Erträge für Aktionäre zu erzielen. (…) Es wird einen großen Stellenabbau geben, von dem weltweit rund 2.000 der 23.000 Beschäftigten betroffen sind. Um die Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken zu erhöhen, senkt der Konzern die geplanten kumulierten Investitionen bis 2030 um insgesamt 5 Milliarden Euro. (…) Investitionen in Geothermie-Projekte in Wien und Graz will die OMV überprüfen. Was keine schnellen Erträge verspricht, wird weniger prioritär behandelt.“ (Kurier) Der Rabiat-Investor Zöchling (u.a. Remus, Erne, KTM, …) antwortet auf die Frage nach Investitionen in Österreich: „Nein, überall, nur hier nicht mehr. Wir verlagern Schritt für Schritt weg aus Österreich. Ohne Zurückhaltung bei den Löhnen und eine Senkung der Energie- und der Lohnnebenkosten ist der Industrie und Gewerbestandort Österreich nicht zu halten.“ (Kurier)
Trotz der laufenden Einsparungen wird heuer das geplante gesamtstaatliche Defizit von 4,5 % deutlich überschritten werden. Trotz der laufenden Belastungen wird die Neuverschuldung heuer höher sein als vor dem Sparpaket! Die Landeshauptleute werden versuchen, dem Finanzminister einen höheren Anteil an den Staatseinnahmen abzuringen, um die explodierenden Landesdefizite auszugleichen. Ein ähnlicher Konflikt herrscht zwischen den 2.092 Gemeinden und dem Bund.
Einen ersten Höhepunkt erlebte der innerstaatliche Ressourcenstreit rund um die Wirtschaftskammer. Ihr ehemaliger Präsident Harald Mahrer, Herr über eine Bundeskammer, neun Landeskammern, 89 Bezirksstellen und 676 Fachgruppen trommelte noch im Oktober, dass „die Staatsausgabenquote von 56,3% viel zu hoch ist“ und wollte bei Bund, Ländern und Gemeinden sparen – nicht jedoch im eigenen Haus. Jetzt ist Mahrer Geschichte, und das 1,3 Mrd. € Jahresbudget der Wirtschaftskammer unter starkem Druck von Großindustriellen und den NEOS. Beide wollen die Kammerbeiträge deutlich senken und die politische Macht der Kammern stutzen.
Mit Föderalismus und Kammern steht aber die gesamte strukturelle Verfasstheit der Zweiten Republik zur Diskussion. Sozialforscher Talos zählt über 250 Institutionen und Kommissionen, die ab den späten 1950er geschaffen wurden, um Interessen konsensual verwalten und sich dabei Diäten auszahlen. Immer mehr Bürgerliche verstehen diese Elemente der spezifischen institutionellen Stabilität Österreichs als „Konstruktionsfehler der Republik“ (Urschitz in Die Presse): zu teuer und zu schwerfällig für Angriffe auf den Lebensstandard der Massen. Diese Leute wollen eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu den Superreichen.
Natürlich argumentieren sie dies nicht offen, sondern sie greifen Verschwendung, Ineffizienz oder „das parasitäre politische System“ an. Die Unpopularität der Freunderlwirtschaft, die alle Kammern, Kassen, Kommissionen etc. durchzieht, garantiert hier Zustimmung. Die öffentliche Meinung ist, dass die große Schicht an Polit-Hauptamtlichen und Funktionären in erster Linie ihre Eigeninteressen und erst dann jene ihrer sozialen Basis vertritt (egal ob es sich dabei um Unternehmer oder Arbeiter handelt). In einer aktuellen repräsentativen Umfrage sagen daher 47 % der Befragten, dass sie „grundlegende Änderungen des politischen Systems in Österreich“ wollen, besonders viele (62 %) in benachteiligten Regionen (Kleinstädte), wo diese gesellschaftliche Fettschicht nicht zu Hause ist.
Innerhalb der Regierung sind es die NEOS die den Status-Quo angreifen und davon politisch profitieren, gesamthaft zieht die demagogische FPÖ in allen Umfragen (inklusive der Landtage) weit davon. ÖVP und SPÖ, Grundsteinleger und Hauptprofiteuer des Kammersystems sind Geiseln ihrer selbst und können sich politisch nicht neu orientieren.
Im bürgerlichen Lager wird bereits offen um die erzwungene Neuausrichtung der Republik gestritten. Eine einfache Lösung ist dabei nicht in Sicht, da die Bürgerlichen mehrfach gespalten sind. Das politische Gewicht der FPÖ liegt – zumindest auf Bundesebene – aufgrund des anti-EU-Nationalismus der Parteispitze noch brach. Aber wir sind erst am Anfang einer langen Krise – auch politisch.
Die Arbeiterklasse ist durch die SPÖ Regierungsbeteiligung und der Ideenarmut der KPÖ politisch noch ganz gelähmt. Beide Parteien hoffen, dass ein kommender Wirtschaftsaufschwung ermöglicht, dass sie der Arbeiterklasse einige soziale Verbesserungen vermittelt. Inzwischen versuchen beide Parteien aktiv dem Klassenkampf zu entgehen und ihre Parteiapprate klammern sich stattdessen an öffentliche Gelder und Institutionen. Das schwache Wachstum der KPÖ kann die Erosion der SPÖ dabei nicht im Geringsten auffangen. Dies führt zu einer Stärkung bürgerlicher Parteien und Ideen innerhalb der Arbeiterklasse.
Politisch huldigen die Reformisten vergangen Zeiten wirtschaftlicher, sozialer, institutioneller Stabilität und militärischer Neutralität – einer Epoche die niemals wieder kommen wird. Korrekter Weise betont die KPÖ stets, dass sie diese Republik ab 1945 mitaufgebaut hat, auch in der jetzigen Krise des österreichischen Kapitalismus hat sie wieder keinen Gegenentwurf. Der Klassenkampf wird durch die reformistische Schlafwagenpolitik aktiv behindert. Das Resultat wird sein, dass er dann umso heftiger auf die Bühne tritt. Die revolutionären Kommunisten arbeiten energisch daran, rechtzeitig eine greifbare politische Alternative für die gesamte Vorhut der Jugend- und Arbeiterbewegung zu werden. Nur die soziale Revolution wird die Krise des österreichischen Kapitalismus lösen.
Wien, 26.11.2025
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