Als am 19. April 2005 weißer Rauch über dem Vatikan aufstieg, hatte die katholische Kirche einen neuen Papst erhalten. Seither steht Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. an ihrer Spitze. Was sich die Kardinäle bei seiner Wahl gedacht haben, lässt sich unschwer erahnen: Die Kirche braucht einen Oberhirten, der in solch instabilen, bewegten Zeiten das politische Erbe seines Vorgängers, Johannes Paul II., geordnet verwaltet.
Joseph Ratzinger (Jahrgang 1927), ein Spross aus dem erz-katholischen Oberbayern, wurde der religiöse Wahnsinn schon quasi in die Wiege gelegt. Weder die Erfahrungen als Jugendlicher in Priesterseminaren noch seine Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend ließen ihn vom rechten Weg abkommen. Zielstrebig steuerte er den Pfarrersberuf an. Nach dem Krieg studierte er Theologie und fühlte sich vor allem von den Lehren des Kirchenvaters Augustinus sehr angezogen. Ratzinger stellte sich damit in die Tradition einer extrem reaktionären Kirche.
Vorbild Augustinus
So lehnte Augustinus die Vorstellung von einem „Reich Gottes auf Erden“ ab, weil die Aussicht auf fleischliche Genüsse und Schlemmereien in einem irdischen Reich, von einem ernsthaften Einhalten der kirchlichen Gebote abhalten würde. Augustinus Werk vom „Gottesstaat“ postulierte, dass der Mensch nur durch Gehorsam gegenüber der Kirche der Hölle entfliehen könne. Weitere Dogmen aus der Feder von Augustinus sind die Erbsündenlehre, die Vorstellung von einem Fegefeuer und ewigen Höllenqualen. Was natürlich nicht fehlen darf ist ein ausgeprägter Antijudaismus. Seine Aussagen waren später sehr dienlich bei der Rechtfertigung von katholisch motivierten antisemitischen Progromen. Seine politische Bedeutung hatte Augustinus auch durch seinen Kampf gegen Ketzer in der Kirche, welchen die Inquisition zur Legitimation ihrer brutalen Methoden heranzog, und durch seine Rechtfertigung eines „gerechten Krieges“ gegen Barbaren.
Wer solche Ideen anziehend findet, der kann es in der katholischen Kirche natürlich weit bringen. In den 1960ern rund um das Zweite Vatikanische Konzil gehörte Ratzinger angesichts der absoluten Erstarrung der Kirche eher zu jenen, die eine Reform und Modernisierung der Kirche einforderten, um ihren gesellschaftlichen Bedeutungsverlust stoppen zu können. Die radikalen Protestformen der 1968er-Bewegung, die er an der Universität Tübingen hautnah erlebte, ließen ihn jedoch wieder in einem konservativen Weltbild Ruhe und Ordnung suchen. Als Gralshüter des reinen Glaubens stand seiner Karriere nun nichts mehr im Wege.
Das Hirn Wojtilas
Kannte man den neuen Papst aus Deutschland zuvor kaum, so lag dies vor allem daran, dass Ratzinger der Denker hinter dem zumindest in seiner leiblichen Hülle noch vorhandenen Papstes war. Die zentralen Punkte des katholischen Weltbildes bestimmte Ratzinger seit den 1980er Jahren mit, vor allem nachdem er am 25. November 1981 zum Präfekten der Glaubenskongregation gewählt wurde – dem „Think-Tank“ der katholischen Kirche, der einstigen „Heiligen Inquisition“. Radikaler Antikommunismus, verbunden mit einem Kampf gegen die aufkeimende Befreiungstheologie in Lateinamerika und die Verkündung eines konservativen Weltbildes vor allem auch in Bezug auf Sexualmoral und die Stellung der Frau waren die wichtigsten Eckpunkte seines Schaffens als Roms Oberinquisitor.
Frontal gegen den Marxismus
Die Ausgeburt des Bösen ist für Ratzinger – wie kann es anders sein – der Marxismus. Dies machte er wenige Tage vor seiner Wahl in einer Predigt bei einer Messe klar: „Wie vielen Widerstreit der Wellen haben wir in den letzten Jahrzehnten kennen gelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen… Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wellen umher geworfen worden – von einem Extrem ins andere; Vom Marxismus zum Liberalismus, bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus hin zur einem vagen religiösen Mystizismus.“
Dass er hier den Marxismus an erste Stelle setzt und das Christentum, auf diesen Wellen schaukelnd bzw. fast kenternd zeichnet, ist kein Zufall: Ebenso wie sein Vorgänger sieht Papst Benedikt XVI. den Kampf gegen marxistische Ideen als zentral an. Auch bei seiner jüngsten Lateinamerika-Reise warnte er vor der Gefahr des Marxismus, die vor allem in Venezuela und Bolivien aktuell sei.
Dem Marxismus wirft Ratzinger vor, dass er die Armen zum „Klassenkampf“ antreiben will. Dadurch würde aber „der christliche Sinn der Armut pervertiert“ (!).
Er präsentiert sein Gegenmodell: „Wir haben ein anderes Maß: Den Sohn Gottes, den wahren Menschen.“ Aus dieser Sicht ist es dann auch verständlich, warum Ratzinger in diesem Jahr ein Buch über „Gottessohn aus Nazareth“ auf den Markt warf. Ihm geht es dabei um die Deutungshoheit der Kirche über die Rolle von Jesus, in der das Bild eines Revolutionärs natürlich kein Platz haben darf.
Mauern bauen
Der deutsche Kirchenkritiker Horst Herrmann beginnt seine Biographie von Joseph Ratzinger mit dem chinesischen Sprichwort „Wenn der Wind des Wandels weht, dann bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen“. Viel treffender kann man die Absicht der Kardinäle bei der Wahl Ratzingers zum Papst nicht zusammenfassen. Ratzinger, dem starken Mann im Vatikan, traut man am ehesten zu die katholische Kirche in diesen bewegten Zeiten zu führen. In einer Welt voller Instabilität brauche es einen „starken Fels“, der die Dogmen der Kirche zu verteidigen weiß.
Die Sexualmoral von Papst Benedikt XVI.
Wo dieser erzkonservative Kurs besonders deutlich zum Vorschein kommt und mit der Lebensrealität der meisten Menschen kollidiert, ist die Position der Kirche zu Frage der Sexualmoral und der Stellung der Frau.
Den Standpunkt der Kirche in diesen Frage legte Ratzinger bei einer Rede vor VertreterInnen der Europäischen Volkspartei dar: „Was die katholische Kirche betrifft, so gilt ihr Einschreiten in der Öffentlichkeit in der Hauptsache dem Schutz und der Förderung der Würde des Menschen, wobei sie bewusst die Aufmerksamkeit auf nicht verhandelbare Grundsätze lenkt. Unter diesen ragen heute folgende Grundsätze deutlich hervor:
– Schutz des Lebens in allen seinen Phasen, vom ersten Augenblick der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod,
– Anerkennung und Förderung der natürlichen Familienstruktur – als Lebensgemeinschaft eines Mannes mit einer Frau auf der Grundlage der Ehe – und ihre Verteidigung gegen Versuche, gesetzliche Gleichwertigkeit für Lebensgemeinschaften zu erlangen, die sich radikal von ihr unterscheiden, ihr in Wirklichkeit Schaden zufügen und zu ihrer Destabilisierung beitragen, da sie ihren besonderen Charakter und ihre unersetzliche Rolle in der Gesellschaft verwischen.“
Damit untermauert Ratzinger einmal mehr die konservative Sexualmoral der katholischen Kirche und macht klar, dass für Beweglichkeit in dieser Frage kein Interesse besteht. Alle Partnerschaften, die nicht einen Mann und eine Frau unter dem „heiligen“ Schutz der Ehe verbinden, sind „widernatürlich“. Die katholische Kirche sieht es als ihre größte Pflicht an, alle anderen Initiativen im Keim zu ersticken. Das Recht auf Abtreibung wird massiv torpediert.
In Papst Benedikt XVI. hat der christliche Fundamentalismus in der katholischen Kirche einen hochwürdigen Vertreter gefunden. Mit seiner reaktionären Theologie und seinem erzkonservativen Weltbild ist er ein durchaus ernstzunehmender Protagonist der ideologischen Gegenoffensive der Bürgerlichen.