Es herrscht heute viel Verwirrung um die Frage, woher die Frauenunterdrückung kommt und wie man sie überwinden kann. Es lohnt sich, sich die marxistischen Grundlagen in Erinnerung zu rufen. Von Yola Kipcak.
Die Verbannung der Frau in die Haussklaverei im Zuge der geschichtlichen Herausbildung der Klassengesellschaft prägt bis heute das Leben von Frauen in allen Schichten: wirtschaftliche Abhängigkeit, häusliche Gewalt, ideologische Zuschreibungen und Diskriminierung. Es scheint daher naheliegend – und tatsächlich ist das heute das vorherrschende Verständnis – den Kampf um Frauenbefreiung als klassenübergreifendes Anliegen aller Frauen, als „Feminismus“, zu begreifen. Doch der Marxismus versteht, dass diese Herangehensweise falsch ist und dass die Frauenfrage wesentlich eine Klassenfrage ist.
Ganz grundlegend bestimmt die Klassenperspektive, wie die Frauenfrage überhaupt gestellt wird. In einer Rede mit dem Titel „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen“, die die deutsche Revolutionärin Clara Zetkin 1896 auf einem Parteitag der Sozialdemokratie hielt, erklärt sie:
„Es gibt eine Frauenfrage für die Frauen des Proletariats, des Mittelbürgertums und der Intelligenz und der oberen Zehntausend; je nach der Klassenlage dieser Schichten nimmt sie eine andere Gestalt an.“
Für die Frauen der Kapitalistenklasse ist die persönliche Verwirklichung ihrer Individualität und Freiheit davon abhängig, selbst über ihr Eigentum bestimmen zu können. Das Eigentums- und Erbrecht wurden in den zentralen kapitalistischen Ländern seither umgesetzt und diese „Kämpfe“ haben sich heute in die Gerichtssäle verlagert, etwa wenn Milliardärinnen wie Melinda Gates in Scheidungsverfahren erstreiten, selbst Kapitalistin und Ausbeuterin sein zu dürfen. „Diese Frauen kämpfen für die Verwirklichung dieser Forderung gegen die Männerwelt ihrer Klasse“, bringt es Zetkin auf den Punkt. Für die Kapitalistenfrauen ist die Frauenfrage ein Kampf Frau vs. Mann um das Vorrecht, die Arbeiterinnen und Arbeiter ausbeuten zu dürfen. Sie wollen auch einen Teil vom Kuchen, während sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten um die Krümel streiten sollen.
„Wie zeigt sich nun die Frauenfrage in den klein- und mittelbürgerlichen Kreisen und innerhalb der bürgerlichen Intelligenz?“, fragt Zetkin. Die kapitalistische Produktionsweise hat die familiäre Hauswirtschaft aufgelöst und die Frau in eine neue gesellschaftliche Sphäre der Öffentlichkeit geworfen. Das Leben für die Mittelschichten wird teurer, die Familiengründung nicht mehr Grundlage des Lebens, sondern eine Bürde. Hier tun sich Aufstiegschancen in der bürgerlichen Gesellschaft auf, die in der Vergangenheit den Adelsfamilien vorenthalten waren. Die Frauen der bürgerlichen Intelligenz und Mittelschichten kämpfen für ihre individuelle politischen, beruflichen, akademischen Werdegänge. Sie sehen sich mit der sexistischen Ungleichbehandlung und Diskriminierung konfrontiert und wollen eine gleichberechtigte Ausgangsbasis im Konkurrenzkampf.
„Die Verwirklichung dieser Forderung entfesselt einen Interessengegensatz zwischen den Frauen und Männern des Mittelbürgertums und der Intelligenz. Die Konkurrenz der Frauen in den liberalen Berufen ist die treibende Kraft für den Widerstand der Männer gegen die Forderungen der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Es ist die reine Konkurrenzfurcht; alle sonstigen Gründe, die gegen die geistige Frauenarbeit geltend gemacht werden, das kleinere Gehirn der Frau, ihr angeblich natürlicher Beruf als Mutter, sind nur Vorwände.“
Auch hier sehen wir, dass die Verbesserung der Stellung der Mittelschichtsfrau wesentlich in einer Konkurrenz gegen die Männer besteht – aber natürlich auch unter den Frauen selbst, denn wir befinden uns hier in einer hochindividualisierten, kompetitiven Umgebung, in der mit harten Bandagen gekämpft wird.
Die Forderungen dieser Schichten sind heute etwa Quoten für Aufsichtsräte und politische Vertretungsorgane, feministische Inhalte an Universitäten und in Publikationen, sprachliche Reformen – „Inseln der Frauen“ im Meer der Klassengesellschaft, mit entsprechenden Posten, Professuren und Karrierewegen.
In den unteren Teilen dieser Schichten drängt sich die soziale Frage immer wieder auf – etwa in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der ungleichen Bezahlung – doch immer wieder schimmert die Perspektive, diese Probleme als Kampf der Frauen gegen die Männer zu begreifen, durch. Beispielsweise in der Forderung, Männer sollten im Haushalt 50:50 helfen, der Idee, dass Männer einen Teil ihrer höheren Löhne und Pensionen zugunsten ihrer Frauen aufgeben sollen und dergleichen. Diese Perspektive ist eine Sackgasse und kann die Masse der Proletarierinnen nicht begeistern: Wird z.B. eine magere Pension „gerecht” auf die Familienmitglieder aufgeteilt, bleibt immer noch zu wenig für ein würdiges Leben. Besteht die Möglichkeit, dass etwa ein Vater einen besser bezahlten Vollzeitjob findet, wird die Moral des gleichen Anteils an der Hausarbeit von der harten Realität des benötigten Familieneinkommens übertrumpft, usw.
Zetkin ist daher kristallklar in der Frage, ob und wie man mit der kleinbürgerlichen Frauenbewegung zusammen kämpfen könne:
„Genossin Löwenherz meint, wir hätten allen Anlass, mit den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen Hand in Hand zu gehen, weil sie auch manche Forderungen vertreten, die auch wir vertreten. Ich bin anderer Ansicht. [… Es gibt] eine bürgerliche und eine proletarische Frauenbewegung, die nicht mehr Gemeinsames haben als wie die Sozialdemokratie mit der bürgerlichen Gesellschaft. Wir weisen die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nicht etwa deshalb zurück, weil wir das bisschen nicht wollen, sondern weil sie das mehr nicht wollen, was gerade den wesentlichen Inhalt unserer Forderungen ausmacht.“
Und sie warnt: „Wir dürfen uns nicht täuschen lassen durch sozialistische Anläufe in der bürgerlichen Frauenbewegung, die nur so lange auftreten, wie sich die bürgerlichen Frauen als Unterdrückte fühlen.“
Wir sehen diese Herangehensweise der (klein)bürgerlichen Führungen in allen größeren Bewegungen um Frauenrechte in den letzten Jahren. Aus der Perspektive, den eigenen Platz innerhalb des bürgerlichen Staatsapparats, in den Institutionen zu ergattern, fließt auch die entsprechende Methode. Man appelliert an Regierungen und Konzerne, man fordert die Arbeiterklasse auf, Petitionen zu unterzeichnen (wie etwa das Frauenvolksbegehren 2.0 vor einigen Jahren in Österreich) und ruft sie zu Protesten auf die Straße – die dann in legalistische, institutionelle Bahnen gelenkt werden: eine glatte Karriererutsche für einzelne Repräsentantinnen, während die grundlegenden Probleme der arbeitenden Frauen nicht ansatzweise gelöst werden. So schreibt auch Zetkin:
„Wenn die bürgerlichen Frauen Forderungen erheben, tun sie es nicht, um das Proletariat wehrfähiger zu machen für den Befreiungskampf, sondern sie tun es, getrieben von dem bösen Gewissen der Bourgeoisie, um mit ihren Forderungen dem Proletariat den Mund zu stopfen.“
Die proletarische Frau leidet am stärksten unter der Unterdrückung, der wirtschaftlichen Abhängigkeit, der doppelten Belastung von Familie und Arbeit.
Gleichzeitig hat jedoch die Proletarierin als Teil der Arbeiterklasse das Werkzeug, um den Kapitalismus und die Klassengesellschaft – und damit die Grundlage aller Unterdrückung und Ausbeutung – zu überwinden. Anders als die Frauen der bürgerlichen Klassen hat sie kein Eigentum und nicht die Perspektive, ihre Lage in Konkurrenz zu den Männern zu verbessern. Denn für die Arbeiterklasse bedeutet erhöhte Konkurrenz Lohndruck, Verelendung und erhöhte Ausbeutung für die gesamte Klasse. Um eine revolutionäre Perspektive in der Praxis erkämpfen zu können, müssen alle Spaltungslinien innerhalb der Arbeiterklasse beseitigt werden. Das geht aber nur, wenn die Arbeiterklasse bewusst gegen jeden Sexismus, Rassismus und Diskriminierung in den eigenen Reihen ankämpft und bewusst das Banner der Frauenbefreiung erhebt. Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – und ohne die Frau der Arbeiterklasse, kein Sozialismus.
Mit diesem Verständnis richten sich Marxistinnen und Marxisten daher entschlossen gegen alle Strömungen, die die Konkurrenz und Spaltung fördern. Dazu gehört etwa auch die „Intersektionalitätstheorie“, eine Spielart des Feminismus. Diese erkennt die mehrfache Unterdrückungserfahrung von Frauen – zieht daraus jedoch den Schluss, die Konkurrenzverhältnisse ebenfalls zu vermehren: weiße Frau vs. schwarze Frau vs. Transfrau vs. Mann … Und folgt damit letztlich der bürgerlichen Frauenbewegung.
Die Arbeiterklasse kann aufgrund ihrer Stellung in der Produktion die Macht der Kapitalisten brechen: Kein Rad dreht sich, kein Telefon läutet, kein Licht leuchtet, ohne die freundliche Erlaubnis der Arbeiterklasse. Ist diese unglaubliche Macht erst einmal mobilisiert, wird sie keine Kraft der Welt aufhalten!
„Deshalb kann der Befreiungskampf der proletarischen Frau nicht ein Kampf sein wie der der bürgerlichen Frau gegen den Mann ihrer Klasse; umgekehrt, es ist der Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse.
Das Endziel ihres Kampfes ist nicht die freie Konkurrenz mit dem Manne, sondern die Herbeiführung der politischen Herrschaft des Proletariats. Hand in Hand mit dem Manne ihrer Klasse kämpft die proletarische Frau gegen die kapitalistische Gesellschaft.“
(Funke Nr. 211/21.02.2023)
Lesetipp
In unserem Buch Marxismus und Frauenbefreiung (AdV 16) umreissen wir die ersten Schritte, die der Marxismus im Kampf für die Rechte der Frau unternommen hat, die Bedeutung der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution für die Befreiung der Frau, die Lebensbedingungen von Frauen im Kapitalismus, sowohl in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern als auch in der sogenannten Dritten Welt; und schliesslich geben wir Antwort auf die Frage, wie die Frauenunterdrückung endgültig beseitigt werden kann.