Gegen das Sparpaket der britischen Regierung regt sich an den Unis Widerstand. Stefan Proksch berichtet als Teilnehmer von der Großdemo der Studierenden am 10. November in London.
Hintergrund:
Am 10. November kam es in London zur ersten großen Massenkundgebung gegen die angekündigten Budgetmaßnahmen der Tory & Lib-Demo Regierung. Über 50.000 marschierten in dieser gemeinsamen Demo der NUS (die britische StudentInnenvertretung, ähnlich der ÖH) und der UCU (die britische Lehrenden-Vertretung); so eine Bewegung gab es seit den Protesten gegen den Irak-Krieg hierzulande nicht mehr. Dies zeigt einen Wendepunkt im britischen Klassenkampf, die StudentInnenbewegung dient hier wieder einmal als Gesellschaftsbarometer für den wachsenden Ärger innerhalb der Bevölkerung.
Im Oktober dieses Jahres wurden die Ergebnisse des Browne-Reviews, in dem die Abschaffung der Obergrenze für Studiengebühren nahegelegt wurden, präsentiert. Aus Angst vor den sozialen und politischen Wellen die eine solche Maßnahme verursachen würde, hat die Regierung beschlossen, die Studiengebühren „nur“ auf 9.000 Pfund (10.610 Euro) zu erhöhen, mit einem Schlupfloch um in „Ausnahmefällen“ sogar noch mehr zu kassieren. Da nur die wenigsten solche Beträge im vorhinein bezahlen können wird angeboten, die Ausbildung auf „Pump“ zu finanzieren und die dadurch anfallen Zinsen den maroden Banken zur Verfügung zu stellen. Zeitgleich wurde angekündigt, das Lehr-Budget der Universitäten um 40% zu kürzen, wodurch einzelne Unis von der Schließung bedroht sind und insgesamt rund 22.000 Jobs gestrichen werden. Und auch im Bereich der „Further Education“ (die Ausbildung von 16-18 Jährigen), welche über mehr als das 6-fache an Jugendlichen im Vergleich zur „Higher Education“ an den Universitäten umfasst, wird das Lehrbudget um 25% verringert. Die Illusion der Leistungsgesellschaft, in der mit etwas harter Arbeit immer eine gute Ausbildung möglich ist, hat sich nun endgültig in Schall und Rauch aufgelöst.
We will march – Die Demo am 10. November
Während die UCU bereits seit längerem auf Kampfmaßnahmen gegen die Kürzungen setzt und im letzten Jahr mehrere Streiks organisierte hatte sich die NUS in der Vergangenheit deutlich weniger kämpferisch gezeigt, auf der Konferenz 2008 wurde sogar von der Forderung der „Freien Bildung“ Abstand genommen. Durch die Veröffentlichung des Browne-Reviews beschleunigte sich jedoch die Entwicklung unter den StudentInnen rapide, Streik-Komitees wurden an den unterschiedlichsten Unis gebildet und Maßnahmen gegen die Kürzungen wurden auf einer breiten Basis diskutiert; in Oxford gingen im Vorfeld der Demo bereits über 1000 Studierende auf die Straße. Diese breite Unterstützung durch die Studierenden zwang auf die NUS aktiv zu werden und eigene Kampfmaßnahmen zu ergreifen, was schlussendlich zu dieser gemeinsamen Demonstration der NUS und der ULU geführt hatte. Nachdem die NUS in den letzten Jahren durch KarrieristInnen zu einer Service-Organisation „heruntergewirtschaftet“ wurde, haben nun die StudentInnen begonnen, ihre eigene Kampforganisation zurückzuerobern und formen diese wieder zu einem Werkzeug, welches ihre Interessen vertreten kann.
Die Demo am 10. November wurde auch durch viele der umliegenden Schulen unterstützt, über 50.000 Personen drängten in die Straßen der Londoner Innenstadt. Dies ist vor allem beachtlich, da die Demonstration großteils von Universitäten und Schulen ausging und an einem Mittwoch abgehalten wurde, viele der Anwesenden verzichteten auf ihre Kurse um ihrem Unmut kundzutun. Bereits der Startpunkt der Demonstration war so stark frequentiert, dass die Massen frühzeitig in Bewegung gerieten um allen die Teilnahme zu ermöglichen.
Für viele war diese Demonstration die erste Erfahrung mit großangelegten Protesten, doch das politische Niveau dieser neu in den Klassenkampf eingetretenen Schicht zeigte sich schnell als überraschend hoch. Während die NUS-Spitze für eine „graduation tax“ (eine Besteuerung der Einkommen nach Abschluss der Ausbildung) anstelle von sofort zu bezahlenden Studiengebühren eintritt, skandierte die Demo für eine vollständig freie Bildung und zeigte dadurch deutlich, wie ihr Bewusstsein durch die Ereignisse der letzten Monate geschärft wurde.
Der Fokus der bürgerlichen Berichterstattung – Millbank Tower
Alles die bisher genannten Punkte zu den Hintergründen der Bewegung und der Entwicklung dieser Demonstration werden in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien (sowohl hier in England als auch international) nicht oder nur am Rande erwähnt. In einem Versuch die Bedeutung dieser Bewegung zu verschleiern konzentrieren sich alle Berichte auf die Ereignisse um den Millbank-Tower, das Hauptquartier der Konservativen Partei (Tory). Hier begann eine kleine Gruppe die Demo-Teilnehmer dazu aufzurufen, das von der Polizei nur schwach geschützte Gebäude (welches direkt neben der Demoroute gelegen ist) anzugreifen. Einige ließen in der Hitze des Gefechts mitreissen und verließen die Demo-Route um das Gebäude zu besetzen. So formten sie eine Menschentraube die es einzelnen Individuen erlaubte, Scheiben zu zerschlagen, einzelne Papierfeuer zu starten, die Einrichtung der Lobby zu zerstören und die Wände mit „Tory scum“ zu bepinseln; lange ohne Eingreifen der Polizei aber umringt von Kameras der bürgerlichen Presse. Während dies im Inneren des Gebäudes geschah versammelte sich vor dem Eingang eine nicht unbeachtliche Menge an DemonstrantInnenen, welche dieses Ereignis mit einer gewissen Sympathie verfolgten; einer der Teilnehmer meinte „dies ist was passiert, wenn die Mächtigen uns einfachen Bürger attackieren“.
Dieses Ereignis hat für die organisierte Arbeiter-Bewegung nichts gelöst und entspricht auch nicht ihrer Methodik. Jedoch hat auch dieses Ereignis eine Ursache, und zwar in den Ausmaßen der Angriffe seitens der Regierung welche diesen enormen Unmut hervorgerufen haben, und die Verantwortung liegt daher auch ganz klar bei der Tory/Lib-Dem Regierung und der durch sie vertretenen herrschenden Klasse. Diese Klasse kümmert sich wohl kaum um den finanziellen Schaden am Millbank-Tower; vielmehr befürchten sie, dass die militante Stimmung der Studentenbewegung auf die breite Arbeiterklasse über-schwappen könnte. Es liegt in ihrem Interesse, diese Bewegung und den organisierten Kampf gegen die Sparmaßnahmen zu dämonisieren und die Einstellung der Massen zu den kommenden Protesten zu beeinflussen. Hierzu dienen die Bilder und Videos in den bürgerlichen Medien, welche durch das bewusst verzögerte Eingreifen der Polizei in der Lobby des Millbank-Towers zahlreich entstehen konnten, und nun die Titelseiten aller Zeitungen und Webportale füllen. Dieses Propaganda-Material wird in der kommenden Periode dazu verwendet werden, die Angriffe auf die Arbeiterklasse durch erhöhten Polizeirepression zu begleiten. Die Bürgerlichen haben einen kompromisslosen Angriff auf die Arbeiterklasse unternommen und werden diesen auch mit Gewalt durchsetzen.
Unter diesen Gesichtspunkten wäre es gefährlich anzunehmen, dass durch solche Aktionismus wie den Angriff auf das Millbank-Gebäude der herrschenden Klasse Einhalt geboten werden könne. Erfolgreiche Kampfmaßnahmen können nur aus der organisierten Arbeiterbewegung, mit Verankerung in den Massen getätigt werden, welche unter einem Programm zur Vergesellschaftung der Banken unter Arbeiterkontrolle mobilisiert werden – denn nur die Arbeiterklasse hat die Kraft den Kapitalismus und seine Regierungsvertreter erfolgreich zu bekämpfen.
Wie geht es weiter?
Nach der Demonstration war der Tenor der Demonstration eindeutig: Wie soll es nun weitergehen? Es ist klar, dass eine Demo alleine die Sparmaßnahmen nicht besiegen kann. Die herrschende Klasse hat 2003 trotz der Demonstrationen gegen den Irak-Krieg nicht eingelenkt, und sie wird es auch in diesem Falle nicht tun. Eine Demonstration, egal wie groß sie auch sein mag, wird kein Einlenken bewegen, solange die Bewegung hinter ihr nicht die Machtfrage stellt. Es braucht eine Bewegung, welche die Regierung zu Fall bringen und das System radikal transformieren kann.
Im Falle der Studentenbewegung geht es nun in erster Linie darum, Druck auf die StudierendenvertreterInnen auszuüben und die gemeinsame Ausarbeitung eines Konzeptes zwischen StudentInnen, Universitäts-Personal und der Arbeiterbewegung zu forcieren um eine Massenbewegung aus Arbeitern und Studenten gegen die Sparmaßnahmen aufzubauen. Die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich haben gezeigt, was ein vereinter Kampf von Studenten und Arbeitern erreichen kann.
Diese Bewegung wird rasch erkennen, dass der Kapitalismus nicht mehr die Möglichkeiten hat, die Reformen der Vergangenheit (wie eine universelle Gesundheitsversorgung, eine ausreichende Pensionsinfrastruktur, freier Zugang zu Bildung) aufrecht zu erhalten, und somit die Notwendigkeit einer radikalen Transformation der Gesellschaft aufzeigen.
Die Demonstration am 10. November war nicht das Ende, sondern der erste große Schritt dieser StudentInnenbewegung; durch sie wurden erste Verbindungen zur ArbeiterInnenbewegung geschaffen. Die Stimmung innerhalb der Klasse brodelt, und tausende StudentInnen kehrten bestärkt in ihre Universitäten und Heimatorte zurück um dort weitere Unterstützung für den gemeinsamen Kampf zu gewinnen. Eine neue Schicht an Menschen hat die Bühne des Klassenkampfs betreten, und sie können einen Katalysator für die gesamte ArbeiterInnenklasse darstellen.