Lehrer-Schüler: Rebelliert!

Österreichs selektives Schulsystem (erste Aussiebung im Alter von zehn Jahren!) entspricht nicht den Bedürfnissen der Gesellschaft, sondern dem Bildungsdünkel eines politisch kastrierten Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Heute fehlen zudem Geld und Mittel an allen Ecken und Enden. Jetzt wird dieses Fossil mit politischen Elementen kapitalistischer Barbarei des 21. Jahrhunderts angereichert. Das nennt sich „Reformen“. Von Lukas Frank.
Die jahrzehntlange chronische Unterfinanzierung bringt den Betrieb der unterprivilegierten Standorte ans Limit – speziell die NMS und Schulen in migrantischen Vierteln. Die Arbeiterkammer schätzt, dass 510 von 5865 Schulen vor schweren oder sehr schweren Herausforderungen stehen. Ein Fünftel aller Schüler Österreichs, konkret 350.000, gehen in solche Schulen – 440 Mio. pro Jahr wären notwendig, um diese Schulen herzurichten, so die AK. Diese „Brennpunktschulen“ sind nur die Spitze des Eisbergs.
Österreich ist ein Einwanderungsland und Vielsprachigkeit Realität. Dies wurde über Jahre „übersehen“. Isolierte Deutschklassen, die 2018 als Spar- und Segregationsmaßnahme eingeführt wurden versagen auf ganzer Linie. Sie reißen „außerordentliche Schüler“ aus dem Klassenverbund, um ihnen dann im Schnelldurchlauf Deutsch einzutrichtern. Gerade mal die Hälfte schafft es nach 1,5 Jahren zurück in die Regelklasse.
Das brüchige Fundament der Schule wird weiter unterspült durch staatliche Stimmungsmache gegen Migranten. Während 43% der Jugendlichen (Ö3 Jugendstudie) der Demokratie misstrauen, will Bildungsminister Wiederkehr mit einer „Demokratieoffensive“ staatlich verordnete Solidarität mit Israel durchsetzen und Begeisterung für das Bundesheer in den Schulen erzwingen. Dazu kommt die Erfahrung von Alltagsdruck und Perspektivlosigkeit, die tausende Jugendlichen verzweifeln lässt. Psychische Probleme sind kein Einzelphänomen, sondern Normalität.
Während damit die realen Anforderungen an den Lehr- und Kindergartenberuf steigen, findet Arbeitsintensivierung und Entprofessionalisierung statt. Von 2018/19 bis 2023/24 stiegen Überstunden um 20%. 10% der Lehrer haben Sonderverträge – d.h. sie sind nicht ausgebildet. An Mittelschulen in Oberösterreich und Tirol werden jeweils 35% und 46% der Unterrichtsgegenstände fachfremd unterrichtet.
In zunehmenden Teilen des Bildungssystems wird damit nicht mal mehr das Mindestmaß sichergestellt: die Präsenz eines Lehrers, der in der Lage ist, die ganze Klassengemeinschaft zu unterrichten und dafür auch fachlich und pädagogisch ausgebildet ist. Doch das Schulsystem ist mehr als Wissensvermittlung. Wohl oder übel ziehen Jugendliche hier den Hauptteil der Kulturtechniken, um sich in die Gesellschaft einzugliedern. Schulen sind grundlegende Einrichtungen der Gesellschaft. Sie bröckeln an allen Ecken und Enden.
Dementsprechend breit wird die Krise des Bildungssystems diskutiert und Bildungsminister Wiederkehr von den Neos hat eine „Reformoffensive“ gestartet. Lässt man die Schaumschlägerei beiseite, läuft sie auf Folgendes hinaus: Die Lehrerschaft zu Handlangern machen, um den alltäglichen Schulbetrieb zu straffen, indem „schwierige“ Schüler und „unangepasste“ Migranten aussortiert werden.
Konkret heißt das: Suspendierungen sollen breiter anwendbar gemacht werden, indem „betreut suspendiert“ werden kann. Umsetzungsvorschlag sind „Time-Out-Klassen“, wo die schwierigen Schüler verwahrt werden. Dazu soll die Möglichkeit kommen, Eltern mit bis zu 1000 € Verwaltungsstrafe zu belegen, damit die Schule sie mehr in die Verantwortung zwingen kann.
Die fehlgeschlagenen Deutschklassen werden weiter ausgebaut. Um ihre Unzulänglichkeiten zu kompensieren, sollen zwei Wochen Sommerschule für über 70.000 Schüler Pflicht werden. Neues Personal dafür gibt es nicht, laut Wiederkehr sollen Lehrer dafür zwangsverpflichtet werden.
Für substanzielle Verbesserungen gibt es kein Geld. Im Gegenteil erzwingt die Regierung trotz gültigen Kollektivvertrages Reallohnkürzungen. In der Budgetvorschau 2027/28 sind Nulllohnrunden schon einkalkuliert.
Diese Angriffe auf Schüler und Lehrer fließen bei der Frage des Kopftuchverbotes zusammen. Lehrer sollen gezwungen werden, als Sittenwärter Eltern und Schüler zu verpfeifen. Staatlich organisierter Kleidungszwang – egal ob gegen Kopftuch oder Hotpants gerichtet – hat keinerlei emanzipatorischen Effekt. Hier eröffnet die Regierung nur ein neues Feld des Kulturkampfes, das Migranten zu Sündenböcken macht und Pädagogen zu Polizisten – nur um die Gesellschaft zu spalten.
Statt ständiger Triage braucht es eine Ressourcenoffensive, um qualitative, öffentliche Bildung sicherzustellen. Die Kinder und Jugendlichen der Arbeiterklasse brauchen Bildungseinrichtungen, die in der Lage sind, den höchsten Stand des Erreichten mitzugeben: die Fähigkeit sich zu artikulieren, sich eigenständig Gedanken zu machen und in der Schatzkammer der menschlichen Kultur zurechtzufinden.
Dies bedeutet auch eine Schule, die der Vielfalt Österreichs gerecht wird. Ein Viertel der Wiener Erstklässler mit unzureichenden Deutschkenntnissen (45% insgesamt) spricht arabisch als Erstsprache. Jede Pädagogin weiß, dass das grammatikalisch korrekte Erlernen der Muttersprache die Grundlage für jeden anderen erfolgreichen Spracherwerb ist. Der Ansatz: „Integration ist Pflicht“ hingegen bedeutet nur die Produktion von „Bildungsversagern“ in Serie.
Von den Spitzen der GÖD bis zu Bildungsminister Wiederkehr: Jeder versucht den Deckel auf dem Pulverfass Schule draufzuhalten. Darunter formieren sich Basisinitiativen wie „Bildung Brennt“. Diese Lehrerinitiative war eine treibende Kraft hinter dem erfolgreichen „Aktionstag Bildung“, an dem allein in Wien über 10.000 für ein besseres Bildungssystem auf die Straßen gegangen sind. Jetzt starten sie eine Kampagne für Lehrer und Schüler gegen das Kopftuchverbot – am 01.10 ist in Wien eine erste Demo angesetzt. Dies ist ein erster Schritt um die kämpferischsten Teile der Schüler und Lehrer zusammenzubringen, um eine Trendumkehr einzuleiten.
(Funke Nr. 237/24.09.2025)