Nobelpreisträger beweist Marxismus
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Die Verzerrung der Wissenschaft war immer schon eine Waffe der Herrschenden gegen den Marxismus. Doch die sich immer vertiefende Erkenntnis der Natur bestätigen diesen. Von Lukas Frank.
Die Herrschenden proklamieren ihr Regime immer als ewig und letztendlich. Ihr Schlachtruf ist: Veränderung gibt es nicht, maximal oberflächliche Reformen. Wenn es doch zu Revolutionen kommt, dann durch „äußere Provokateure“. Sie hassen den Marxismus und seine Philosophie, den dialektischen Materialismus. Denn dieser erklärt, dass nur die Veränderung ewig ist und es aus den Widersprüchen der Dinge selbst unweigerlich zu Revolutionen kommen muss.
Obwohl die Naturwissenschaft allzu oft von den Herrschenden missbraucht wird, um ihre Ideologie zu rechtfertigen und den Marxismus zu „widerlegen“, bestätigen die wissenschaftlichen Erkenntnisse diesen ununterbrochen. Das zeigt Chemie-Nobelpreisträger Ilya Prigogine in seinem Buch „Dialog mit der Natur“. Er war Teil einer Generation an Wissenschaftlern nach dem Zweiten Weltkrieg, die v.a. auf dem Gebiet der Chaostheorie für einen neuen Zugang der Wissenschaft zur Natur kämpften.
Prigogine beginnt sein Buch mit Newtons Mechanik im 18. Jahrhundert. Dinge werden aus ihrem Gesamtzusammenhang isoliert, um ein klares Ursache – Wirkungsverhältnis herzustellen. z.B. die Erde bewegt sich, weil sie von der Sonne angezogen wird. Wenn sich Dinge bewegen, dann weil sie von einem anderen Ding in Bewegung gesetzt werden. Alles besteht aus identen kleinsten Teilchen, die sich anhand grundlegender Gesetze auf ewig vorherbestimmten Flugbahnen bewegen, die sich errechnen lassen.
Ein riesiger Fortschritt: kein Geheimnis der Natur sollte der Kraft des menschlichen Gedankens widerstehen können. Gleichzeitig war es einseitig. Denn fundamental ist die allseitige Wechselwirkung, in komplexen Situationen wird die Ursache zu Wirkung und wieder umgekehrt. Die Erde wird nicht nur von der Sonne, sondern genauso von allen anderen Planeten beeinflusst und andersrum. Weiters wird das Gesetz verabsolutiert und seine notwendige Ergänzung der Zufall ausgeschlossen. Die Vielfalt und Veränderung alles Seins werden damit zur Illusion erklärt. Alles ist auf ewig vorherbestimmt und setzt sich aus gleichen Bausteinen zusammen.
Zwar war diese Weltanschauung für andere Wissenschaften wie Chemie und Medizin wenig nützlich. Dennoch wurde sie, wie Prigogine feststellt, zur einzigen wissenschaftlichen Weltanschauung erklärt. Einerseits ließ sie Platz für Gott, denn wenn jedes Objekt nur durch ein anderes in Bewegung gesetzt wird, braucht es jemand der dem Universum den ersten Anstoß gegeben hat. Weiters wurde das materielle Sein zu einer blassen Widerspieglung der ideellen newtonschen Weltformel degradiert, die von Gott geschaffen wurde.
Zugleich war es die natürliche Begründung für die konstitutionelle Monarchie – alle Planeten bewegen sich durch die Macht der königlichen Sonne, die selbst durch ewige Gesetze eingeschränkt ist.
Mit dem Durchbruch der Dampfmaschine in Großbritannien im 19. Jh. trat die Thermodynamik auf die Bühne. Sie betrachtet nicht individuelle Moleküle, sondern beginnt mit den gesamthaften Eigenschaften z.B. eines Gases (Druck, Volumen, Temperatur, Teilchenzahlen) und ihrer gegenseitigen Beeinflussung. Die wichtigste Erkenntnis war, das Streben isolierter Systeme bei einer Störung zu ihrem Gleichgewicht zurückzukehren, bis es keine Veränderung mehr geben kann. Beispielsweise wird sich Deospray gleichmäßig in der Umkleidekabine verteilen, genauso wie die hohe Temperatur des Espressos im Eiscafé. Diese Gesetzmäßigkeit des Gesamtsystems existiert, obwohl die Thermodynamik davon ausgeht, dass sich die Bestandteile z.B. die Moleküle eines Gases, fundamental zufällig bewegen. Genauer gesagt ergibt sich mathematisch das erste aus dem letzten.
Diese Betrachtung des Systems als Ganzes, die Erkenntnis, dass sich Materie ohne Anstoß von außen verändert und die Ergänzung des Gesetzes durch den Zufall sind ein Fortschritt. Doch wieder ist es einseitig: Die Materie kann sich nur Richtung Tod und Verfall entwickeln, aber keine komplexe Differenzierung hervorbringen. Sollte ein zufälliger molekularer Ausreißer dagegenwirken, wird er von einer anderen Molekülbewegung ausgeglichen.
Diese Erkenntnis wurde laut Prigogine, „in einem schwindelerregenden Sprung” vom Maschinenraum auf die ganze Gesellschaft und das Universum ausgedehnt. Der geniale Wissenschaftler Lord Kelvin, ein Begründer der Thermodynamik, zog dies als Gottesbeweis her, denn irgendwer muss der Materie ihre Komplexität gegeben haben. Auf selber Basis „widerlegte” er Darwins Evolutionstheorie, d.h. die spontane Entwicklung von niederem zu höherem Leben. Auch diente sie der Rechtfertigung des britischen Kolonialismus die Welt auszuräubern, denn Rohstoffe und nicht Arbeit sind die Basis von Reichtum, und diese sind begrenzt. Unter dem Schlagwort Kältetod wird auch heute das unausweichliche Ende des Universums „wissenschaftlich“ prophezeit.
Ab da geht Prigogine zu seinen eigenen Forschungen über, den „dissipativen Strukturen“. Auf allen bekannten Ebenen des Universums, von Molekülgemischen über die Erdatmosphäre bis zur Oberfläche von Sternen, gibt es Systeme mit der Fähigkeit, komplexe Strukturen zu entwickeln – z.B. die Erdatmosphäre, die konstant Energie von der Sonne aufnimmt und ins All abgibt und im Zuge dessen Wirbelströme und andere Wetterereignisse hervorbringt.
Ihre Dynamik beschreibt Prigogine allgemein wie folgt: Lange bleibt die Struktur des Systems stabil, trotz zunehmenden Austausches mit seiner Umwelt und verändert sich nicht grundlegend. Jedoch erreicht es irgendwann einen kritischen Zustand. Volatile Schwankungen ergreifen das System, es wird anfällig für zuvor irrelevante äußere Störungen, bis es wieder eine neue, stabile, qualitativ andere Struktur angenommen hat. Die Zukunft des Systems an einem kritischen Zustand ist offen. Welche Strukturen möglich sind, ist vorhersehbar, aber welche es wird, ist zufällig und hängt vom Kampf der Schwankungen ab.
Prigogine respektierte Friedrich Engels naturwissenschaftliche Beiträge, er war jedoch kein Marxist oder Kommunist. Dennoch zieht er bemerkenswerte gesellschaftliche Schlussfolgerungen: Kein gesellschaftliches System ist ewig und Revolutionen sind unausweichlich.
Auch unsere Gesellschaft steuert auf einen kritischen Zustand zu, deren Entwicklungsmöglichkeiten Karl Marx mit wissenschaftlicher Exaktheit als Sozialismus oder Barbarei festgestellt hat. Auf Ebene der Gesellschaft bekommt der Zufall ein neues Element: Das bewusste Handeln von Menschen, die die Gesetzmäßigkeit erkennen und nutzen, um für den Sieg der einen Tendenz über die andere zu kämpfen.
(Funke Nr. 230/22.01.2025)