Am Sonntag wurden die Regierungen Nummer 9 und 10 Opfer ihrer Sparpolitik. Mit Griechenland und Frankreich hat es nun zwei zentrale Staaten der EU erwischt: Die Achse Berlin-Paris ist die politisch-ökonomische Lebenslinie des EU-Krisenmanagements, und mit der griechischen Depression steht sowohl der EURO als auch die territoriale Integrität der EU auf dem Spiel. Von Emanuel Tomaselli.
Frankreich
Die Wahlergebnisse lassen die Märkte erzittern. Dabei rücken Österreichs Medien insbesondere den Machtwechsel in Paris in den Mittelpunkt. Klar ist, dass der knappe Wahlsieg Hollandes eine tiefe Polarisierung Frankreichs zeigt. Wenn sich auch im zweiten Wahlgang viele Wähler für das kleiner Übel entscheiden, so ist die Lesart heute jedoch klar: hier wurde Merkozy geschlagen, und hier geht es auch insbesondere um Europa. Hollande verkündete noch in der Wahlnacht den „Wandel“, doch politische Beobachter wollen an ihm im Laufe der Wahlnacht das Wachsen seines Kleinmutes mit freiem Auge beobachtet haben. Der Spiegel erklärt warum: „Nach der großen Feier auf der Place de la Bastille, wird ganz Frankreich mit einem Kater erwachen. Auf den Präsidenten und das Land warten harte Zeiten. Im Wahlkampf hat Hollande immer wieder die Größe Frankreichs beschworen. Doch diese Größe wird von genau jener ökonomischen Schwäche bedroht, gegen die Hollande nun angehen muss. Die französische Tradition des Schuldenmachens wird er nicht fortführen können, und den Staat umzubauen, das wird nicht gehen, ohne viele der Menschen gegen sich aufzubringen, die ihn gewählt haben. Präsident Hollande hat einen der schwierigsten Jobs der Welt gewonnen.“
Die politische Physiognomie Hollandes ist dabei nicht das Problem wie der Spiegel weiter gut analysiert: „Trotz der manchmal aggressiven Wahlkampfrhetorik ist nicht zu erwarten, dass sich Hollande als Merkels großer europäischer Antipode gebärden wird. (…) Doch vielen Beobachtern ist nicht bewusst, dass sich die Haltung Hollandes zum Euro, zur Europäischen Zentralbank und zum Stabilitätsfonds nicht wesentlich von der Haltung unterscheidet, die Sarkozy Merkel gegenüber stets vertreten hat. Sarkozys wichtigste Mitarbeiter äußerten sich noch Ende vergangenen Jahres sehr ähnlich – auch sie hielten nichts vom reinen Sparkurs, auch sie wünschten sich eine direkte Intervention der Europäischen Zentralbank. Merkel wird sich also mit einem neuen Partner auseinandersetzen müssen, aber nicht mit einer grundsätzlich neuen Haltung auf der französischen Seite.“
Doch Hollande wurde nicht von Beobachtern gewählt, sondern von Millionen von WählerInnen die sich erwarten, dass mit ihre Stimme für Hollande einen Nagel in den Sarg geschlagen haben, in dem Pensionsreform, Fiskalpakt und Arbeitslosigkeit unter die Erde gebracht werden. Der Wahlkampf, insbesondere der Wahlerfolg der Linksfront mit Jean Luc Mélenchon machte deutlich, dass diese Wahlen als Rache für die Niederlagen, die Sarkozy der militant kämpfenden Arbeiterbewegung beigebracht hat, verstanden wurde: die Verlagerung des Streikpostens an die Wahlurne. Dieser Stimmung, die weit in Hollandes Wählerschaft auch des ersten Wahlganges reichte, musste er nachgeben, daher die konstatierte „radikale Rhetorik“, die so gar nicht zu seinem politischen Werdegang passt. Es reichte nicht Sarkozy für alles verantwortlich zu zeichnen, er musste die teilweise Rücknahme der Pensionsreform, die Ablehnung des Fiskalpaktes, das Ende der sozialen Misere heraufbeschwören. Und dabei haben viele WählerInnen das Kleingedruckte mal gern überhört: die Rücknahme der Pensionsreform wird nur teilweise sein, die Ablehnung des Fiskalpaktes ist allein als „Ergänzung“ mit Wachstumskrediten zu verstehen, und die soziale Misere wird sich in einem in der tiefsten Krise seit Jahrzehnte steckenden Kapitalismus weiter vertiefen.
Dennoch ist dieser Wechsel an der Spitze wichtig: einerseits weil damit die soziale Dynamik den Weg in die politischen Institutionen gefunden hat, dies wird sich in den französischen Parlamentswahlen im Juni noch deutlicher abzeichnen als jetzt. Und andererseits stehen damit die halbseidenen Wirtschaftsslogans von Umverteilung zur Wachstumsankurbelung, sowie deficit spending als Ausweg aus der Krise auf jenem Prüfstand, auf dem sie für alle sichtbar scheitern werden. Wer von der Krise redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen, dies wird die Präsidentschaft Hollandes der gesamten europäischen Arbeiterbewegung lehren. Das liberale Handelsblatt weiß sich heute bereits als Sieger: „Es hängt also alles am Geld. Dauerhaftes Wachstum in Frankreich und die Auszahlung der überlebenswichtigen Kredite in Griechenland – all das gibt es nicht, wenn die von Angela Merkel eisern verteidigten Regeln des Fiskalpaktes in Europa gebrochen werden. Die Märkte laufen für Merkel.“
Doch die Märkte werden von jenen gefüllt, die die Wirtschaftsweisen immer übersehen: von den arbeitenden Menschen. Entweder schaffen sie es Hollande mit der Pistole am Hals Mut einzuflößen es mit den Märkten aufzunehmen, oder Hollande wird rechts liegen gelassen werden und der Unmut manifestiert sich – politisch gereift – in den Straßen, Schulen, Universitäten und Fabriken. Denn eines ist klar: noch nie in der Geschichte haben sich Französinnen und Franzosen mit politischen Halbheiten langfristig zufrieden gegeben. Und diese Krise ist so tief, dass entscheidende Fragen gestellt werden – auch in diesem europäischen Kernland.
Griechenland
Besonders grausam war die Abfuhr für die „Markt“-diktierte Politik jedoch in Griechenland: Die Drei-Parteien Sparregierung aus Sozialdemokraten, Konservativen und Rechtsextremen wurde mit nassen Fetzen aus dem Amt gejagt. Klarer Wahlsieger ist das aus kommunistischer Tradition kommende Linksbündnis Syriza, das 16,8 % (2009: 4,6 %) der Wählerstimmen vereinigte. Die Sozialdemokratie (PASOK) erreichte nach 43,9 % der Stimmen 2009 nur noch 13,2 %, die Konservativen (ND) nur noch 18,9 % (2009: 33,5 %). Die rechtsextreme Laos fliegt aus dem Parlament.
Der Top-Bürokrat der Brüsseler Sozialdemokratie stand Sonntag Abend sichtlich auf der Seife, als er zu einer der ewig nutzlosen ORF-Debatten zugeschaltet wurde. Dass Hollande ein Europäer sei, erkenne man an den EU-Fahnen vor dem Partie Socialiste Parteihauptquartier, und überhaupt sei es nun vorbei mit Wahlkampfrhetorik. Und dann freute er sich, dass auch in Griechenland eine „pro-europäische“ Regierungsmehrheit bestünde. Gefehlt, gefehlt lieber Hannes Swoboda. ND-PASOK stehen bei 149 von 300 Parlamentssitzen. Und dies bei einem Wahlrecht, das eine perfekte Machterhaltungsmaschinerie herrschender Zustände ist: die erstgereihte Partei ND bekommt als Turbo nämlich nochmals 50 Parlamentssitze geschenkt. Wie tief die politische Erschütterung ist, kann man so erkennen: Nicht mal ein Drittel der Parlamentssitze wurde durch Stimmabgaben für die zwei ehemaligen Volksparteien erstritten, und die Stimmen all jener Parteien, die an der Eintrittshürde ins Parlament gescheitert sind, ist in Summe größer als die stärkste Partei an Stimmen für sich verbuchen kann.
Der kometenhafte Aufstieg von Syriza ist insbesondere einem Faktor zu verdanken: als einzige linke Partei trat sie klar für die Einheit der Arbeiterbewegung zur Mehrheitserlangung ein. Sie bleibt wage was die Frage der Staatsverschuldung betrifft, verlangt hier ein Aussetzen der Zahlungen, Neu-Verhandlungen und möglicherweise Nicht-Bezahlen. Für österreichische Journalisten (und natürlich Hannes Swoboda) reichen diese Ansagen natürlich locker mal zur Qualifizierung als links-radikal. Dabei pfeifen es die Spatzen überall vom Dach: was Parteichef Tsipras hier sagt, wird schon bald passieren: Griechenland kann nicht zahlen. Am schnellsten hat man dies in Hamburg erkannt und so verlangt das dort ansäßige renommierte Welthandelsinstitut auch gleich die Errichtung eines „Protektorats“ über Griechenland. Wer an diesem Begriff knabbert: so nannte man im 20. Jahrhundert mal Kolonien.
Derweilen skandieren die Anhänger von Syriza in Athens Straßen: „Weder Venizelos noch Samaras – es ist die Zeit der Linken“ Der charismatische Führer von Synaspismos (der zentralen Kraft in Syriza) Alexis Tsipras lehnte in seiner Nachwahlrede eine Teilnahme an einer nationalen Notstandsregierung kategorisch ab. Deklariert die Wahl als friedliche Revolution und legt sich darauf fest auf eine massenhafte Linke Wiedergeburt hin zu arbeiten.
Den Ruf nach der nationalen EU-EURO-Rettungs-Notstandsregierung brachte als erstes der vom deutschen Finanzministerium eingesetzte neue Chef der griechischen Sozialdemokraten auf. Merkel verkneift sich bisher jedes Wort zu Athen. Dieser Ruf ergeht in erster Linie an die „Unabhängigen Griechen“, eine Abspaltung der ND die das EU-Diktat ablehnt und die Rechtsabspaltung der Synaspismos namens Dimar, die dem EU-Diktat „skeptisch“ gegenübersteht.
Weiters sorgt der Aufstieg der Faschisten der Goldenen Morgenröte für Aufregung. Die moralische Komponente der Angst „vor dem Erstarken der politischen Ränder“ (Erstarken ist eine Unterstreibung, die „Ränder“ bilden die Mehrheit) mal ignoriert so ist doch klar: in fünf Jahre Krise wurden so viele Menschen zerlumpt, dass der Hass auf das System auch eine schwarze Uniform anzieht und sich um einen geifernden Führer kondensiert. Diese politische Formation ist faschistisch, d.h. sie sucht die direkte Auseinandersetzung auf der Straße. Die Sturmabteilungen der Goldenen Morgenröte sorgen nicht nur in Athener Grätzel heute schon für „Ordnung“, sondern sie griffen immer wieder Demonstrationen und Streiks an. Die Arbeiterbewegung steht hier vor einer Herausforderung – zeigt sie Schwäche wird die faschistische Morgenröte zu einer physischen Gefahr und politischen Option fürs Bürgertum.
Eine besondere Bedeutung kommt nun dem Schicksal der Führung der stalinistischen KKE zu. Das Weltbild der KKE ist orthodox stalinistisch: der politische Ausweg aus der Krise ist nationalistisch (auch wenn die Radikalität der Situation ihr die Forderung nach gänzlicher Staatsschuldenstreichung aufgezwungen hat), Einheitsfront der Arbeiterorganisationen wird in Wort und Tat abgelehnt. Hinter radikaler Phraseologie und bewundernswerter Arbeiterklasse-Militanz in ihren Reihen wird die Frage der Machtübernahme der Arbeiterklasse hanebüchen beantwortet: Kommunismus (oder besser: „Volksdemokratie“) gibt’s wenn die KKE eine 50 % Mehrheit erreicht hat. Nachdem dies bei dieser Wahl außer Frage stand, machte die KKE von Anfang an klar, dass sie in Opposition zu jedem steht und in keinster Weise daran denkt ihre anti-kapitalistischen Slogans in konkrete politische Forderungen zu gießen, die sowohl parlamentarisch als auch in den Betrieben und Straßen durchzusetzen sind. Die Stagnation der Partei wird jedoch die interne Gärung befeuern, und es ist fraglich ob neue Ausschlusswellen genügen werden um die Hoffnungen der ParteiaktivistInnen weiter im stalinistischen Ideengefängnis zu halten.
Die politische Vagheit Tsipras und die sektiererische Sterilität der KKE-Führung stehen dem Stellen der Frage „Wer bestimmt: Kapital oder Arbeit?“ entgegen. Der Linken muss bewusst sein, dass die Fehler und Schwächen der Führungen ihrer Parteien und Strömungen die letzte demokratische Reserve eines kapitalistischen Griechenland sind. Die Einheit der Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm, festgelegt in einer gemeinsamen Konferenz der beteiligten Parteien und Gewerkschaften würde hier und jetzt die Perspektive eines sozialistischen Griechenlands eröffnen. Die würde nicht nur die Ägäis sondern ganz Europa elektrisieren.
Wie klar diese Perspektive ist zeigt sich wenn man die Wahlergebnisse des Großraumes Athen-Piräus-Attika anschaut: Hier ist das politische, ökonomische Zentrum des Landes und die hier wohnen die Hälfte aller GriechInnen: Synaspismos ist die stimmenstärkste Partei aller Wahlkreise dieser Region, und kann in großen Wahlkreisen Athens und Gesamt-Piräus mehr Stimmen auf sich verbuchen als ND und PASOK gemeinsam. Auch die KKE ist hier überdurchschnittlich stark. Die Idee hier eine Koalitions-Regierung zu installieren, die in den Arbeiterzentren des Landes nicht mal auf Viertel der Stimmen bauen kann ist gewagt. Die bürgerliche Angst vor dem politischen Machtvakuum ist nachvollziehbar. Die Chancen der Arbeiterbewegung ebenso.
Die einen Linken sehen in Griechenland nur das Wachstum der radikalen Linken, die anderen Linken nur das Kräftewachstum der Faschisten und Rechtsradikalen. Wir MarxistInnen sehen jedoch einen einzigartigen Prozess der sozialen Polarisierung zwischen den Klassen, zwischen Armen und Reichen. Das Wachstum der Rechten wird nur gefährlich werden wenn die Führer der kommunistisch-orientierten Linken und die Ideen die sie vertreten sich nicht auf der Höhe der Zeit befinden. Das Agieren der faschistischen Banden wird genauso wie das sture Beharren der EU auf dem nächsten Sparpaket von 11,5 Mrd. € die Arbeiterbewegung und die Jugend programmatisch und methodisch lehren. Die Bewegung wird sich ihre Einheit und die konkreten Slogans erkämpfen.
Soziale und politische Prozesse brauchen Zeit. AktivistInnen der Arbeiterbewegung brauchen kühlen Kopf um sich nüchtern die Perspektiven zu betrachten und die eigenen politischen Prämissen zu überdenken. Allein wer Augen hat der sehe. Die Staatschuldenkrise hat neuen Anlauf genommen, die politische Polarisierung arbeitet ununterbrochen, die Perspektive eines sozialistischen Europas steht aufrecht.