Wir veröffentlichen eine Presseaussendung der SJ Vorarlberg bezüglich der morgen stattfindenden Verhandlung am Oberlandesgericht Graz gegen Sebastian S., Mitglied der SJ Steiermark, aufgrund der Veröffentlichung eines antikapitalistischen Gedichts. [UPDATE: Ein Richtersenat am Oberlandesgericht Graz hat Genossen Sebastian freigesprochen! Vielen Dank an alle die sich solidarisch gezeigt haben!]
In der Strafsache wegen § 282 Abs 1 StGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Z 12 MedienG gegen Sebastian Seidlitz Berufungsverfahren am OLG Graz, nach erstinstanzlichem Freispruch.
Der Standard berichtete am 19. 1. unter dem Titel „Saublöde Reime ohne bösen Vorsatz“ vom erstinstanzlichen Freispruch unseres Kollegen Sebastian.
Sebastian ist Werkstoffprüfer der Firma Böhler, anerkannt auf Grund seiner fachlichen Kompetenz, beliebt unter seinen KollegInnen, engagiert in der ArbeiterInnenbewegung: Jugendvertrauensrat in seiner Lehrlingszeit, jetzt gewerkschaftliche Vertrauensperson in seiner Werkhalle. Er engagierte sich auch in der Sozialistischen Jugend Bruck a.d. Mur an führender Stelle.
Dies möchten wir festhalten, denn die Berufung der Staatsanwaltschaft Leoben erscheint uns nicht nur ihm gegenüber übergriffig, sondern wir Unterzeichnende selbst fühlen uns in unserem Engagement für die politischen und sozialen Rechte der österreichischen ArbeitnehmerInnen als Mitangeklagte.
Die Verknüpfung eines anti-kapitalistischen Gedichtes mit Ausschreitungen in Großbritannien, der Debatte über Verteilungsgerechtigkeit und Vermögenssteuern und politischer Arbeit im Rahmen der Sozialistischen Jugend im Allgemeinen zu einer „subjektiven Tatseite“ verdichten zu wollen, erscheint uns skandalös und anscheinend völlig herbeikonstruiert.
Wir möchten hier festhalten, dass dieser Hip-Hop Reim (und wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft in Graz im Gegensatz zur Staatsanwältin in Leoben einen Reim als solchen erkennen kann) aus unserer Sicht weder zum „Verbrechen des Mordes“ noch „der Körperverletzung“ noch „des schweren Diebstahls“ noch zum „Raub“ noch zur „Brandstiftung“ geführt hat. Weder in der Obersteiermark noch sonst wo in Österreich.
Und wir alle, genauso wie Sebastian, schätzen die Macht der Poesie für nicht so groß, als dass sie Verderben, Mord und Todschlag über das Land bringen könnte. Die seit neun Monaten unveränderte politische und sicherheitspolizeiliche Situation in Österreich scheint dieser Annahme Recht zu geben.
Der Grund dafür ist auch klar: Während in Großbritannien als Folge jahrzehntelangen Sozialabbaus die Großstädte immer mehr zu sozialen Pulverfässern mit Massenverelendung wurden, ist dies in Österreich (noch) nicht der Fall. Sebastian kämpft aktiv gegen solche Entwicklungen innerhalb der österreichischen ArbeiterInnenbewegung. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung aber arbeitet nicht mit Verbrechen und individuellen Verzweiflungstaten wie Brandstiftung und Plünderung, sondern mit dem Instrument des gemeinsamen Kampfes für Kollektivverträge, mit Kampagnen und der institutionellen Vertretung unserer sozialen und politischen Interessen. Sebastian hat keinen Anlass zu Verbrechen aufzurufen, hat dies nie getan und wird dies nie tun.
Unterzeichnet:
Benedikt Brunner, Vorsitzender der SJ Vorarlberg
Verena Mischitz und Michael Raunig, SJG Kärnten
Florian Keller, Bundesvorstand GPA-djp StudentInnen
Siehe hier die frühere Berichterstattung des Funke zum Strafverfahren.