Die Gewerkschaften haben getrennten Verhandlungen zur Herbstlohnrunde in der Metallindustrie zugestimmt, statt einem gemeinsamen Kollektivvertrag ist das Ziel nun „einheitlicher Abschluss“. Die Unternehmer antworten postwendend: „Ein einheitlicher Kollektivvertrag wäre das Gegenteil von getrennten Verhandlungen.“ Wer am ursprünglichen Kampfziel festhalten will, muss sich JETZT zu Wort melden, meint Emanuel Tomaselli. [UPDATE: ÖGB-Foglar akzeptiert die Aufspaltung des Metaller-KV und ‚unterschiedliche Lohnsteigerungen‘.]
Die Mitteilung, dass die Gewerkschaften nun doch getrennte Verhandlungen akzeptieren, schlug Dienstagvormittag wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein. Besonders jene Metaller, Betriebsräte und Hauptamtlichen, die engagiert die Verteidigung des gemeinsamen Kollektivvertrags vorbereiten, sind verunsichert. Zwar betonen die Kollegen Proyer und Wimmer, das Ziel sei weiter ein „einheitlicher Kollektivvertrag“, aber es sollen nun sechs getrennte Verhandlungen geführt werden. Die neue Sprachregelung des „einheitlichen KV“ hat etwas Unscharfes: Sie kann auch bedeuten, dass die Gewerkschaften sechs (relativ) ident formulierten Kollektivverträgen zustimmen würden. Damit würde die Position der Arbeiterbewegung aber deutlich geschwächt.
Ungenannte Spitzengewerkschafter argumentierten gegenüber dem ORF, dass man eben „die Unternehmer nicht an einem Tisch binden könne“ und bezeichneten diese Vorgangsweise als „Kompromiss“. Wir müssen nüchtern feststellen, dass hier kein Kompromiss vorliegt, sondern dass sich die Unternehmer mit ihrer Forderung nach der Aufspaltung der Verhandlungen schlicht durchgesetzt haben. So kommentierte ORF online unmittelbar nach Bekanntwerden des Positionsschwenks: „Im Streit über die diesjährige Metallerlohnrunde hat die Gewerkschaft noch vor Beginn der Verhandlungen nachgegeben.“ Karl Proyer ist dabei ein repräsentativer Vertreter einer gestrigen Gewerkschaftspolitik: Vor Betriebsräten brüllt er wie ein junger Löwe, vor den Unternehmern lässt er sich vorführen wie ein Zirkuspferd. Er selbst glaubt von sich einen Kompromiss geschlossen zu haben – nur weil er, wie von der Gewerkschaft gefordert, am 19. September das Forderungspaket übergeben darf. Und auch sonst haben sich alle Gewitterwolken von seinem Horizont verzogen. „Es gibt im Moment keinen Grund, mit irgendetwas zu drohen.“, wird er am 12. September in der Presse zitiert. Und weiters gibt er zu Papier, dass er nun „einen schnellen Abschluss erwarte“.
Unsere Gewerkschaftsführung steht nun als unglaubwürdig da, was der Kampfbereitschaft der Belegschaften nicht zuträglich sein wird. Es ist jetzt zu befürchten, dass der „Unmöglichkeit, die Unternehmer an einen gemeinsamen Tisch zu bekommen“ die Unmöglichkeit folgen wird, einen „einheitlichen Kollektivvertrag“ zustande zu bringen.
Im Mai hatte es auf der Leondinger Betriebsrätekonferenz noch ganz anders geklungen. In einem durchdachten Einleitungsreferat stellte Kollege Wimmer den Angriff auf den Metaller-KV in Zusammenhang der europaweiten Kapitaloffensive auf Arbeiternehmerrechte und warnte vor Entwicklungen wie bei FIAT. Zwar fällte die Konferenz keine bindenden Beschlüsse, aber es herrschte Konsens darüber, dass man die „heilige Erde Metaller-KV“ mit kollektiven Kampfmaßnahmen verteidigen würde: „Wir sind stolz auf unseren Kollektivvertrag und werden ihn uns nicht nehmen lassen.“
Einige Unternehmer, uneinige Gewerkschaftsbewegung
Viel war in den vergangenen Monaten in der Gewerkschaftsbewegung von Spaltungstendenzen auf der Unternehmerseite die Rede. Die jüngsten Entwicklungen bestätigen hingegen unsere Einschätzung, dass es nicht einzelne, wild gewordene Unternehmer sind, die die Linie der Gegenseite bestimmen. Im Gegenteil, die Haltung der Unternehmerseite spiegelt die Entschlossenheit der Mehrheit der Unternehmer wider, mit dem österreichischen Nachkriegskonsens brechen zu wollen. (siehe Drei, die ausziehen, um unseren Kollektivvertrag zu zerstören)
Nicht die Unternehmer sind uneins, sondern die Gewerkschaftsbewegung. Der Verlautbarung der neuen Linie ging ein wochenlanges öffentliches Tauziehen voraus: In der zweiten Augustwoche übergaben die Gewerkschaften ein Angebot getrennter Einstiegsverhandlungen. Ende August zog Kollege Proyer von der GPA-djp das Angebot getrennter Gespräche wieder zurück und bestand auf einheitlichen Verhandlungen. Intern wurde kundgetan, dass man auf zögerliche Betriebsräte diesmal keine Rücksicht nehmen werde. Konkrete Kampfpläne wurden ausgeben. Am 10. September noch sagte Kollege Wimmer dem „Wirtschaftsblatt“: „Uns geht es um einen gemeinsamen Kollektivvertrag für alle Fachverbände. Wir werden jede Möglichkeit ausschöpfen, um noch eine Einigung herbeizuführen.“ Im Laufe des gleichen Tages muss die Kursänderung dann noch durchgedrückt werden sein. Denn zeitgleich mit der Auslieferung der Print-Version des „Wirtschaftsblatts“ wurde die Positionsänderung der Gewerkschaften verlautbart. Und am 11. September schließlich gingen die Kollegen Wimmer und Proyer gemeinsam an die Öffentlichkeit und verkündeten etwas, was noch Tage zuvor als „undenkbar“ bezeichnet wurde.
Dieser Schlingerkurs zeigt, dass es in der Gewerkschaftsbewegung unterschiedliche Einschätzungen gibt. Einer falschen Tradition folgend werden diese nicht offen ausdiskutiert, sondern ausgemauschelt. Man darf vermuten, dass Betriebsräte und Hauptamtliche mit einer abweichenden Meinung derzeit mit sanftem Druck darum gebeten werden, diese nicht öffentlich kundzutun.
Mit seiner Idee der „Herstellung der Kampagnenfähigkeit“ der Gewerkschaft – die durch die vergangene Herbstlohnrunde wieder Aufwind bekam – ist Kollege Wimmer Ausdruck einer neuen Generation von Gewerkschaftern. Er stützt sich auf Betriebsräte, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik stehen. Demgegenüber stehen Kräfte, denen der Erhalt der Formensprache der „Sozialpartnerschaft“ unabhängig von ihrem konkreten Inhalt wichtigstes Gebot ist. Dieser Sektor ist noch auf allen Ebenen des Gewerkschaftsapparates verankert. Solche Funktionäre stützen sich auf Betriebsräte, die sich einerseits mit Haut und Haar dem Standortdenken des eigenen Betriebes verschrieben haben (und daher etwa in der vergangen Herbstlohnrunde bei der Streikbewegung nicht mitgemacht), sich schwach fühlen und Angst vor der Konfrontation mit der eigenen Geschäftsleitung haben. Oder sie fühlen sich im Gegenteil so stark, dass sie – in Blindheit gegenüber den momentanen Umbrüchen – glauben, einen gemeinsamen KV gar nicht zu brauchen.
Die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in der Gewerkschaftsbewegung sind unklar und könnten nur auf einer Betriebsrätekonferenz festgestellt werden. Klar ist, dass diese Kehrtwendung von einem sehr kleinen Personenkreis gefasst wurde und die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen überrascht hat. Mit dieser Unkultur in der österreichischen Gewerkschaftsbewegung – selbst das Resultat jahrzehntelanger sozialpartnerschaftlicher Politik – muss endlich Schluss sein. Ohne demokratische Diskussionen und Beschlüsse darf die Gewerkschaftsspitze solche grundlegenden Kurswechsel nicht mehr vornehmen.
Kleiner Fehler, große Wirkung
Es bleibt abzuwarten, ob die Unternehmer bereits heuer oder erst im kommenden Jahr die geschwächte Position der Gewerkschaften ausnutzen wollen. Gerade über die Flexibilisierung der Arbeitszeit wollen sie reale Lohneinbußen durchsetzen. Wenn sie intelligent sind, akzeptieren sie heuer noch relativ ähnliche, aber getrennte Abschlüsse. Damit wären sie ihrem eigentlichen Ziel, der Spaltung des gemeinsamen Metaller-KV, einen wichtigen Schritt näher gekommen, ohne die Gegenseite vollends zu demütigen. Der neue Verhandlungsablauf wäre durchgesetzt; nächstes Jahr kann man dann die Unterschiede zwischen den Abschlüssen vergrößern. Vielleicht aber fühlen sie sich nach den vergangenen Wochen leerer Drohgebärden bereits so stark, dass sie schon heuer entscheidende Verschlechterungen durchsetzen.
Dennoch: Der Kampf muss weitergehen!
Noch ist die Auseinandersetzung zur Verteidigung des gemeinsamen Metaller-KV aber nicht verloren. Wird die Neupositionierung („in getrennten Verhandlungen zu einem einheitlichen Kollektivvertrag“) – die wir von der Redaktion „Der Funke“ für einen schweren Fehler halten – in den kommenden Tagen nicht noch geändert, sind alle gemeinsam gezwungen entlang dieser Linie zu kämpfen. Wir sollten aber diese Linie mit den besten demokratischen Traditionen der Arbeiterbewegung verknüpfen: Ein Abgehen von dieser Position kann und darf nur durch die Abstimmung auf einer Betriebsrätekonferenz erfolgen. Das heißt: Nur eine Betriebsrätekonferenz kann die „Einheitlichkeit“ der Abschlüsse feststellen, und die Gültigkeit eines Abschlusses beschließen. Wenn wir darauf nicht bestehen, ist die Gefahr groß, dass in den kommenden Verhandlungen mit dem Ausscheren eines einzigen Verhandlungsteams der gemeinsame Metaller-KV endgültig Geschichte sein wird.
Um die Kampf- und Kampagnenfähigkeit der PRO-GE zu bewahren, sollten unseres Erachtens Betriebsratskörperschaften folgende Resolution verabschieden:
„Wir nehmen die neue Verhandlungslinie der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp zur Kenntnis und verbinden sie mit der Forderung, dass die Inkraftsetzung des einheitlichen Kollektivvertrags nur nach Abstimmung auf einer gemeinsamen Betriebsrätekonferenz aller sechs Fachbereiche geschehen kann.“
Wenn man diese Resolution zusätzlich einer Abstimmung einer Betriebsversammlung unterzieht, oder den gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen zur Unterschrift vorlegt, kann man einerseits die Kolleginnen und Kollegen in den Kampf einbeziehen und andererseits der Forderung mehr Nachdruck verleihen.
Der Verschlechterung unserer Verhandlungsposition zum Trotz: Lasst uns kämpfen – weil sonst ist die Niederlage bereits beschlossene Sache.
Update:
ÖGB-Foglar akzeptiert die Aufspaltung des Metaller-KV und ‚unterschiedliche Lohnsteigerungen‘
ÖGB-Präsident Foglar im O-Ton: „ Mir ist egal, was die Verhandler in der Zeit zwischen der Übergabe der Forderungen und der Einigung machen. Entscheidend ist, dass es am Ende einen einheitlichen Abschluss gibt.’ Dieser müsse einen Mindestlohn für die gesamte Branche festlegen, könne aber ‚flexible’ Elemente für die jeweiligen Fachverbände enthalten: So seien auch unterschiedliche Lohnsteigerungen möglich.“ (Die Presse, 13.9.) In Foglars Interpretation entpuppt sich „der einheitliche KV“ als reine Worthülse, als Beruhigungsspritze für aufgebrachte Betriebsräte.
Foglars Aussagen deuten auch darauf hin, dass die Unternehmer bereits heuer die geschwächte Position der Gewerkschaften ausnutzen wollen. Offensichtlich fühlen sie sich nach den vergangenen Wochen leerer Drohgebärden bereits so stark, dass sie schon heuer erste entscheidende Verschlechterungen durchsetzen wollen.
Nach der gemeinsamen Übergabe am 19. September wird es in den sechs, nach Fachverbänden aufgespalteten Verhandlungsgruppen unterschiedliche Dynamiken geben. Die Parole „Keiner schließt ohne den anderen ab“ wird in der Praxis nicht durchsetzbar sein. Wenn es sich zu sehr spießt und ein Arbeitskampf unvermeidbar scheint, werden Foglar und Leitl (Wirtschaftskammer) gemeinsam eingreifen und die Zerschlagung des Metaller-KVs von oben herab durchsetzen (wie wir es schon bei der AUA gesehen haben).
Foglars Bekenntnis unterstreicht die Dringlichkeit JETZT Position zu beziehen und die Neupositionierung („in getrennten Verhandlungen zu einem einheitlichen Kollektivvertrag“) mit der Forderung einer Betriebsrätekonferenz zu verknüpfen.
Um die Kampf- und Kampagnenfähigkeit der PRO-GE zu bewahren, sollten unseres Erachtens Betriebsratskörperschaften folgende Resolution verabschieden:
„Wir nehmen die neue Verhandlungslinie der Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp zur Kenntnis und verbinden sie mit der Forderung, dass die Inkraftsetzung des einheitlichen Kollektivvertrags nur nach Abstimmung auf einer gemeinsamen Betriebsrätekonferenz aller sechs Fachbereiche geschehen kann.“
13.9.2012
Zum Nachlesen: