Am 8. 12. 2012 wäre Jura Soyfer genau 100 Jahre alt. Er war politischer Aktivist, Kabarettist, Journalist und Schriftsteller im Wien der 30er Jahre. In seinen Gedichten, Artikeln und Theaterstücken trat er vehement für eine „bessere Welt“ ein und appellierte wiederholt an die Arbeiterschaft, sich ihrer Stärke zu besinnen und sich dem Faschismus und Nationalsozialismus entgegenzustellen.
Horst Jarka sagt über diese Zeit: „Die 26 Jahre, die man ihn leben ließ, waren Jahre gewaltiger politischer und gesellschaftlicher Erschütterungen, die unser ganzes Jahrhundert geprägt haben. Er hatte teil an den Kämpfen, Hoffnungen und Illusionen einer Generation, die in der Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, im drohenden Schatten des Krieges ohne Hoffnung aufwuchs.“
Jura Soyfer wird am 8. Dezember 1912 in Charkow (Ukraine) als Sohn des jüdischen Industriellen Wladimir Soyfer geboren. Die Familie muss mit Verlauf der russischen Revolution zunehmend um ihre Sicherheit fürchten und flüchtet 1923 nach Wien. Mit dem Brand des Justizpalastes 1927 und durch seinen politisch interessierten Jugendfreund Mitja Rapoport wird Jura Soyfer politisiert. Er studiert sozialistische Schriften, wird überzeugter Marxist und tritt dem Bund sozialistischer Mittelschüler Österreichs (BSMÖ) bei.
Im Jahr 1929 beginnt Jura für das „Politische Kabarett“ der Sozialistischen Veranstaltungsgruppe zu schreiben.
Ab 1930 publiziert Soyfer regelmäßig Gedichte und Artikel in der „Arbeiter-Zeitung“ (AZ).
1931 maturiert er und inskribiert an der Universität Wien Germanistik und Geschichte.
Die politische Situation in Österreich verschärft sich von Tag zu Tag. Die Ereignisse des Jahres 1931 sprechen eine deutliche Sprache: Die Credit-Anstalt bricht zusammen, die Wirtschaftskrise erreicht Österreich mit ganzer Gewalt, Ignaz Seipel übernimmt die Regierungsbildung, die Sozialdemokraten weisen ein Koalitionsangebot zurück, die Christlichsozialen bilden eine Koalition mit Großdeutschen und Landbund; der steirische Heimwehrführer Pfrimer versucht einen Staatsstreich,… .
Radikalisierung der Herrschaftsformen sowie der Innenpolitik, Verschärfung der Klassengegensätze – alle Konflikte drängen auf gewaltsame „Lösungen“ zu, auch in der internationalen Politik. Für Jura Soyfer besteht kein Zweifel darüber, dass die Krise des Weltkapitalismus auf einen Weltkrieg hinausläuft. In zahlreichen Veröffentlichungen in der Arbeiter-Zeitung warnt er vor dieser Gefahr sowie der des Faschismus und ruft zu aktivem Widerstand auf.
Jura Soyfer wird gepackt vom Wunsch aller Reporter, dort zu sein, wo „was los ist“. Mit dem Chefredakteur der AZ kommt er überein, ein paar Wochen in Deutschland als „gelegentlicher Berichterstatter“ zu verbringen. Dort erlebt er 1932 den letzten Sommer der Weimarer Republik, studiert den Nationalsozialismus aus nächster Nähe, hört Reden Hitlers und ist baff über die „Geistlosigkeit und Brutalität dieses Massenbezauberers“. Soyfer kritisiert die Unfähigkeit der Führung der linken Parteien Deutschlands und schreibt:
“Die Arbeiterschaft ist durch und durch revolutioniert, und es kommen einem Tränen in die Augen, wenn man sieht, wie diese prachtvollen Proleten mit ihrer ganzen Kampfesenergie an den Stempelstellen verrecken müssen.“
Die literarischen Ergebnisse der Deutschlandreise werden als Reportagen in der AZ publiziert. Auch die von ihm veröffentlichten Gedichte zwischen 1931 und 1934 sind geprägt vom Kampf gegen den Faschismus und Nationalsozialismus.
Die Geschehnisse in Deutschland im Jahr 1933 (Regierungsantritt Hitlers, Ausschaltung der Arbeiterbewegung) werfen einen gefährlichen Schatten auf Österreich und lösen große Unsicherheit in der SDAP aus. Berichte über Konzentrationslager für Regimegegner verstärken diese Verunsicherung. Die Sozialdemokraten können sich nicht einigen, wie man am besten darauf reagieren soll.
Gleichzeitig spitzt sich der Konflikt in Österreich zwischen den Sozialdemokraten und den Christlichsozialen zu. Von Jänner 1932 bis Februar 1934 häufen sich die bewaffneten Zusammenstöße zwischen Nazis und Austromarxisten. Am 4. März 1933 kommt es zur Ausschaltung des Parlaments, dem Hauptagitationsort der SDAP, somit ist der Aufstieg für ein autoritäres Regime, mit Dollfuß an der Spitze, bereitet. Es folgen weitere Angriffe auf die bereits geschwächte Arbeiterbewegung. Der Republikanische Schutzbund wird im Mai 1933 aufgelöst. Den schwersten Schlag erleidet die Arbeiterpartei aber als es zum Bürgerkrieg am 12. Februar 1934 kommt.
Jura Soyfer versucht die Ereignisse dieser Zeit in seinem Roman „So starb eine Partei“ aufzuarbeiten. Diesem Roman widmet Soyfer seine besten Kräfte. Die Kritik an der eigenen Partei, die er in „seiner“ Arbeiter- Zeitung nicht äußern kann, bringt er hier besonders zum Ausdruck und analysiert das Versagen der Sozialdemokraten. Das Werk ist eine kritische Bestandsaufnahme von Politik, Organisationsstruktur, Funktionsweise und Ideologie der Partei und gilt als eines der besten Werke über die Auseinandersetzungen jener Zeit. Soyfer übt Kritik an Entfremdung von der Basis, Korrumpierung durch Macht, Bürokratisierung des Parteilebens, und Attentismus der Parteiführung angesichts der faschistischen Gefahr. Der Roman ist ebenso wie ein Drittel seiner Werke verschollen – geblieben ist ein Fragment von äußerster Dichte.
Nach den Geschehnissen 1934 zieht Soyfer die Konsequenzen und wendet sich enttäuscht von der SDAP ab. In der seit 1933 verbotenen KP arbeitet Soyfer für das Pressereferat der KPÖ als Verbindungsmann zu ausländischen Journalisten. Im Zuge dieser Tätigkeit macht er Bekanntschaft mit dem englischen Schriftsteller und Journalist John Lehmann, der einige Texte Soyfers in der Londoner Literaturzeitschrift „New Writing“ veröffentlicht. Diese Publikationen bilden eine wichtige Quelle der Rekonstruktion von Soyfers Gesamtwerk.
Jura Soyfer setzt seine Arbeit bei verschiedensten linken Wiener Zeitungen fort und debütiert 1935 bei der Kleinkunstbühne „ABC“. Als eines von drei Mitgliedern der KP hat Jura Soyfer Differenzen mit dem Direktor des ABC, aber als Kassenmagnet ohnegleichen lässt man ihn walten. Er wird zum Hausdichter der kritischsten, revolutionärsten Kleinkunstbühne in Wien.
1936 wird sein erstes Mittelstück „Der Weltuntergang“ uraufgeführt. Im Jahr 1936/37 erfolgt die Erstaufführung des „Lechner Edi“ in der „Literatur am Naschmarkt“ 1937 erscheint „Astoria“. In der Saison 1937/38 folgen: „Der treueste Bürger Bagdads“, „Vineta“ und die „Broadway- Melodie“. Am 17. November 1937 wird Soyfer wegen Verdachts der Betätigung für die Kommunistische Partei – aufgrund einer Verwechslung mit Franz Seidel (= Franz Marek, Propagandaleiter der Kommunistischen Partei) festgenommen. Trotz der Verwechslung findet man bei ihm genug belastendes Material der KP.
„Die Anklage stützt sich auf Soyfers Verbindungen zu bekannten Kommunisten, die beschlagnahmten Schriften und auf seine Tätigkeit in der Kleinkunst.“
Es heißt, aus den von ihm verfassten Theaterstücken gehe seine kommunistische Gesinnung einwandfrei hervor.
Nach einer dreimonatigen Haftstrafe wird Soyfer am 17. Februar 1938 aufgrund einer Generalamnestie für alle „Politischen“ aus der Haft entlassen. Besonders schlimm ist für ihn, dass der Roman, an dem er jahrelang gearbeitet hat, bei den Hausdurchsuchungen von der Polizei beschlagnahmt worden ist. Entgegen der Ratschläge seiner Freunde hat er keine vollständige Abschrift davon angefertigt.
Aus der Haft entlassen, sieht er sich vor die schwere persönliche Entscheidung gestellt, entweder seinen Beruf (intellektueller Journalist, politischer Autor) aufzugeben oder zu emigrieren. Angesichts der absehbaren Zukunft gibt es für ihn als polizeibekannten Widerstandskämpfer, aufmüpfigen Kabarettautor, Juden und Kommunist keine Alternative zur Emigration.
Am 13. März 1938 werden Jura Soyfer und Hugo Ebner an der Grenze zur Schweiz aufgegriffen, verhaftet und nach Feldkirch überstellt. Drei Monate später, am 23. Juni 1938, kommen Soyfer, Ebner und Max Hoffenberg ins Konzentrationslager Dachau, wo Soyfer das „Dachaulied“ verfasst. Jura Soyfer ist geradezu begierig, eine neue Welt kennen zu lernen; er will wissen wie ein Konzentrationslager aussieht, um es später authentisch schildern zu können. Er erkennt: „Die Nazis wollen den Menschen in uns zertreten.“ Hätte der Journalist und Schriftsteller überlebt, wäre sein Werk über das Konzentrationslager ein Beitrag zur Pathologie der Barbarei geworden. Im September 1938 wird er nach Buchenwald überstellt.
In einem stimmen alle Augenzeugen überein: Jura Soyfer verliert weder den Mut noch seine Ironie, er bewahrt sich die Freiheit menschlicher Empfindung und muntert stets seine entmutigten Kameraden auf. Aufgrund der einsetzenden „Judenaktion“ ist das Lager hoffnungslos überfüllt und Typhus bricht aus. Soyfer und Hoffenberg werden zum Revierdienst eingeteilt. Sie müssen Leichen, in Decken hüllen und zu einem Schuppen außerhalb des Lagertors bringen, damit sie zur Verbrennung transportiert werden können. Die sanitären Zustände im Lager sind katastrophal und Jura Soyfer erkrankt selbst an Typhus. Die Ironie des Schicksals will es, dass er am Tag seiner Einlieferung ins Krankenrevier die Entlassungspapiere und ein Einreisevisum für die USA erhält. Die Kameraden tun alles, um ihm zu helfen, doch eine zusätzliche Lungenentzündung ist sein Todesurteil. Am 16. Februar 1939 stirbt der Widerstandskämpfer.
Gerd Schuchardt sagt über Jura Soyfer:
„Wohin die Flucht in einen „Vergessenskreis“ führt, das hat die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts mehr als zur Genüge vorgeführt. Der Dichter Jura Soyfer hat diese Flucht seiner Zeitgenossen mit dem Leben bezahlt. Es ist an uns, dafür zu sorgen, dass sein Sterben nicht umsonst war. Es ist an uns, sein Vermächtnis der Humanität am Leben zu erhalten.“
In diesem Sinne gilt:
Du Gegenwart, springe im Kampf uns an,
Wir wollen dich zur Zukunft gestalten –
Denn reich ist das Erbe, es kommt nur drauf an,
Daß wir es uns selber verwalten!