Das vorliegende Dokument wurde inmitten des Booms 1960 geschrieben und stellt einen wichtigen Beitrag zur Debatte der ökonomischen Perspektiven dar. Die Reformisten argumentierten auf Basis des Keynesianismus, dass der kapitalistische Staat kapitalistische Krisen überwinden könne, beispielsweise durch Rüstungsausgaben oder Sozialausgaben. Diese Ansicht wurde vor dem Hintergrund eines scheinbar ewigen Nachkriegsaufschwungs von einigen angeblichen „Marxisten“ übernommen. Die Voraussage Ted Grants, dass ein Wirtschaftseinbruch mit Sicherheit eintreten würde, welcher tiefgreifende Auswirkungen auf das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse haben würde, bewahrheitete sich mit der schweren Krise der 1970er Jahre.
Der anhaltende Aufschwung des britischen sowie des globalen Kapitalismus – in jenen Gebieten, in denen der Kapitalismus erhalten wurde – seit dem Zweiten Weltkrieg macht es notwendig, die grundlegenden Ideen des Marxismus zur Frage der wirtschaftlichen Entwicklung einer Untersuchung zu unterziehen. Falls sich die Funktionsweise des Systems grundlegend geändert haben sollte, wären wir gezwungen, eine entsprechende Neubewertung unserer bisherigen Konzepte vorzunehmen. Der Marxismus stellt eine verdichtete Analyse jener Gesetze dar, die die Entwicklung der Gesellschaft bestimmen. Auf dem Gebiet der Ökonomie wurden die Gesetze, die der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft zugrunde liegen, von Marx ausgearbeitet und erklärt. Obwohl Lenin und Trotzki diese in ihren Arbeiten vertieft haben, sind die Grundgesetze des Kapitalismus seit mehr als einem Jahrhundert grundsätzlich dieselben.
Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg anders als nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt hat. Doch noch jedes Jahrzehnt der kapitalistischen Entwicklung unterschied sich tendenziell von den vorangegangenen. Dennoch sind die grundlegenden Gesetze, nach denen der Kapitalismus funktioniert, immer noch dieselben geblieben.
Die unmittelbare wirtschaftliche Perspektive für dieses Jahr ist ein Anstieg der Produktion um wahrscheinlich 6%. Das wird im Gegenzug dazu führen, dass die Arbeiterklasse mit stärkerem Nachdruck einen größeren Teil vom Kuchen einfordern wird. Dies erklärt auch die Zugeständnisse des Kapitals in Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitszeiten, die wir in den vergangenen Monaten beobachten konnten. Auch der siegreiche Arbeitskampf der Eisenbahner ergab sich daraus.
Die Weltwirtschaft bewegt sich mittlerweile auf einen Abschwung zu (oder eine Rezession – ein kleiner Abschwung, der sich nicht gleich zu einer lange anhaltenden Depression auswächst – entsprechend der Definition der bürgerlichen Ökonomen). Bis vor kurzem verzeichneten alle größeren kapitalistischen Länder, ja im Grunde die gesamte kapitalistische Welt, ein recht hohes Wirtschaftswachstum. Diese Entwicklung beginnt sich in Westeuropa und vielen der „unentwickelten“ Regionen der Welt jetzt allerdings abzuschwächen. Wir sehen bereits erste Anzeichen, dass die Preise für Aktien an der Wall Street rückläufig sind, was immer ein sensibles, wenn auch nicht vollkommen zuverlässiges, Barometer darstellt, und dass die Wirtschaft der Vereinigten Staaten bald einen tieferen Abschwung oder eine „Rezession“ erleben könnte.
Die riesigen Investitionen in die Industrie, die Mechanisierungs- und Automatisierungstendenzen führen zu einem Anstieg des Anteils des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital, d.h. das Kapital, das in Maschinen, Gebäude, Produktionsanlagen usw. investiert wird, steigt im Verhältnis zu dem Betrag, den die Löhne ausmachen. Das muss zu einem Fall der Profitrate führen. Der derzeitige Investitionsrückgang lässt darauf schließen, dass sich die Kapitalisten dieser Tendenz bewusstwerden, wenngleich sie den Grund dafür nicht verstehen.
Diese Auf- und Abschwünge sind in jeder Phase der Entwicklung des Kapitalismus ganz normaler Bestandteil des Konjunkturzyklus. Was wir aber herausfinden müssen, ist, ob es abseits dieser episodischen Unterschiede ein neues Element gibt, wie etwa staatliche Intervention, welches die Bewegung des Konjunkturzyklus von Grund auf verändert.
Der Marxismus erklärt die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Kapitalisten damit, dass der Mehrwert, der von den Arbeitern geschaffen wird, von den Kapitalisten akkumuliert und wieder in der Wirtschaft reinvestiert wird. Die Wirtschaftsentwicklung lässt sich unter diesen Bedingungen aus der Teilung der Wirtschaft in eine Abteilung I (Produktion der Produktionsmittel) und eine Abteilung II (Produktion der Konsumgüter) erklären. Der Überschuss, der von der Arbeiterklasse über ihre eigenen Reproduktionskosten hinaus geschaffen wird, wird, abgesehen von einem kleinen Teil, den die Kapitalisten selbst konsumieren, wieder zurück in die Produktion gelenkt. Das historische Verdienst des Kapitalismus besteht in der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft durch die Verwendung des Überschusses zur Kapitalbildung. Deshalb wächst die Produktion.
Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Kapitalen machte immer größere Produktionsanlagen notwendig, was in der Folge zu einer allmählichen Akkumulation und Konzentration des Kapitals in immer weniger Händen führte. Die fortwährende Expansion der Ausgaben für Produktionsmittel, also für konstantes Kapital (c), im Verhältnis zum Betrag, der für Lohnkosten, sprich variables Kapital (v), aufgewendet wird, ergibt die Tendenz zum Fall der Profitrate. Alle seriösen Ökonomen einschließlich Keynes haben diese Annahme bestätigt. Sogar die Universitätsprofessoren sehen sich angesichts der konkreten Daten dazu gezwungen, einzugestehen, dass diese Aussage für die heutige Epoche noch richtiger ist als früher.
Die grundlegende Ursache für Krisen in der kapitalistischen Gesellschaft finden wir in der unausweichlichen Überproduktion sowohl von Konsum- wie auch von Produktionsgütern. Überproduktionskrisen sind ein spezielles Phänomen, das wir nur aus kapitalistischen Gesellschaften kennen. Daneben kann es eine Reihe von anderen zweitrangigen Krisengründen geben – partielle Überproduktion in nur einigen Industriesektoren; Finanzmarktspekulation an der Börse; Schneeballsysteme; Ungleichentwicklungen in der Produktion und viele andere mehr – doch die grundlegende Ursache der Krise liegt in der Überproduktion, deren Ursache in der Marktwirtschaft und in der Teilung der Gesellschaft in antagonistische Klassen zu sehen ist.
Daran hat sich durch die Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg nichts geändert. Das lässt sich durch einen Vergleich der Zwischenkriegszeit, der Zeit vor 1914 und der Periode seit dem Zweiten Weltkrieg leicht nachweisen.
Seit dem Zweiten Weltkrieg mussten vormals relativ rückständige Volkswirtschaften wie Japan, Frankreich und Italien aufgrund des Wettbewerbsdrucks seitens der USA und des aus der Sicht des Kapitalismus bedrohlichen Anstiegs der Produktion in der Sowjetunion, in Osteuropa und China verstärkt rationalisieren. Die Entwicklung der Weltproduktion führte dazu, dass der Wettbewerb zwischen den kapitalistischen Nationalstaaten einen Prozess der Modernisierung und der weiteren Arbeitsteilung und Spezialisierung auch zwischen den großen kapitalistischen Ländern erforderlich machte. (Das ist einer der Gründe, warum die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde – auch wenn sie immer noch auf einer sehr wackligen Basis steht. Dies hatte wiederum den Zusammenschluss der „Äußeren 7“ rund um Großbritannien zur Folge. Die „nationale“ Wirtschaft arbeitet deshalb immer mehr mit dem Staat zusammen und nutzt diesen als Hebel. Der Monopolkapitalismus und der Staat verschmelzen dadurch immer mehr.
In seinem Buch Trends and Cycles in Economic Activity zeigt William Fellner, dass sich der Konjunkturzyklus in der Nachkriegszeit nicht grundsätzlich von jenen in der Vergangenheit unterschieden hat:
„Wenngleich Durchschnitte über Jahrzehnte betrachtet viel von der zyklischen Instabilität ausgleichen, bleiben die Durchschnitte der einzelnen Jahrzehnte bemerkenswert beeinflusst vom etwas depressiven Charakter der 1890er sowie vom Krieg und der Nachkriegsprosperität der 1940er… eine grundlegende Tendenz zu einer verhältnismäßigen Wachstumsrate von zwischen 30 und 40% pro Jahrzehnt… wenn zwei Jahrzehnte ‚abnormal’ sind, in entgegengesetzte Richtungen wie die 1930er und 1940er, setzt sich die Tendenz für eine Periode von 20 Jahren durch.“
Im Bezug auf die USA schrieb J.A. Schumpeter in seinem Buch Konjunkturzyklen: „Die Anzahl kleinerer Störungen zwischen den größeren Abschwüngen scheint in den Vereinigten Staaten größer als in den meisten europäischen Ländern gewesen zu sein, obwohl der Langzeittrend in den Vereinigten Staaten besonders steil war.“ Im Zusammenhang mit dem Unterschied in den Konjunkturzyklen zwischen Großbritannien und Amerika streicht Fellner zur Erklärung der gegenwärtigen Tendenz folgendes heraus:
„Es mag sein, dass der britische Konjunkturzyklus noch immer etwas länger ist als jener in den USA. Seriöse Studien halten fest, dass im 19. Jahrhundert die Länge des britischen Konjunkturzyklus zwischen sieben und zehn Jahren betrug; amerikanische Untersuchungen fanden heraus, dass der Konjunkturzyklus in den USA von etwas kürzerer Dauer ist… Der Unterschied mag in der Struktur der Wirtschaft liegen oder sogar in einem Unterschied im nationalen Temperament. Man könnte sagen, dass die Amerikaner schneller auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen reagieren, oder dass sie unbeständiger sind.“
„Für einige Jahre verlief der britische Konjunkturzyklus ebenso wie der kontinentaleuropäische nicht phasengleich mit dem amerikanischen… die vorrangige Ursache dafür war das größere Ausmaß der amerikanischen Verteidigungsausgaben, sogar im Verhältnis zur Größe ihrer Wirtschaft, nach der Korea-Geschichte.“
Es stimmt, dass die Wirtschaft in den Jahren 1890-1914 schneller wuchs als in der Zwischenkriegszeit, doch das spiegelt die Tatsache wider, dass der Kapitalismus seither seinen relativ fortschrittlichen Charakter eingebüßt hat. Der Weltkrieg von 1914-18 stellte einen Wendepunkt in der Entwicklung des Kapitalismus dar. Ausdruck dessen war die Sackgasse, in die das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat die Gesellschaft geführt hatten.
Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt sich einer Reihe von Faktoren. Ein solcher Aufschwung ist nicht „einzigartig.“ „Die Möglichkeit einer solchen Entwicklung wurde von Trotzki in seiner Kritik an den mechanischen Vorstellungen der Stalinisten vorhergesehen:
„Kann die Bourgeoisie sich eine neue Epoche des kapitalistischen Aufbaus sichern? Diese Möglichkeit von Grund auf verneinen und nur auf die ,ausweglose‘ Lage des Kapitalismus hoffen, würde einfach eine revolutionäre Phrasendrescherei sein. ,Es gibt keine absolut ausweglose Lage‘ (Lenin). Doch die gegenwärtige labile Klassenlage in den Ländern Europas kann gerade deshalb, weil sie labil ist, nicht von allzu langer Dauer sein. (…) Es wird nur dann keinen neuen Aufstieg des internationalen Kapitalismus geben (selbstverständlich mit einer neuen Epoche großer Erschütterungen), wenn das Proletariat es verstehen wird, den Ausweg aus dem gegenwärtigen labilen Gleichgewicht zur Revolution zu finden.“
Und weiters:
„Seit Marx haben wir ständig wiederholt, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, den Geist der neuen Technologie, den er selbst heraufbeschworen hat, zu bändigen. Dieser sprengt nicht nur den rechtlichen Rahmen des bürgerlichen Eigentums, sondern, wie der Krieg von 1914 gezeigt hat, auch den nationalen Rahmen des bürgerlichen Staats.“
„Die Politik, als historischer Massenfaktor betrachtet, bleibt stets hinter der Ökonomie zurück. … das internationale kapitalistische System hat sich historisch überlebt und kann als Ganzes keinen Fortschritt mehr machen. (…) Theoretisch ist natürlich auch ein neues Kapitel eines allgemeinen kapitalistischen Fortschritts in den besonders mächtigen, herrschenden und führenden Ländern nicht ausgeschlossen.“
Das American National Bureau of Economic Research hat eine Tabelle ausgearbeitet, mit der die Entwicklung des Konjunkturzyklus in den letzten hundert Jahren zurückverfolgt werden kann. Diese Tabelle zeigt die Höchststände und die Tiefststände des Wirtschaftslebens in den Vereinigten Staaten in dieser Zeitperiode. (s. Tabelle 1)
Dem können wir den Höhepunkt der Konjunktur im Jahre 1953, die Talsohle im Jahre 1954, den neuerlichen Höchststand im Jahre 1957 und die Talsohle im Jahre 1958, den Höchststand von 1959/60 und den darauffolgenden Niedergang hinzufügen.
Was sind also die grundlegenden Ursachen für die Entwicklung der Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg?
1. Das politische Versagen des Stalinismus und der Sozialdemokratie in Großbritannien und in Westeuropa schuf ein politisches Klima für einen Wiederaufschwung des Kapitalismus.
2. Die Zerstörung von Konsum- und Produktionsgütern im Krieg schuf einen großen Markt (Der Krieg hat ähnliche, wenngleich tiefere Auswirkungen als eine Wirtschaftskrise). Laut den Statistiken der Vereinten Nationen wirkte dieser Effekt bis 1958 nach.
3. Der Marshallplan und andere wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen unterstützten den Wiederaufbau Westeuropas.
4. Der enorme Anstieg der Investitionstätigkeit in der Industrie.
5. Das Wachstum in neuen Industriesektoren – Plastik, Aluminium, Raketentechnologie, Elektronik, Atomenergie u.a.
6. Der steigende Output in neuen Industriesektoren – Chemie, Kunstfasern, Kunststoffe, Leichtmaterialien, Aluminium, Magnesium, elektrische Haushaltswaren, Erdgas, Energiewirtschaft, Bauwirtschaft.
7. Die riesigen Mengen fiktiven Kapitals in Form von Rüstungsausgaben, die bis zu 10% des britischen und US-amerikanischen Nationaleinkommens ausmachen.
8. Die Schaffung neuer Märkte für Kapital und Maschinenbauprodukte im Zuge der Schwächung des Imperialismus in den weniger entwickelten Ländern, weil es der lokalen Bourgeoisie in größerem Ausmaß möglich war, eine eigenständige Industrie zu entwickeln.
9. Alle diese Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Die wachsende Nachfrage nach Rohstoffen aufgrund der steigenden Industrieproduktion in den entwickelten kapitalistischen Ländern hat einen Effekt auf die weniger entwickelten Länder und vice versa.
10. Die Zunahme des Handels, besonders mit Produktionsgütern und Maschinenbauprodukten zwischen den kapitalistischen Ländern in Folge der gestiegenen Investitionstätigkeit, fungiert als weiterer Antrieb.
11. Die Rolle staatlicher Intervention bei der Ankurbelung der Wirtschaft.
All diese Faktoren erklären den Anstieg der Produktion seit dem Krieg. Doch der entscheidende Faktor war die Zunahme der Kapitalinvestitionen, die für die kapitalistische Entwicklung die wichtigste Antriebskraft darstellen.
Zwischen 1870 und 1914 spielte der Kapitalismus eine relativ fortschrittliche Rolle, weil er die Produktivkräfte in ziemlich rasantem Tempo weiterentwickelte. Die Produktivkräfte wurden auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln sogar in einem solchen Ausmaß entwickelt, dass die materiellen Bedingungen für die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse geschaffen wurden. Hätten die Arbeiter die Macht gehabt, hätten die Produktivkräfte dann noch schneller entwickelt werden können. Solange der Kapitalismus imstande ist, die Produktivkräfte weiter zu entwickeln, dient er nichtsdestoweniger dem Fortschritt und wird Bestand haben.
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Kapitalismus, wenn auch in einer ungleichmäßigen und sehr widersprüchlichen Form, eine Periode der „Wiederauferstehung“ erlebt. Es handelt sich dabei zwar nur um eine zeitweilige Erholung einer kranken und morschen Wirtschaftsordnung, die das Greisenalter und die Schwäche des verrotteten Kapitalismus und nicht seine jugendliche Widerstandskraft ausdrückt. Doch sogar im Zuge des allgemeinen Niedergangs des Kapitalismus sind solche Erholungsphasen nichts Ungewöhnliches, solange es die Arbeiterklasse aufgrund einer mangelhaften Führung nicht schafft, dem System ein Ende zu setzen. Der Kapitalismus kennt keine „Endkrise“ oder eine absolute „Schranke“ für die Produktion und wird nicht von selbst zusammenbrechen, wie die Stalinisten während der Großen Depression von 1929-33 behaupteten. Dennoch zeigte sich die Schwächung des Kapitalismus anhand der Vielzahl an revolutionären Ereignissen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet ist diese wirtschaftliche Erholung des Kapitalismus keine ausschließlich schlechte Erscheinung. Die Arbeiterklasse wird numerisch gestärkt, ihr Zusammenhalt wird gefestigt, und sie kann ihre Stellung innerhalb der Nation zu ihren Gunsten festigen. Auf dieser Grundlage wird der Kapitalismus beim nächsten Konjunktureinbruch vor umso größeren Problemen stehen.
Es ist dieser Wirtschaftsaufschwung, und nicht die Rolle der Staatsausgaben oder die generell zunehmende Rolle des Staates der Hauptfaktor zur Erklärung der Rezessionen oder der kleinen Abschwünge nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon Marx und Engels wiesen auf die zunehmende Bedeutung des Staates mit dem Ende des Laissez-faire hin. Da die Produktivkräfte tendenziell über die engen Grenzen des Privateigentums hinauswachsen, ist der Staat immer mehr gezwungen, zu intervenieren und die Wirtschaft zu „regulieren“.
Lenin, Bucharin und Trotzki haben die immer bedeutendere Rolle des Staates während und nach dem Ersten Weltkrieg analysiert. In seinen letzten Schriften unterstrich Trotzki noch einmal die Argumente zur Frage der zunehmenden ökonomischen Bedeutung des Staates. Dessen wachsende Bedeutung kann durch das Wachstum der Produktivkräfte, die Konzentration des Kapitals, das Wachstum der Trusts und die Herausbildung des Monopolkapitals erklärt werden. All diese Entwicklungen hatte bereits Lenin in seiner Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus zusammengefasst. Das Monopolkapital fusioniert mit dem Staat, der als direkter Agent des Big Business agiert. Das hat aber nichts zu tun mit der „Regulierung“ oder „Planung“ der Produktion, wie sie in der Wirtschaft eines Arbeiterstaates möglich ist. Auch heißt das nicht, dass der Markt nicht mehr das bestimmende Element wäre. Diese Entwicklung bleibt in den Grenzen des Kapitalismus und verschärft sogar noch die Widersprüche innerhalb des Systems, wie man anhand der Rüstungsproduktion sehr gut sehen kann. Die „Regulierung“ ging vor allem auf Kosten der Klein- und Mittelbetriebe, die dadurch verhältnismäßig stärker belastet wurden als die großen Unternehmen. Kleinkapitalisten leiden beispielweise unter einer Kreditbremse und höheren Zinsraten, während das Großunternehmen davon wenig berührt werden.
Die Subventionen für die Großbetriebe, die Privatisierung profitabler Bereiche der verstaatlichten Industrie zeugen von der tatsächlichen Rolle des Staates als Werkzeug der Banken und Konzerne. Der Staat hat jene Industriesektoren übernommen, die zur Entwicklung neuer Technologien und aufgrund der notwendigen Modernisierungen einen sehr hohen Kapitalaufwand haben und daher für private Kapitaleigentümer unprofitabel geworden sind.
Im Fall von Großbritannien gab es die Notwendigkeit, die Grundstoffindustrie (Kohle, Gas, Stahl) und die Infrastrukturunternehmen (Energieversorgung, Transport) zu verstaatlichen, um die Maschinenbauindustrie, die Werften, die chemische Industrie und andere Sektoren für den Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Diese staatskapitalistischen Maßnahmen dienen zwar als gutes Argument für die Vorzüge der verstaatlichten Wirtschaft, verändern jedoch nicht die grundsätzliche Funktionsweise des Kapitalismus.
Doch Faktoren wie die erhöhten Rüstungsausgaben, die in den wichtigsten kapitalistischen Ländern dazu beigetragen haben, weitgehend Vollbeschäftigung herzustellen, haben im Gegenzug zu einer anhaltenden Inflation geführt. In Westdeutschland gab es keinen derartigen Druck. Es konnte diesen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten ausnützen und gleichzeitig auf große Arbeitskraftreserven aus den ehemals deutschen Gebieten der Tschechoslowakei bzw. aus Ostdeutschland zurückgreifen, wodurch das Preisniveau in der letzten Periode relativ stabil blieb. Zusätzlich dazu war der Betrag, der in Kapitalinvestitionen zurückfloss, in Deutschland entsprechend höher als in anderen Ländern. Doch jetzt, da die Vollbeschäftigung erreicht ist, ist Deutschland mit denselben Problemen konfrontiert wie seine Konkurrenten:
„In Westdeutschland waren die einmaligen Elemente im Expansionsprozess besonders schlagend; eine hohe Arbeitslosigkeit in den frühen 1950ern und eine hohe Einwanderungsrate von Arbeitskräften aus Ostdeutschland; die aufgrund der Kriegszerstörungen, der Demontage von Produktionsanlagen nach dem Krieg und der Teilung des Landes noch übrigen Lücken im Bestand materieller Ressourcen. Diese Faktoren zusammengenommen führten zu hohen Profitraten im Expansionsprozess, der von einem raschen Beschäftigungswachstum und einer hohen Investitionsrate gekennzeichnet war, womit die Kapitalstruktur ausgeweitet werden konnte.“
Die Wirtschaftsexperten der Vereinten Nationen, die die letzten Konjunktureinbrüche mit großer Betroffenheit analysierten, sind sich mittlerweile einig, dass die Bourgeoisie nicht imstande war, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, mit denen ihr System konfrontiert ist. Das Annual World Survey der Vereinten Nationen von 1959 beinhaltete die ernüchternde Einschätzung:
„Es gibt keine besonderen Faktoren von größerer Bedeutung, die den Abschwung der Wirtschaftsaktivitäten in den Vereinigten Staaten 1957/58 oder den faktischen Stillstand in der gesamten westeuropäischen Produktion während des Jahres 1958 erklären könnten… Unabhängig davon, wie weit die Rezession durch den Aufbau der Überkapazitäten bereits angelegt war, oder möglicherweise durch eine falsche Politik der Regierungen beschleunigt worden ist: Es ist offensichtlich, dass die Welt bislang nicht gelernt hat, wie die Kosten wiederkehrender Einbrüche der Wirtschaft zu vermeiden wären.“
Und bezugnehmend auf den starken Konjunktureinbruch im Jahre 1958: „Auch wäre es nicht sehr weise – rein auf Basis der Erfahrungen der Nachkriegszeit – anzunehmen, dass in Zukunft alle Rezessionen kurz und mild sein werden.“
Nebenbei schätzen die Ökonomen der Vereinten Nationen, dass die letzte „Rezession“ die Vereinigten Staaten Milliarden Dollar an Realeinkommen wie auch an Importkapazität gekostet hat. Die UN-Ökonomen argumentieren ganz wie die Anhänger der „Unterkonsumtionstheorie“, die glauben, dass alles gut wäre, wenn die Kaufkraft aufrechterhalten wird und sprechen sich für „eine Reihe automatischer Stabilisatoren, einschließlich eines progressiven Steuersystems, sozialer Sicherungssysteme und Programme zur Unterstützung der Landwirtschaft…“ aus. Doch sogar sie vertreten die Meinung:
„Es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass Stabilisierungsmaßnahmen den Rückgang der Wirtschaftsleistung nur verlangsamen können; sie können an sich keinen Aufschwung herbeiführen… Während eine Depression in der Größenordnung der 1930er sowohl in sozialer wie in politischer Hinsicht unvorstellbar geworden ist, können Rezessionen größerer Dauer und Tiefe als jene, die wir in den Nachkriegsjahren bisher erlebt haben, nicht dadurch verhindert werden, dass wir uns ausschließlich auf irgendwelche automatischen Stabilisatoren verlassen.“
Die ökonomische Entwicklung in Westeuropa, Japan, den Vereinigten Staaten und Großbritannien weist überall – mit kleinen Unterschieden von Land zu Land – auf die gleiche Tatsache hin: dass der Schlüssel zum wirtschaftlichen Aufschwung in den eineinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg der Anstieg der Kapitalinvestitionen ist.
Abgesehen von den Subventionen für die private Industrie, die 1958 in Großbritannien auf 385 Millionen Pfund anstiegen, und den enormen Rüstungsausgaben, die als unproduktive Ausgaben zu werten sind, wurde in vielen Ländern Westeuropas – ganz besonders in Großbritannien – die am Boden liegende Grundstoffindustrie verstaatlicht, um sie zu modernisieren und sie für die Wiederherstellung profitabler Kapitalverwertungsbedingungen für die privaten Industriekonzerne nutzbar zu machen.
Jene Sektoren, in denen wieder profitable Verwertungsbedingungen existieren, wie die Stahlindustrie oder der Transportsektor, wurden von den Tories privatisiert. Mittlerweile liegen auch Vorschläge auf dem Tisch, Hotels, das Cateringservice und Liegenschaften der Eisenbahn an Private zu veräußern. So dient der verstaatlichte Sektor, der 20% der britischen Wirtschaft ausmacht, in erster Linie der Privatwirtschaft.
Selbst wenn diese Industrien in Händen privater Unternehmer geblieben wären, hätte der Staat massive Ausgaben für Modernisierungsmaßnahmen tätigen müssen, wie das in den Vereinigten Staaten der Fall war. Doch die Investitionen in diese Bereiche betragen trotzdem nur die Hälfte der Investitionen in der privaten Industrie. Die gesamten Kapitalinvestitionen in der britischen Wirtschaft lagen im Jahre 1957 bei 14,7%, das ist die höchste Investitionsrate seit dem Krieg. Während auf die Privatindustrie etwa 10% entfielen, wurden nur die restlichen 5% in der verstaatlichten Industrie investiert. Gleichzeitig beträgt die Produktionsleistung von privaten Industriebetrieben das Sechs- oder Siebenfache von Betrieben, die sich in staatlicher Hand befinden. Das heißt, dass der private Sektor die Wirtschaft dominiert und nicht umgekehrt. Das kann leicht anhand der 1958 veröffentlichten Statistiken des Produktionszensus nachgewiesen werden (s. Tabelle 2):
Was zeigen diese Statistiken? In Bezug auf zwei grundlegende Fragen bieten sie eine unwiderlegbare Antwort auf die Theorien der Revisionisten. Das Argument von Strachey, Crosland, Gaitskell und anderen lautet, dass der relative Anteil der Arbeiterklasse an der gesteigerten Produktion zugenommen hat. Diese Zahlen zeigen jedoch eindeutig, dass der Anteil der Arbeiterklasse gemessen an der Gesamtproduktion gefallen ist. Statistiken aus den USA, Italien, Japan und Westdeutschland würden zweifelsohne dasselbe zeigen.
Es stimmt, dass der absolute Lebensstandard gestiegen ist (was sich mit den geleisteten Überstunden, der steigenden Frauenerwerbstätigkeit, der gestiegenen Arbeitsproduktivität, Bonussystemen und der Vollbeschäftigung erklären lässt), doch der relative Anteil der Arbeiterklasse ist gesunken. So erweist sich die Vorstellung der Anhänger der „Unterkonsumtionstheorie“, wonach die kapitalistische Krise durch einen steigenden Anteil der Konsumenten überwunden werden könnte, als offenkundig falsch. Der Anteil der „Konsumenten“, einschließlich der Kapitalisten, am gesamten volkswirtschaftlichen „Kuchen“ fiel von etwa 67% im Jahr 1938 auf etwas mehr als 54% im Jahr 1957.
Der Anstieg der Produktionskapazitäten in Großbritannien betrug seit dem Krieg 3% pro Jahr – eine doppelt so hohe Wachstumsrate wie in der Zwischenkriegszeit und vermutlich schneller als in vielen Jahren vor 1914. Nach dem Krieg bis 1951 wurde ein Fünftel des Outputs durch steigende Importpreise kompensiert: Der Output stieg zwischen 1946 und 1951 um 14,5%… das reale Nationaleinkommen um 11,5%. Zwischen 1951 und 1955 stieg das reale Nationaleinkommen um 15,5%, das BIP-Wachstum betrug 12,5%. Zwischen 1955 und 1958 stieg das BIP um 5%, die Produktion nahm nur um 3% zu. Zwischen 1951 und 1958 stiegen die Bruttoinvestition, die Ersparnisse und Abschreibungen von 15% auf fast 20%. Das Nettonationaleinkommen stieg von unter 7% auf über 11,5%.
Von einem marxistischen Standpunkt aus betrachtet, verursacht ein fortwährender Anstieg des Anteils der Arbeiterklasse am Bruttosozialprodukt ab einem gewissen Punkt jedenfalls eine Krise, weil dadurch der Anteil am Nationaleinkommen, der an die Kapitalisten geht, beschnitten wird und das über einen gewissen Zeitraum zu einem Fall der Profitrate führt. Das ist der Fall, weil die Kapitalisten nur von dem Mehrwert, den die Arbeiter erschaffen, die erforderlichen Mittel für künftige Investitionstätigkeit bekommen. Der technologische Prozess zwingt die Kapitalisten zu immer größeren Investitionen (effektiv, also ohne Berücksichtigung von Geldwertverlust, d.h. inflationsbereinigt) in die Produktion. Dies, um auf den nationalen und internationalen Märkten wettbewerbsfähig zu sein. Also kann der Nachkriegsaufschwung nicht mit dem Anstieg des Lebensstandards erklärt werden – wie es Crosland und Jay versuchen.
Andererseits zeigen die Statistiken über die nationale Produktion, die unter Berücksichtigung kleiner Fehler eine genaue Beschreibung der Volkswirtschaft aus einer kapitalistischen Sichtweise liefern, wie oberflächlich die Theorien von Maurice Dobb und anderen Stalinisten sind. Laut ihnen habe die wachsende Bedeutung des Staates ein weiteres 1929. Es stimmt, dass der Staat heute eine größere Rolle in der Wirtschaft spielt. Doch die Statistiken zeigen deutlich die Grenzen dieses Phänomens. 1957 betrugen die Gesamtausgaben des Staates, einschließlich der Ausgaben der nationalen und lokalen Behörden für Bauwesen, soziale Dienstleistungen und Rüstung 14,7% des Nationaleinkommens. Inkludiert man auch die Ausgaben der verstaatlichten Industrie, dann käme man auf etwa 20%, sprich ein Fünftel des Nationaleinkommens. Das ist an sich ein beachtlicher Anteil, aber er ist nicht ausreichend, um die grundlegenden Bewegungsgesetze der Wirtschaft zu verändern. Es ist nicht die verstaatlichte Industrie, die die Entwicklung der Privatindustrie bestimmt, sondern es ist die Privatindustrie, die den Ton angibt.
In einer Epoche wie dieser muss der Marxismus den bürgerlichen, sozialdemokratischen und revisionistischen Konzepten Antworten entgegenhalten können. Dies ist angesichts des politischen Klimas, das im Zuge des kapitalistischen Aufschwungs entstanden ist, umso notwendiger.
Wir erreichen die richtige Perspektive auf dieses Problem, indem wir noch einmal die Grundaussagen des Marxismus dazu darlegen. Wenn die Schalthebel der Wirtschaft verstaatlicht sind, kann es niemals Abschwünge geben, weil es dann möglich ist, die Produktion gesamtgesellschaftlich genau so zu planen, wie dies heute bereits in einer einzelnen Fabrik geschieht. Wenn Fehler passieren, wie bei den Wirtschaftsplänen der Sowjetbürokratie, ist es möglich, diese mittels einfacher administrativer Verordnungen zu korrigieren.
Die einzigen Grenzen der Produktion ist das Produktionsniveau und den Entwicklungsstand der Produktivkräfte, wenn man von Planungsfehlern der Bürokratie, bürokratischer Ineffizienz und Korruption etc. absieht. Ob die Herstellung von Konsumgütern, Kapitalgütern, Raketen, Kanonen oder was immer sonst geplant wird: unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte und bei Beachtung der Grenzen von Verhältnismäßigkeit kann die gesamte Produktionskapazität maximal genutzt werden (von Unstimmigkeiten bei Rohmaterialien abgesehen)! Das ist der grundlegende Unterschied zwischen einer Wirtschaft, die auf staatlichem Eigentum basiert, und einer staatskapitalistischen Wirtschaft mit Elementen von Staatseigentum.
Warum kann der bürgerliche Staat mit seinen Ausgaben nicht die Probleme der kapitalistischen Wirtschaft lösen? In einer Wirtschaft, in der das Privateigentum das vorherrschende Produktionsverhältnis darstellt, ist die Produktion auf den Markt ausgerichtet. Alle Steuern müssen aus der Wirtschaft selbst kommen, entweder werden die Profite der Kapitalisten oder die Einkommen der Arbeiterklasse besteuert. In keinem der beiden Fälle kann damit aber auf Dauer die Krise verhindert werden. Wenn das Einkommen der Kapitalisten beschnitten wird, kommt das einer Kürzung der Profitrate gleich; Geld, das der Staat ausgibt, das er zuvor aus den Taschen der Kapitalisten genommen hat, kann von den Kapitalisten nicht mehr ausgegeben werden. Auf ähnliche Art und Weise beschneidet das Geld, das den Arbeitern in Form von Steuern zum Wohle der Kapitalisten und ihres Staates genommen wird, den Markt für Konsumgüter ein. So untergräbt der Staat in jedem Fall die Lebensfunktionen der Wirtschaft. Der moderne Staat lastet somit schwer und parasitär auf der Produktion. Was der Staat auf der einen Seite einnimmt, ist auf der anderen für die Kapitalisten verloren. Aus kapitalistischer Sicht ist es das Schlimmste, wenn der Staat die Profite beschneidet. Denn das vertieft die Krise, während sich 80% der Wirtschaft in den Händen privater Unternehmen befindet. Deshalb fordern die Kapitalisten vom Staat neben Erleichterungen bei der Erteilung von Investitionsgenehmigungen vor allem die Senkung von Gewinnsteuern. Die Tory-Regierung (und später die Labour-Regierung) senkte auch systematisch diese Steuern.
Auf der anderen Seite gehen die verschiedenen keynesianischen „Lösungen“ grundsätzlich am Kern des Problems vorbei. Wenn der Staat durch „Defizitfinanzierung“, wie das Gaitskell vorschlägt, Geld ausgibt, das er nicht besitzt, führt das zu einer Währungsinflation, und nach einiger Zeit würde es auf die oben getroffenen Aussagen zur Verteilung des Nationaleinkommens hinauslaufen. Der einzige Unterschied wäre, dass die Krise durch den Verfall der Währung verschärft würde. Der Grund dafür: Bei ansonsten gleichbleibenden Umständen würden die Preise in dem Maße ansteigen, in dem die Geldmenge im Umlauf, die nicht durch Waren und Geld gedeckt ist, erhöht wird.
Genauso dumm ist der oft gehörte Vorschlag Gaitskells, die Ausgaben der verstaatlichten Industriesektoren zu erhöhen. Die verstaatlichten Industrien dienen der kapitalistischen Gesamtwirtschaft als Grundstoffindustrie. Das Geld für diese Industrien muss, sofern es nicht von den Märkten bereitgestellt werden kann, über Steuern oder Defizitfinanzierung aufgebracht werden, was aber den Betrag, der von der Industrie insgesamt ausgegeben werden kann, beschneidet. Die gegenwärtige Krise in der Kohleindustrie zeigt, dass dieser Ruf nach gesteigerten Ausgaben der verstaatlichten Betriebe eine Produktionskrise nicht lösen kann. Die Eisenbahn, die Elektrizitäts- und Gasversorgungsunternehmen und andere verstaatlichte Betriebe sind (abgesehen vom individuellen Konsum) von der Nachfrage der Privatindustrie abhängig, von der Maschinenbau-, Chemie-, Lebensmittel- und ähnlichen Industrien. Ein Produktionsrückgang in diesen Industrien hat unmittelbar Auswirkungen auf die verstaatlichten Industrieunternehmen. Die Krise in der Kohleindustrie liefert sogar vor dem Hintergrund des aktuellen Booms einen Beweis für diese Annahme. Nur aufgrund dieses Booms kann es sich die Regierung derzeit leisten, dass zehn Millionen Tonnen Kohle in den Zechen lagern.
Rüstungsausgaben zählen als Ausgaben in fiktives (weil unproduktives) Kapital. Ausgaben für öffentliche Beschäftigungsprogramme, für den Bau von Straßen, Spitälern und Schulen sind nicht direkt produktiv, aber für die Produktion notwendig, doch aus den oben genannten Gründen können sie nur eine Linderung des Problems darstellen. Erst vor kurzem wies die Radcliffe-Kommission schlüssig nach, dass es ein Trugschluss wäre zu glauben, man könne die Wirtschaft durch öffentliche Geldspritzen ankurbeln. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall, wie die Marxisten immer schon argumentiert haben. Inflationäre oder deflationäre Entwicklungen in der Wirtschaft erzwingen ein Steigen bzw. Sinken des Diskontsatzes der Notenbank Die allgemeine Schlussfolgerung des Komitees lautete:
„Höhere Staatsausgaben können nicht das alleinige Mittel sein, um die Wirtschaft angesichts von innerem und äußerem Druck in Balance zu halten. Sie können unterstützend wirken, aber das ist auch schon alles…Wir vermuten, dass in den letzten Jahren keine außerordentlichen Hoffnungen in die Geldpolitik gesetzt worden wären, wenn es nicht den Wunsch gegeben hätte, Steuererhöhungen zu vermeiden und Statsausgaben zu senken. Die schrittweise Verringerung der Steuerlast sollte in Zukunft eine realistischere Sicht erleichtern.“
Mit anderen Worten, Staatsausgaben werden von der Bourgeoisie weniger als Rettungsanker und Heilsbringer betrachtet, vielmehr stöhnt sie in zunehmendem Maße über die damit einhergehenden Belastungen. Der Staat erscheint ihr wie ein notwendiges Übel, das sie zu tragen hat. Zusätzliche Staatsausgaben für Polizei und Armee zur Verteidigung der Beute der Bourgeoisie, und Ausgaben für Bildung, für soziale Dienstleistungen, die notwendig sind, um die Menschen ruhig zu halten etc. bedeuten weniger Geld in den Taschen der Kapitalisten. Seit dem Krieg hat es im Verhältnis zum Gesamteinkommen und zum Anstieg des gesellschaftlichen Reichtums in realen Zahlen einen Rückgang bei den Ausgaben für jene Dienste gegeben, die indirekt den Bedürfnissen der Wirtschaft dienen, wohingegen der Anteil für Rüstungsausgaben enorm zugenommen hat. Die Times Review of Industry vom Dezember 1959 kommentierte dazu: „Der kumulative Effekt der Unterinvestition in ‚nichtindustrielle’ öffentliche Bereiche führt wahrscheinlich zu gröberen wirtschaftlichen und sozialen Problemen.“
Im World Survey der Vereinten Nationen finden wir eine Erklärung für die Rezession von 1957/58, die mit den theoretischen Ansätzen des Marxismus übereinstimmt: „Es stimmen nun praktisch alle darin überein, dass der bedeutende Aufbau von Überkapazitäten in der britischen und der US-amerikanischen Wirtschaft in den Jahren 1955-57 ein wesentlicher Faktor war, der 1957/58 zur Rezession führte.“ Inzwischen kommt außerdem der erste Rausch der kapitalistischen Nachkriegsexpansion an sein Ende:
„Im Gegensatz zur weitverbreiteten Illusion über das Ausmaß des Booms von 1955-57 – zum Teil genährt durch die Angst vor Inflation – war das tatsächliche Ausmaß der Expansion recht bescheiden. In den USA überschritt das Volumen industrieller Produktion sogar im Spitzenquartal 1957 den Höhepunkt vor der Rezession 1953 um nicht mehr als 6% und am Tiefpunkt der Rezession von 1957/58 lag das Volumen nur drei oder vier Prozent über dem des Vergleichszeitraums von 1951 – volle sieben Jahre zuvor… Obwohl die Wachstumsrate durchschnittlich in anderen Industrieländern, v.a. in Frankreich, Italien, der Bundesrepublik Deutschland und Japan, höher war, war sie besonders im Vereinigten Königreich recht bescheiden.“
Die „Überkapazitäten“ der britischen Industrie sind ein Symptom für die Überproduktion von Kapital und die Grenzen des Marktes. Wir erlebten bereits eine Reihe kleinerer Krisen, die in letzter Zeit an unterschiedlichen punkten verschiedene Bereiche der Wirtschaft betroffen haben: „Überkapazitäten“ von Kapital, Überproduktion von Industrie- und Konsumgütern, von Rohmaterialien, Lebensmitteln usw. usf.. Erst die simultane Verkettung aller Krisenfaktoren führte zu der verheerenden Depression von 1929-33. Allmählich beginnen die Verhältnisse, die in den 1920ern in einer ganzen Reihe von Wirtschaftsbereichen wirksam waren, im gegenwärtigen Wirtschaftsverlauf erneut ähnliche Ausmaße anzunehmen. Schritt für Schritt erwiesen sich die Annahmen der bürgerlichen Wirtschaftsexperten der Vereinten Nationen und der Bourgeoisie insgesamt als falsch. Der industriegetriebene Aufschwung im Westen ergab im Gegenzug eine Nachfrage nach Rohstoffen und Nahrungsmitteln (Primärprodukten), was in den „Entwicklungsländern“ zu einem Produktionsanstieg führte. Der Boom bei der Produktion von Mineralien u.ä. führte zu einem Preisanstieg dieser Produkte (der Markt dominiert noch immer auf nationaler Ebene und international) und zu einer günstigeren terms of trade. Doch im Gegenzug führte das entsprechend der kapitalistischen Logik zu einer „Überproduktion“ und in der Folge zu einem Preisverfall. Der Preisverfall bei Primärprodukten betrug in der Rezession von 1957/58 zwischen 7 und 8% – das entspricht der Summe von 6 Jahren verliehenem Geld an Entwicklungsgebiete (zu den 1956-7 gültigen Zinsraten der International Bank for Reconstruction and Degelopment).
Laut dem Survey der Vereinten Nationen „scheinen die terms of trade in den späten 1950ern dieselben wie in den späten 1920ern zu sein“. Die Vorstellung, eine Lösung der Probleme des Kapitalismus könnte in der wirtschaftlichen Entwicklung bisher noch nicht entwickelter Regionen liegen, war in der jüngsten Vergangenheit sehr weit verbreitet. Es stimmt, dass ein großer Anstieg bei den Kapitalausgaben das Problem für eine kurze Periode lindern wird, doch zu einem späteren Zeitpunkt wird es das Problem dann nur verschlimmern. Es müssen jedenfalls die Grenzen für eine derartige Entwicklung innerhalb des Kapitalismus gesehen werden. Die Vereinten Nationen räumen ein:
„Es kann nicht gesagt werden, dass das gegenwärtige Ausmaß internationaler Hilfe ein vernachlässigbarer Beitrag zur Entwicklung der ärmeren Länder ist; im Gesamten gleicht sie den Rückgang des Anteils des privaten ausländischen Kapitals im Verhältnis zu den Exporten der Primärprodukte seit den 1920ern aber nur aus [gleicht sie nur aus! –TG]. Es muss aber nur festgestellt werden, dass die Ausgaben für Entwicklungshilfe nur 5 $ pro Jahr pro Kopf der Geberländer beträgt und nicht mehr als 2 $ pro Jahr pro Kopf der Länder, die Entwicklungshilfe beziehen, um zu sehen, wie grob unzureichend die Summe ist, um einen signifikanten Durchbruch in der wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglich.“
Aus diesen Zahlen erklärt sich auch die unruhige Lage in der kolonialen Welt. Der Kapitalismus droht an seinem schwächsten Glied zu zerbrechen. Das erklärt den Kurswechsel in der Politik des Imperialismus. Das wird zu einem späteren Zeitpunkt immense politische und wirtschaftliche Folgen haben.
Die Kluft zwischen den „Entwicklungsländern“ und den kapitalistischen Zentren hinsichtlich Wirtschaftswachstum und -expansionsrate wird immer größer. Aufgrund des Bevölkerungswachstums in den Kolonien und den ex-kolonialen Ländern hat sich dieses Missverhältnis noch mehr verschärft. Zwischen 1938 und 1955/57 gab es einen beachtlichen Anstieg beim Output von Nahrungsmitteln und Rohstoffen, doch der betrug nur zwei Fünftel der Outputsteigerung bei Industriewaren.
Das wiederum verschärfte die Kluft zwischen den nicht so entwickelten Regionen und den kapitalistischen Zentren. Zwar konnten die „Entwicklungsländer“ ihre Industrieproduktion steigern, doch der Abstand zu den Industrieländern ist aufgrund der dort noch massiveren Produktionssteigerungen seit dem Krieg noch größer geworden. Gleichzeitig bedeutet die Bevölkerungsentwicklung in den sogenannten „Entwicklungsländern“, dass das absolute Niveau des Lebensstandards, das in den industrialisierten Ländern im Steigen begriffen ist, dort sogar sinkt, weil der Anstieg bei den Lebenserhaltungskosten mit dem Anstieg der Industrieproduktion – wenn überhaupt – kaum Schritt halten kann.
Die Bourgeoisie hatte geglaubt, dass die Probleme in den Beziehungen zwischen den Rohstoff produzierenden Ländern und den Industrieländern gelöst wären durch den Preisanstieg bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln, den es in der Zeit der Versorgungsengpässe nach dem Krieg gab. Die Bourgeoisie zeigte sich sogar besorgt darüber, dass sich die terms of trade dauerhaft zum Nachteil der Industrieländer entwickeln könnten, wie man an zahlreichen Schriften der Ökonomen der Vereinten Nationen sieht.
Womit sie jedoch nicht rechneten, war die Überproduktion, die unvermeidlich auf die Engpässe folgen musste. Entsprechend der Nachfrage wurden riesige Investitionen in die Förderung von Kupfer, Blei, Zinn, in den Anbau von Baumwolle usw. getätigt, die in Folge zu einem Überschuss in der Produktion und zu Überproduktion führten.
Der Welthandel ist in der kapitalistischen Welt im Vergleich zu 1929 nicht absolut, aber im Verhältnis zurückgegangen. Das heißt, dass sich auf dem Weltmarkt die Krise des Kapitalismus über eine gewisse Zeit verschärfen wird. Die einzelnen kapitalistischen Mächte werden keinen anderen Ausweg zur Überwindung der nationalen Widersprüche finden, als sich auf dem Weltmarkt auf Kosten anderer durchzusetzen. Der gesamte Handel der Rohstoff produzierenden Länder hat im Vergleich zu den Industrieländern nur um ein Drittel zugenommen. Wenn wir den Handel mit Erdöl, der hauptsächlich von den Ländern im Mittleren Osten getätigt wird, davon abziehen, beträgt der Anstieg überhaupt nur ein Siebtel.
Ein mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vergleichbares Phänomen ist der relative Abstieg Amerikas unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Produktionsanstieg bis 1957 betrug 14% in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu 32% in Westeuropa. In den fünf Jahren von Anfang 1953 bis Ende 1957 nahm die industrielle Produktion in Westeuropa um 40% zu. In Amerika wurde von Mitte 1954 bis Mitte 1957 nur ein halb so großer Anstieg von 20% verzeichnet. In Großbritannien belief sich der Anstieg zwischen dem Konjunkturhöhepunkt 1953 und jenem 1957 auf nur 6%. „Die wichtigsten Gründe (für den Rückgang der Produktion): sinkende Investitionen in Anlagen, besonders bei Geschäftsinvestitionen.“
Zur Situation in Großbritannien führt der World Economic Survey der Vereinten Nationen folgendes aus: „Das Vereinigte Königreich stagnierte von Ende 1955 bis jetzt, mit kleineren Aufs und Abs. Die industrielle Produktion in diesem Land ging im Verlauf des Jahres 1956 unter das Niveau der letzten Monate des Jahres 1955 zurück und ging bis Ende 1958 auch nicht mehr darüber hinaus.“
Zur Erklärung des wirtschaftlichen Einbruchs in Westeuropa und Japan steht da:
„Die bestimmenden Faktoren in der jüngsten Wirtschaftsentwicklung Westeuropas und Japans waren die niedrigen Investitionen in Anlagen und die schwache Exportnachfrage. Im Gesamten trugen die Veränderungen bei den Staatsausgaben nichts zum vorangegangenen Aufschwung bei und sie beeinflussten auch nicht die Entwicklungen im Jahre 1958.“
In seiner Analyse der kapitalistischen und v.a. der US-amerikanischen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg betont Fellner richtigerweise:
„Tatsächlich ist der Zeitraum, in dem die Wirtschaft beachtliche Widerstandskraft gegen Abwärtstendenzen gezeigt hat, lang genug, um daraus schließen zu können, dass von den (hier aufgelisteten) ‚künstlichen‘ Wirtschaftsanreizen nur die hohen Militärausgaben für die Gesamtwirtschaft dauerhaft von Relevanz waren… Auch die Tatsache, dass die Rezession von 1948/49 sehr mild ausgefallen war, kann kaum auf die Militärausgaben und die Auslandshilfe zurückgeführt werden, denn die Rezession und der Beginn der Erholung fallen in die Zeitspanne, in der die Rüstungsausgaben allmählich wieder zurückgefahren wurden. Die gesteigerten Militärausgaben im Zuge des Koreakrieges kamen wiederum erst später.“
„In die Zeitspanne 1947-50, in der die Rezession und die anfängliche Erholung fiel, lagen die Regierungsausgaben bedeutend höher in Relation zum Nationaleinkommen als in den 1920ern (die Rüstungsausgaben waren um ein Vielfaches höher), doch zumeist niedriger als in den Jahren der Depression in den 1930ern und die Steuerstruktur ist sehr viel rigider geworden.“
Ein ähnlicher Prozess war in der Rezession von 1957/58 zu sehen. Es waren nicht die Staatsausgaben, sondern die Wirtschaftsentwicklung selbst, die die Wirtschaft in Westeuropa, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern aus der Rezession geholt hat, d.h. die „automatischen“ Wirkweisen der Wirtschaft selbst. Tatsächlich waren die Bürgerlichen, die Ökonomen der Vereinten Nationen und seriöse Ökonomen in Großbritannien und Amerika positiv überrascht, wie kurz die Rezession von 1958/59 nur andauerte. Auf die Rezession folgte ein typischer kapitalistischer Boom, in dem die Produktion in Großbritannien, Westeuropa, Japan und den Vereinigten Staaten einen großen Sprung machte.
Als Kommentar zu den aktuellen Behauptungen, man habe das Problem konstanten Wachstums gelöst, schreibt Oscar Hobson in der Februarausgabe des Banker: „Das erinnert an die Schatten von 1929, als das Problem des fortwährenden Dauerboom-Preisniveaus fast überall als gelöst erklärt wurde.“
Die bürgerlichen Ökonomen verstehen sehr genau, dass Investitionen der Schlüssel für Wirtschaftsaufschwung sind. Auf Seite 179 des World Economic Survey (1959) schreibt dazu ein Experte der Vereinten Nationen:
„Der Wirtschaftsaufschwung basierte v.a. auf großflächigen Investitionen in Anlagegüter und einem rasanten Wachstum bei den Ausgaben privater Haushalte für Autos und andere langlebige Gebrauchsgüter. Im Unterschied zum Korea-Boom spielten die steigenden Staatsausgaben keine Rolle. Im Gegenteil, das Zurückfahren der Staatsausgaben nach dem Ende des Koreakonflikts machte wieder Ressourcen für den privaten Sektor frei. In einigen Ländern waren es mehr die Exporte als die Inlandsnachfrage, welche die Wirtschaft wieder ankurbelten.“
In der Financial Times sagt der „orthodoxe“ frühere Finanzstaatssekretär Enoch Powell MP:
„Dieser Anstieg (der Produktion 1959 in Großbritannien) war fester Bestandteil eines allgemeinen Aufschwungs des Handels, so wie die Handelsflaute davor die Ruhe vor dem Sturm war: beide Entwicklungen waren auch in solchen Ländern spürbar, deren Regierungen behaupteten gegensätzliche Strategien zu verfolgen… die Regierungen haben durch Steuern und Anleihen aus der Bevölkerung ebenso viel aus der Wirtschaft herausgenommen wie sie durch die erhöhten Ausgaben wieder hineingesteckt haben.“
„Das wiederum macht es unwahrscheinlich, dass die Regierung tatsächlich entgegen ihrer Absichten irgendetwas dazu beigetragen hat, ‚die Wirtschaft zu stimulieren’. Der Aufschwung ebenso wie die Rezession sind Folge anderer Kräfte gewesen. Oder, wenn man so will, kann man es auch in den unsterblichen Worten des Stewards zur seekranken Lady sagen: ‚Madam, Sie müssen nichts tun, es erledigt sich von selbst.‘“
„Aus theoretischer Sicht – wenngleich kaum aus irgendeiner anderen – muss das vielleicht bedauert werden. Wieder einmal wurde uns das Privileg verwehrt, eine britische Regierung zu erleben, die in einer Rezession mit orthodoxen keynesianischen Mitteln zurande kommt. Wir wissen einfach immer noch nicht auch nur ansatzweise, was das Ergebnis wäre, wenn angesichts eines fortwährenden Abschwungs eine britische Regierung ebenso fortwährend ihre Ausgaben erhöhte und das durch die Schaffung von Geld über Floating Debt finanzierte. Auf jeden Fall war das im Aufschwung von 1958-60 nicht der Fall.“
Powell argumentiert hier, dass im Rahmen einer Marktwirtschaft der Staat mittels Finanzierung durch Schuldenaufnahme das Problem nicht besser lösen wird als die Rooseveltsche Schuldenfinanzierung vor dem Krieg. Powell ahnt, worin die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaft liegen: was die Regierung in die Wirtschaft „hineinstecken kann“ wird dadurch bestimmt, was sie in Form von Steuern usw. aus ihr herausholen kann. Das gilt, solange es sich um eine Marktwirtschaft auf Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln handelt.
In der Financial Times zeigte sich jüngst ein US-Ökonom in einem Artikel über die Perspektiven der amerikanischen Wirtschaft, wie kann es anders sein, voller Optimismus. Doch selbst er gibt sich zurückhaltend. In Bezug auf die Faktoren, die zum Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft führten, kommentiert er:
„Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die nächste Dekade nicht von einer ernsthaften Depression gestört… Das Wachstum wird sich wohl verlangsamen, und wir sollten mit ein oder zwei kurzen Durchhängern rechnen; aber Schlimmeres erwarten wir nicht. Seit der Depression in den 1930er haben die Amerikaner viel über das Funktionieren ihrer Wirtschaft gelernt… Die Wiederherstellung des Vertrauens in das Funktionieren der Marktwirtschaft war wichtig, um die Konsumausgaben auch während der Rezession stabil zu halten; Arbeitslosengeld und eine verbesserte Vermögenssituation sowie ein leichterer Zugang zu Krediten haben ebenso dazu beigetragen…“
Die zuletzt erwähnten Faktoren können aber die Wirtschaft nicht dauerhaft stabilisieren. Diese Faktoren existieren in Großbritannien schon seit dem Ersten Weltkrieg, was die Funktionsweise der Ökonomie aber nicht grundlegend verändert hat. Doch es gibt sehr wohl Faktoren, die die Wirtschaft auf Kurs halten konnten. Die Ausgaben für Forschung und die Entwicklung neuer Technologien und Produkte belief sich letztes Jahr in den USA auf 12,5 Milliarden Dollar, davon wurden 9 Milliarden Dollar von der Privatindustrie in den Vereinigten Staaten beigesteuert. Den wahren Grund für den langen Aufschwung in den Vereinigten Staaten beschrieb der bereits erwähnte Ökonom folgendermaßen:
„Die Abhängigkeit der Firmen von neuen Produkten, Materialien, Produktionsmethoden für das Überleben und Wachsen in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft macht deren schnellstmögliche Einführung zu einer Notwendigkeit, damit die Profite, mit denen die Forschung finanziert wird, möglichst nicht verloren gehen. Da der technologische Fortschritt für den wirtschaftlichen Aufschwung nicht Halt macht, können neue Investitionen zur Verkürzung und Abmilderung von Rezessionen beitragen.“
Doch solch ein Prozess kann nicht ewig andauern. Keine Firma investiert in neue Technologien und Produkte, wenn der Umsatz dann niedriger ausfällt als zuvor. Wenn die Profite nicht zumindest so hoch sind wie zuvor, gäbe es keinen Grund gutes Geld hineinzustecken. Außerdem wird die Profitrate im Zuge andauernder neuer Investitionen mit der Zeit sinken, was durch den gesteigerten Mehrwert nicht kompensiert werden kann, auch wenn es eine gesteigerte Ausbeutungsrate mit einer gesteigerten Arbeitsproduktivität gibt.
Die Financial Times vom 26. Jänner 1960 berichtet über die Politik der Regierung Eisenhower: „Es scheint klar, dass in den führenden Zirkeln in den USA eine Revolution im Denken stattgefunden hat. Sie mündet in nicht weniger als in der Abkehr von der Keynes’schen Lehre – zumindest dort, wo sie zu wiederkehrender Defizitfinanzierung geführt hat.“ „Das Budget“, so der Korrespondent des Economist in Washington in seinem Bericht über den Standpunkt der Regierung, „sollte nicht nur über den Konjunkturzyklus ausgeglichen sein… es sollte auch einen substanziellen Überschuss aufweisen.“ Bereits angesichts der Rezession von 1958 hatte die republikanische Regierung „aus Angst vor Inflation, die aus dem Ruder zu geraten drohte“, auf die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Budgets bestanden.
Die nächste Rezession droht noch viel schlimmer zu werden als die letzte, und sie wird auch länger andauern. Die New Yorker Börse ist ein Vorbote des kommenden Zusammenbruchs. Die Financial Times vom 30. Jänner 1960 schlägt in ihrem Editorial bereits Alarm:
„Das Verstörende am Verhalten an der Wall Street ist das Gerede über eine neue Rezession… es ist kaum ein Jahr her, als die USA noch an den Auswirkungen der letzten Rezession litten und ein weiterer Abschwung in diesem Jahr wäre unerträglich… auf dieser Seite des Atlantiks stehen die Chancen gut, dass es nicht so schnell zu einem Abschwung kommt.“
Dieselbe Leidensgeschichte erzählt die Times Review of Industry:
„Es ist wohl möglich, dass der voraussichtliche Boom im heurigen Jahr stark genug sein wird, auch 1961 anhalten könnte. Selbst wenn das der Fall ist könnte die Rezession, wenn sie letztendlich eintritt, stärker ausfallen als die milden Konjunkturanpassungen, die die USA seit dem Krieg gewöhnt waren, da der Boom in ungewöhnlichen Umständen in den Nachwehen des Stahlstreiks entstanden ist.“ (Februar 1960)
Die Tinte auf den Wirtschaftsprognosen, die einen neuen Aufschwung voraussagten, war noch nicht einmal richtig getrocknet, als sich die ersten Anzeichen eines weiteren Einbruchs in der Presse ankündigten. Für die Kapitalisten selbst steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass sie den Optimismus von Crosland und Jay hinsichtlich der Stabilität des Kapitalismus teilen würden. Wann ist noch unklar, aber es ist absolut sicher, dass dem beispiellosen Nachkriegsaufschwung eine Periode des katastrophalen Abschwungs folgen muss. Dies wird tiefgreifende Auswirkungen auf das politische Denken in der Arbeiterbewegung haben, deren Reihen im Zuge des Booms enorm gestärkt wurden.