Israel feiert seinen 75. Geburtstag in einem beispiellosen Krisenzustand. Am 14. Mai 1948 wurde Israel ausgerufen, nachdem in einer anhaltenden Terrorkampagne der zionistischen Armee gegen die Palästinenser Tausende getötet und 750.000 aus ihren Dörfern und Häusern vertrieben wurden. Dieser Tag stellt die Nakba (Katastrophe) für die Palästinenser dar. Seitdem ist Israel von vielen Kriegen und der ständigen Unterdrückung des palästinensischen Widerstands geprägt, um seine Macht zu festigen. Von Francesco Merli
In den letzten Monaten hat Netanjahus Regierung – die rechteste in der Geschichte Israels – die größte und polarisierendste Welle an Protesten seit Jahrzehnten ausgelöst. Hunderttausende israelische Juden gingen gegen die Justizreform der Regierung auf die Straße. Was auf die tatsächliche Tiefe der Krise hinweist, ist, dass die Bewegung von entscheidenden Teilen der herrschenden Klasse, des Militärs, der Justiz und der Unternehmen unterstützt und mitgetragen wurde. Schließlich schloss sich auch der starke zionistische Gewerkschaftsbund, die Histadrut, der Bewegung an.
Ausschlaggebend war ein Generalstreik am 27. März, der mit einer Aussperrung durch die Chefs unterstützt wurde, und Netanjahu musste nachgeben und sich zurückziehen. Er verkündete die „Aussetzung“ der Reform und war auch zu dem erniedrigenden Schritt gezwungen, die Entlassung von Verteidigungsminister Joaw Galant rückgängig zu machen. Galant brachte die zunehmende Besorgnis des israelischen Establishments zum Ausdruck: „Die Spaltung der israelischen Gesellschaft dringt in die Armee und die Sicherheitskräfte ein. Das ist eine klare, unmittelbare und konkrete Gefahr für die Sicherheit des Staates. Diese Sache werde ich nicht zulassen.“, sagte er im nationalen Fernsehen. Seine Entlassung stach in ein Wespennest im Herzen des zionistischen Staates und der zionistischen Unterstützer Israels in den USA und weltweit.
Hier sehen wir, welche Rolle eine Einzelperson – Netanjahu – dabei spielen kann, ein instabiles Gleichgewicht zu stören und der Krise eine bestimmte Wendung zu geben. Was wir in Israel beobachten, hat einige Parallelen zum Phänomen des Trumpismus und es ist nicht auszuschließen, dass es auch hier zu einem Höhepunkt mit seiner eigenen Version des Kapitolsturms vom Januar 2021 kommen könnte.
Benjamin Netanjahu ist kein neues Gesicht in der israelischen Politik. Er ist der bisher am längsten amtierende Premierminister. Jahrzehntelang navigierte er durch stürmische Gewässer und mehrere Skandale, konnte jedoch – bislang – immer unversehrt aus ihnen hervorgehen. Jetzt ist er allerdings unentwirrbar in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt, er ist jedoch entschlossen, entweder zu überleben oder seine Feinde mit in den Abgrund zu reißen.
Für die israelische herrschende Klasse ist das Problem, dass sie die Kontrolle über die traditionelle Partei des rechten Zionismus, die von Netanjahu geführte Likud, verloren hat. Dies gleicht einer tickenden Zeitbombe im Herzen des Systems. Aus diesen Gründen hat der heutige Konflikt komplizierte Auswirkungen und kann nicht einfach gelöst werden.
Die jüdisch-chauvinistische extreme Rechte
Der rasante Aufstieg von Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich ist alles andere als unbedeutend. Ben-Gvir ist der Vorsitzende von Otzma Jehudit, der Nachfolgerin der rechtsextremen Kach-Partei, die von Meir Kahane geführt wurde. Am 25. Februar 1994 betrat Baruch Goldstein, ein in der jüdischen Siedlung Kirjat Arba (Hebron) ansässiger amerikanisch-jüdischer Kach-Aktivist, das Grab der Patriarchen, die während des Ramadans als Moschee genutzt wurde. Er eröffnete das Feuer auf die 800 betenden palästinensischen Muslime, wobei 29 getötet und 125 verletzt wurden. Er wurde von Überlebenden totgeschlagen. Daraufhin wurde die Kach als Terrororganisation verboten. Ben-Gvir, der Goldstein als seinen persönlichen Helden ansieht, entschied sich, in Kirjat Arba zu leben. Bis vor Kurzem stellte er stolz Goldsteins Porträt bei sich zu Hause zur Schau. Seine extremen rassistischen Anschauungen führten dazu, dass sogar die IDF ihn vom Militärdienst ausschloss.
Bevor er 2021 einen Sitz in der Knesset gewann, wurde Ben-Gvir zum führenden Anwalt für mutmaßliche jüdische Terroristen, Siedler und Rechtsextreme. Er besuchte regelmäßig Kundgebungen der Siedler in Scheich Dscharrah (Ostjerusalem) und zog mehrmals seine Pistole, um die Palästinenser zu provozieren und dann die israelischen Soldaten aufzurufen, jeden zu erschießen, der mit Steinen schmeißt.
Sein Rivale, Bezalel Smotrich, ist der Vorsitzende der Religiös-Zionistischen Partei (Tkuma). Smotrich ist ein Siedler und äußerte seine rassistischen Ansichten immer schon in der Öffentlichkeit. Er ist gegen Mischehen und sagte, dass arabische und jüdische Frauen in den Entbindungsstationen voneinander getrennt werden sollten.
Im Oktober 2021 sagte er zu arabischen Gesetzgebern: „Ihr seid aus Versehen hier, es ist ein Fehler, dass Ben-Gurion den Job 1948 nicht durchgezogen hat und euch rausgeworfen hat.“ Diese Worte enthüllen das Programm der jüdisch-chauvinistischen Rechten: eine neue Nakba zu provozieren und die Palästinenser aus dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas zu vertreiben.
Ben-Gvir und Smotrich sind beides Fanatiker, die zu jeder Provokation fähig sind.
Eine gefährliche Lage
Vor dem Oktober wollte Netanjahu (wie auch die breite Masse der Zionisten) mit Personen wie Ben-Gvir oder Smotrich gar nichts zu tun haben. Jetzt sind sie Netanjahus Königsmacher. Ben-Gvir ist der Minister für die Nationale Sicherheit und Smotrich ist der Finanzminister, zuständig für die Verwaltung des von Israel besetzten Westjordanlandes.
Netanjahu kann es sich aus offensichtlichen Gründen nicht leisten, die Unterstützung der Rechtsextremen zu verlieren, die bei der Kehrtwende zur Justizreform „Verrat“ schrien. In einem seiner Theaterstreiche zog er ein Kaninchen aus dem Hut: die Gründung der Nationalgarde, ein lang ersehnter Traum der Rechtsextremen. Die Garde wird die Aufgabe haben, die Palästinenser hinter der Grünen Linie (die Grenzen von 1948) zu überwachen und Ben-Gvir verlangt, dass sie unter sein Kommando gestellt werden soll.
Netanjahus Art, sich aus einer Krise zu winden bereitet nur die nächste noch größere Krise vor. Der Polizeichef Kobi Schabtai äußerte sich öffentlich dazu: „Eine Nationalgarde zusätzlich zur Polizei wird dazu führen, dass Sicherheitskräfte auf Sicherheitskräfte schießen.“ Die Garde bietet der rechtsextremen Gewalt einen legalen Deckmantel. Sie könnte ernsthaften Folgen nach sich ziehen, nicht zuletzt das Hervorrufen eines neuen palästinensischen Aufstands.
Bereits Anfang April kam es fast schon dazu, als der Ramadan, Ostern und das jüdische Pessach sich überschnitten und die Provokationen der zahlreichen fanatischen jüdischen Tempelberggruppen an Stärke zunahmen. An zwei aufeinanderfolgen Nächten brach die israelische Polizei um Mitternacht in die al-Aqsa-Moschee ein und warf Blendgranaten, schwang mit Knüppeln und setzte Gummigeschosse ein, um Palästinenser zu verhaften, die beschuldigt wurden, sich hinter den Türen der Moschee „verbarrikadiert“ zu haben. Wie so üblich schlossen sich die internationalen Medien dem heuchlerischen Chor an, der „beide Seiten“ dazu einlud, die Gewalt nicht weiter auf die Spitze zu treiben. In den Videos sieht die Sache ganz anders aus.
Eine Sache ist völlig klar. Die israelische herrschende Klasse ist tief gespalten und die Ereignisse haben so stark an Fahrt aufgenommen, dass es nun schwieriger für die Kapitalisten ist, die Risse zu überkleistern.
Die Spaltungen sind weltweit zu spüren und bedrohen die Einheit des weltweiten Unterstützernetzwerks des Zionismus, welches für Israel überlebensnotwendig ist. Einige bekannte US-amerikanische Zionisten äußerten scharfe Kritik an der Regierung und inszenierten sogar Boykotts gegen Smotrichs Besuch in die USA.
Der Elefant im Raum für den „liberalen“ Zionismus
1874 schrieb Friedrich Engels: „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, deren es zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst.“ Diese eindrucksvollen Worte waren damals in Bezug auf die Unterdrückung der Polen durch die Russen vor 150 Jahren wahr; heute treffen sie sogar noch mehr auf Israel zu.
Für den liberalen Zionismus ist der Elefant im Raum natürlich die Besetzung und die Unterdrückung der Palästinenser. Das hatte sogar auf eine bedeutende Massenbewegung wie jene gegen die Justizreform sichtbare Auswirkungen. Die israelischen Palästinenser sahen keinen Sinn darin, eine „Demokratie“ zu verteidigen, die sie systematisch diskriminiert. Darüber hinaus wurde der kleinen Anzahl von ihnen, die versuchte, sich den Demonstrationen anzuschließen und dabei ihre eigenen Forderungen vorzubringen, von den zionistischen Organisatoren strengstens davon abgeraten und sie wurden beiseitegeschoben.
Der rassistische und unterdrückerische Charakter des israelischen Staates wird offiziell durch Netanjahus Nationalstaatsgesetz (Juli 2018) genehmigt, welches jeden Anschein aufgab, dass Israel säkular sei. Das bürgerlich-demokratische Prinzip des Gleichheits vor dem Gesetz wird ständig verletzt, um die Unterdrückung der Palästinenser auszuüben. Tatsächlich wird es immer schwerer, den israelischen Staat zu verteidigen und gleichzeitig so zu tun, als hätte man mit den jüdischen Chauvinisten nichts am Hut.
Der andere Elefant im Raum ist die Tatsache, dass die Besetzung nicht nur Auswirkungen auf die Palästinenser hat, sondern auch auf die Bedingungen der israelischen Arbeiterklasse. In den letzten 30 Jahren gab es ein starkes Wachstum der Ungleichheit in Israel.
Laut dem World Factbook, das 1999 von der CIA erstellt wurde, verfügten im Jahr 1992 die reichsten 10% über 27% des Nationaleinkommens, während die ärmsten 10% nur 2,8% besaßen. Seitdem hat die Ungleichheit drastisch zugenommen. Der World Inequality Report 2022, der vom World Inequality Lab veröffentlicht wurde, enthüllt, dass die unteren 50% der Bevölkerung 13% des Bruttonationaleinkommens verdiente, während die obersten 10% gewaltige 49% einheimsten. Die Unterdrückung der Palästinenser bietet den Kapitalisten ideale Bedingungen zur Ausbeutung einer gespaltenen Arbeiterklasse.
Was ist 30 Jahre nach Oslo noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde übrig?
Es ist erwähnenswert, dass dieses Jahr auch der dreißigste Jahrestag der Oslo-Abkommen von 1993 zwischen dem Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin ist. Ihr Händeschütteln für die Kameras im Weißen Haus und der Friedensnobelpreis, den sie sich teilten, waren das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der „neuen Weltordnung“ des „Friedens“ und des „Wohlstandes“, die vom US-Imperialismus nach dem Zerfall der UdSSR eingeleitet wurde.
Man kann davon ausgehen, dass die Feierlichkeiten über 30 Jahre Oslo-Abkommen, falls es überhaupt jemandem gibt, der das feiern möchte, nicht sehr fröhlich ausfallen werden.
Diese Abkommen brachten die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hervor. Als Gegenleistung für ihre Unterschrift versprach die PLO das Ende des Widerstands und verpflichtete sich dazu, ihre eigenen Leute im Namen Israels zu überwachen. Wie die Marxisten damals warnten, waren die Oslo-Abkommen eine böse Falle, in die die palästinensische Führung freiwillig hineintappte.
Die PA hat kein durchgängiges Gebiet. Es ist in 165 unter völliger oder teilweiser Verwaltung durch die PA stehende palästinensische „Inseln“ (Gebiet A und Gebiet B) und ein umliegendes Gebiet unter israelischer Besatzung (Gebiet C, entspricht 60% des Gesamtgebiets) geteilt.
Israel entscheidet, wie viel Strom, Wasser, wie viele Medikamente und medizinische Bedarfsartikel zur Verfügung gestellt werden und erstickt jede mögliche Entwicklung im Keim. Israel hält die Zolleinnahmen zurück, die es für die PA eintreibt, und hat Einwände dagegen, was mit ihnen gemacht wird.
Die Situation im belagerten Gazastreifen ist noch schlechter, 53% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, die Wirtschaft liegt durch lange Stromausfälle in Trümmern und alle Bewegungen (von Personen oder Waren) aus dem oder in das „Freiluftgefängnis“ werden von Israel und Ägypten bestimmt. Israelische Bombenangriffe zerstören regelmäßig die geringe Infrastruktur, die ihnen noch übriggeblieben ist, und verhindern die Reparatur oder den Austausch dieser.
Die PA ist pleite, Arbeiter sind gezwungen, für ihre nicht ausgezahlten Löhne zu streiken. Aus diesem Grund streiken 20.000 Lehrer seit dem Februar. Die Knappheit verschärft die Korruption und die Missstände in der Aufteilung der wenigen verfügbaren Ressourcen.
Die Siedlerbewegung tobt
Die Palästinensische Autonomiebehörde wurde auf einen todgeweihten Rumpf reduziert, unter der stetigen Expansion der illegalen jüdischen Siedlungen, die die Karten des Westjordanlandes und Ostjerusalems sprenkeln.
Mit Stand vom Februar 2023 gibt es 144 offizielle Siedlungen im Westjordanland, davon 12 in Ostjerusalem. Zusätzlich gibt es über 100 „illegale“ israelische Außenposten. Insgesamt gibt es über 500.000 Siedler im Westjordanland und 220.000 weitere in Ostjerusalem.
Jeder neue Außenposten bringt weitere israelische Soldaten mit sich, die zum Schutz der Siedler stationiert werden. Hunderte Kontrollpunkte machen den Palästinensern das Leben zur Hölle; spezielle Straßen und Infrastruktur werden für die Siedler erbaut, die zwanzigmal mehr Zugang zu Wasser für ihre Schwimmbäder und Wellnesseinrichtungen haben, und auch weniger dafür zahlen müssen, während die Palästinenser zu kurz kommen; Mauern werden errichtet und angrenzende palästinensische Immobilien werden aus „Sicherheitsgründen“ dem Erdboden gleichgemacht.
Diese Zahlen zeigen den „Erfolg“ der Oslo-Abkommen, bei denen es damals ca. 250.000 Siedler (Ostjerusalem miteingeschlossen) gab. Nun hat Frankensteins Monster ein Eigenleben entwickelt und baut Dynamit in Israels Fundament ein.
Die Siedler intensivieren ihre Angriffe, da sie sich von ihrer Regierung bestärkt fühlen. Am 26. Februar stürmten Hunderte spätnachts das palästinensische Dorf Huwara im Westjordanland, wobei ein Palästinenser getötet und 100 verletzt wurden und die Kleinstadt in einem Flammenmeer aufging. Smotrich, der faktische „Gouverneur“ des Westjordanlandes, applaudierte ihnen.
Die IDF verschärft auch die Kampagne der außergerichtlichen Hinrichtungen von Jugendlichen, die gegen die Besetzung zur Waffe greifen. In den letzten drei Monaten wurden bei mehreren Razzien gegen die Flüchtlingslager in Dschenin und Nablus Dutzende getötet, unter ihnen Frauen, ältere Menschen und Kinder, und mehr als 100 verletzt. Die israelischen Methoden beinhalten Großrazzien, aber auch Scharfschützen, Hinrichtungen durch Kommandoeinheiten in Zivil und sogar das Anbringen von Sprengstoffen an Fahrzeugen.
Im Mai 2022 erlitt eine bekannte amerikanisch-palästinensische Reporterin für Al Jazeera, Shireen Abu Akleh, durch israelische Scharfschützen im Flüchtlingslager Dschenin einen Kopfschuss. Auf ihrer Beerdigung, an der Tausende Palästinenser teilnahmen, griffen israelische Polizeibeamte den Trauerzug vom Saint Joseph Hospital in Ostjerusalem an. Das Krankenhaus selbst wurde von der israelischen Polizei gestürmt, wobei sie Patienten schlugen und zusammentrampelten, und Blendgranaten warfen, wodurch das medizinische Personal verletzt wurde.
Das sind nur Beispiele für das Maß an Brutalität, das Israel im Umgang mit den Palästinensern an den Tag legt. Aber wir kratzen noch nicht einmal an der Oberfläche der tagtäglichen Erniedrigungen, die die Besetzung herbeiführt: die illegale Beschlagnahmung von Ausweisen (ohne die es unmöglich ist, sich zu bewegen) an Kontrollpunkten; willkürliches missbräuchliches Anhalten und Durchsuchen; die Ermordung von Freunden, Nachbarn und Geschwistern von palästinensischen Kämpfern; Tausende Jugendliche, die monate- oder sogar jahrelang ohne Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft sitzengelassen werden; die Verhaftung von Familienmitgliedern und härtere Bedingungen, um Häftlinge zum Geständnis zu zwingen.
Doch das einzige Ergebnis aus alldem ist die wachsende Entschlossenheit der Jugend, gegen die nie endende Besetzung zu kämpfen.
Anstieg des palästinensischen Widerstands
Die fanatischen Siedler sind festentschlossen, ihr als gottgegeben angesehenes Land Zentimeter für Zentimeter zu erobern. Auf der anderen Seite hat die palästinensische Jugend nichts zu verlieren und ist entschlossen, sich zu wehren. Manche sind bereit, dafür mit ihrem Leben zu bezahlen, und tun dies auch oft. Tragischerweise haben sie keine Alternative übrig: die Führung der PA steht auf der Seite der Besetzer.
Es ist nicht überraschend, dass am Höhepunkt der Spannungen Delegierte der PA an Gipfeln in Akaba und Scharm El-Scheich teilnahmen, um die Zusammenarbeit mit Israel in Fragen der Überwachung zu verstärken und 5.000 zusätzliche PA-Sicherheitsbeamte in Jordanien auszubilden. Die PA verdoppelt die Unterdrückung und greift sogar Beerdigungen von Opfern der israelischen Razzien an oder verübt gezielte Tötungen.
Infolgedessen wurde der Zynismus gegen die PA derart weitverbreitet, dass vor Kurzem in einer Umfrage von Chalil Schikaki zum ersten Mal 52 Prozent der Palästinenser angaben, dass der Zusammenbruch oder die Auflösung der PA in ihrem Interesse läge.
Das Versagen der PLO und der Fatah wurde durch die riesige Bewegung enthüllt, die zum palästinensischen Generalstreik vom 18. Mai 2021 führte. Im „Aufstand der Einheit“ wurde ein gemeinsamer Kampf im Gazastreifen, dem Westjordanland und Ostjerusalem geführt, die israelischen Palästinenser wurden miteingeschlossen. Die PLO spielte in dem Ganzen keine Rolle. Er wurde von der Jugend geführt, die von Israels Repression getroffen wurde: 7.000 Verhaftungen allein im Jahr 2022. In Dschenin wurden von den insgesamt 136 im vergangenen Jahrzehnt getöteten Palästinensern 106 in den letzten 27 Monaten getötet.
Ausgehend von den Flüchtlingslagern in Dschenin und Nablus wurden vereinte bewaffnete Verteidigungsgruppen von den Jugendlichen gebildet, um sich gegen die Besatzung zur Wehr zu setzen. Entscheidend ist, dass diese Gruppen, die Kämpfer unabhängig von ihren politischen Zugehörigkeiten vereinigen, die Verteidigung der Lager übernommen haben.
Dies sind nur die Startschüsse einer weitaus größeren Krise – der schwersten, die Israel seit Jahrzehnten erlebt hat. Scharfe Risse öffnen sich in der zionistischen herrschenden Klasse und untergraben ihre internationale Unterstützung. Die Prioritäten des US-Imperialismus verlagern sich durch seine wachsenden Spannungen mit China und den Ukrainekrieg. Chinas Rolle in den Verhandlungen für einen Kompromiss zwischen den Erzfeinden Saudi-Arabien und dem Iran hat Auswirkungen auf das Kräftegleichgewicht in der Region, was Israel zum Handeln zwingt. Die steigende Ungleichheit und Inflation zerfressen die Lebensstandards und enthüllen die Kluft zwischen den israelischen Arbeitern und den Kapitalisten. Krisen und revolutionäre Bewegungen, die zwangsläufig Auswirkungen haben werden, sind im gesamten Nahen Osten wahrscheinlich, während eine neue Intifada die Besatzung in ihren Grundfesten erschüttern wird.
Der israelische Staat ist eine der Säulen der imperialistischen Reaktion im Nahen Osten, der verlässlichste Verbündete der USA. Doch diese Beziehung wird von Netanjahus Brandstifterpolitik gefährdet. Israel ist ein mächtiger kapitalistischer Staat, in dem die Herrschaft der zionistischen Bourgeoisie auf der Unterdrückung der Palästinenser beruht. Sie wird von den kleinbürgerlichen Verwaltern der bröckelnden PA gestützt. Diese Kette der Unterdrückung muss zerschlagen werden und das kann nur als Teil einer allgemeinen Bewegung zum Sturz des Kapitalismus in der Region passieren.
Nur die Errichtung einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens als erster Schritt in Richtung einer weltweiten sozialistischen Föderation kann die Unterdrückung der Palästinenser bezwingen. Eine demokratisch geplante Wirtschaft kann die materielle Grundlage für die wahre Emanzipation der Palästinenser, der Juden und aller Völker des Nahen Ostens bieten, indem der derzeitige imperialistische Albtraum beendet wird.