Die Zumutungen der Pandemie und die Unzulänglichkeiten der Regierungen in ihrer Bekämpfung politisieren weltweit breite Massen. In vielen Ländern, so auch Österreich, wird die Proteststimmung fast exklusiv von rechten Parteien und Strömungen aufgefangen. Von Emanuel Tomaselli.
Seit November gehen wöchentlich Tausende auf die Straßen, das repressive Gesetzesprojekt der Impfpflicht wirkt dabei als Booster für die Verbreitung reaktionärer Ideen und Organisationen.
Als Antwort darauf entstand die naheliegende Idee, dass die „schweigende Mehrheit” – solidarische, empathische und vernünftige Menschen – sich auch kollektiv politisch äußern können sollen. Die Idee des Corona-Lichtermeers war geboren. Am 19.12. fanden sich 30.000 Menschen am Wiener Ring ein, die Aktion wurde seither in fast allen Landeshauptstädten wiederholt. Diese Initiative wurde von Gewerkschaften und Massenorganisationen wie der Volkshilfe aufgegriffen und gewann sofort vom Bundespräsidenten und Bundeskanzler abwärts wohlwollende politische Unterstützung und positiven medialen Vorschub. Im Zeichen des breiten Zusammenhalts, wo scheinbar auch die Profite des Einzelhandels miteinbezogen werden, wurde die Aktion in Wien unter starkem politischen und polizeilichen Druck zeitlich so verlegt, dass der Einkaufs-Sonntag nicht gefährdet wurde.
Das Gedenken an die Corona-Toten, der Appell an den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Solidarität mit den systemrelevanten Arbeitskräften, insbesondere der Pflege stehen im Mittelpunkt der Lichtermeere. Aus Sicht der InitiatorInnen sind dies “unpolitische Anliegen”, daher wird appelliert, auf Fahnen, Transparente und Sprechchöre zu verzichten – die meisten TeilnehmerInnen stimmen dieser Sicht auch zu. Die Kraft des kerzenbeschienenen Schweigens entfaltet sich daher nur durch die medial reproduzierten Bilder. Hier werden diese Initiativen als Pro-Regierungskundgebungen interpretiert.
Aber der Protest, und auch nur die Besorgnis über die Corona-Situation ist eine politische Frage: Wer verzichtet auf einen Ausbau des Gesundheitssystems, des Bildungssystems, des Pflegewesens? Wer verzichtet auf die Aufhebung der medizinischen Patente? Wer ordnet jede Eindämmungsmaßnahme dem Profitinteresse einzelner Sparten unter? Wer bereichert sich an der Beschaffungskorruption und am Unternehmer-Ausfallskostenexzess?
Die Idee eines unpolitischen Aufbegehrens gegen Corona entspricht nicht der Realität. Sie ist Scharlatanerei oder Demagogie, die einer gescheiterten Regierung ein paar Cent neuen Kredit einräumt. Die Führung des ÖGB ist aufgefordert der negativen Beurteilung der Impfpflicht Taten folgen zu lassen, die Fahnen auszurollen und den Kampf für eine rationale, soziale und solidarische Pandemiebekämpfung offen zu führen.
(Funke Nr. 200/20.1.2022)