Erfolgreiche Großdemo für Gaza – trotz reformistischem Demo-Boykott und politischer Schwäche

Am 28. Juni zogen tausende Menschen durch die Wiener Innenstadt – in Solidarität mit dem palästinensischen Volk, gegen den Völkermord in Gaza, gegen Repression, Rassismus und Krieg. Es war eine der größten Palästina-Demonstrationen seit Oktober 2023 – und sie zeigte: Immer mehr Arbeiter und Jugendliche sind auch hierzulande bereit zu handeln. Doch sie war kleiner, als sie hätte sein können – eine echte Massendemonstration mit zehntausenden Menschen, wie kürzlich in Berlin (mit über 40.000) und in den Niederlanden (mit über 100.000, die größte Demo überhaupt seit 20 Jahren) wäre ohne Zweifel auch in Wien möglich gewesen.
Nach fast zwei Jahren von Zensur, Isolation und Kriminalisierung erlebt die Palästina-Bewegung aktuell ein gesellschaftliches „Tauwetter“. Die Position der Herrschenden Klasse in Europa, insbesondere in Österreich, steckt in einer tiefen Krise. Nach dem 7. Oktober 2023 hatten sich Politik und Medien nicht nur bedingungslos hinter Israel gestellt, sondern auch versucht, jede Solidarität mit den Palästinensern als Antisemitismus zu diskreditieren. Doch mit dem immer offensichtlicher werdenden, grausamen Völkermord in Gaza kippt die öffentliche Meinung. Außerdem sehen unsere Herrschenden ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen durch Netanjahus Politik gefährdet. Nicht das Leid der Palästinenser treibt sie an, sondern Sorgen um Handelswege und Flüchtlingsbewegungen. So fordern sie – in Worten – plötzlich eine „Deeskalation“.
Wir dürfen uns von diesem Tonwechsel nicht blenden lassen: Unsere Kapitalisten stehen letztendlich weiterhin entschlossen für die Unterdrückung der Palästinenser, weil Israel der wichtigste Verbündete und damit Garant der Durchsetzung westlicher Konzerninteressen im Nahen Osten ist. Außenministerin Meindl-Reisinger betonte mehrmals bei ihrem jüngsten Besuch in Israel, dass sie als Freundin des zionistischen Apartheitsregimes auftrete. Österreich und Deutschland blockierten die Aufhebung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel und der deutsche Kanzler Merz sprach offen aus, was sonst meist nur abseits der Öffentlichkeit formuliert wird: Im Krieg gegen den Iran erledigt Israel die Drecksarbeit für den Westen. Nichtsdestotrotz eröffnet die Kurskorrektur in Worten Spielraum für die Palästina-Bewegung, in die Offensive zu kommen.
Dieses Potential zeigte sich ganz deutlich, als die Demo am vergangenen Samstag über die belebte Mariahilferstraße zog. Die Palästinafahnen lösten bei den Passanten großen Beifall und Unterstützung für den Kampf gegen den Völkermord aus, die sich immer wieder in Applaus und dem Spontanen Anschluss an die Demonstration äußerte. Am Ende der Straße hatte sich der Demozug alleine durch Passanten so verdoppelt!
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Der Hauptgrund, warum die Demo schlussendlich nicht ihr volles Potential verwirklichen konnte, war daher nicht die Stimmung in Österreich, sondern vielmehr der aktive Boykott durch die großen reformistischen Parteien und Jugendorganisationen.
Die Sozialistische Jugend (SJ) und der Verband Sozialistischer Studierender (VSStÖ) hatten in den letzten Monaten eine langsame Kehrtwende vollzogen und sich in Worten zum ersten Mal pro-palästinensisch gegeben. So hatte der VSStÖ im ÖH-Wahlkampf eine Entschuldigung dafür formuliert, dass man sich 2024 für die Räumung des Palästinacamps ausgesprochen hatte, und auch die SJ Wien hatte sich im Frühjahr zum ersten Mal gegen den Völkermord positioniert. Doch trotz vorheriger Teilnahme an den Bündnistreffen mobilisierten sie letztendlich nicht zur Demo und nahmen an ihr auch nicht teil. Anstatt die Großdemo zu einem Erfolg zu machen, veranstaltete die SJ stattdessen 3 Tage zuvor eine symbolische Medienaktion mit 10 Leuten, die niemandem hilft und (was der SJ-Führung wohl am wichtigsten ist) der Regierung auch nicht weh tut.
Diese Boykotthaltung gilt aber nicht nur für die Organisationen aus dem sozialdemokratischen Spektrum, sondern auch für die KPÖ. Sie zog sich im Vorfeld direkt aus dem Demobündnis zurück und wirkte damit auch aktiv desorganisierend – die Demo nicht zu unterstützen sei „eine strategisch begründete Entscheidung im Hinblick auf die organisatorische und inhaltliche Ausrichtung der Demonstration“, so die Argumentation. Auf gut Deutsch: Die Zustimmung von „Standard“ und Co. ist der KPÖ-Führung wichtiger als die Solidarität mit den Unterdrückten. Die KPÖ-Favoriten organisierte stattdessen mit Unterstützung der KPÖ Wien 2 Tage später eine Kundgebung am Reumannplatz mit 30 Teilnehmern.
Auf der Demo selbst waren einzelne Aktivistinnen und Aktivisten all dieser Organisationen anwesend, die extrem unzufrieden waren. Doch diese Genossinnen und Genossen akzeptierten (noch) den opportunistischen Kurs ihrer Führungen gegenüber dem liberalen Druck. Niemand von ihnen kam mit Fahnen oder Transparenten der eigenen Organisation. Immerhin: Die KJÖ zog zumindest ihre offizielle Demounterstützung trotz des wohl immensen Drucks der Mutterpartei nicht zurück, zur Demo kamen ihre Aktivistinnen und Aktivisten dann aber ebenfalls ohne (KJÖ-)Fahnen und Transparent.
VSStÖ, SJ und KPÖ hätten es in der Hand gehabt, durch einen Aufruf für die Großdemonstration die gesellschaftliche Isolation der Palästinabewegung, die eh schon wackelt, endgültig zu durchbrechen und die Kapitalisten, die Medien und die Regierung mit ihrer (verschämten) Unterstützung des Völkermordes entscheidend in die Defensive zu bringen. Stattdessen haben sie mit ihrem Boykott in der Praxis die Bürgerlichen und ihrem reaktionären politischen Balanceakt politisch gerettet. Ein klar sichtbares Zeichen dafür: Statt über eine massive Palästinademonstration mit breiter Beteiligung der Arbeiterbewegung und Linken berichten zu müssen, konnten Standard und Co. die größte Demonstration seit Monaten einfach totschweigen.
Auch große Teile der „radikalen Linken“ boykottierten letztendlich die Demo: Nachdem in einem Manöver innerhalb des Bündnisses die Millî Görüş-Jugendorganisation „Europäische Jugendvereinigung (AGD)“ auf die Unterstützerliste gesetzt wurde, zogen sich auch Komintern, Young Struggle, Zora und die die meisten türkischen und kurdischen Organisationen von der Demo zurück. Einen Tag später organisierten einige linke Gruppen eine Kundgebung mit etwa 100 Teilnehmern – am selben Ort, wo tags zuvor tausende demonstriert hatten.
Diese Suche nach einer „reinen“ Massenbewegung, die nach den eigenen Vorstellungen funktioniert, ist genauso schädlich wie der Opportunismus der Reformisten gegenüber den Bürgerlichen. Es ist die Aufgabe von Kommunisten, in der Palästinabewegung mutig und direkt um ein internationalistisches, revolutionäres Programm zu kämpfen und damit die reaktionären Kräfte zu marginalisieren und zu bekämpfen, statt den Massen den Rücken zuzukehren. Und tatsächlich: Trotz des Boykotts des allergrößten Teils der Linken waren die reaktionären Kräfte auf der Demo fast völlig unsichtbar – die Stimmung war vielmehr weit offen für einen internationalistischen und klassenkämpferischen Ansatz!
Letztendlich hat auch die politische Ausrichtung der Demo selbst nichts dazu beigetragen, einen Schritt vorwärts zu bieten und die politische Klärung voranzutreiben. Die Großdemo für Gaza stand unter dem Motto „Die österreichische Regierung muss jetzt handeln!“. Damit appellierte sie ausgerechnet an jene Parteien, die seit dem 7. Oktober den Genozid unterstützen und dafür bereit waren, Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Dieselbe Regierung instrumentalisiert Rassismus gegen Muslime und Araber, um im Gesundheits- und Sozialsystem zu kürzen und gleichzeitig Milliarden in die Aufrüstung zu stecken. Die Strategie, auf Druck gegen die Regierung oder auf das Völkerrecht zu setzen, ist eine Sackgasse.
Die Aufgabe wäre es zu erklären, dass der Kampf gegen den Völkermord untrennbar mit dem Kampf gegen Rassismus, Sparpolitik, Lohnkürzungen, mit dem Kampf gegen die Regierung, die all das trägt und letztendlich gegen den Imperialismus und Kapitalismus durch die Arbeiterklasse und Jugend als Ganzes verbunden ist.
Die RKP ließ sich daher von allen politischen Sackgassen, Opportunismus und Spalterei nicht irritieren. Im Gegenteil: Wir organisierten den sichtbarsten und lautesten Block der Demo mit ca. 100 Teilnehmern. Wir verkauften 163 Ausgaben der Zeitung „Der Funke“ und knüpften Kontakte zu Dutzenden Menschen, die aktiv gegen Genozid und Kapitalismus kämpfen und der RKP dafür beitreten wollen. In einer Rede bei der Abschlusskundgebung sowie einer Rede im Block, in zahlreichen Diskussionen und in unseren Slogans vertraten wir die kommunistische Perspektive klar und laut: eine Revolution im Nahen Osten und in Österreich, um Völkermord, Krieg, Armut und alle Barbarei ein für alle Mal auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen!
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an