Leserbrief eines Genossen (Name ist der Redaktion bekannt), der auf der Wahlparty der SPÖ vor der Löwelstraße ein etwas unerwartetes dafür umso ernüchternderes Erlebnis hatte.
Es war eine rechte Freude an der Wahlfeier der SPÖ in der Wiener Löwelstraße teilzunehmen. Der Jubel über das Ende von Schüssel war riesengroß, und jeder rhetorische Hieb auf die ÖVP wurde abgejubelt. Die Stimmung war klar Anti-ÖVP und dies manifestierte sich auch auf der Straße. Eine kämpferische Demo sammelte sich vor dem Festzelt und bewegte sich zur VP-Zentrale. „Ihr habt die Wahl verloren“, „Hier regiert die SPÖ, und „Keinen Pakt mit der ÖVP, wurden Richtung der faden konservativen Ab-Wahlparty skandiert. Dutzende Gusenbauer-Schilde wurden mit dem Schriftzug „Keine Koalition mit der ÖVP, versehen und wurden dann über den Abend im ganzen Festzelt jubelnd geschwenkt. Was an sich kein Problem ist – solange keine Fernsehkameras da waren.
Als Gusenbauer um 22.30 Uhr zum zweiten Mal das Festzelt betrat, wurde dem oft gescholtenen Spitzenkandidaten, dem Arbeiterkind aus Ybbs, sogar eine Welle der Sympathie entgegengebracht. Ich persönlich freute mich für ihn, auch deshalb weil er endlich mal so wie jeder Mensch nach Herzenslust schwitzen durfte und sich nicht alle zwei Minuten die Oberlippen abtupfen musste. Schließlich waren die Wahlen geschlagen und kein Analyst würde die Kanzlerfähigkeit aufgrund der Schweißperlenen in Frage stellen können.
Aber nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen und da will man ja kein böses Blut machen. Noch einmal wurde heftig zur „überall scheinenden Sonne“ der Edelseer geschunkelt, und die Saalbeleuchtung zeigte überall im Saal verstreut die Schildchen mit dem Slogan „Keine Koalition mit der ÖVP“. Ich selbst hatte ein solches in der Hand und stand nur knapp vor der Bühne. Plötzlich kam ein grimmig dreinblickender Herr mit Knopf im Ohr und bat mich doch mein selbstfabriziertes Schild wegzugeben. Ich zeigte mich uneinsichtig worauf er ein ebensolches in die Höhe streckte, ein weißes Schild worauf zu lesen war: „Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer, mit einem schattierten Bundesadler im Hintergrund. Ich sah es nicht ein, dass er dieses gerade vor mein Schild halten müsse und es entwickelte sich eine kurze aber heftige Diskussion. Keine Minute später kam ein Herr ohne Ohrknopf, stellte sich auf Nachfrage als Beamter in Zivil vor und verlangte gleiches von mir. Er sei gebeten worden mich aufzufordern das Schild zu entfernen. Auf die Frage, wer denn dies wolle, meinte er „der Veranstalter“. Es entwickelte sich eine durchaus interessante Diskussion etwa über Meinungsfreiheit. Ich machte den Herrn darauf aufmerksam, dass dies hier eine Veranstaltung der Sozialdemokratie sei, der ich erstens angehöre und zweitens dies eben auch eine Bewegung sei die Demokratie und Meinungsfreiheit gerade eben so hochhalte wie ich. Es war eine lustige Diskussion mit einem tänzerischen Element, da der freundliche Herr immer versuchte mir das Schild aus der Hand zu nehmen, ohne aber jemals grob dabei zu werden. Der Beamte versuchte es mit Argumenten: Staatsräson und es gebe ja keinen anderen Weg als die Große Koalition. Ich meinte, dass es nicht Sache der Polizei sei sich über Koalitionen den Kopf zu zerbrechen, sondern dass sich die Sozialdemokratie schon intern ausmachen würde ob sie diese Koalition wolle. Es entspann sich eine durchaus interessante Diskussion, allerdings mit einem bitteren Beigeschmack. Um 22:45 Uhr hat sich die Parteiführung schon so auf die Große Koalition eingeschworen, dass man dem künftigen Partner nur noch Nettigkeiten mitteilen möchte. Vergessen die „Gruselbauer“-Erniedrigungen… und schon schickt man die Polizei im eigenen Zelt aus um die rechte Stimmung zu schaffen.
Am Ende der Übertragung wurde unter den Feiernden die Internationale angestimmt, und kaum waren die BühnengenossInnen sich sicher, dass der ORF nicht mehr live dabei ist, zeigten sie sich stimm- und textsicher und grüßten mit erhobener Faust das p.t. Publikum.
Das wird eine spannende Zeit werden, im alkoholschwangeren Festzelt lässt sich der Spagat zwischen Realpolitik und denen die, die „für die Partei rennen, noch überbrücken, im realen Leben wird das härter werden.