Spätestens im Herbst finden die Wahlen zum Nationalrat statt. Die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung schiebt eine Erosion der bisherigen politischen Mehrheitsverhältnisse und der Parteienlandschaft an. Die politische Instabilität wird sich durch die kommenden Wahlen nicht auflösen, sondern steigern. Eine Analyse von Emanuel Tomaselli.
Seit den letzten Nationalratswahlen im September 2019 wurde Österreich von vier verschiedenen Bundeskanzlern regiert (Regierungen Bierlein, Kurz 2, Schallenberg, Nehammer). Diese Instabilität ist kein Zufall, sondern ein Barometer einer vielschichtigen und tiefgehenden Krise des Kapitalismus.
Pandemie und Niedergang Europas
Die vergangenen Jahre waren gekennzeichnet von einer Kette von überlappenden Krisen, die mit keinem politischen Programm zu bewältigen ist, welches das Privateigentum an den Banken und Produktionsmitteln akzeptiert. Die COVID-Krise brachte eine weltweite Übersterblichkeit von 15 Mio. Menschen, führte zum Einbruch von Lieferketten und untergrub die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft, Konzernen und Politik. Mit der gescheiterten Impfpflicht (die von allen Parlamentsklubs außer der FPÖ mitgetragen wurde) und der monatelangen liberalen Kampagne gegen angebliche und echte Corona-Leugner wurden die politischen Gräben in Österreich besonders tief gezogen. Der Versuch die gesellschaftlichen Verwerfungen unter einer Lawine von Staatsgeld zu begraben (Österreich zahlte europaweit die höchsten Corona-Hilfszahlungen an die Wirtschaft), konnte die politische Stabilität nicht erhalten, im Gegenteil. Diese Gelder schoben nur die Inflation an und zerrütteten die Staatsfinanzen. Die Teuerung ist heute der grundlegende Faktor der politischen Unzufriedenheit, die kommende Budgetsanierung und Pensionsraub werden diese Stimmung weiter verschärfen.
Der seit 2022 tobende Ukraine-Krieg untermauert und beschleunigt das Auseinanderbrechen des Weltmarktes. Der Krieg um Gaza treibt die globalen Widersprüche auf neue Spitzen. Österreich wird dabei auf eine geopolitische Erdbebenlinie geschoben.
Einst profitierten die rot-weiß-roten Kapitalisten von den engen politischen, finanziellen und Handelsverflechtungen mit Russland, jetzt verkehrt sich das in sein Gegenteil. Das Sanktionsregime des Westens gegen Russland schadet der eigenen Wirtschaft mehr als der russischen. Etwa die Hälfte der im Vergleich zur EU höheren Inflation ist laut den Wirtschaftsforschern auf die besonders starke Verteuerung von Gas zurückzuführen. Die Inflation wird daher in Österreich (und Ländern mit ähnlichen Handelsbeziehungen) höher als in anderen Teilen Europas bleiben, die Profitbedingungen der heimischen Kapitalisten erschweren und den Verteilungskampf anheizen. Wichtige österreichische Konzerne wie die RBI und die OMV sind zudem direkt vom (Wirtschafts-)Krieg zwischen den USA und Russland betroffen. Anstatt saftige Extraprofite zu machen, verlieren Österreichs Top-Kapitalisten Profite und die Kontrolle über ihre Investments.
Dies bedeutet letztendlich, dass die ökonomische Basis des politischen Systems in den kommenden Jahren weiter untergraben und zur Instabilität beitragen wird. Dieses Verständnis ist zentral, um eine korrekte Politik der Arbeiterbewegung zu entwickeln:
Die Lage ist in Österreich ist so schlecht, weil hier der Kapitalismus besonders von der Krise betroffen ist, nicht weil die Regierungspolitik so viel schlechter wäre als sonst wo.
Egal welche Regierungsmehrheiten nach der kommenden NR-Wahl überhaupt möglich sind, das Programm steht bereits fest: Die kommende Regierung wird eine Regierung der (internationalen) Krisenbewältigungen und der sozialen Angriffe sein.
Krise der Demokratie und der Parteien
Dazu braucht es jedoch eine parlamentarische Mehrheit und ein gewisses Ausmaß an Stabilität. Dies ist nicht einfach, weil die ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ in der Krise sind, die „FPÖ unter Kickl“ nach der Mehrheitsmeinung der Bourgeoisie in Österreich und Europa dezidiert nicht an die Regierung soll, die liberalen Parteien stagnieren und mit BIER und KPÖ völlig ungetestete politische Formationen ins Parlament einziehen könnten.
Sebastian Kurz putschte sich 2017 an die Spitze der ÖVP, wobei er sich auch finanziell auf neue Leute in der Bourgeoisie stützte. „Aufsteiger“, die (oft mit – auch aus Russland – geliehenem Geld) immens reich wurden, und denen er sich verpflichtete. Kurz missachtete wiederholt die Gepflogenheiten des Rechtsstaates, was sich u.a. in unzähligen Korruptionsfällen niederschlägt. Im Oktober 2021 wurden die Widersprüche innerhalb der Bürgerlichen und im Staatsapparat zu groß, und das Wunderkind musste gehen. Nach dem missglückten Zwischenspiel unter Schallenberg führt Nehammer die ÖVP und die Regierung. Er ist zögerlich und ohne jede erkennbare Richtung, außer einer: der bedingungslosen Unterstützung des Krieges gegen die Bevölkerung Gazas. Damit erreicht er nach innen eine Allparteien-Koalition zur Kriminalisierung jedes Widerstands gegen die Herrschenden. Sein Charisma reicht aber bei weitem nicht aus, um die aufgetürmten Widersprüche und die Fäulnis der ÖVP zu übertünchen. Ein Absturz der Partei, die seit 1987 ununterbrochen an der Regierung ist, scheint unvermeidlich.
Der von Babler lancierte Neuanfang der SPÖ ist gescheitert, weil er seine Basisbewegung einstellte und stattdessen eine Abmachung mit den sozialpartnerschaftlich orientierten Machtapparaten der Partei (SPÖ Wien- und FSG-Spitze) schloss. In der Parteizentrale wird an der Wiederbelebung einer Koalition mit der ÖVP gearbeitet, ein Projekt, das man nur als Harakiri, eine Selbstaufopferung der Reformisten für den Profit der Kapitalisten begreifen kann.
Ein Programm der sozialen Angriffe, der Stabilisierung der Institutionen („Rechtsstaatlichkeit“) und der außenpolitischen Aufrüstung gegen „Europas Feind Russland“ soll die politische Grundlage der kommenden Bundesregierung sein, so die Mehrheitsmeinung in der Bourgeoisie. In diesem Sinne wird die Öffentlichkeit bereits jetzt darauf vorbereitet, dass der Regierungsbildungsprozess langwierig und außergewöhnlich sein wird. Chefredakteure und Politexperten betonen dabei insbesondere die verfassungsmäßigen Machtbefugnisse von Bundespräsident Van der Bellen als institutionellem Gegengewicht zu instabilen Mehrheitsverhältnissen im Parlament und innerhalb der Parteien.
Die heraufziehenden politischen Krisen und die Frage, wie die Arbeiterklasse bei Wahlen und Regierungsbildung agieren kann und soll, wird uns daher das ganze Jahr über beschäftigen. Eines kann man hier vorwegschicken: Ohne Klassenkampf in den Betrieben und auf der Straße werden die Interessen unserer Klasse völlig unter die Räder kommen. Was du schon jetzt tun kannst: Stärk die revolutionären Kommunisten – tritt uns bei!
(Funke Nr. 220/26.1.2024)