Freiheit für Palästina: Taten statt Worte

Die Bedingungen im Gazastreifen sind unbeschreiblich: Am 20. Mai haben die Vereinten Nationen Alarm geschlagen und erklärt, dass 14.000 Babys innerhalb von 48 Stunden verhungern würden, wenn Israel weiterhin keine Lieferungen von Hilfsgütern zulassen würde. Von Florian Keller.
Das israelische Militär führt auch eine Bodenoffensive und Bombenkampagne, der jede Woche hunderte Palästinenser zum Opfer fallen – mittlerweile sind im Gazastreifen nach offiziellen Zahlen über 54.000 Menschen – darunter mindestens 16.000 Kinder – ermordet worden, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher.
Die 2 Mio. überlebenden Palästinenser sollen in der Operation „Gideons Streitwagen“ aus dem allergrößten Teil des Gebietes vertrieben werden und auf einen winzigen Landstreifen an der Grenze zu Ägypten rund um Rafah (ein Gebiet so groß wie Krems an der Donau) „konzentriert“ werden (O-Ton: Finanzminister Bezalel Smotrich). Wie das in bester orwellscher Manier als „humanitäre Zone“ bezeichnete Gebiet für die Ankunft der 2 Millionen Menschen vorbereitet wird, schildert ein israelischer Soldat nach seinem Einsatz dem israelisch-palästinensischen „+972 Magazin“: Er habe am Tag 60 Häuser zerstört, das Gebiet der (ehemaligen) Stadt Rafah sei „bis zum Horizont flach, es gibt keine Stadt mehr“.
Der Plan ist klar: Das Leben soll ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne ein Dach über dem Kopf dauerhaft so unerträglich werden, dass die (überlebenden) Palästinenser „freiwillig“ ihr Land verlassen. Die erklärten Ziele der Offensive lassen keinerlei Zweifel an den völkermörderischen Plänen von Netanjahu und Co.: Der Gazastreifen soll vollständig erobert und bis 2026 ethnisch gesäubert und annektiert werden.
Diese unsäglichen Zustände sorgen für einen weltweiten Aufschrei des Entsetzens und der Wut unter Millionen Jugendlichen und Arbeitern. Der Völkermord bedroht insbesondere die Existenz der wackeligen Regime in der Region, die mit den USA verbündet sind und schweigend zusehen. Der internationale Druck steigt – was auch die politische Krise in Israel selbst zuspitzt. Der Oppositionspolitiker Yair Golan, der als ehemaliger Armeegeneral sicher nicht ein Freund der Palästinenser ist, aber umso besorgter über die Stabilität des Landes, sorgte für Aufregung, indem er in den Medien „Israel auf dem Weg zu einem Pariastaat wie Südafrika“ verortete und festhielt, dass „wir nicht wie ein vernünftiges Land handeln – ein vernünftiges Land kämpft nicht gegen Zivilisten, tötet nicht Babys als Hobby und steckt sich nicht das Ziel, Bevölkerungen auszuweisen“.
Die Regierungen in Europa und die USA finden sich so in einer unmöglichen Lage wieder. Einerseits ist Israel der wichtigste Verbündete in der Region, andererseits bedroht die Politik Netanjahus die eigenen Interessen. Donald Trump etwa arbeitet seit Wochen an einem möglichen Atomdeal mit dem Iran und würde sich auch eine Beendigung des Krieges in Gaza wünschen – vor allem, um den Rücken gegen den Hauptkonkurrenten China freizubekommen. Das ist gegen Netanjahus Interesse – er braucht den Krieg in Gaza, um weiterhin an der Macht zu bleiben. Israel hat auch kein Interesse an einem Deal mit dem Iran, sondern versucht die Verhandlungen zu torpedieren und bereitet einen Militärschlag für den Fall vor, dass der Deal scheitert. In typischer Manier der trumpschen Holzhammerpolitik hat das offenbar schon zu scharfen persönlichen Auseinandersetzungen geführt.
Auch die europäische Politik versucht, den Druck auf Israel zu erhöhen. Eine Reihe von Ländern hat angekündigt, ein Waffenembargo und Sanktionen vorzubereiten. Der niederländische Premierminister startete eine Initiative dafür, das Assoziierungsabkommen von Israel mit der EU zu „überprüfen“ – nachdem eine Demonstration unter dem Motto der „roten Linie“ gegen den Gazakrieg in den Niederlanden mit 100.000 Teilnehmern stattgefunden hatte, die größte Demo überhaupt seit 20 Jahren im Land.
Daran sieht man, dass auch in Europa die Unterstützung des Völkermords die grundlegende gesellschaftliche Stabilität untergräbt. Gerade in einer Situation der massiven Angriffe auf die Massen durch Sparprogramme und Milliardenausgaben für Aufrüstung ist das ein explosiver Cocktail für den Klassenkampf. Die Regierungen in Europa fürchten auch eine mögliche neue Flüchtlingswelle bei einer Ausweitung des Krieges und des Völkermords.
Auch in Österreich wird, ausgehend von Ex-Bundespräsident Fischer, zum ersten Mal ein etwas kritischerer Ton gegenüber der israelischen Politik angeschlagen. Die Sozialistische Jugend und der VSStÖ Wien haben (wie zuvor schon die KPÖ) eine extrem zaghafte und späte politische Reorientierung vollzogen, nachdem vor 1,5 Jahren Funke-Unterstützer aus der SPÖ ausgeschlossen und die Bezirksgruppe SJ Wien-Alsergrund für ihre propalästinensische Position aufgelöst wurde.
Doch praktisch bedeutet das erst einmal gar nichts. Im Gegenteil: Mit der Sozialdemokratie in der Regierung sind diese Positionen das linke Feigenblatt, das Stocker, Meinl-Reisinger und Co. dabei hilft, die Stabilität zu wahren, während sie den Völkermord praktisch weiterhin unterstützen – wenn auch weniger offen als bisher.
Konkret stellte sich offenbar unter anderem Österreich gegen schärfere Maßnahmen in Bezug auf die Überprüfung des EU-Assoziierungsabkommens: Ein Sprecher der israelischen Regierung gab an, dass der „koordinierte Überfall“ auf Israel durch „erfolgreiche Diplomatie im Vorfeld abgemildert“ werden konnte. Die Position fasste Bundeskanzler Stocker auf X nach einem Telefonat mit Benjamin Netanjahu zusammen: „Die österreichische Regierung steht uneingeschränkt hinter der Sicherheit Israels und dem Kampf gegen alle Formen von Antisemitismus“.
Wir dürfen keine Illusionen in die Regierenden haben: Der Druck der westlichen Imperialisten dient letztendlich dem Ziel, den alten Status Quo wiederherzustellen – eine Rückkehr zur „leisen“, „normalen“ Unterdrückung der Palästinenser der letzten Jahrzehnte, mit „kleinen“ Massakern und „vertretbaren“ Menschenrechtsverletzungen. Aber die Zugeständnisse öffnen wichtige Räume für die Solidaritätsbewegung.
Die sozialdemokratischen Jugendorganisationen und die KPÖ müssen jetzt in der Praxis zeigen, ob sie es mit ihren Bekenntnissen zu Frieden und der Opposition gegen den Völkermord und der Kritik an der asozialen Regierungspolitik ernst meinen – oder ob es eben nur Worte sind, die ja bekanntlich billiger sind als Taten.
Der Weg vorwärts ist klar: Die Kapitalisten haben mit der massiven Zuspitzung ihres Rassismus gegen Muslime und Flüchtlinge nach dem 7. Oktober die gesamte Arbeiterklasse und Jugend in Österreich angegriffen, indem die entstandene Passivierung und Friedhofsruhe genutzt wurde, um Lohnkürzungen und Einsparungen im Sozialsystem ohne Widerstand durchzuboxen. Jetzt ist die Zeit gekommen, den Spieß umzudrehen – mit einer Offensive der Palästinabewegung, der Arbeiterklasse und Jugend gegen Völkermord, Rassismus und Kapitalismus!
(Funke Nr. 234/28.05.2025)