Als Werner Faymann Anfang des Jahres von einer „Wir schaffen das“- auf eine „Das Boot ist voll“-Politik umgeschaltet hat, hat sich in der SPÖ überraschend starker Widerstand formiert. Doch wo ist dieser hingekommen?
Die vielen SozialdemokratInnen, die sich Land auf Land ab in der Flüchtlingshilfe aktiv engagiert haben, konnten aus moralischen Gründen die neuerliche Verschärfung der Asylpolitik nicht mehr hinnehmen. Selbst hochrangige FunktionärInnen aus dem linken Lager redeten offen über einen Rückzug aus der SPÖ. Das Debakel bei der Bundespräsidentschaftswahl und das von Teilen der Parteilinken („Team Haltung“) initiierte Buhkonzert am 1. Mai in Wien brachten Faymann letztlich zu Fall.
Christian Kern setzte als neuer Parteivorsitzender von Anfang an bewusst auf Einbindung der Linken. Im Gegensatz zum intellektuellen Flachwurzler Faymann war er bemüht bei seinen Reden Signale an die linken KritikerInnen auszusenden. Mit der Nominierung von Muna Duzdar als Staatssekretärin holte er gezielt eine deklarierte Linke in sein Regierungsteam, die nicht nur in Worten, sondern auch in Taten einen Kontrapunkt zu Doskozil und Niessl darstellt. Aber auch andere ehemalige SJ-FunktionärInnen bekamen nette Posten.
Kerns Rechnung ging auf. Die Linken in der Partei konnten sich wieder als Teil der Familie sehen und streuten dem Vorsitzenden Rosen. Die Führung der SJÖ wie der Bürgermeister von Traiskirchen Andreas Babler bekundeten öffentlich ihre Unterstützung für Kern. Plötzlich waren fast alle zu Kern-Boys und Kern-Girls geworden.
Deutlich wurde dies auch beim Kongress der linken Kompass-Initiative vor dem Sommer. Es fehlte dort eine kritische Positionierung gegenüber der neuen Parteiführung. Womit sich natürlich die Frage stellte, warum man überhaupt groß ein linkes Netzwerk braucht, wenn der Parteivorsitzende „in schwieriger Zeit wieder Zuversicht, Hoffnung und Kraft gibt“. So verwundert es auch nicht, dass der für Mitte September angekündigte Folgekongress von „Kompass“ still und heimlich nicht stattfand. Julia Herr (SJÖ) setzte sogar noch eins drauf und freute sich öffentlich, dass unter Kern die Forderungen der SJ nach einer Demokratisierung der SPÖ umgesetzt würden (siehe Bild). Dazu der augenzwinkernde Nachsatz: „Das mit dem Kapitalismus packen wir auch noch…irgendwann“.
An dieser Stellungnahme sieht man, welch unscharfe Analyse die WortführerInnen der SP-Linke vom Charakter der Sozialdemokratie haben. Die SP-Linken haben gewiss keine Freude mit der neuerlichen Missachtung ihrer Grundsätze (Notstand, innere Aufrüstung, Verschärfung der Asylpolitik), aber sie sind derzeit weitgehend handlungsunfähig, nachdem sie sich zuerst so offen hinter Kern geschart haben und das Schicksal der SPÖ mit Kern verbinden. Die Widersprüche zwischen Linken und Rechten in der Sozialdemokratie liegen aber weiterhin offen auf dem Tisch. In Wien wird dieser Konflikt auch recht offen ausgetragen. Indem die Linke nur sehr handzahme Kritik an der ganzen Notstandspolitik übt oder diese reaktionäre Wende sogar mitträgt, können die Doskozils derzeit das Heft in der Hand halten und die politische Linie bestimmen.
Aus den schmerzlichsten Kapiteln der Geschichte der Arbeiterbewegung wissen wir, wohin der Kurs dieser Notstandspolitik führt. Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig. Die Linke in der SPÖ hat nur dann eine Berechtigung, wenn sie einen eigenständigen Standpunkt vertritt und entschlossen für eine sozialistische Politik kämpft.