Seit 2020 gibt es in Österreich den weltweit ersten Kollektivvertrag für FahrradbotInnen. Ein Überblick über die Errungenschaften und Herausforderungen in der Branche. Von Hannah Ernst.
2017 wurde bei Foodora (heute Mjam) der erste Betriebsrat der Branche in Österreich gegründet. Löhne waren an den Kollektivvertrag der Kleintransporter angepasst, einen Kollektivvertrag der RadbotInnen gab es nicht.
Ein zentrales Problem der Branche liegt bei der Anstellung selbst. Ein großer Teil der BotInnen sind offiziell selbstständig oder freie Dienstnehmer – bei Mjam bspw. waren es 2021 mehr als 90% der etwa 2000 BotInnen, die für das Unternehmen fahren. In der gesamten Branche betrifft es etwa 2/3. Von tatsächlicher Selbständigkeit ist dabei nicht die Rede. Es wird nach erfolgter Auslieferung bezahlt, Einfluss auf die Auftragslage oder ein Anrecht auf Zahlungen bei Krankheit, Unfall oder Arbeitsunfähigkeit haben Rider selbstverständlich keine. Rider tragen damit die Risiken des Geschäfts, während die Unternehmen ihre Profite maximieren.
Um dem einen gemeinsamen Ausdruck zu verleihen, gründete sich das Riders Collective, eine Organisierungs-Kampagne, getragen von Ridern in Zusammenarbeit mit dem ÖGB. 2019 wurde von der VIDA der erste Kollektivvertrag für FahrradbotInnen abgeschlossen, einige Verbesserungen wurden auch 2021 verhandelt, etwa eine Lohnerhöhung um 2,2% – ein kleines Pflaster bei einer Inflationsrate von 2,8% im vergangenen Jahr.
International
Auch international sorgen prekarisierte Branchen mit ihrer neu erwachten Kampfbereitschaft für Aufsehen, zuletzt die ArbeiterInnen bei Amazon in New York, die ihren Standort als ersten der USA gewerkschaftlich organisieren. Die landesweite Streikwelle in der Türkei Anfang des Jahres läuteten ArbeiterInnen der Boten- und Lieferdienst ein. Es ist kein Zufall, dass gerade diese Branchen politischen Aufwind erfahren. Mit der Krise des Kapitalismus werden die Zugeständnisse der Kapitalisten an ihre ArbeiterInnen immer magerer. Die Ausbeutungsbedingungen werden härter, und damit werden neue und oftmals schlecht oder nicht organisierte Teile der Arbeiterklasse in die Konfrontation mit ihren Ausbeutern gezogen, die bereit sind, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und besonders spontane und kämpferische Auseinandersetzungen führen. Die österreichische Arbeiterklasse wird dabei keine Ausnahme sein – die Zeit ist reif für ein Kräftemessen der Klassen.
Klassenkampf vs. Sozialpartnerschaft
Es ist klar, dass radikale Verbesserungen für alle RadbotInnen dringend notwendig sind. Die gewerkschaftliche Organisierung und Vernetzung sind dabei wichtige erste Schritte. Um den Erfolg garantieren zu können, braucht es jedoch die richtigen Methoden und Orientierung.
Dabei dürfen wir nicht naiv werden, und auf ein falsches Vertrauen in sozialpartnerschaftliche Verhandlungen bauen. Im Riders Collective Podcast wird beispielsweise von Adele Siegl, Betriebsrätin bei Mjam, erklärt, dass „wenn wir viele Gewerkschaftsmitglieder sind, dann braucht man eigentlich schon gar nicht mehr demonstrieren vor der Verhandlung“, weil die Sozialpartnerschaft unsere Probleme schon regle. Diese Vertretungslogik hat in der österreichischen Arbeiterbewegung leider lange Tradition, wird einem aber nur allzu bald auf den Kopf fallen. Um sich den immer härteren Bedingungen entgegenstellen zu können, wird es wirkliche Kampfmaßnahmen brauchen. Die Entscheidung, wie, wann, wofür und wie lange ArbeiterInnen bereit sind zu demonstrieren oder zu streiken, können sie nur selbst bestimmen. Wir müssen die großen gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse für unsere Kämpfe nützen und sie stärken. Die Bürokratie dieser Organisationen wird jedoch versuchen, die Auseinandersetzungen in „ungefährliche“, sozialpartnerschaftliche Bahnen zu lenken.
Wir gratulieren den KollegInnen zum Erfolg der vergangenen Jahre! Das Motto muss lauten: eintreten in die Gewerkschaft und reintreten! Machen wir die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen, organisieren wir den Kampf auch in Österreich.
(Funke Nr. 203/22.4.2022)