Die Periode der sozialen Stabilität in China liegt in Scherben. In der Krise beginnt sich die chinesische Arbeiterklasse zu wehren. Von Christoph Pechtl.
Investition, Konsumtion und Export sind allesamt in der Krise. Überproduktion und Schulden ziehen die chinesische Wirtschaft nach unten. Die chinesischen Kapitalisten und die Staatsbürokratie versuchen die überschüssigen Waren auf den Weltmarkt unterzubringen, doch dies reicht nicht. Sie sind zunehmend gezwungen, die Überproduktionskrise auf die eigene Arbeiterklasse abzuwälzen. Aber die Arbeiter in China wehren sich.
Die Schuldenkrise kündigte sich mit dem Zusammenbruch der Immobilienriesen „Evergrande“ und „BGN“ an. Bei Evergrande stehen Schulden von 340 Mrd. $ einem Immobilen-Vermögen von nur 250 Mrd. $ gegenüber (Stand 2023). Der kreditfinanzierte Bausektor war der stärkste Motor des Wirtschaftswachstums der letzten Jahre, doch die errichteten Bauwerke und Infrastruktur sind nicht profitabel. Dies bedroht nun den Bankensektor. Die landesweite Verschuldung beträgt mittlerweile 230% des BIPs, wobei die lokalen Regierungen den größten Risikofaktor darstellen. Die wichtigsten Rating-Agenturen verschlechterten kürzlich ihre Einschätzung zur Sicherheit der Langzeitkredite Chinas auf „negativ“.
Industriearbeiter auf Streik
Die Staatsführung hofft, dass die Industrieproduktion die Krise des Immobiliensektors wettmacht. Der Weltmarkt ist jedoch vollgestopft und die Konkurrenten USA und EU errichten immer stärkere Handelshemmnisse gegen chinesische Produkte, um ihre eigenen Profite zu sichern. Der chinesische Imperialismus ist also gleichzeitig konfrontiert mit Überproduktionskrisen in allen Sektoren, einem schrumpfenden Weltmarkt (-4,6 % im 1. Hj 2023) und politisch motivierten Handelskriegen. Die Folge ist eine Pleitewelle von Unternehmen und das chinesische Kapital lagert immer mehr Produktion in Länder mit billigeren Arbeitskräften aus.
Die Arbeiterklasse trägt mit Massenentlassungen, Arbeitszeitverlängerung und Lohndruck die volle Last der Krise. Doch der kollektive Charakter der Fabrikarbeit und das Bewusstsein, dass niemand ihnen zu Hilfe kommt, schürt Militanz. Laut dem „China Labour Bulletin“ haben sich die Arbeitskämpfe in China im letzten Jahr auf etwa 1800 verdoppelt, obwohl Streiks illegal sind. Im Industriesektor allein kam es zu 438 Streiks, eine Verzehnfachung zum Vorjahr. Der wankende Immobiliensektor ist ebenso ein Pulverfass sozialer Kämpfe. Während Millionen auf nicht fertige Häuser warten, warten die Arbeiter auf ihre Löhne. Wanderarbeiter aus dem Landesinneren berichten von Lohnrückständen von 1-2 Jahren. Die Hälfte aller Arbeitskämpfe finden im Bausektor statt.
Die Bürokratie und der Klassenkampf
Auch wenn Industrie und Bausektor die zentralen Kampffelder sind, gibt es keinen Bereich, in dem die Arbeiter den Angriffen der Kapitalisten und Bürokraten entkommen. Die lokalen Regierungen versuchen durch Einsparungen ihre Verschuldung in den Griff zu bekommen. Auch sie zahlen Löhne oder Zulagen nicht aus, kürzen öffentliche Dienste und setzen immer mehr Bauprojekte aus. Dies schiebt Angestellte staatlicher Unternehmen und Beamte, die traditionell konservativste Schicht der chinesischen Arbeiterklasse, an die vorderste Front des Klassenkampfs.
In der Stadt Wafangdian in Dalian etwa streikten die Müllarbeiter, weil die Stadt ihre Löhne nicht ausbezahlte. In Nanchang in der Jiangxi Provinz streikten hunderte Lehrer und protestierten vor dem lokalen Regierungsgebäude, um die Auszahlung der Löhne einzufordern. Dabei skandierten sie: „Wir wollen leben!“ In Liaoyang, Tianjin und Kunming warten Bus- und Metrofahrer seit Monaten auf ihre Löhne. Selbst im Gesundheitssektor gibt es Berichte von Lohnrückständen und Zulagenstreichungen.
Mit der Zuspitzung des Klassenkampfs wird die Rolle der Staatsbürokratie immer offensichtlicher. Diese früheren Stalinisten konnten während der Wiederherstellung des Kapitalismus in China ihre Kontrolle über den Staatsapparat verteidigen und vertreten heute die Interessen des chinesischen Kapitals. Nicht nur deckt die Bürokratie die Gangster-Methoden der Kapitalisten, sondern sie wendet sie immer öfter selbst an. Bei Widerstand der Arbeiter werden die Polizei und selbst das Militär zur Verteidigung der Profite eingesetzt. Die Versprechungen der Regierung, sie würden einen „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ aufbauen, entblößen sich als die Lügen, die sie sind.
Die kommende Revolution
Die jetzige Krise erfasst alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft und immer größere Teile der Arbeiterklasse werden in diese Kämpfe hineingezogen. Die Notwendigkeit, über rein lokale und ökonomische Kämpfe hinauszugehen, wird mit jeder Auseinandersetzung deutlicher. Immer öfter springen Streiks spontan auf andere Fabriken über. In Ningling provozierte ein Protestmarsch mit mehr als zehntausend Menschen einen spontanen Streik in einer Textilfabrik. Die Arbeiterklasse gewinnt in kollektiven Kämpfen den Mut, gegen die Kapitalisten anzukämpfen und spürt ihre Kraft.
Die Widersprüche des chinesischen Kapitalismus kann keine noch so mächtige Bürokratie lösen, sondern allein die sozialistische Revolution.
Chinas Arbeiterklasse ist die mächtigste der Welt. Gerade eben vom Land in die städtische Großindustrie gezogen, ist sie frei von reformistischen Illusionen und bereit für Klassenkampf. Die Parallelen zur russischen Revolution des letzten Jahrhunderts sind markant. Die Aufgabe der Avantgarde der Bewegung besteht darin, die lokalen Kämpfe durch eine landesweite revolutionär-kommunistische Kraft zu vereinen. Das Erwachen der chinesischen Arbeiterklasse ist eine Inspiration und ein Ansporn für die Kommunisten auf der ganzen Welt.