Seit der Schlappe bei den Nationalratswahlen kommt die SPÖ nicht mehr zur Ruhe. Der Wunsch nach Erneuerung ist unüberhörbar. Welche Erneuerung braucht es jetzt wirklich?
Seit dem Wahlabend hat die Parteispitze, allen voran Pamela Rendi-Wagner und Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, mit grenzwertigen Auftritten und einer stümperhaften Intrige gegen Max Lercher, der wie kein anderer öffentlichkeitswirksam der Erneuerung das Wort sprach, immer wieder Öl ins Feuer gegossen und so die Krise der Sozialdemokratie erst richtig befeuert. Eine Lösung derselben ist nicht absehbar.
Der von oben zugestandene „Erneuerungsprozess“ wird nur heiße Luft produzieren. Der vorgelegte Plan (Zukunftslabore, Mitgliederbefragung, Zukunftskongress) dient nur dazu, die Basis zu beschäftigen und ruhigzustellen. Eine wirkliche Erneuerung ist auf diesem Weg undenkbar – und sie ist auch nicht gewünscht.
Warum keine Demokratisierung?
Eine Demokratisierung der Partei, die diesen Namen verdienen würde, kann die Parteispitze unter keinen Umständen dulden. Damit würde ein Unsicherheitsfaktor ins Spiel kommen, der ihrer Perspektive der permanenten Einbindung der Sozialdemokratie in die Staatsgeschäfte und die Sozialpartnerschaft entgegenläuft. Und das ist auch den Bürgerlichen bewusst, die der Leitartikel der „Presse“ (21.10.) gezeigt hat: „Aber Österreich braucht eine Partei der Gewerkschaften und der Linken, die Staatsverantwortung zumindest noch vom Hörensagen kennt. Eine linkspopulistische Alternative, wie sie derzeit von manchen angedacht wird, wäre nicht förderlich für Österreich.“
Eine Urabstimmung über ein Koalitionsabkommen – eine zentrale Forderung für einen Reformparteitag – würde aber eine weitere Plattform ergeben, auf der sich die Unzufriedenheit in Teilen der Basis ausdrücken könnte. Die Wahl des Bundesparteivorsitzes durch die Mitglieder trägt das Risiko mit sich, dass früher oder später ein Austro-Corbyn die bürgerlichen Cliquen an der Parteispitze herausfordert. Aus der Sicht der obersten Parteibürokratie muss dies verhindert werden.
Wir brauchen eine Arbeiterpartei
Das Kapital macht immer mehr Druck auf Konterreformen und Kürzungspolitik, dem die Sozialdemokratie ideologisch und politisch nichts entgegenzusetzen hat. Wo sie Regierungspartei ist, exekutiert sie in den zentralen Fragen (Stabilitätspakt, Ausgabenobergrenzen u.a.) die Pläne der Bürgerlichen.
Trotzdem hält die Sozialdemokratie an ihrer Staatsorientierung fest. Die Regierungsämter, über die sie Wohnen, Bildung, Soziales, Gesundheit usw. (kurz: den Sozialstaat) verwaltet, sind zentral für das politische Projekt der Sozialdemokratie. Christian Deutsch hat das in seinem Satz: „Die Sozialdemokratie ist für jene da, die die Hilfe des Staates brauchen“ trefflich auf den Punkt gebracht. Warum ist das so?
Für die Parteibürokratie selbst gibt es keine Existenz abseits des Staatsapparates. Kontrolle über Ministerien und Budgets, Projektförderungen und damit verbundene Jobs sind ihr Lebenselixier und ermöglichen ihr die eigene Reproduktion. Daher klammert sie sich wie ein Ertrinkender an jeden Strohhalm, der die Perspektive aufrechterhält, ein Teil des Staatsapparates zu sein.
In der Vergangenheit jedoch, in der der Kapitalismus Spielräume für Reformen geboten hat (der viel beschworenen „Ära Kreisky“), waren diese Staatsorientierung auch das Mittel dafür, das Leben von vielen ArbeiterInnen, PensionistInnen und Jugendlichen tatsächlich zu verbessern – mit Wohnungen, einer guten Gesundheitsversorgung, immer besseren Bildungsmöglichkeiten etc. Diese Politik sicherte der Sozialdemokratie daher eine starke Basis in der Arbeiterklasse.
Die Argumentation lautet auch jetzt, dass in Österreich eigentlich eh alles recht gut ist, solange die Sozialdemokratie Wohnen, Bildung, Soziales, Gesundheit usw. verwalten darf. Das widerspricht aber der realen Lebenserfahrung von immer mehr arbeitenden Menschen: hoher Arbeitsdruck, lange Arbeitszeiten, immer weniger Rechte, Probleme mit Pflege und Kinderbetreuung, Zwei-Klassenmedizin. Der Widerspruch zwischen der Schönwetterpolitik der SPÖ und der realen Lebenserfahrung der Menschen ist letztendlich der Grund für die Krise der Sozialdemokratie.
Was wir jedoch brauchen, ist eine Arbeiterpartei, die mit dem Sparzwang bricht, die sich auf die Seite der Beschäftigten und aller Menschen stellt, die auf die öffentlichen Systeme angewiesen sind. Dafür gilt es einen Kampf gegen die Ausgabenobergrenzen zu führt anstatt sich zur ideologischen Verteidigerin der „leeren Kassen“ zu machen.
Eine wirkliche Neuaufstellung setzt daher einen sozialistischen Kurswechsel voraus. Das mag angesichts des Gesamtzustands der SPÖ illusorisch klingen, weshalb sich viele Linke in der Partei darauf beschränken, „realistische“ Veränderungen in kleinen Schritten zu fordern. Angesichts der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus mit all seinen reaktionären Begleiterscheinungen gilt es aber – ganz nach Rosa Luxemburgs Motto „sagen, was ist“ – hier und jetzt die nötige Vorbereitungsarbeit zu leisten, politische Klarheit herzustellen und Kräfte für einen sozialistischen Neuanfang zu sammeln.
Bruch statt „neue Erzählung“
Die fehlende politische Klarheit ist die große Schwäche der Opposition. Kritik am tatsächlichen politischen Kurs der Partei ist in den Aussagen von Max Lercher und seinen MitkämpferInnen rar gesät und schwammig formuliert.
Selbst die aufmüpfigen Jugendorganisationen haben sich in den vergangenen zehn Jahren der Großen Koalition der Anziehungskraft der verführerischen Logik der sozialdemokratischen Beteiligung am Staatsapparat nicht entzogen, was ihr Verhalten als „konstruktive“ innerparteiliche Opposition nachhaltig geformt hat.
Das erklärt auch, warum selbst die kritischen, linken Kräfte in der SPÖ in den Augen der breiten Masse ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem haben. Nicht zuletzt, weil die „Parteirebellen“ (wie Max Lercher als Chef der Beraterfirma Leykam) selbst Teil des Systems sind, das sie parteiintern und öffentlich kritisieren. Wir hingegen sagen, dass ein durchschnittlicher Facharbeiterlohn für Parteijobs und Amtsträger Innen genug ist. Der Rest soll in einen Kampagnenfonds der Arbeiterbewegung fließen. Das wäre ein Zeichen für echte Erneuerung und für die Bereitschaft, die SPÖ wieder zu einer Arbeiterpartei zu machen. Die Glaubwürdigkeit von Julia Herr und damit der gesamten SJ wird nicht zuletzt auch an dieser Frage gemessen werden.
Für Hainfeld – für Sozialismus!
Es führt kein Weg daran vorbei: es braucht einen sozialistischen Neuanfang. Wir unterstützen wir deshalb die Idee einer „Neugründung“, eines „zweiten Hainfelds“. Wer die Geschichte von Hainfeld kennt, weiß, dass die Partei damals auf der Grundlage marxistischer Ideen als revolutionäre, internationalistische Sozialdemokratie geeint wurde. Dem ging ein harter Klärungsprozess voraus, wo die reformistischen Teile der Arbeiterbewegung marginalisiert wurden, weil sich ihre Antworten als unzureichend erwiesen. Die Linken unter der Führung von Victor Adler verzichtete auf eine „Erzählung“, sondern entwickelten theoretische Konzepte und politische Strategien, mit der man den Kampf um Arbeitszeitverkürzung, höhere Löhne und demokratische Rechte unabhängig von Geschlecht und Nation führen kann. So erlangten sie die Mehrheit in der Partei. In Hainfeld war sich die Sozialdemokratie bewusst, dass sie ihr Ziel von einer freien Gesellschaft nur erreichen kann, wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln überwunden wird. Die Eigentumsfrage ist heute mehr denn je die Kardinalsfrage sozialistischer Politik.
Es braucht heute eine solche Arbeiterpartei, einer „Partei der Vielen“, genauso dringend wie vor 130 Jahren.
(Funke Nr. 178/8.11.2019)