Die Übergriffe der Wiener Polizei am 1. Mai auf eine angemeldete Kundgebung schockierten viele AktivistInnen. Allgemein lässt sich beobachten, dass die Polizeigewalt in Österreich wie auch international zunimmt. Dies zeigt umso klarer, welche Rolle der bürgerliche Staat spielt, argumentiert Felix Bernfeld.
Eigentlich schien es, als würde sich am 1. Mai in Wien ein politisch aufgeladener Tag langsam dem Ende zuneigen. Die verschiedenen Demonstrationszüge hatten sich im Votivpark eingefunden und es kehrte eine gemütliche Picknickstimmung ein, als plötzlich die Situation eskalierte. Das Anbringen eines Transparents an der Votivkirche und ein Provokateur, der sich später als Zivilpolizist herausstellte, reichten der Polizei als Vorwand, um die friedliche Kundgebung zu attackieren. Dabei wurden wahllos Personen niedergestoßen, mit Pfefferspray attackiert und teilweise sogar verhaftet. Die Willkür, mit der die Polizei vorging, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass auch ein Fotograf der „Heute“-Zeitung zu Boden gestoßen wurde und nur deshalb einer Verhaftung entging, weil er sich als Journalist identifizieren konnte.
International ist Polizeigewalt ein immer wichtigeres Thema, wie an der „Black Lives Matter“-Bewegung im vergangenen Jahr oder dem aktuellen Generalstreik in Kolumbien erkennbar ist. In beiden Fällen reagierte der Staatsapparat mit massiver Gewalt. So haben die Polizeikräfte im Zuge der Massenbewegung in Kolumbien bereits mindestens 50 Personen ermordet.
Egal ob in den USA oder Österreich, in der kapitalistischen Krise zeigt sich immer klarer der Charakter des bürgerlichen Staates, der nicht neutral ist, sondern die Aufgabe hat, die kapitalistische Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Polizei existiert, um die Bürger dazu zu zwingen, sich an die Gesetze zu halten. Das Wesen des Kapitalismus – mit Privateigentum, Ausbeutung und der rassistischen und sexistischen Spaltung der Arbeiterklasse – bedeutet, dass die Arbeiterklasse am allerhäufigsten Ziel dieses Zwangs ist.
Während immer mehr Jugendliche auch in Österreich diesen Schluss durch ihre eigenen Erfahrungen ziehen, schüren viele Linke Illusionen in den Staatsapparat. Als Reaktion auf die Polizeigewalt vom 1. Mai stellte Nurten Yilmaz (SPÖ) Forderungen nach Bodycams sowie „unabhängige“ Beschwerde- und Ermittlungsstellen. Außerdem erklärt sie, dass es eigentlich die Rolle der Polizei wäre, Menschenrechte zu schützen.
PolizistInnen agieren aber nicht deshalb gewalttätig, weil sie schlecht geschult sind oder sie nicht gefilmt werden, sondern weil es ihre Aufgabe ist. Jeder Versuch, die Polizei als Unterdrückungsinstrument der Herrschenden einzuschränken, muss schlussendlich scheitern. So werden an Orten mit Bodycam-Pflicht wie Washington D. C. oder Los Angeles, diese regelmäßig nicht einmal aktiviert oder das Videomaterial verstaubt in der Polizeiabteilung. Außerdem können „unabhängige“ Ermittlungsbehörden höchstens Empfehlungen aussprechen, die Gerichtsbarkeit liegt bei demselben Staatsapparat, der auch die repressive Polizei finanziert.
Wir können deshalb nicht die Reformierung der Polizei fordern, sondern ihre Zerschlagung und Abschaffung – und das kann nur im Zuge einer mächtigen, revolutionären Massenbewegung letztlich passieren. Eine solche ist jedoch nicht so weit hergeholt, wie viele vielleicht glauben. Millionen von US-AmerikanerInnen haben im Zuge der BLM-Proteste ebenfalls diesen Schluss gezogen, was markant durch den Demoslogan „No justice, no peace – abolish the police!“ zum Ausdruck gebracht wurde. Gleichzeitig wurde in einigen Städten in Ansätzen auch gezeigt, wodurch der Polizeiapparat ersetzt werden kann: Durch demokratisch gewählte Nachbarschaftskomitees, die im Gegensatz zur Polizei tatsächlich Stadtviertel schützen können – oft vor der Polizei selbst. Nur diese revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft kann die Polizeigewalt beenden.
(Funke Nr. 194/26.5.2021)