In der letzten Funke-Ausgabe riefen wir die Vorarlberger Postbelegschaft dazu auf, sich hinter ihre Personalvertretung zu stellen, die durch Maulkörbe seitens des Unternehmens massiv unter Druck gesetzt wird. Dieser Aufruf war objektiv berechtigt, die Stimmung angesichts der Fehlleistungen der Post ist unter der Kunden und der Belegschaft gleichermaßen aufgeheizt. Eine Analyse aus unseren Gesprächen mit Postzustellern.
Die Personalvertretung nützte die entfachte (auch medien-) öffentliche Empörung über Nicht-und Fehlzustellungen nicht für eine Offensivstrategie. Stattdessen hat sie sich anscheinend erneut auf das Terrain juristischer Scheingefechte zurückgezogen. Eine verpasste Gelegenheit: die Aufregung über die Postausfälle, Produkt der permanenten personellen Unterbesetzung, könnte man viel offensiver und lösungsorientierter umsetzen, nämlich unter aktiver Einbeziehung der Beleg- und Kundschaft.
Damit blieben aber auch die selbstständigen Mobilisierungsversuche der Vorarlberger BriefträgerInnen isoliert und bieten leichtes Ziel für die Geschäftsführung, die in erster Linie an der Wiederherstellung von ruhigen Profitbedingungen im Betrieb interessiert ist. Durch das Zurückweichen der Personalvertretung vor den repressiven Maßnahmen verbreitet sich aktuell Resignation in den Zustellbasen. Dem gekündigten Kollegen aus Bregenz, der offensichtlich als Rädelsführer der Initiative zu Betriebsversammlungen ausgemacht wurde (wir berichteten), wurde vor dem Arbeits- und Sozialgericht ein Vergleich angeboten, dessen Annahme von der Rechtsvertretung der Arbeiterkammer wärmstens empfohlen wird.
Nach den „Strafaktionen“ des Unternehmens ist die Rückzugshaltung der PostlerInnen mehr als verständlich. Wir möchten die Situation nutzen, um über einige Missverständnisse hinsichtlich der Entwicklung von Arbeitskämpfen zu reflektieren, wie sie wohl nicht nur innerhalb der Post, sondern allgemein in der Arbeiterklasse in Österreich verbreitet sind.
Angesichts des mittlerweile fast 20 Jahre andauernden Leerlaufs aller sozialpartnerschaftlichen Versuche, die Erosion der Arbeits- und Lebensbedingungen der österreichischen ArbeiterInnen zu stoppen, schwinden die Hoffnungen in dieses von den Unternehmern bereits offiziell totgesagte „Zeremoniell“ rasant. Dementsprechend hört man in der Arbeiterschaft, auch bei der Post, immer öfter fast sehnsüchtige Forderungen nach GewerkschafterInnen, die endlich auch Streiks organisieren. Prinzipiell existiert eine weit verbreitete Streikbereitschaft – wenn „von der Gewerkschaft“ doch nur endlich das Signal dazu käme. Und oft wird geradezu geschwärmt von den „wirklichen“, etwa den italienischen oder französischen Gewerkschaften, deren Funktionäre bei Problemen angeblich nur auf den Tisch der Bosse zu hauen brauchen, oder andernfalls per Kommando alles lahmlegen lassen.
Gleichzeitig beurteilen viele die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt immer noch als signifikant besser, als jene in anderen europäischen Ländern. Daraus folgt häufig der vollkommen verdrehte Wunsch nach einer „heilsamen Apokalypse“; beispielsweise nach einem völligen Zusammenbruch der Post-Zustellung: dass auch bei uns endgültig „der Karren an die Wand gefahren“ werde, damit sich Kampfbereitschaft und Streikkultur von ganz alleine einstellen.
Das Warten „auf schlechtere Zeiten“ – oder auf Wunder durch einzelne Vertreter. Diese Wünsche reflektieren die (berechtigte) Angst davor, selbst aktiv zu werden, und den Wunsch nach VertreterInnen, deren gewerkschaftliche „Kampfkünste“ uns ArbeiterInnen den Schritt aus der eigenen Passivität ersparen sollen.
Viele verharren bei Gesprächen über die Probleme am Arbeitsplatz bei der Auflistung dieser „Zutaten“, die angeblich die (italienischen oder französischen) Rezepte zu einer erfolgreichen Arbeiterbewegung ausmachen: Zuspitzung der sozialen Frage, kämpferische Traditionen, „rabiate Gewerkschafter“. Am Beginn von erfolgreichen Arbeitskämpfen steht aber eben genau nicht das passive Abwarten äußerer Faktoren, sondern der Entschluss einer signifikanten Anzahl von KollegInnen, sich am eigenen Arbeitsplatz aktiv und langfristig für die eigenen Interessen einzusetzen.
Die Situation in der europäischen Logistik verdeutlicht dies derzeit sehr gut. Gegen die einschneidenden Verschlechterungen in allen Ländern entwickelten sich in den letzten Jahren ganze Streikbewegungen. In Italien kämpfen gerade die untersten Schichten des Proletariats seit Jahren gegen die völlige Schleifung von Kollektivverträgen, oder erstmals für deren Durchsetzung.
Die Streikenden wehren sich oft auch gegen Angriffe von Schlägertrupps der Unternehmer, wie Ende September bei einer Messerattacke auf Streikposten bei einer Post-Tochter in Carpiano. Ein anderes Beispiel ist Amazon in Deutschland und Polen, wo ebenfalls seit Jahren mit wechselndem Erfolg Widerstand geleistet wird – sich aber auch grenzübergreifende Gegenwehr organisiert. Die Stärke dieser Bewegungen ist unterschiedlich, und auf Erfolge folgen nicht wenige Niederlagen. Aber kein Erfolg ist möglich, ohne dass sich Gruppen von ArbeiterInnen dazu entscheiden, auf kreative Weise die eigene ökonomische Bedeutung ins Spiel zu bringen und ihre VertreterInnen durch Diskussion, Kritik und Abstimmungen zu kontrollieren. Dass dabei die Ausgangsbedingungen – gewerkschaftliche Traditionen, Erfahrung, Arbeitsbedingungen usw. – eine Rolle spielen, tut dieser Tatsache keinen Abbruch.
Die ArbeiterInnen bei der österreichischen Post können sich entscheiden, durch aktive Solidarität die Arbeiterbewegung wiederzubeleben – oder es bleiben zu lassen. Wovon wir uns trennen sollten, ist die Vorstellung der passiven Beglückung „von oben“ durch gewerkschaftliche Engel. Die Situation in einzelnen Zustellbasen hat sich angeblich leicht entspannt, in anderen weiter verschlimmert, und es wird nach wie vor zehn, zwölf oder dreizehn Stunden täglich gearbeitet. Gelöst ist gar nichts!