Interview mit revolutionär-kommunistischem Aktivist der Studentenbewegung in Beograd

Am Kongress der jugoslawischen Sektion der RKI am 4. Mai in Zagreb, haben wir mit einem Genossen Konstantin ein Interview geführt. Konstantin ist Architekturstudent aus Belgrad, aktiver Teilnehmer der Studentenbewegung in Serbien und Mitglied unserer jugoslawischen Schwesterorganisation. Diese Bewegung von Besetzungen und Plena hat eine revolutionäre Massenbewegung entfacht, die das Land nun bereits seit mehreren Monaten im Griff hat. Die Studenten, die sich massenhaft im ganzen Land in Plena organisiert haben, stellen die Führung dieser Bewegung dar. Im folgenden Interview haben wir mit Konstantin über seine Eindrücke aus der unmittelbaren Erfahrung mit den Plena und den Zborovi – den Räten – gesprochen.
Konstantin: Zu Beginn wurde die Bewegung als unpolitisch dargestellt. Das ist auch ein gewisser Versuch bewusster Naivität – mit der Forderung, dass die Institutionen einfach „ihren Job“ machen sollen. Doch das Problem ist viel tiefer – es ist systemischer Natur und im derzeitigen System nicht lösbar.
Seit Monaten besteht das Bedürfnis nach einer politischen Artikulation der Bewegung. Das ist aktuell im Entstehen. Die letzte große Entscheidung – die Forderung nach Neuwahlen – mag wie ein Schritt in eine neoliberale Richtung erscheinen, doch das ist nur ein Flügel der Studierendenbewegung. Es gibt weiterhin bedeutende Fortschritte im Klassenbewusstsein und in der Selbstorganisation. Die Zborovi, die in ganz Serbien gegründet wurden, sind dabei entscheidend.
Die Frage ist, ob sich die studentische Bewegung in Richtung eines institutionellen Kampfes oder eines außerinstitutionellen, durch die Studierenden getragenen Massenkampfes bewegt. Also im Sinne eines gewerkschaftlichen Kampfes mit dem Ziel, die breiten Volksmassen zu aktivieren und einen Generalstreik zu organisieren.
Konstantin: Mein persönlicher Eindruck ist, dass die progressivste Fakultät wohl die philosophische in Belgrad ist. Sie ist öffentlich mit folgender Position aufgetreten:
Der institutionelle Kampf ist kein Weg nach vorne. Sie mussten trotzdem dem Aufruf nach Neuwahlen folgen, da die Plena sich in Serbien gesamthaft auf Basis des Mehrheitsprinzips demokratisch einigen. Allerdings arbeiten sie am engsten mit den Zborovi zusammen.
Die progressiveren Fakultäten sind, die die am meisten unter der Konterrevolution gelitten haben. Ganze Disziplinen wurden während der Konterrevolution privatisiert. Auch in der Architektur, an meiner Fakultät ist es sehr bezeichnend. Es gibt keine Architekten-Gewerkschaften mehr, keine staatlichen Institutionen, alles ist durch Korruption zerstört.
Konstantin: Es haben sich im Laufe der Bewegung einige Personen hervorgetan, die eine gewisse Bedeutung behalten konnten. Doch jedes Mal, wenn eine einzelne Person in den Vordergrund getreten ist und sich zu sehr über den Studierenden erhoben hat, haben sich die Studierenden wiederum von ihnen distanziert und sich sogar öffentlich scharf abgegrenzt. Es gibt Studierende mit Einfluss, aber sie haben wenig mediale Aufmerksamkeit oder internationale politische Unterstützung. Selbst die Studentenliste für die Neuwahlen – wenn sie zustande kommt – wird zwar von Studierenden selbst aufgestellt, aber die Studierenden selbst werden nicht kandidierten. Kandidieren werden von den Studierenden ausgewählte „Experten“.
Konstantin: Die Studierenden zeigten wieder ein gewisses Maß an bewusster Naivität. RTS wurde blockiert, nachdem es mehrfach zu falscher Berichterstattung gekommen war – das serbische Staatsfernsehen verbreitet hier aktiv Desinformationen. Die Studierenden reagierten mit der Forderung nach der Absetzung der REM (Regulatorno telo za elektronske medije/Regulierungsbehörde für elektronische Medien), des medienregulierenden Gremiums – quasi der Fernsehpolizei. Die Forderung war, eine Ausschreibung für neue Mitglieder zu machen – das wurde zwar umgesetzt, und somit ist es zumindest formell gesehen ein Sieg. Aber die Forderung selbst reicht nicht, um den systematischen Hintergrund dauerhaft zu ändern. SNS-Funktionäre (Partei von Vučić, Serbische Fortschrittspartei) haben immer noch Zugriff.
Konstantin: Es gibt Bestrebungen in diese Richtung – das ist die Strömung für die erwähnte Volksmassenmobilisierung. Die Zborovi sind zustande gekommen, weil die Studierenden zu ihnen aufriefen. Die Mehrheit der allerersten Zborovi wurde von Studierenden mitorganisiert. Dabei waren es nicht explizit revolutionäre Studierende, die diese Forderungen vertreten haben, sondern tatsächlich die breite Masse, die die Möglichkeit der Zborovi in der serbischen Verfassung gefunden hat.
Die Idee ist, dass die Zborovi eine Form von Bürgerinnenorganisation darstellen – lokale Initiativen. Ihre Bedeutung liegt auch darin, dass die Gewerkschaften in Serbien extrem schwach sind – gerade für manche Schichten der Arbeiterklasse sind die Zborovi ein neuer Weg.
Der Zbor der Lehrer rief z. B. zu einem Streik auf, der fünf Wochen dauerte. Die Zborovi haben enormes Potenzial.
Tatsächlich würde ich sagen, dass sogar die Mehrheit der Studierenden für die Zborovi sind. Der Grund, warum das Ausschreiben der Wahl unterstützt wird, ist eher, weil es für die Studierenden „realistischer“ wirkt.
Doch, wie gesagt, gibt es auch die Position der Volksmassenmobilisierung. Die Zborovi bestehen erst seit sechs Wochen. Es fehlt an Zentralisierung, aber so wie die Studierenden Zeit brauchten, um die Notwendigkeit der Zentralisierung zu verstehen, so geht es jetzt auch den breiten Massen. Ich denke, dass auch sie immer mehr zur Erkenntnis kommen, dass sie eine zentrale Koordination im ganzen Land brauchen.