Anfangs als Übergangspapst unterschätzt, wird immer klarer, dass der neue Papst alles andere als ein Dünnbrettbohrer ist. Ratzingers Ziel ist kein geringeres, als die totale konservative Neuausrichtung der katholischen Kirche – auf Jahrzehnte hinaus.
Ratzingers Ideenwelt ist die katholische Version der „Fundamentalisierung“ der großen Weltreligionen. Nach dem Aufstieg des baptistischen Hardliners George W. Bush, dem Anwachsen des islamischen Fundamentalismus und des jüdischen Fundamentalismus, hat nun endlich auch die katholische Welt ihren Fundi: Die „Bulldogge Gottes“ wurde Josef Ratzinger von den Medien vielfach genannt.
Ratzinger war unter Johannes Paul II. Chef der Glaubenskongregation, im Apparat des Vatikans die Nachfolgeinstitution der Heiligen Inquisition. Bereits unter Johannes Paul II. war Ratzinger der Ideologe und arbeitete die geistige und politische Linie des Vatikans aus.
Nach dem dümmlich grinsenden und winkenden Schauspieler und Marienmystiker Johannes Paul II. hat nun der Regisseur selbst die Bühne der Geschichte betreten.
Das Werk Ratzingers, unter Johannes Paul II. begonnen, soll nun von Ratzinger selbst vollendet werden. Nicht Ratzinger ist der schwache Abklatsch von Johannes Paul II., wie es vielfach von JournalistInnen missinterpretiert wird: Ratzinger is the real man. Nicht Ratzinger ist der Übergangspapst, sondern Johannes Paul II., der in die Ansätze von Johannes XXIII. einen neuen Konservativismus hineintrug, der aber erst jetzt voll zum Durchbruch kommt.
Ratzinger ist in allem was er tut und in seinem ganzen Auftreten Großinquisitor – ganz nach dem Motto: „Sprich leise und trage einen großen Stock!“. Er ist kein Mystiker, kein Charismatiker, sondern ein intelligenter Theoretiker, der jede neue theologische Linie und die Kritik an jeder nur erdenklich theologischen Verirrung selbst argumentieren kann, vor allem auch deshalb, weil er sie selbst ausgedacht hat. Er ist aber ebenso ein mit allen Wassern gewaschener Taktiker, der ganz genau die praktischen, und politischen Folgen seiner theologischen Wendungen bis ins Detail vorausberechnet. Selbst lächelnd im Bad der Menge hat Ratzinger immer noch etwas Berechnendes. Vielleicht daher der Spitzname: Die Ratte.
Unweigerlich fällt einem der Großinquisitor von Fjodor Dostojewski ein, der im Spanien des 16. Jahrhunderts den wiedererscheinenden Jesus verhaften lässt und ihn dann im Kerker besucht. Auch Ratzinger würde vor so einem Schritt nicht zurückschrecken, wenn sich herausstellen würde, dass Jesus doch ein frühkommunistischer Revolutionär und nicht der abstrakte Sohn Gottes war, – daran besteht kein Zweifel.
nomen est omen
Ratzinger hat alles voraus berechnet. Er hat schon fast 20 Jahre als oberster Theologe des Vatikans Zeit gehabt sich auf sein Amt vorzubereiten. Nur Prinz Charles hatte mehr Zeit.
Er brauchte nicht lange zu überlegen um auf den Namen Benedikt zu kommen. Im Vatikan ist der Name Programm: Der heilige Benedikt von Nursia war der große Pionier der Mönchsbewegung, die Europa christianisierte. Der Name soll vor allem Ausdrücken, dass Europa, das durch den Kommunismus und durch die Kulturrevolution von 1968 vom Glauben abgefallen ist, rechristianisiert werden müsse. Der Name Benedikt ist der Kampfschrei der Rechristianisierung Europas. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, dass Ratzinger mit Rechristianisierung vor allem die Rechristianisierung der katholischen Kirche selbst im Auge hat. Denn Ratzinger ist der Meinung, dass die vielen „Taufscheinchristen“ in Wirklichkeit keine Christen seien. Die katholische Kirche müsse sich reinigen, zu ihren Fundamenten zurückkehren, die Verwässerung und Verweltlichung, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat, müsse rückgängig gemacht werden. Auch wenn das bedeutet Mitglieder zu verlieren, Mitglieder, die sowieso nur auf dem Papier Christen wären. Das bedeutet der Name Benedikt. Wenn sich ein Papst einen Namen gibt, dann bedeutet es immer auch, dass er vorhat, das Werk des letzten Namensvetter in der Reihe der Päpste fortsetzen, etwas von dessen Linie aufgreifen zu wollen. Es lohnt sich daher Benedikt XV. unter die Lupe zu nehmen.
Benedikt XV: der Papst des Krieges, der Revolution und der Konterrevolution
Benedikt der XV., der Vorgänger von Benedikt XVI., der zwischen 1914 und 1922 Papst war, also in einer Zeit des Krieges, der Revolutionen und der Konterrevolutionen, entwickelte zuerst den Gedanken von der notwendigen Rechristianisierung des Abendlandes. Er rief unter anderem zu einem Kreuzzug gegen die russische Revolution auf, der tatsächlich zum blutigen Überfall des klerikalen Polens auf die junge Sowjetrepublik führte.
Benedikt XV. bezeichnete den theologischen Modernismus als „verderbliche Seuche“ und wandte sich zudem gegen jede Form der Demokratie. Er rief die Völker dazu auf, die herrschende politische Macht zu respektieren. Benedikt sah in dem Abfall vom Christentum, die Ursache für die großen Übeln: Krieg, Revolution, Sozialismus, Demokratie und machte eben das verantwortlich für den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft.
Interessant ist auch, dass Benedikt den Untergang der Zivilisation als nahe betrachtete.
Benedikt war der Papst eines Zeitalters der Instabilität, eines Zeitalters, dass von Kriegen, Krisen, Wirren, Revolutionen, und Konterrevolutionen geprägt war.
Auch heute befinden wir uns wieder in so einem Zeitalter. Irakkrieg, Afghanistankrieg, Hunger und Seuchen in der Dritten Welt, wirtschaftliche Instabilität, Rückkehr von Armut, Massenarbeitslosigkeit und Elend in den Industrieländern, Revolutionen in Lateinamerika und die Religion ist überall in der Krise, wo sie nicht fundamentalistisch ist. Leben wir nicht in einer Zeit, wie geschaffen für einen neuen Benedikt, einen Benedikt XVI.? Der Untergang ist in allen Poren der Gesellschaft spürbar. Aber Halt! Es ist nicht der Untergang der Zivilisation, es ist der Untergang der kapitalistischen Barbarei.
Benedikt XVI: Papst einer neuen Welt(un)ordnung
Benedikt geht immer wieder auf die allgegenwärtige Krise des Kapitalismus ein. Er schreibt in seinem letzten Buch „Jesus von Nazareth“ beispielsweise:
„Angesichts der Grausamkeiten eines Kapitalismus, der den Menschen zur Ware degradiert, verstehen wir wieder neu, was Jesus mit der Warnung vor dem Reichtum, vor den Menschen zerstörenden Gottheit Mammon meinte, der große Teile der Welt im Würgegriff hält.“
Oder er spricht von der Welt als „der Wüste der Armut, der Wüste des Hungers und des Durstes, der Wüste der Verlassenheit, der Einsamkeit, der zerstörten Liebe.“
Aber der einzig zulässige Ausweg aus dem irdischen Jammertal ist laut Ratzinger Christus der Erlöser, das Heil der Seele. Das körperliche Heil der Menschen ist Nichts, Der irdische Kampf für die Besserstellung der Menschen ist Nichts, das Seelenheil ist Alles.
Bei seinem Brasilienbesuch sprach der Papst davon, dass die Indios die Missionierung sehnsüchtig im Stillen erwartet haben und dass ihnen die Missionierung Erlösung brachte. Diese Sichtweise ist angesichts des Völkermordes, der im Zuge der Missionierung an Millionen Indios verübt wurde, menschenverachtend.
Diese Sichtweise geht aber logisch aus der Theologie von Ratzinger hervor. Was sind Millionen heidnischer Menschen, die nur aus Fleisch und Blut bestehen, gegen das Seelenheil der anderen Millionen Menschen, das durch die Missionierung gerettet werden konnten.
Ratzinger weis, dass er mit seinem Schwenk der Kirche in Richtung Fundamentalismus durchaus dem Zeitgeist einer Welt entspricht, die mehr und mehr von sozialer Polarisierung, Instabilität und Krisenanfälligkeit geprägt ist.
„Der Absturz ins Nichts“
In seinem Jugendwerk „Einführung in das Christentum“ beschäftigt sich Ratzinger mit einem drohenden Absturz des Glaubens in den Nihilismus.
Ratzinger liebt es, gegen die Diktatur des Relativismus zu wettern. Wenn er vom Verfall der Sitten, vom Sinnverlust und vom Werteverfall spricht, so trifft er hier wieder ein wichtiges Merkmal der kapitalistischen Krise, die eben auch eine Krise der menschlichen Beziehungen ist. Er meint aber mit Relativismus nicht nur den Nihilismus und den Skeptiszismus der zeitgeistigen Postmoderne, dem auch wir MarxistInnen kritisch gegenüberstehen. Ratzinger meint mit Relativismus jedwede ideologische Strömung, die das jüngste Gericht ablehnt. Der Mensch müsse durch die Angst vor dem jüngsten Gericht und vor Gott im Zaum gehalten werden, ansonsten würde er zur Bestie verkommen. Mit diesem Denkmodell versucht Benedikt auch die Grausamkeiten des Kapitalismus, die steigende Instabilität, Kriege und Terrorismus zu erklären. Das Problem dabei ist nur, dass gerade die momentanen Kriege und Terroranschläge von Leuten angeordnet werden, die an das jüngste Gericht glauben.
Ratzinger meint mit dem Begriff Relativismus in Wirklichkeit den Humanismus, der den Menschen selbst an Stelle von Gott in den Mittelpunkt stellt.
Dass die Theologie Ratzingers antihumanistisch ist, zeigt besonders seine Ansicht, dass Jesus der „wahre Mensch“ sei. Hier wird deutlich, dass er den körperlichen Menschen aus Fleisch und Blut für den unwahren Menschen hält. Allein durch Christus könne man zum wahren Menschen werden. Er spricht auf diese Weise dem wirklichen Menschen sein Menschsein ab. Eine durch und durch antihumane, fundamentalistische Sichtweise, mit der sich jede Gräueltat, wie beispielsweise die Missionierung Lateinamerikas rechtfertigen lässt.
„Der Satan greift die Kirche von innen und außen an“
Diese Aussage des Salzburger Altbischofs zur Situation der Kirche rund um die Affäre Krenn deckt sich auch mit dem Denken von Papst Benedikt XVI. Benedikt hat bisher zwei Werke verfasst: Die Enzyklika „Gott ist die Liebe“ und das Buch „Jesus von Nazareth“.
Wie beim Großinquisitor üblich versteckt sich hinter diesen harmlosen Titeln ein knallharter
gegen den inneren Feind der katholischen Kirche.
Bei „Gott ist die Liebe“ geht es darum den katholischen Gott als den einzigen darzustellen, der Gott der Liebe sei, im Gegensatz zum Gott der Gewalt der Moslems, der ProtestantInnen und der Juden und Jüdinnen. Zudem sei auch der Gott der KatholikInnen, und das wird in der Regensburger Rede 2006 verdeutlicht, der einzige, der mit der westlichen Idee der Vernunft vereinbar sei.
Speziell der Islam sei gänzlich unvereinbar mit Vernunft. Der islamische Gott sei willkürlich und unvernünftig. Indem Ratzinger diese Aussagen gerade im Zusammenhang mit den Mohamedkarikaturen und mit der ungeheuren Spannungen im Nahen Osten trifft, heizte er den Kampf der Kulturen an. Kein Staatsoberhaupt kann so schlecht beraten sein, das nicht zu wissen. Ein Kind von fünf Jahren weiß, dass heute ein Oberhaupt einer Weltreligion die andere Religion nicht als unterlegen und primitiv beleidigen darf, wenn Frieden zwischen den Religionen sein soll.
„Jesus von Nazareth“ richtet sich gegen alle TheologInnen, die sich nicht rein auf das Jenseits und auf das Seelenheil konzentrieren, sondern auch eine Veränderung des Diesseits wünschen.
Ratzinger wirft den Befreiungstheologen vor den „Sinn der Armut“ nicht zu verstehen. Sinn der Armut sei es alleine selig im Geiste zu werden, und dass ihnen das Himmelreich gehören solle.
Als Humanist fragt man sich wie man überhaupt der Armut einen Sinn zuschreiben kann und was für ein krankes Denken hinter dieser Philosophie stecken muss. Sinnvoll ist nicht die Armut, sondern die Befreiung aus der Armut und zwar im Hier und Jetzt.
Im Buch „Jesus von Nazareth schreibt Ratzinger: „Bibelauslegung kann in der Tat zum Instrument des Antichrist werden“
Das ist eine Kampfansage an alle GegnerInnen, die dem Großinquisitor würdig ist.
Wenn JournalistInnen Ratzinger dafür loben, dass er alle TheologInnen zur Kritik aufgefordert hat, so vergessen sie, dass er ihnen gleichzeitig droht, eben
damit zum Instrument des Antichrist zu werden.
Bush und Ratzinger: Brüder im Geiste
Ratzinger und sein Kreis sprechen immer wieder voller Bewunderung über das Christentum in der USA. Die USA wird als Vorbild gesehen wie Rechristianisierung in einer modernen Hochtechnologiegesellschaft erfolgreich funktionieren kann. Der Lobbyismus der Christian Society der BaptistInnen und Evangelikalen in Medien und Wissenschaft mit einer Armee von FernsehpredigerInnen und fundamentalistischen PseudowissenschaftlerInnen wird beneidet.
Selbstverständlich ist der Protestantismus ein Konkurrent der katholischen Kirche. Gegen den drohenden Absturz ins Nichts ist aber jeder Fundamentalist ein Verbündeter. Der Kampf der Kulturen ist genau das was Ratzinger will. Denn im Kampf der Kulturen heben sich die Unterschiede hervor und die Menschen rücken angstvoll enger zusammen rund um ihre Kultur, ihre Identität, ihre Religion, kurz rund um ihre Kirche. Ist eben das nicht vielleicht die einzige Rettung für die katholische Kirche.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Ratzinger direkt mitgeholfen hat Bush zum zweiten Mal zum Präsidenten zu machen. Er hat als Chef der Glaubenskongregation mitten im US Präsidentschaftswahlkampf einen Hirtenbrief an alle Bischöfe geschickt, dass den Befürwortern des Rechtes auf Abtreibung die Kommunion verwärt werden müsse.
Damit wurden viele Katholiken, die sonst eher Demokraten wählten, ins Lager von George W Bush getrieben. Ein derartiger Eingriff der Kirche in die Politik, der angesichts des knappen Ergebnis durchaus als Wahlentscheidend bewertet werden kann, ist in den USA noch nie vorgekommen.
Ratzinger und der Marxismus
Es gibt nichts, was Ratzinger so hasst wie den Marxismus. So rief er auch in Lateinamerika dazu auf, sich vor der Gefahr des Marxismus zu hüten, der besonders in Venezuela und Bolivien sein Unwesen treibe.
20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, als die ganze Medienöffentlichkeit hinausposaunte: der Marxismus ist tot, der Klassenkampf ist tot, der Sozialismus ist tot, warnt das Oberhaupt einer Weltreligion wieder vor der Gefahr des Marxismus.
Der Marxismus ist wirklich die größte Gefahr für Ratzinger, weil er einen Ausweg aus der kapitalistischen Misere, aus der „Wüste des Hungers und des Durstes, der Verlassenheit und der zerstörten Liebe“ im Dieseits anbietet: Eine Gesellschaft in der der Mensch selbst wieder Herr über seine sozialen und ökonomischen Beziehungen ist, in der er aufhört Ware zu sein, und wahrer Mensch sein kann: Eine demokratische Wirtschaft in der für Bedürfnisse und nicht für Profite produziert wird. Wir nennen diese Vision den Sozialismus des 21 Jahrhunderts. In Lateinamerika hat diese Idee bereits Millionen von AnhängerInnen.
Die Vision das Paradies auf Erden wiederzuerringen war seit jeher die größte Bedrohung für all jene die auf ein Leben nach dem Tod vertrösten.
Josef Falkinger jun.
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