Die Bewegung gegen den Klimawandel steht an einem Scheideweg zwischen einer Einbindung in eine „Umweltpartnerschaft“ mit Politik und Wirtschaft, die zwangsläufig zu einer Aufgabe der Ziele führen muss – oder einer klaren antikapitalistischen Orientierung. Von Florian Keller.
Heute werden weltweit wieder Millionen Menschen, hauptsächlich Schülerinnen und Schüler, im Rahmen des „Earth-Strike“ unter dem Banner von Fridays for Future (FfF) gegen den Klimawandel demonstrieren. Das ist Grund genug, sich Programm und Perspektiven der Bewegung genauer anzusehen.
Anfang September fand das Bundesplenum von FfF in Graz statt. In den beschlossenen Forderungen heißt es: „Um das Überleben auf dem Planeten zu sichern, muss die Erderwärmung unter 1,5°C bleiben.“ Und weiter: „Deshalb fordern wir […] eine sofort beginnende mindestens lineare Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2025 auf 50% gegenüber 2005 und bis 2030 auf netto-Null!“
Netto-Null Treibhausgasemissionen bedeuten, dass durch die menschliche Zivilisation keine Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen dürfen. Das bedeutet, dass für jedes fahrende Auto, für jedes durch Verbrennen von Holz, Kohle, Erdgas oder Erdöl freigesetzte Kilogramm CO2 dieselbe Menge aus der Atmosphäre wieder entzogen werden muss! Die Antwort der AktivistInnen am Bundesplenum ist folgerichtig: „Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas bis 2030“.
Was bedeutet „Netto-Null“?
Die Folgen dessen für die menschliche Gesellschaft sind extrem. Innerhalb von 10 (!) Jahren dürften dafür keine mit Benzin oder Diesel betriebenen Autos, LKWs und Schiffe mehr fahren, keine Öl- oder Gasheizung mehr laufen, keine Stromerzeugung auf der Basis von fossilen Energien mehr stattfinden – aus der heute über 80% der weltweiten Stromproduktion kommt! Auch dürfte z.B. keiner der heute verwendeten Hochöfen zur Stahlproduktion mehr laufen – um eine Umstellung der Stahlproduktion auf Wasserstoffbasis vornehmen zu können (eine Technologie, die freilich erst in den Kinderschuhen steckt), müsste nicht nur die gesamte Stahlindustrie in dieser Zeit neu errichtet werden, sondern auch die Stromproduktion enorm ausgeweitet werden – allein der Voestalpine-Konzern bräuchte etwa ein Drittel der derzeitigen Stromproduktion Österreichs für seine Stahlproduktion!
Es bräuchte also innerhalb von 10 Jahren eine vollständige und grundlegende Umwälzung der gesamten menschlichen Gesellschaft und Wirtschaft, um den Klimawandel noch aufhalten zu können.
Doch dem stehen die Interessen der großen Konzerne direkt gegenüber. Ein Beispiel: Alleine dieses Jahres werden Öl- und Gaskonzerne etwa 71 Mrd. US-$ in neue Großprojekte zur Ausweitung der Produktion stecken. Und sobald einmal Förderanlagen oder auch ein Kraftwerk gebaut sind, müssen sie über Jahrzehnte hinweg mit Gewinn laufen. Die großen Förder-, Energie-, Fahrzeug- und Baukonzerne, ein Großteil der chemischen Industrie und auch die Banken, die all diese Projekte finanzieren, werden sich also (wie schon in den letzten Jahrzehnten erfolgreich) mit Zähnen und Klauen gegen wirklich radikale Maßnahmen, die für den Klimaschutz nötig sind, wehren.
Eine „leichte“ Lösung?
Wenn es darum geht, welche Klimaziele erreicht werden müssen, wird das FfF-Programm sehr deutlich. Geht es jedoch darum, welche Mittel dafür eingesetzt und eingefordert werden, bleibt es auf extrem kleine Schritte beschränkt, die möglichst „realistisch“ – also mit dem kapitalistischen System vereinbar – sein sollen.
Das ist auf der einen Seite ein Stopp fossiler Großprojekte wie der 3. Piste des Flughafens Schwechat: ein richtiger Schritt, treiben doch sowohl die großen Baukonzerne solche Projekte nur deshalb voran, weil sie sich selbst Profite davon erwarten – die dafür nötigen gesellschaftlichen Ressourcen müssten eigentlich in guten und kostenlosen öffentlichen Verkehr gesteckt werden. Doch isoliert bleibt so eine Forderung bestenfalls Symptombekämpfung und wird nichts zum Aufhalten des Klimawandels beitragen. Denn: Fehlt die Alternative, wird ein Stopp des Baus neuer Autobahnen und Schnellstraßen nur den Verkehrskollaps beschleunigen, und im Fall eines Stopps der 3. Piste dem nahen Flughafen Bratislava einen neuen Boom bescheren.
Die Hauptforderung von FfF ist „eine ökosoziale Steuerreform ab dem Jahr 2020“. Dabei hält das FfF-Programm fest: „Die Steuerreform setzt Anreize für Gesellschaft und Wirtschaft, nachhaltige Lösungen zu finden und umzusetzen“.
Eine solche Steuerreform wäre aber einerseits nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: Das Modell der NEOS etwa, die bisher ihre Vorstellungen für eine CO2-Steuer am konkretesten dargelegt haben, würde abzüglich der rein rechnerischen Ersparnis durch den Wegfall von Tanktourismus selbst nach eigenen Angaben die Treibhausgasemissionen nur um 3,6% senken. Und wie wir in unserer letzten Ausgabe ausführlicher dargelegt haben, wurden „Ökosteuern“ oder auch sogenannte „öko-soziale Steuern“ in der Vergangenheit immer von den ArbeiterInnen im Speziellen sowie den KonsumentInnen im Allgemein bezahlt, während es die Konzerne immer geschafft haben, großzügige Ausnahmen, Entlastungen und Geldgeschenke herauszuholen – der soziale Massenaufstand der Gelbwesten in Frankreich richtete sich genau gegen so eine Steuer auf Diesel.
Druck aufbauen oder Druck nachgeben?
Das Programm von FfF enthält somit einen offensichtlichen Widerspruch zwischen sehr radikalen Zielen und völlig unzureichenden konkreten Forderungen. Diese Ziele und die Forderungen werden in Einklang gebracht werden müssen, sonst werden sie an der Realität scheitern. Und dafür gibt es nur zwei Richtungen.
Der eine Weg ist, dass die radikalen Ziele früher oder später dem Druck der sanften, „realpolitischen“ Positionen weichen müssten. Das würde eine Aufgabe des Zieles bedeuten, den Klimawandel ohne Wenn und Aber aufzuhalten. Und diese Gefahr ist real: Schon jetzt stehen die großen Banken und Konzerne, die RegierungsvertreterInnen und „RealpolitikerInnen“ bei der Bewegung Schlange, um ihre Agenda auf sie aufzustülpen – mal offener, mal verdeckter.
Beate Meinl-Reisinger von den NEOS warnt immer wieder vor der „Gefahr“ der AntikapitalistInnen in der Klimabewegung. Das Konzept einer sogenannten öko-sozialen Steuerreform stand vor der Diskussion von FfF schon im Programm der Grünen. Im Sommer wurde damit begonnen, VertreterInnen von FfF zu allen möglichen Gesprächen von Politik und Wirtschaft einzuladen, angefangen beim „Forum Alpbach“. In Graz hat der ÖVP-Bürgermeister Nagl FfF dazu aufgerufen, daran mitzuarbeiten, wie 30 Millionen € aus einem Klimafonds eingesetzt werden sollen.
FfF soll also in eine Art „Umweltpartnerschaft“ eingebunden und dadurch ungefährlich gemacht werden. Der Druck, ja nichts „Unrealistisches“ zu fordern und sich in Detailfragen zu verlieren, nimmt zu. Und die Gefahr besteht, dass die Klimastreikbewegung wie jede „Partnerschaft“ einer Massenbewegung mit dem Kapital und der bürgerlichen Politik endet – nämlich als Spielwiese für KarrieristInnen, die ein gutes Einkommen und „Einfluss“ suchen, während die Ziele der Bewegung verraten werden.
Für eine Antikapitalistische Klimabewegung!
Der andere Weg ist, dass die radikalen Ziele im Klimaschutz durch ein radikales politisches Programm ergänzt werden. Dieser Weg steht weiterhin offen. So wurde mit großer Mehrheit ins Programm aufgenommen: „Falls diesen Forderungen im aktuellen System nicht nachgekommen werden kann, braucht es einen Systemwandel“. Doch es ist völlig klar, dass der Klimawandel nur aufgehalten werden kann, wenn der Kapitalismus überwunden wird. Daher muss das auch offen gesagt werden, und daraus Schlussfolgerungen für die Praxis von FfF gezogen werden.
Aus diesen Überlegungen heraus haben die Funke-UnterstützerInnen, die am Grazer Bundesplenum teilgenommen haben, gegen CO2-Steuern, für eine Orientierung auf die Arbeiterklasse mit dem Ziel eines Generalstreikes und für antikapitalistische Forderungen als Ergänzung zu den radikalen Klimaschutzzielen der Bewegung argumentiert. Wenn die Klimastreikbewegung die Kraft der Veränderung sein will, von der Greta Thunberg spricht, müssen wir sagen was ist: Der Profit zerstört den Planeten – wer das Klima retten will, muss die Konzerne enteignen und den Kapitalismus abschaffen!
★ Unser Kurzprogramm für die Klimabewegung: Profit zerstört den Planeten – für eine antikapitalistische Klimabewegung!
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