Die Gewerkschaften riefen und 1025 Betriebsräte aller sechs Fachbereiche der Metallindustrie versammelten sich am Mittwoch um den Bericht der Chefverhandler Rainer Wimmer und Karl Proyer zu den ersten drei Verhandlungsrunden zu hören, darüber zu beraten und die nächsten Schritte zu setzen. Emanuel Tomaselli berichtet von einer denkwürdigen Betriebsrätekonferenz in Amstetten.
„Es ist verdammt kompliziert und ned einfach, aber wir müssen Schritt für Schritt weitergehen, sonst werden wir uns nie mehr in dieser Zusammensetzung treffen.“ Schon in den einleiteden Worten des PRO-GE-Vorsitzenden Wimmer wurde der völlig neue Charakter der heurigen Kollektivvertragsrunde unterstrichen. Ein „neues Feeling“ herrsche auf Unternehmerseite. Man habe es mit Menschen zu tun, “die nur in Worten zur Republik und der Demokratie stünden”, sich aber, wo auch immer sie sich frei entfalten können, als reine Patriarchen aufführen. „Wir haben Argumente aus der Natur der Sozialpartnerschaft verwendet, aber dafür sind sie nicht zugänglich“, so Wimmer weiter.
Fundierte Zahlen über historische Steigerungen bei den Gewinnen (die zu drei Viertel an die AktionärInnen ausgeschüttet wurden) und Managergehältern (plus 9%) zeigten, dass die Forderungen der Gewerkschaft mehr als berechtigt sind.
Kollege Wimmer schilderte dann die bisherigen Verhandlungsrunden und erzielte damit im Publikum ungläubige Blicke. Inhalt der ersten Runde scheint ein Vortrag über das Glück gewesen zu sein. Johannes Collini, Chefverhandler der FMMI, erklärte unserem Verhandlungsteam, dass es im Leben ums Glück gehen würde, aber nicht um Zulagen. Glück sei Gesundheit, Freunde und einen Job zu haben. Niemand dürfe die Harmonie der Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter im Betrieb stören, so Collini.
Nach langem Drängen gelang es beim 2. Verhandlungstermin dann, den Unternehmern einiges zu entlocken. Primäres Ziel sei für sie ein „Beschäftigungssicherungspakt 2020“. Arbeitszeitregelungen sollen in Zukunft nur noch auf Grundlage des Arbeitsrechts (56 Wochenstunden, 12 Stundentag) auf die betriebliche Ebene ausgelagert werden. Unter dem Titel „Altersgerechte Arbeitszeit“ soll die Normalarbeitszeit für die Jungen auf 42 Stunden ausgeweitet, und für Ältere auf 35 Stunden (ohne Lohnausgleich) gekürzt werden. Die Jungen würden durch den geplanten Wegfall von Überstundenzuschlägen genauso wie die älteren KollegInnen durch die kürzere Arbeitszeit jeweils um 5000-8000 € im Jahr weniger verdienen. In der 3. Verhandlungsrunde präsentierten die Unternehmer dann ihr Modell eines „differenzierten Lohnsystems“. Demnach soll das Lohnschema auf Betriebsebene ausgerechnet werden und nur noch Mindestlöhne aber keine Ist-Löhne kennen.
Wimmer fasste die Situation so zusammen: „Die Unternehmer wollen uns an die Wand fahren, die Hardliner sind am Drücker und stellen die Mehrheit ihrer Interessensvertretung.“
Mit Hinweis auf stockende Verhandlungen, aufgekündigte Kollektivverträge und ungesetzliche Vorstöße der Unternehmer appellierte Wimmer an die Arbeitgeber: „Ein Flächenbrand kann entstehen, überspannt den Bogen nicht, sonst sind wir gezwungen Maßnahmen zu setzen, denn wir lassen uns das Rad der Geschichte nicht 100 Jahre zurückdrehen.“
Deutlicher noch formulierte es Kollege Karl Proyer von der GPA-djp, der als nächster ans Rednerpult trat. Er erklärte das eigentliche Vorhaben der Unternehmer. Sie picken sich den „schwächsten“ Fachbereich der Metaller heraus und wollen von dort ausgehend das gesamte Kollektivvertragssystem in Österreich aufrollen. Die gleichzeitige Veröffentlichung von Vorschlägen eines ÖVP-Expertengremiums, das weitere Einschnitte bei den ArbeitnehmerInnen vorsieht, ist für ihn kein Zufall, sondern Teil einer konzertierten Aktion. Wie viele andere Redner nach ihm beschäftigte er sich mit dem Thema der Sozialpartnerschaft und bezog eine sehr pragmatische Haltung: „Eine Sozialpartnerschaft, die nix bringt, ist eh nix wert.“ Und dann sprach er aus, was seit Monaten in der Luft liegt: „Das Kalkül der Unternehmer ist, dass wir nix zsammbringen. Aber wir lassen uns nicht spalten und kämpfen um den Kollektivvertrag. Es ist Zeit, offen zu sagen, dass es einen Arbeitskampf geben wird.“
In der Diskussion wurde dann klar, dass es die Unternehmer daran gehen mit allen demokratischen Rechten der Arbeiterbewegung aufzuräumen. Viele anwesende Betriebsräte berichteten von gleichlautenden Briefen, die ein „Rechtsgutachten“ enthielten, worin festgehalten wurde, dass nur der BR-Vorsitzende zur Betriebsrätekonferenz fahren dürfe, nicht aber die Stellvertreter. Wie man darauf reagierten kann, zeigte der Betriebsrat der Firma Bosch, der diese Provokation zum Anlass nahm, mit dem ganzen Gremium anzureisen. Auch betonte ein Gewerkschaftsjurist, dass Betriebsversammlungen ein demokratisches Recht der ArbeitnehmerInnen seien und die verfassungsmäßige Versammlungsfreiheit geschützt ist. Ort, Zeitpunkt und Dauer einer Betriebsversammlung bestimmt die Belegschaft und die Entgeldfortzahlung habe nach geübter Praxis zu erfolgen.
Keiner der Redner stellte sich gegen den Kurs der Gewerkschaften. Im Gegenteil, alle unterstrichen ihre Bereitschaft Kampfmaßnahmen voll mitzutragen. Interessant war ein Beitrag eines Kollegen, der eine aktivere Streikkultur verlangte. Man müsse versuchen gerade bei kleinen und mittleren Betrieben Cluster zu bilden und dort gemeinsam zu streiken und dies öffentlich zu demonstrieren. „Die letzte Streikrunde ging an der Öffentlichkeit vorbei, das macht uns schwächer als wir sind“, so der Kollege. Weiters schlug er vor, im Angestelltenbereich – wo alle KollegInnen an Computern und Telefonen sitzen – Kampagnen zu lancieren. Karl Schaller, Konzernbetriebsrat der vöstalpine, ließ seinem heiligen Zorn freien Lauf und unterstrich, dass es den Unternehmern heuer nicht um Kleinigkeiten gehe, sondern um systematisches Lohndumping und das Ende des KV-Wesens. Er ließ die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass im Mühlviertel “auch freundliche Ärsche nicht süßlich furzen” würden, und gab zu verstehen, dass dies in der Wirtschaftskammer ebenso sei. Die „Auf die Knie-Strategie der Unternehmer“ bedeute, dass die Sozialpartnerschaft tot sei, dass die Kollegen aufwachen und die neue Realität erkennen müssen, solange man noch agieren kann.
Die vorgelegte Resolution einstimmig angenommen. Dann präsentierte Kollege Anderle den folgenden Kampfplan:
Am 16. und 17. Oktober werden in allen Bereichen der FMMI und jenen Betrieben, die mehrheitlich zur FMMI gerechnet werden können, Betriebsversammlungen stattfinden. In den anderen Bereichen der Metallindustrie sind ebenfalls Betriebsversammlungen erwünscht. Am 18.10. ist dann die 4. Verhandlungsrunde. Entweder wird hier ein Durchbruch erzielt, oder aber die Gewerkschaften rufen für den 22.10. zu einer Betriebsrätekonferenz auf, auf der dann „eine entsprechende Vorgangsweise“ beschlossen werden soll. Angesichts der allgemeinen Angriffe auf das KV-Wesen hat die Gewerkschaft PRO-GE Plakate für KollegInnen anderer Bereiche produziert. Damit soll die Bedeutung des „Schneepflugs Metaller KV“ auch in allen anderen gewerkschaftlich organisierten Sektoren erklärt und um Solidarität geworben werden.
Wir müssen aufgrund des aggressiven Verhaltens der Unternehmer davon ausgehen, dass die Konferenz am 22.10. kommen wird. Dort kann nur die Vorgangsweise beschlossen werden, dass „wir den Unternehmern zeigen, dass wir entscheiden, was wir mit unserer Arbeitskraft machen und was nicht“, wie es Kollege Wimmer in seinen Abschlussworten ausdrückte.
Die Gewerkschaft steht auf dem richtigen Fuß, aber es sind warnende Worte angebracht. Die von der Gewerkschaftsführung vertretene Vorstellung, dass die Verhandlungsstruktur nicht wichtig sei, sondern nur der gemeinsame Abschluss, hat sich bereits als falsch herausgestellt. Unsere Hauptamtlichen und das Verhandlungsteam verbringen nun fast jede Nacht mit Verhandlungen in einem der 6 Metallerbereiche (oder den anderen Runden, die momentan laufen, oder besser stocken), was einerseits dem Collinischen` Glücksprinzip völlig widerspricht und unsere Führung andererseits müde macht.
Bereits in der kommenden Woche manifestiert sich die neue Verhandlungsstruktur aber auch darin, dass nur im Bereich FMMI unbedingt Betriebsversammlungen stattfinden sollen und in den anderen Bereichen diese nur “gewünscht” werden. So beginnt die Entsolidarisierung in der PRO-GE. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Rede von Karl Schaller zu verstehen. Der Grund für das Wording des Vorstands dürfte sein, dass es in einigen Schlüsselbetrieben – insbesonders, aber nicht nur in der Stahlbranche – einige Betriebsratsvorsitzende gibt, die das Ausmaß des Angriffes noch nicht erfasst haben. Sie dürften sich in der falschen Sicherheit wiegen, dass sie ihren Betrieb so gut unter Kontrolle haben, dass sie unabhängig vom Kollektivvertrag im Betrieb oder im Konzern gute Bedingungen für die KollegInnen durchsetzen können. Dies zeugt von Unwissen und Ignoranz gegenüber der europaweiten Entwicklung und ist auch vom rein logischen Standpunkt aus falsch: Das Mehr in ihrem Betrieb ergibt sich ja nur auf der Grundlage eines allgemeinen, im KV erstrittenen Standards, der nur gemeinsam erkämpft und verteidigt werden kann.
Wir schlagen daher vor, dass auf der Betriebsrätekonferenz am 22.10. eine Resolution verabschiedet wird, in der nicht nur der Beginn von Kampfhandlungen beschlossen wird, sondern auch das Prozedere, wie dieser Konflikt wieder beigelegt werden soll. Wir denken, dass der gemeinsame Abschluss nur durch Beschluss auf einer Betriebsrätekonferenz aller Fachbereiche der Metallindustrie erfolgen darf. So kann man dem Ausscheren einzelner Bereiche aus dem gemeinsamen Kampf einen Riegel vorschieben, ebenso die Aussetzung der Auseinandersetzung durch ein Eingreifen von außen. Gegenüber den Unternehmern demonstriert eine solche Vorgangsweise jene Geschlossenheit, die nun notwendig ist.
In den kommenden Wochen gilt es zusammenzustehen und gemeinsam den Anschlag der Unternehmer auf den Metaller-KV und unsere Löhne und Rechte zurückzuschlagen.