Der neue Papst und die Armen im Geiste

„Der König ist tot, es lebe der König!“ – Das ist auch die Devise im Vatikan, mit dem einzigen Unterschied, dass der Monarch von einem erlauchten Kreis an Kardinälen gewählt wird. Das Konklave in der Sixtinischen Kapelle ging diesmal überraschend schnell über die Bühne und wählte den US-Amerikaner Robert F. Prevost zum Nachfolger von Papst Franziskus. Von Konstantin Korn.
Die Papstwahl ist eine höchst politische Angelegenheit und bringt die Kräfteverhältnisse in den Führungskreisen der Kirche zum Ausdruck. Prevost, der sich nun Papst Leo XIV. nennt, steht für Kontinuität. Von ihm ist zu erwarten, dass er den Kurs seines Vorgängers fortsetzt. Er möchte dem Katholizismus ein „menschliches Antlitz“ verleihen und gleichzeitig dürfte er in moraltheologischen und kirchenrechtlichen Fragen für die Beibehaltung eines konservativen Kurses stehen. Vor allem Letzteres brachte ihm die nötigen Stimmen der Ewiggestrigen unter den Kardinälen, die über leere Phrasen von Frieden und Gerechtigkeit hinwegsehen, solange die Kirchenhierarchie und ihre Dogmen unangetastet bleiben.
Die katholische Kirche ist zweifelsohne die größte und mächtigste Organisation, die jemals existiert hat – und das mit einer bemerkenswerten historischen Kontinuität. In gewisser Hinsicht hat der Vatikan den Charakter eines Staates und wird als solcher von einer Vielzahl an Regierungen anerkannt. Gemessen an seiner einstigen Machtfülle ist der Vatikan heute nur noch ein Schatten von einst. Dennoch verfügt er, ausgehend von Italien, über ein äußerst engmaschiges Netzwerk an katholischen Organisationen, das sich über den gesamten Globus erstreckt. Dabei kann die Kirche aufgrund ihres gewaltigen Immobilienbesitzes und ihrer Unternehmensbeteiligungen materiell aus dem Vollen schöpfen.
Die Kirche leidet seit Jahren an einem Priestermangel. Dennoch zeichnet sie sich noch immer durch einen riesigen Apparat aus, der über das nötige intellektuelle und kulturelle Repertoire verfügt, um die Massen ideologisch zu beeinflussen. Der Stellenwert der Kirche mag in unseren Breiten massiv rückläufig sein, global betrachtet hat sie noch immer einen realen Einfluss auf die Massen. Die Wahl von außereuropäischen Päpsten trägt dieser Entwicklung auch Rechnung.
Antonio Gramsci bezeichnete 1924 den Vatikan zurecht als „größte, existierende Kraft der Reaktion“ und als „internationalen Feind des revolutionären Proletariats“. Und daran hat sich in den letzten 100 Jahren nichts geändert. Dennoch huldigen große Teile der reformistischen Linken, von der SPÖ bis zur KPÖ, dem obersten Vertreter der Kirchengewalt. Nach Papst Franziskus wird nun auch Leo XIV. von den „Armen im Geiste“ als Sprachrohr des Fortschritts und des Friedens gefeiert, wenn er sagt: „In unserer Zeit erleben wir noch immer zu viel Zwietracht, zu viele Wunden, die durch Hass, Gewalt, Vorurteile, Angst vor dem Anderen und durch ein Wirtschaftsmodell verursacht werden, das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt.“ Was von den Reformisten als Kapitalismuskritik gedeutet wird, ist aber nichts anderes als heiße Luft.
Man muss schon sehr naiv sein, in dem Kirchenfürsten, der ein zutiefst reaktionäres, obskurantistisches Weltbild vertritt, aufgrund solch schwammiger Botschaften einen Bündnispartner zu sehen. Im Vergleich zu seinen erzreaktionären Vorgängern sah Papst Franziskus mit Gewissheit die Notwendigkeit zu einem politischen Kurswechsel. In Zeiten der multiplen Krisen hatte er verstanden, dass die aufgrund ihrer konservativen Vorstellungen stark diskreditierte Kirche nur überlebensfähig sein kann, wenn sie dem weit verbreiteten Wunsch nach Veränderungen einen Ausdruck verleiht.
Doch man muss sich nur die Enzyklika „Laudatio Si’“ anschauen, mit der Franziskus zur Klimaschutzbewegung Stellung bezog. Darin verteidigt er in Anlehnung an seine Vorgänger „den berechtigten Anspruch auf Privateigentum“ und die „Unternehmertätigkeit, die eine edle Berufung darstellt und darauf ausgerichtet ist, Wohlstand zu erzeugen und die Welt für alle zu verbessern“. Als Kommunistinnen und Kommunisten ist es unsere Aufgabe, diesen Standpunkt einer harten Kritik zu unterziehen und zu zeigen, dass die Klimafrage nur zu lösen ist, wenn wir das kapitalistische Privateigentum überwinden.
Der neue Papst nennt sich nicht zufällig Leo XIV. Mit der Namenswahl stellt er sich in die Tradition von Leo XIII., dem Begründer der katholischen Soziallehre Ende des 19. Jahrhunderts, mit der die Kirche der revolutionären Arbeiterbewegung Einhalt gebieten wollte und den Kapitalismus verteidigte. Wir sehen heute weltweit erneut Anzeichen für einen Aufschwung einer Infragestellung der herrschenden Ordnung. Der krisenhafte Kapitalismus geht schwanger mit sozialen Unruhen und revolutionären Massenbewegungen. Darauf muss die herrschende Klasse reagieren. Und der katholischen Kirche fällt dabei eine wichtige Rolle zu.
Das Papsttum ist ein Überbleibsel einer längst überkommenen Feudalgesellschaft, das im Rahmen des Kapitalismus durch Anpassung eine Nische gefunden hat, um überleben zu können. Ihr Wert für das Kapital besteht in der Ideologieproduktion von falschem Bewusstsein. Die „Kronen-Zeitung“ fasste die Rolle des alten wie auch des neuen Papstes gut zusammen: „In unserer ach so aufgewühlten Welt (…) da sind Feuerlöscher mehr denn je gefragt.“ Die salbungsvollen Worte des Papstes sind zweifelsohne eine Anklage gegen die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus, doch seine Botschaft passt den Herrschenden durchaus ins Konzept. So kann Kanzler Stocker in Leos Predigten den Aufruf sehen, „das Miteinander in den Vordergrund zu stellen und aufeinander zuzugehen – besonders dann, wenn es nicht einfach ist“.
Dem neuen Papst könnte in der kommenden Periode auch eine zunehmende Rolle auf dem diplomatischen Parkett zukommen. Die internationalen Beziehungen spitzen sich zu, der Imperialismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen. Gerade die europäischen Regierungen werden versuchen, den ersten amerikanischen Papst für ihre diplomatischen Bemühungen gegen den Unilateralismus von US-Präsident Trump in Stellung zu bringen. Es ist angelegt, dass die reformistische Linke auch in dieser Frage Illusionen in den Papst haben wird.
Letztlich wird aber auch Papst Leo XIV. nur die Rolle einer ideologischen Stütze eines völlig morschen Systems spielen. Wer sich nicht auf das Himmelreich vertrösten lassen will, sondern im Hier und Jetzt eine Welt frei von Krieg, sozialer Ungleichheit und Umweltzerstörung anstrebt, ist gut beraten, im Papst das zu sehen, was er ist: ein politischer Gegner im ideologischen Klassenkampf.
„Ein wirklich reformerischer Papst – das wäre die Selbstaufhebung des Papsttums.“ (Arbeiter-Zeitung, 1903)
(Funke Nr. 234/28.05.2025)