Global Sumud Flotilla: „Ich bin stolz auf die Italiener!“ – Interview mit Sophie & Erol
Ende September waren die Augen der Welt auf die 50 Boote der Global Sumud Flotilla gerichtet, die sich das Ziel gesetzt hat, humanitäre Hilfe an das ausgehungerte Gaza zu liefern. Sophie und Erol waren dabei und erzählen.
RKP: Seit 2 Jahren gibt es Massendemonstrationen, Boykott, Hafenblockaden aus Solidarität mit den Menschen in Gaza. Warum hast du dich für die Global Sumud Flotilla entschieden?
Ich habe 2019/20 ein Austauschjahr in Jerusalem gemacht und so klischeehaft das jetzt klingt bin als anderer Mensch zurück gekommen. Ich bin da sehr blauäugig bzw. nur mit den Informationen die das Ö Schulsystem so geliefert hat – also nix – hin. Und im Zuge dieses Jahres habe ich komplett gelernt meine Privilegien, die Weltordnung und historische und politische Realitäten neu wahrzunehmen. Alles was ich seither mit meinem Leben gemacht habe wurde davon beeinflusst was ich von und mit den PalästinenserInnen lernen durfte.
Mit dem Beginn des Genozids begann für mich auch erstmal eine sehr frustrierende Phase – durch die bedingungslose Unterstützung des Genozids durch Österreich und auch durch die Resistenz vieler Menschen Empathie für PalästinenserInnen aufzubringen. Aber ich war immer auf Demos dabei und was ich am wichtigsten finde: Im Alltag permanent solidarisch und bin nicht davor zurück geschreckt in allen Räumen über diesen Genozid zu sprechen.
Ich bin mir auch immer sehr bewusst darüber, dass wir als weiße privilegierte Menschen nicht in eine RetterInnen Rolle verfallen dürfen, dass wir darauf hören müssen, was unterdrückte oder in diesem fall sehr bedrohte Menschen brauchen, und dann das bestmögliche tun ohne bevormundend zu werden oder gewisse Bedingungen zu stellen.
Vielleicht auch mit der Hoffnung, dass Regierende auch mal Ihren Job ernst nehmen und ihre Bevölkerungen repräsentieren und am Ende es noch wagen diese dabei zu unterstützen.
Ich glaube auch deshalb, weil ich finde diese Mission ist die schönste Art gewaltfrei Widerstand zu leisten, und es gibt für mich nichts schöneres als gewaltfreier Widerstand. (Ohne jetzt unterdrückte Menschen zu verurteilen die gewaltvoll Widerstand leisten müssen, weil sie selber Gewalt erleiden). Also der öffentliche Aufruf für eine Riesengroße Zivile Flotte kam und dem bin ich dann gefolgt.
RKP: Hast du Vertrauen in den „Friedensplan”?
Ich frag mich ob wir alle dasselbe unter Frieden verstehen oder nicht, weil was das vereinbart wurde hat für mich doch nichts mir Frieden zu tun. Ich möchte wissen, ob jemanden das Wort Frieden einfallen würde wenn wir zwischen den Trümmern von endlosen Bomben für 2 Jahren leben müssen, wer weiss wie viele Leichen unter diesen Trümmern liegen. Dieser „Plan“ ist meiner persönlichen Meinung nach genau dafür da, die Menschen verstummen zu lassen, die angefangen haben auf die Straßen zu gehen oder ihre Länder einfach lahm zu legen. Es kann auch gut mit der „Anerkennung“ Palästinas verglichen werden… es bringt uns kein Stück näher an einen Frieden aber beruhigt die Bevölkerungen im eigenen Land und nimmt der Solidarität den Wind aus den segeln genau in dem moment wo auch Menschen die sonst nicht „politisch“ sind oder auf Demos gehen aufwachen, hinsehen und das alles nicht mehr akzeptieren wollen, sie werden beruhigt durch solche vermeintlich „schönen“ Schlagzeilen.
RKP: Am 01.10. seid ihr, wie erwartet von der israelischen Marine, in internationalen Gewässern geentert und verschleppt worden. Kannst du die wichtigsten Ereignisse kurz schildern?
Wir haben natürlich mit der Interception gerechnet, aber gewissen Hoffnungen gab es trotzdem. Also das nicht alle ankommen natürlich, aber immerhin manche und die Symbolische Bedeutung wenn nur ein Boot ankommt. Grad wenn in den letzten stunden Videos aus Gaza auftauchen, wie die Menschen am Strand Ausschau halten wie sie warten. Hoffnungsvoll und voller Freude. Natürlich 1 Boot kann das Leid der PalästinenserInnen nicht beenden aber zum einen die Bedeutung für das Volk welches historisch nur unterdrückt, zum Schweigen gebracht oder ignoriert wurde, welches am eigenen Leib erfahren musste wie die Welt ihnen live dabei zusieht wie sie strategisch, brutalst ausgerottet werden. Und dann ein Zeichen aus der Welt dass es auch solche gibt die nicht nur zusehen. Und für uns oder, sorry ich spreche ja wirklich nur für mich aus meiner Perspektive, der Gedanke was 1 Boot das ankommt gegen diese Blockade bedeutet, was das mit den Menschen anstellt, wie es Leute bewegen kann zu mobilisieren und Druck auszuüben dass die Regierungen ihrer Pflicht nachkommen und Humanitäre Hilfe leisten und nicht mehr sagen „Ja was soll ma machen die Grenze is ja zu“. Die Macht liegt bei der Bevölkerung, und so eine Symbolik kann durchaus der Anstoß sein dass Massen sich inspiriert fühlen aktiv zu werden weil es was bringt.
Wir haben ja auch gesehen wie diese Flotilla die ItalienerInnen bewegt hat, von Anfang an gab es nichts schöneres als die volle Solidarität der Menschen Italiens. Es war auch klar, dass Italien, dessen Regierung nicht sagen wir kameradschaftlich ist, wegen ihrer Bevölkerung reagiert hat. Die italienischen Botschafts-Mitarbeitenden haben versucht alle „ihre“ Staatsbürger schnellstmöglich nach Italien zu bringen, um die Menschen in Italien zu beruhigen. Ebenso Griechenland, auch diese Regierung die wirklich eng mit dem Zionistischen Staat ist, weiss auch dass ihre Bevölkerung das Land lahm legen kann und das auch tut. Und da ist was passiert. Also: power to the people!
RKP: Nach 2 Jahren Völkermord ist die österreichische Regierung weiterhin einer der stabilsten Verbündeten Israels und Komplize im Völkermord. Was ist deine Position dazu?“
Wir machen ja die Shoah nicht ungeschehen, wenn wir jetzt nett lächelnd Israel als Freund bezeichnen. Wir sollten uns alle mal so intensiv mit dem in Österreich standardisierten Antisemitismus auseinandersetzen, dass wir mit Sicherheit über uns sagen können „Nein ich bin nicht Antijüdisch“. Das wäre in all unserer Verantwortung, aber in Österreich stolpert die Bevölkerung ja schon drüber wenn das Wort Jude/ Jüdin einfach mal verwendet wird. Wenn ich von meinen jüdischen FreundInnen erzähle is der Raum einfach mal still, pure Angst, es kann ja nir das falsche gesagt werden. Is das Aufarbeitung? Nein. Wollen wir einen „Freund Israels“ Stempel von einer Rechtsradikalen Regierung oder wollen wir nachdem wir (unsere Vorfahren) über Jahrhunderte (ja es war nicht nur im 2. Weltkrieg) jüdische Menschen verfolgt, verjagt und ausgerottet haben endlich mal den Antisemitismus entlernen und zu einer Welt beitragen wo Menschen wirklich sicher sind?
RKP: Du warst auf der Global Sumud Flotilla. Was hat dich dazu bewogen mitzumachen?
Auf Social Media, kommen Videos von sterbenden, ermordeten Kindern. Ich habe als Vater ein ganz anderes Gefühl, Emphatie entwickelt. Es hat mich so belastet, dass ich nicht mehr wegschauen konnte. Dann habe ich angefangen, mich mit Boykott zu identifizieren. Auf einer türkischen Seite auf Social Media habe ich gelesen: “March to Gaza”. Meine Frau Sabah hat uns beide angemeldet. Dann sind wir auch dort festgenommen worden.
RKP: In Ägypten?
Ja, genau in Ägypten.
Wir sind zurückgekommen, haben das dann hier unserer Familie, Bekannten, Freunden erzählt und erklärt. Aber wir wurden nicht verstanden, man hat uns nicht mal zugehört. Als wär’s nichts. Als wir [2 Monate später, Anmerkung] erfahren haben, dass Schiffe aus aller Welt nach Gaza segeln, haben wir uns sofort beworben. Ich wurde angenommen.
RKP: Und als du auf der Flotilla warst – ihr seid ja schon in Tunis von Drohnen angegriffen worden – hat das die Moral der Teilnehmer beeinflusst?
Es ist eine gefährliche Mission, ein paar sind auch ausgestiegen in der Zwischenzeit. Die Bombardierung in Tunis hat uns sehr viel Zeit gekostet. Normalerweise wären wir am vierten Tag losgesegelt, aber es hat 2 Wochen gedauert.
Es hat dazu beigetragen, dass die Leute noch motivierter waren, noch mehr dafür gebrannt haben. Einige Ärzte aus der Türkei haben sogar ihren Job gekündigt, weil sie zurück mussten und nicht wollten. Alle waren bereit, wirklich jeden Preis zu bezahlen. Sie waren alle bereit zu sterben. Da war ein riesiges Feuer in ihren Augen. Und wenn du in dieser Menschenmenge bist, dann brennst du selber dafür.
RKP: Am 01.10. seid ihr, wie erwartet von der israelischen Marine, in internationalen Gewässern geentert und verschleppt worden. Kannst du die wichtigsten Ereignisse kurz schildern?
An dem Abend als sie gekommen sind, haben sie uns zuerst mit Wasserwerfern angegriffen. Ich wollte alles aufnehmen, um Beweise zu sammeln. Sie wollten uns stoppen, aber kein einziges Schiff hat gestoppt. Sie sind dann mit Motorbooten gekommen und haben uns umzingelt. Sie waren dann links von uns mit einem Motorschlauchboot. Sie haben Waffen auf uns gerichtet und geschrien “Stop the motor, stop the engine.” Sie wurden immer aggressiver und lauter. Uns war scheissegal ob sie auf uns schießen, ob wir sterben, Hauptsache wir kommen nach Gaza. Diese Nachricht wollten wir ihnen mitgeben. Das hat sie natürlich auch provoziert. Hätten wir diese Nacht überstanden, wären wir am nächsten Mittag in Gaza angekommen. Unser Schiff war ca 45 Seemeilen von Gaza entfernt. Das letzte Schiff war zwischen 10 und 20 Meilen vor Gaza. Bis zum letzten Schiff haben wir nicht aufgehört weiter zu segeln und ein Zeichen zu setzen.
RKP: Kurz nachdem ihr entführt worden seid, fand der für den Fall des Angriffs auf die Flotilla angekündigte Generalstreik in Italien statt. Alle Verkehrsmittel und Häfen sind lahmgelegt worden. Denkst du, das hatte Auswirkungen auf eure Freilassung und generell den “Friedenprozess”?
Es sind kleine Steine, die alle zusammenkommen. Manche haben Bittgebete gemacht. Andere haben demonstriert, gestreikt, manche haben Beiträge im Netz geteilt. Wenn du alles zusammenimmst, wird das Ganze auch stärker. Es hat sicher dazu beigetragen, dass wir anders, oder besser behandelt werden.
Was Demos und Streiks angeht, da wir komplett offline waren, haben wir nichts mitbekommen. Außer Ben-Gvir (Rechtsextremer Minister für die Nationale Sicherheit Israels), der kam mit Kameras um uns für seine Propaganda zu demütigen. Aber ich bin stolz auf die Italiener, es freut mich sehr. Auf die Spanier und die Italiener – das Volk, nicht die Regierung, das Volk, vor allem Italien ist sehr stark und vorbildlich. Man kann sich wirklich ein Stück davon abschneiden und ich hoffe, dass auch mal in Österreich irgendwas passiert in der Größe.
RKP: In der Palästina Bewegung gibt es verschiedene Perspektiven, Ansichten darüber, wie Palästina befreit werden kann. Du warst wochenlang im Trainingscamp, auf dem Boot. Sind die verschiedenen Ideen und Perspektiven, von den vielen verschiedenen Leuten diskutiert worden? Habt ihr eure verschiedenen Ansichten aufeinanderprallen lassen?
Wir waren alle immer voll fokussiert auf Palästina. Free Gaza, Free Palestine. Das war unser Motto, das war unsere Absicht, das war unser Thema. Kennenlernen, Austauschen von Meinungsverschiedenheiten war nicht.
Ich habe den Gebetsruf gemacht in der Kirche in Sizilien. Irgendwann bin ich auf die Bühne, hab das Mikrofon genommen und gesagt “Leute, ich bin auf jede einzelne Person von euch stolz. Hier sind mehr nicht-muslimische Menschen als Muslime. Für die Muslime, die muslimischen Kinder, das muslimische Land Palästina.”
Ich habe ihnen gesagt: „Ich bin so froh, so dankbar, verschiedenste Menschen hier sitzen vor mir. Ich möchte einen Gebetsruf machen und mit diesem mit euch zusammen nach Gaza reisen. Diesen Gebetsruf widme ich den toten Kindern, den toten Menschen in Gaza, den Palästinensern.
Bitte, schließt alle eure Augen, geht mit mir mit, lasst uns kurz rüber und wieder zurückkommen.” Dann habe ich den Gebetsruf gemacht, ich war wirklich dort. Ich wollte meine Augen nicht mehr öffnen. Ich wollte gar nicht mehr zurückkommen. Als ich meine Augen geöffnet habe, waren einige Leute am Weinen. Danach sind Leute zu mir gekommen und haben mich ganz fest umarmt. Es hatte eine große Bedeutung für die meisten Menschen. Da kannst du nicht über Differenzen nachdenken oder reden. Es ging nur um Palästina, um diese Menschen die dort tagtäglich sterben.
RKP: Die österreichische Herrschende Klasse hat ein großes Interesse, die Arbeiterklasse zu spalten. Der beste Hebel zur Spaltung ist der Rassismus, insbesondere gegen Muslime. Was denkst du, wie können wir diese Spaltung in Österreich durchbrechen?
Es gab [vor einigen Jahren] eine Diskussion über Minarette für Moscheen. Dagegen wurde kampagnisiert, weil die Bevölkerung anscheinen “Angst” vor “Terrorismus” hat.
Ich muss auch die muslimische Community ein bisschen angreifen. Wir sind auch untereinander rassistisch. Aleviten, Sunniten, Kurden, Araber. Wir schaffen es nicht einmal, als Muslime zusammenzukommen und uns zu stärken, um diese Probleme zu lösen.
Für mich war es immer wichtig, dass ich meine Religion ausleben kann. Selbstbewusst, um zu zeigen, dass sie nichts schlechtes, nicht terroristisch ist.
Erst müssen wir stärker werden, durch unsere Gebete, durch das ausleben vom Islam. Palästina hat mit vielen Toten den Preis bezahlt, dass der Islam jetzt besser gesehen wird, friedlicher. Wir müssen das jetzt weiter ausarbeiten. Deswegen ist für mich die Jugend sehr wichtig.
Bevor ich gekommen bin, hats ja geheißen, die Moslems dürfen nicht mit Kommunisten zusammenarbeiten. Aber warum? Sag doch warum? Weil die Gedanken nicht gleich sind, oder weils im Islam nicht erlaubt ist oder ihr unsere Feinde seid? Wenn das so weitergegehen wird, wird es nie eine Lösung geben. Ihr wart die einzigen, die uns zugehört haben, nach “March to Gaza”. Vor meiner Familie! Und das bedeutet für mich sehr viel. Verstehst du? Wir müssen nicht immer die gleichen Gedanken haben, die gleichen Ziele haben. Viele Lebensweisheiten passen vielleicht nicht zu unserem Glauben, aber wir können es respektieren, solange wir den gleichen Nenner haben.
Ein sehr wichtiges Thema, das du noch aufgebracht hast: Geld!
Die regieren mit ihrem Geld, mit ihrem Vermögen, mit ihren Investitionen.
Durch unsere Investitionen, durch unseren Konsum. Deswegen das Thema Boykott.
Als wir dort waren, hat Marlene [Engelhorn, Anmerkung] ein Hotel für uns gebucht. Sie hat Stunden investiert, damit sie nicht über booking.com buchen muss, weil die Plattform boykottiert wird. Im Gefängnis in Gaza haben die Wachen extra vor unseren Augen Coca Cola.
RKP: Wir haben international, aufgrund der italienischen Erfahrungen, den Slogan des „Workers Boycott” aufgebracht. Wenn die Arbeiter in Italien sagen, sie hören auf zu produzieren, die Waffen zu verschieben, die Häfen zu bedienen, gibt es keine Macht die sie dazu zwingen kann. Wenn es da eine Cola Fabrik gibt und die Arbeiter haben sie unter ihrer Kontrolle, dann ist es nicht mehr das gleiche. Die Kapitalisten können keinen Profit mehr machen, um einen Krieg zu finanzieren. Deswegen ist der Hebel gemeinsam in den Firmen ansetzen und zu streiken. Wir haben auch in Vorarlberg Firmen, die man gar nicht boykottieren kann. Das ist eine Tatsache. Diese Firmen muss man lahmlegen, oder die Produktion umstellen auf Dinge, die vernünftig sind.
Genau! Das was Italien eben gemacht hat! Wenn ein Tag so viel Schaden anrichtet, dann… Aber so stark sind wir noch nicht mit dem Mindset.
RKP: Noch nicht.
Noch nicht. Aber ich bin optimistisch, deswegen will ich mehr mit der Jugend sprechen. werde immer selbstbewusster in diesen Themen. Ich bezeichne mich, seit ich zurück bin als Aktivist.