Trump will den blutigsten Krieg Europas seit 1945 innerhalb von 24 Stunden beenden. Das große Hauen und Stechen beginnt aber erst. Von Emanuel Tomaselli
Informationen sind Teil der Kriegsführung und der Propagandaschlacht. Wir folgen in den militärischen Angaben der Einschätzung des Bundesheer-Analytikers Reisner: Knapp eine Million Soldaten fielen bisher dem Krieg zum Opfer, ca. 200.000 getötet und 800.000 verwundet. Die Frontlinie erstreckt sich über etwa 1500 km, wobei sich im Schlachtfeld momentan 660.000 russische (steigende Tendenz) und 440.000 ukrainische Soldaten (fallende Tendenz) gegenüberstehen. Die kritische Infrastruktur der Ukraine ist zu 80 % zerstört oder schwer beschädigt, während die russische Kriegswirtschaft auf Hochtouren läuft. Russland produziert heuer mehr als 1.000 Kampfpanzer (neue und Reparaturen aus Sowjetbeständen), und kann den Materialeinsatz steigern. Im August setzte die russische Armee 600 „Kamikaze“-Drohnen ein, im September 1.300, im Oktober 1.900. Die ukrainische Luftabwehr ist überfordert. Einzelerfolge und Einzelangriffe der ukrainischen Armee können hier keinen Umschwung erzwingen. Obwohl die EU und europäische Staaten bisher 118 Mrd. € und die USA 85 Mrd. € in den Krieg investierten, war Russland erfolgreicher dabei, eine langfristige Zulieferung von Waffensystemen sicherzustellen. Die Drohnenkriegsführung wurde durch Technologietransfers aus dem Iran hochgefahren, Nordkorea lieferte ein Drittel der 180 heuer abgefeuerten ballistischen Raketen, und 5,6 bis 6 Millionen Stück Artilleriemunition, fast das zehnfache der westlichen Lieferungen an die Ukraine im ablaufenden Jahr. Die neue westliche Strategie, auch die Waffenproduktion vor Ort auszuweiten (Rheinmetall etwa plant mehrere Rüstungsschmieden), kann nur schrittweise realisiert werden.
In einem derart langen und blutigen Krieg ist die materielle Kraft entscheidend, und letztendlich die Moral und Leidensfähigkeit der jeweiligen Arbeiterklassen. Welche Seite kann genug Ressourcen mobilisieren um die andere niederzuwerfen ohne von der eigenen Arbeiterklasse im Hinterland gestürzt zu werden? Das militärische Kräfteverhältnis legt nahe, dass der Sieg Russland nicht zu nehmen ist. Doch Kriege werden nur scheinbar am Schlachtfeld entschieden. Nur ein Spießgeselle kann glauben, dass ein Krieg solchen Ausmaßes ganz einfach von den gleichen Regierungen wieder mühelos beendet wird, dass die Waffen schweigen und dann wieder Friede herrscht.
Kriegsziele und Verhandlungen
Die USA drängt auf Verhandlungen mit Russland solange die ukrainische Armee noch einen militärischen Spielraum hat. Die in Washington anvisierte „politische Lösung“ will sowohl Kiew als auch Moskau so unter Druck setzen, dass die beiden einen Frieden im Interesse Washingtons vereinbaren. Ein solcher Frieden sieht vor, dass der Krieg eingefroren, die Waffenstillstandslinie international abgesichert wird (am besten durch europäische Armeen und/oder eine UN-Flugverbotszone) und Russland im Gegenzug „provisorisch“ die eroberten Gebiete behalten darf. In Kiew soll aber eine pro-amerikanische Regierung mit internationalen Sicherheitsgarantien bestehen bleiben. Die designierten US-Vertreter der Trump-Administration verkünden, einen solchen Kriegsausgang durch die eigene Stärke („power through strength“) sowohl gegenüber Kiew als auch gegenüber Moskau durch die Drohung entweder vom Ende oder der Ausweitung von US-Waffenhilfen erzwingen zu können.
Russland wird diesen Rahmen nur akzeptieren, wenn es dazu militärisch, wirtschaftlich oder politisch (durch die eigene Arbeiterklasse) gezwungen wird. Es führt den Krieg um die Kontrolle über die Regierung in Kiew („Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“) und das Schwarze Meer. Weiters, dass das belastende Sanktionsregime gegen seine Wirtschaft aufgehoben wird. Russland will, dass seine Banken wieder in den internationalen Zahlungsverkehr zugelassen werden und sein im Westen beschlagnahmtes Finanzvermögen (300 Mrd. $) wieder freigegeben wird. Vor allem will Russland, dass die Produkte seiner wichtigsten Industrie (Energie) wieder auf den Weltmarkt dürfen. Es ist auch gegen die beschlossene Neustationierungen US-amerikanischer Mittelstreckenatomraketen in Europa.
All das steht im diametralen Gegensatz zu den Interessen der USA. Die USA haben in der Ukraine nicht nur Russland im Visier, sondern auch die Machtverhältnisse in Europa. Insbesondere wollen sie das Gewicht Deutschlands innerhalb der EU auf engere Rationen setzen. Die US-Erdöl- und Erdgasindustrie (ihrerseits Hauptexportgut der USA), ist ohne Sanktionen gegen Russland in Europa nicht wettbewerbsfähig. Die europäische Energierechnung ist seit den Sanktionen um 300 Mrd. € gestiegen, v.a. in Deutschland, Österreich und den östlichen Nachbarstaaten. Die USA liefern heute die Hälfte des angelandeten LNG (Flüssiggas, das per Schiff exportiert wird), das sind 15 % des gesamten Erdgasverbrauches der EU (alle Angaben: Die Presse). Und die USA bauen ihre Dominanz über Europa nicht nur in der Frage der Energie aus. Wenn Trump die Ukraine zur Chefsache macht, dann mit dem festen Willen, seine Vormachtstellung in Europa auch politisch zu vertiefen. Dabei wird er sich auf Polen, das Baltikum und auch Frankreich stützen, ein weiterer Haken um die Macht Deutschlands innerhalb der EU zu untergraben.
Trumps „Friedensplan“ steht diametral gegen die Interessen Russlands. Die USA muss aber auch die Interessensgegensätze der verschiedenen Nationalstaaten in Europa ausbalancieren, und benötigt eine stabile Regierung in Kiew. Diese Kalkulation geht nur auf, wenn Russland allgemein geschwächt wird und bleibt. Es ist daher kein Zufall, dass statt einem Abflauen der Kampfhandlungen jetzt genau das Gegenteil passiert. Der Westen gab neue Raketensysteme und Angriffe auf russisches Territorium frei, liefert jetzt die geächteten Anti-Personenminen und sanktioniert die letzte russische Großbank mit Handelsbeziehungen in den Westen (Gazprombank). Russland reagierte mit dem Einsatz einer neuen Mittelstreckenrakete, konzentriert seine Kräfte auf Landgewinn in der Ukraine (und gab dafür die Verteidigung des Assad-Regimes auf) und holte sich nordkoreanische Soldaten ins Land.
Der Westen drängt die Kiewer Regierung aktuell darauf, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu senken, um mehr Kanonenfutter aufzutreiben. Selenskyj traut sich über diesen Schritt nicht und fordert stattdessen mehr westliche Waffen und zuletzt (im Gespräch mit dem deutschen Kanzleraspiranten Merz) auch europäische Bodentruppen, für die Frankreich seit Monaten plädiert. Gleichzeitig wird europaweit Druck auf ukrainische Flüchtige zur Rückkehr ausgeübt.
Kalkulierbarkeit des Krieges
Eine wichtige Qualifizierung ist notwendig. Der bisherige Kriegsverlauf hat Projektionen beider Seiten widerlegt, was typisch für jeden Krieg ist. Putin glaubte 2022 an einen schnellen Sieg. Die Ukraine und ihre Unterstützer im Westen glaubten daraufhin ihrerseits, einen militärischen Sieg erzwingen zu können, was plakativ scheiterte (Sommeroffensive 2023). Seit Mai 2024 ist die russische Armee ihrerseits in einer immer schnelleren Vorwärtsbewegung. Wenn das militärische Kräfteverhältnis und sein Ausgang „logisch“ vorab kalkuliert werden könnte, würde der Krieg gar nicht stattfinden. Einmal begonnen stellt der Krieg aber ständig neue Kräfteverhältnisse her. Erstens in der Ukraine, wo die Kriegsmüdigkeit in der Arbeiterklasse zunimmt, erste Zusammenbruchserscheinungen in der Armee sichtbar werden und andererseits der rechte Flügel offen mit Putsch droht. Dann ist unklar, wie lange die Wirtschaft und Währung Russlands stabil bleiben werden. Momentan herrscht eine kriegsindustrielle Hochkonjunktur, aber Russlands Ressourcen schmelzen dahin, es gibt ständige Warnhinweise aus der Wirtschaft: die Inflation ist hoch (offiziell: 21 %), der Wechselkurs des Rubels instabil, Gütertransport fällt, die Bauwirtschaft ist in der Krise. Ein Drittel des Budgets 2025 (135 Mrd. €) ist für das Militär vorgesehen. Eine Wirtschaftskrise während des Krieges gefährdet die politische Unterstützung durch die Arbeiterklasse immens.
Zuletzt ist unklar, wie weitgehend die Konzessionen sind, die die USA Russland machen können, ohne ihre globale Dominanz und ihre Vorherrschaft in Europa zu gefährden. Diese Potentiale lassen sich nicht bestimmen, sondern müssen sich in der Praxis entfalten. Wer, wodurch und in welchem Ausmaß gezwungen ist, seine Interessen aufzugeben, wird nur der weitere Verlauf zeigen.
Diplomatie ist Krieg mit anderen Mitteln
Nehammer drängt jetzt wieder hörbarer auf eine „diplomatische Lösung“. Dies entspricht der Interessenslage der österreichischen Bourgeoisie. Sie will ein Zurück zu einer „friedlichen Welt“, in der Österreichs Kapitalisten gute Geschäfte mit allen machen können. Dies ist ausgeschlossen. Nehammers Außenpolitik ist daher hoffnungslos lächerlich. Der Bundeskanzler freut sich darüber, Fotos mit Trump zu posten und hofft auf die Gnade und Rücksicht Washingtons für die Interessen der Raiffeisenbank (RBI) in Russland. Die RBI ist jetzt die letzte westliche Großbank in Russland und steht unter massiven Druck der USA. NEOS und SPÖ stehen ideologisch ganz im Lager der USA.
In den unterschiedlichen Phasen des Krieges drängte jeweils jene Seite, die militärisch unter Druck war, auf eine diplomatische Lösung, was von der jeweils anderen Seite zu diesem Zeitpunkt abgelehnt wurde. Die politische Ebene eines Krieges ist nie losgelöst von der militärischen. Die pazifistische Vorstellung, dass Diplomatie die Verneinung von Krieg ist, ist historisch nicht haltbar: Entweder hält die Diplomatie die im Krieg realisierten Kräfteverhältnisse fest (Versailles 1919, Österreichischer Staatsvertrag 1955), oder beide Formen der Interessensausübung passieren parallel und wechselseitig (Korea 1951-53, Vietnam 1965-73). Die KPÖ ist außenpolitisch eine Schande, sie schloss sich in Graz den Sanktionen gegen Russland an, unterstützt explizit Nehammers „diplomatische Initiativen“, schürt Illusionen in UNO und OSZE. Kurz: Sie sitzt im Boot mit der eigenen herrschenden Klasse.
Ein „Frieden“ der von den Kapitalisten der USA, der EU, Russlands und der Ukraine verhandelt werden wird, kann nur ein Kompromiss imperialistischer Interessen sein, der den Keim des nächsten Krieges schon in sich trägt. Die Ukraine soll nach US-Vorstellung eine zerstörte, aber hochgerüstete Schuldkolonie des Westens sein, die Arbeiterklasse sozial entrechtet und „Demokratie“ reine Fassade. Sowohl eine Verschiebung der russischen Grenzen nach Westen, als auch ein Verbleib der russischsprachigen Ukrainer in den Staatgrenzen von 1991 wird den Chauvinismus schüren und nationale Unterdrückung verfestigen. Auf Basis des Kapitalismus ist kein Frieden möglich, sondern nur die Etablierung stärkerer Ausbeutung, härterer Unterdrückung und Spaltung der Arbeiterklasse dieser ganzen Weltregion. Russen und Ukrainer sind historisch eng verwobene Völker, die durch die kapitalistische Restauration auseinandergerissen und durch den Imperialismus in den Krieg gezwungen wurden. Nur wenn die Arbeiterklassen ihre eigenen Herrschenden stürzen, wird der Friede kommen. Unsere Aufgabe ist es fest gegen den Militarismus unserer eigenen Herrschenden zu stehen. Keinen Cent, keine Kugel, keinen Soldaten für den imperialistischen Krieg! Für Internationalismus und die soziale Revolution! •