Wir veröffentlichen hier einen Artikel aus dem Jahr 2000: „Vor 60 Jahren kam es in Österreich zur letzten großen Streikbewegung und zum bisher einzigen Generalstreiksversuch. Da die Ereignisse in ihrem Kern die Zerschlagung einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik markieren, sind sie gerade heute noch von besonderer Wichtigkeit.“
Die Ereignisse des Jahres 1950 werden in der veröffentlichten Meinung immer wieder als jene schicksalsreichen Tage zelebriert, in denen Österreich durch das „besonnene“ Eintreten nicht zuletzt der Gewerkschaften einen Putschversuch der KPÖ abwehren konnte. Derart haltlos ist diese Putschthese jedoch geworden, dass sie nicht nur von allen seriösen Historikern entsorgt wurde, sondern auch in diesem Artikel keine weitere Beachtung finden soll. Schon ein oberflächlicher Blick genügt, um zu sehen, dass es sich beim „Oktoberstreik, um eine tagelange Streikbewegung handelte, die mit dem Bekanntwerden des 4. Lohn-Preis-Abkommens (LPA) als spontane Arbeitsniederlegung ihren Anfang nahm. Dieser Ausbruch von tiefsitzender Unzufriedenheit kam jedoch nicht zufällig zustande. Er war das Resultat von 5 Jahren Nachkriegsentwicklung, welche die materiellen, politischen und ideologischen Hoffnungen der Arbeiterklasse enttäuschte hatte.
1945 – Chance für sozialistischen Neuanfang
Das Ende des Zweiten Weltkrieges führte in vielen Ländern zu einer starken Kräfteverschiebung nach links und in manchen Fällen, in Italien oder Griechenland etwa, zur konkreten Möglichkeit für die Arbeiterbewegung, die Machtfrage zu stellen. Millionen von Menschen verstanden Faschismus und Krieg als direkte Folgen des Kapitalismus. In mehreren Ländern kam es ähnlich wie in Österreich zu militanten Streikbewegungen.
Diese allgemeine Diskreditierung des Kapitalismus war auch in Österreich spürbar: Arbeiter nahmen de facto in Selbstverwaltung die Produktion in den „herrenlosen, Betrieben geflüchteter Nazis wieder auf, die Betriebsräte ließen in den Unternehmen ganz selbstverständlich ihre Machtfülle spüren, selbst die ÖVP forderte 1945 weitgehende Verstaatlichungen.
ÖGB – Verfechter des kapitalistischen Neuanfangs
Allein die dominanten rechten Kräfte in SPÖ und ÖGB hatten anderes im Sinn: Ihr oberstes Ziel war es nun, Einfluss im Staat zu erlangen und in Geheimverhandlungen mit den Vertretern des Kapitals Verbesserungen für ihre Mitglieder zu erzielen. Voraussetzung dafür war nicht nur das Hinnehmen der Grenzen marktwirtschaftlicher Logik, sondern auch eine entsprechende Ideologie: So beschwor der erste ÖGB-Präsident Johann Böhm immer wieder das Interesse der „Gesamtwirtschaft“, vor „Partikularinteressen“, und die „Astgemeinschaft“, aller gesellschaftlichen Gruppen. Die Grundlagen der Gewerkschaftspolitik der Nachkriegszeit wurden hier gelegt: (Geheim-)Verhandlungen mit den Sozialpartnern statt Mobilisierung und aktiver Teilnahme der Arbeiter und keine Umverteilung bei Lohnverhandlungen, sondern nur eine „Abgeltung der Produktivitätsfortschritte“.
Nach diesem Muster sollte eines der größten wirtschaftlichen Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit – die Inflation – durch die sogenannten LPA in den Griff bekommen werden: Während sich Unternehmer- und Bauernseite verpflichteten, die Preise nicht mehr zu erhöhen, stimmte der ÖGB im Gegenzug gemäßigten Lohnerhöhungen zu. In der Realität hielten sich aber viele Unternehmen nicht im Geringsten an diese Vorgaben, die Arbeiter erlitten daher einen steten und herben Verlust ihrer Lebensstandards. In diesem Sinne kann getrost gesagt werden, dass es die Arbeiterklasse war, die in Österreich den Wiederaufbau durch ihren Lohn- und Einkommensverzicht ermöglichte und trug.
Freiwillig war dieser Verzicht allerdings nicht. Bei allen LPA kam es zu Protesten. So nahmen an der Protestbewegung gegen das LPA 1949 bereits über 150.000 Menschen teil. Ironischerweise waren es gerade die Mitglieder der Bau-Holz-Gewerkschaft, die dabei besonders radikal auftraten und dabei zu den gleichen Maßnahmen griffen (Straßen- und Schienenblockaden, Besetzungen usw.) wie die „Kommunistenputscher“, ein Jahr später. Die Verhandlungen zum LPA 1950 gestalteten sich aber besonders schwierig.
Zuerst unterbrochen, dann gebrochen
Mit Bekanntwerden der Inhalte dieses Abkommens kam es ab dem 25.9. zu Arbeitsniederlegungen – in einem Ausmaß, das alle Beteiligte überrascht haben muss. Der Streik nahm seinen Anfang in den in der amerikanischen Zone gelegenen VOEST-Werken in Linz und in den Steyr-Werken. Von dort breitete er sich schnell auf andere Großbetriebe in den genannten Städten und auf die von der Sowjetunion kontrollierten Betriebe des USIA-Konzerns in Niederösterreich und Wien aus. Viele KPÖ-Mitglieder nahmen von Anfang eine führende Rolle in der spontanen Streikbewegung ein. Aber auch viele SPÖ-Gewerkschafter beteiligten sich am Streik.
Obwohl sich die Bewegung schnell ausbreitete, trat die KPÖ schon am 26.9. für eine zwischenzeitliche Beendigung des Streiks und für eine Betriebsrätekonferenz mit dem Ziel ein, die Bewegung auf einer systematischeren Ebene weiterzuführen. Ganz abgesehen davon, dass es immer ein schwerer taktischer Fehler ist, einer Bewegung ihre Dynamik durch eine Unterbrechung zu rauben, spiegelte diese Haltung der KPÖ auch den Druck der Direktoren der USIA-Betriebe wider, denen ein Streik einen Strich durch die Plansollerfüllung machte. Die Unterbrechung zeitigte verheerende Folgen: Während in Niederösterreich der Streik unterbrochen wurde, begann er in der Steiermark erst an „Fahrt, zu gewinnen und in Linz setzten die Arbeiter den Streik mit der Resolution „Streik, bis der Preistreiberpakt fällt“, fort. Darüber hinaus gab die Unterbrechung der SPÖ Zeit, ihre Vertrauensmänner aus den Streikkomitees unter Druck herauszuholen und eine ideologische Konteroffensive zu starten.
Ein Putsch des ÖGB gegen die eigene Basis
Die für den 30.9. anberaumte Betriebsrätekonferenz wurde von ÖGB und SPÖ mit aller Kraft boykottiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits, nicht zuletzt von der AZ, eine hysterische antikommunistische Hetzkampagne begonnen. Vor allem nachdem die Betriebsrätekonferenz der Regierung ein Ultimatum zur Rücknahme der Preiserhöhungen gestellt hatte (widrigenfalls einen Generalstreik ab 4.10. ankündigend), wurde die Putschthese zum Kernstück der Kampagne der Regierung und des ÖGB. Eine Kampagne, die sich nahtlos in die Stimmung des seit Ende der 1940er Jahre verschärften Kalten Krieges fügte.
Der Streik ab dem 4.10. beschränkte sich (mit Ausnahme von Steyr und einigen Betrieben in der Steiermark) fast nur auf die sowjetische Zone. Bei Kundgebungen und Blockadeaktionen kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Streikenden und den Schlägertrupps Franz Olahs, damaliger Vorsitzender der Bau-Holz-Gewerkschaft. Olah, dessen Antikommunismus Züge pathologischer Besessenheit angenommen hatte, rekrutierte für diese Trupps viele ehemalige Nazis, die im Falle eines Berufsverbots vielfach einen Unterschlupf am Bau gefunden hatten. Da sich der Streik nicht weiter ausweiten konnte, war er somit bald zum Scheitern verurteilt. Auch aufgrund des Drucks der USIA-Direktoren wurde der Streik am 6.10. für beendet erklärt. In den folgenden Wochen und Monaten kam es in Betrieben und auch im ÖGB nachhaltig zur Säuberung von linken Arbeitern.
Der Frühherbst 1950 wurde nicht zum Wendepunkt, weil sich die „Demokratie“, einem Putsch entgegenstellte. Vielmehr sind diese Tage deshalb von Bedeutung, weil sich ein ÖGB, der Staat und Kapital nicht mehr gegenübertreten sondern nur noch gegenüber sitzen wollte, den kämpferischen Traditionen der Arbeiterklasse in Österreich entgegenstellen musste – und zwar mit aller Macht. Das Bewusstsein, das im Jahre 1950 nachhaltig ertränkt wurde, ebnete nicht nur den Weg für eine störungsfreie Entwicklung der Sozialpartnerschaft ab den 1950er Jahren, sondern auch dafür, dass die Gewerkschaftsbewegung der heutigen Offensive des Kapitals nichts entgegenzusetzen hat. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass 60 Jahre Entmündigung, fehlende Mitbestimmung und Mobilisierung schon ein Jubiläum zu viel sind.
(Funke Nr. 98/September 2010, überarbeiteter Abdruck eines Artikels aus 2000)