Nachdem die Schweizer BauunternehmerInnen den Kollektivvertrag kündigten, organisiert die Gewerkschaft UNIA nun Gegenwehr. Aus allen Landesteilen der Schweiz strömten am vergangenen Samstag etwa 20.000 KollegInnen nach Zürich, um dort an einer der größten und militantesten ArbeiterInnendemonstrationen in der Geschichte der Schweiz teilzunehmen. 25 AktivistInnen der SJ Vorarlberg waren dabei und zeigten sich mit den Schweizer KollegInnen und ihrem Arbeitskampf solidarisch.
Es war ein beeindruckendes Schauspiel, das sich am vergangenen Samstag am Limmat-Ufer in Zürich, das einem roten Fahnenmeer gleichkam, abspielte. So weit man blicken konnte – das gesamte Ufer war voller kampfbereiter BauarbeiterInnen, die aus allen Teilen der Schweiz angereist waren, um ihren Landesmantelvertrag (LMV – der größte Kollektivvertrag) zu verteidigen und gegen das drohende Lohndumping zu protestieren. All jenen, die den über einen Kilometer langen Spaziergang gewagt hatten und den Demozug von vorne nach hinten durchgegangen sind, wurde das breite und internationale Spektrum der Schweizer ArbeiterInnenklasse bewusst. So hörte man die Demosprüche und Parolen einerseits natürlich in den drei Amtssprachen der Schweiz – Schweizerdeutsch, Italienisch, Französisch – und zusätzlich auch auf Spanisch, Portugiesisch und Serbokroatisch. Die Schweizer KollegInnen sind sich der Tatsache vollkommen bewusst, dass alle ArbeiterInnen egal welcher Nationalität dieselben sozialen Interessen haben. Auf der Grundlage dieses Bewusstseins ist die UNIA heute nicht nur die größte Gewerkschaft der Schweiz sondern gleichzeitig auch die größte MigrantInnenorganisation des Landes. Das macht die Schweizer ArbeiterInnenbewegung umso schlagkräftiger.
Diese Militanz war auch auf der Demonstration zu spüren. Lautstark zogen die BauarbeiterInnen durch die Züricher Innenstadt und ließen keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, den Kollektivvertrag zu verteidigen. Vor allem ein Wort hörte man in allen Sprachen öfter als alle anderen: „sciopero“, „grève“, „huelga“, „¨trajk“ oder auf gut Deutsch „Streik“.
So verwunderte es nicht, dass auf der Schlusskundgebung am Bundesplatz die 20.000 DemonstrationsteilnehmerInnen in Jubel ausbrachen, als in allen Sprachen verkündet wurde, dass 84,5% der organisierten BauarbeiterInnen in den seit Wochen andauernden Urabstimmungen für Streik gestimmt haben, um ihren Kollektivvertrag zu verteidigen: „Die Bauarbeiter sind bereit für den Kampf!“ Das bedeutet, dass ab 1. Oktober, dem ersten Tag des kollektivvertragsfreien Zustandes jederzeit gestreikt werden kann. Vor allem in Hinsicht auf Mega-Bauprojekte wie dem EM-Stadium oder den vielen Tunnelbauten birgt das viel Zündstoff und wird die eigentliche Macht der BauarbeiterInnen offenbaren. Für diesen Arbeitskampf wird die UNIA laut Vorstandsbeschluss vorerst 5 Millionen Franken – ca. 3 Millionen Euro – zur Verfügung stellen.
Was ist die UNIA?
Österreichische LeserInnen mag es überraschen, dass es gerade in der Schweiz eine Gewerkschaft gibt, die es einerseits vermag, Lohnabhängige sämtlicher Nationalitäten in sich zu vereinigen und andererseits eine derartige Kampfbereitschaft an den Tag legt. Was ist die UNIA nun eigentlich genau?
Die UNIA ist eine sehr junge Gewerkschaft und wurde im Jahr 2004 durch eine Fusion der Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen (SMUV), der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), der Gewerkschaft Verkauf Handel Transport Lebensmittel (VHTL) und der Gewerkschaft der Serviceangestellten gegründet. Die Grundlage dieses Zusammenschlusses zollt der Tatsache Tribut, dass es immer weniger Jobs auf Lebenszeit gibt und viele ArbeitnehmerInnen ihren Beruf mindestens einmal im Leben wechseln müssen. Somit können die meisten von ihnen immer in derselben Gewerkschaft bleiben, egal, welche berufliche Tätigkeit sie auch ausüben. Dieser Schritt ist auf alle Fälle positiv zu bewerten und ist ein gutes Beispiel für die Steigerung gewerkschaftlicher Effektivität und Schlagkraft. Heute hat die UNIA über 200.000 Mitglieder und stellt somit mehr als die Hälfte aller gewerkschaftlich organisierten SchweizerInnen. Die von der UNIA ausverhandelten Gesamtarbeitsverträge betreffen in etwa eine Million Werktätige.
Einer der Gründe für die Kampfbereitschaft der UNIA ist die traditionelle Militanz im Schweizer Baugewerbe. Die BauarbeiterInnen, bis 2004 in der GBI organisiert, stellen heute das Rückgrad der UNIA dar. Somit hat die UNIA ein klassenkämpferisches Erbe übernommen. Studiert man die Publikationen der UNIA und kennt bis dato nur jene des ÖGB, glaubt man teilweise, linksradikale Lektüre in der Hand zu halten. Dort finden sich mehrseitige Artikel darüber, dass Streiks sich lohnen und dass es wichtig ist, zu kämpfen. Auf der Demo führten einige UNIA-Regionalgruppen sogar Gewerkschaftstransparente mit Hammer und Sichel mit.
Die Kündigung des Kollektivvertrages durch die BauunternehmerInnen stellt das Existenzrecht der Gewerkschaft nun überhaupt in Frage. So fordern einige führende FunktionärInnen der rechtskonservativen SVP tatsächlich die Abschaffung von Gesamtarbeitsverträgen und Gewerkschaften als ganzes. Die gesamten Errungenschaften von über 100 Jahren der ArbeiterInnenbewegung stehen bei diesem Arbeitskampf auf dem Spiel.
Trotzdem besteht immer die Gefahr, dass die Gewerkschaftsbürokratie einen derartigen Kampf verrät. Viele GewerkschaftsführerInnen haben sich durch ihre Position bereits selbst „befreit“, was sich nicht selten in ihrem Lebensstil (schöne Penthousewohnungen, große Dienstwagen und vielen weiteren Privilegien) ausdrückt. Ihr Ziel ist in erster Linie die Aufrechterhaltung des Status Quo und hin und wieder ein paar Krümel des kapitalistischen Kuchens für die ArbeiterInnen auszuverhandeln. Diese Damen und Herren schrecken meist vor Kampfmaßnahmen zurück und fühlen sich nur dann wohl, wenn sie in klimatisierten Räumen mit gutem Catering mit den UnternehmerInnen verhandeln dürfen. Nur im äußersten Notfall rufen sie zum Streik auf: Wenn der Druck der Basis zu groß ist oder wenn sie ihren eigenen sozialen Stand als gefährdet sehen.
So kämpferisch sich die Führung der UNIA heute also gibt, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!
Gewerkschaftsdemokratie
Die revolutionären MarxistInnen in der Schweiz, die rund um die Zeitschrift „Der Funke“ aktiv und in der UNIA organisiert sind, haben folgende Punkte aufgestellt, die einen erfolgreichen Arbeitskampf garantieren können:
• Mobilisierungs- und Streikkomitees der Baubeschäftigten auf allen Baustellen, Gemeinden, Regionen führen den Streik mit Unterstützung der UNIA.
• Die Angehörigen der Streikenden sollen aktiv beim Streik mitmachen können (Werbung machen, Versorgung sicherstellen,…)
• Sammlung von Streikgeldern in Fabriken und Unternehmen, auf Plätzen und Einkaufscentern – uns darf der finanzielle Atem nicht ausgehen!
• Die Ergebnisse der Urabstimmungen sind verbindlich, kein Abschluss mit den Unternehmern ohne unsere Zustimmung – die Baumeister müssen wissen, dass sie mit uns allen rechnen müssen!
• Wenn die Unternehmer hart bleiben, weiten wir unseren Streik aus, wir blockieren Straßen und Grenzübergänge, wir versuchen den Streik auf andere Branchen auszuweiten
• Wir stärken unseren UnterhändlerInnen von der UNIA den Rücken indem wir mit dabei sind. Keine Geheimverhandlungen, das nützt nur den Unternehmern!
• Die Gewerkschaften in den Nachbarländern sollen aufgefordert werden, ihre MitgliederInnen zu informieren und so Streikbruch verhindern.
Ein besonders wichtiges Element eines Arbeitskampfes ist die Transparenz. Die Belegschaft muss ständig darüber informiert sein, was in den Verhandlungen passiert und muss die Möglichkeit haben, einen Fehlkurs zu korrigieren und auch das Verhandlungsteam neu wählen zu können. Alle anderen Vorgangsweisen sind nur für die Unternehmerseite ein Vorteil. In der von den Schweizer GenossInnen des „Funke“ herausgegebenen Broschüre „Wie gewinnen wir einen Streik?“ von Harry DeBoer werden die Bedingungen für einen erfolgreichen Streik beschrieben. U.a. mit dieser Broschüre intervenieren die GenossInnen in den Kampf der BauarbeiterInnen, um die Diskussion über den Charakter des Streiks anzufachen. (Interessierte können die Broschüre über die SJ Vorarlberg bestellen.)
Hoch die Solidarität!
Auch die Wirkung der Solidarität darf nicht unterschätzt werden. Es kann eine große Auswirkung auf den Ausgang des Kampfes haben, wenn man sich als kämpfende Belegschaft dessen bewusst ist, dass Lohnabhängige anderer Betriebe, Branchen oder Länder den Kampf unterstützen und auch in ihrem Umfeld Aktionen setzen. Für uns InternationalistInnen bedeutet das eine besondere Verpflichtung. Wir müssen dem Schweigen der österreichischen Medien eine offensive Informationskampagne entgegensetzen und überall dort, wo wir aktiv sind, auf die Wichtigkeit des Konfliktes in der Schweiz hinweisen, Aktionen starten und die KollegInnen auch finanziell unterstützen. So mobilisierten wir bereits mit Flugzetteln vor allen Vorarlberger Berufsschulen auf die Demonstration. Unsere Delegation, die 25 GenossInnen umfasste, fuhr mit dem Sonderzug der Gewerkschaft von St. Gallen nach Zürich. Bereits im Zug verkauften wir die Schweizer Ausgabe des „Funke“, um marxistische Ideen in der Bewegung zu verbreiten. Auf der Demo selbst stellten wir einen kleinen „Block“ mit eigenem Transparent, Megaphon und Sprechchören. (Fotos davon folgen noch!) So knüpften wir auch Kontakte zu mehreren AktivistInnen. Weiters werden wir am 29. September ein Solidaritätskonzert veranstalten, dessen Reinerlös dem Kampf in der Schweiz zugute kommt. Zusätzlich werden wir mit weiterhin über die Kündigung des Kollektivvertrages informieren und zu Solidarität aufrufen.
Der Kampf in der Schweiz beginnt sehr vielversprechend. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass die Lohnabhängigen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Initiative einfach aus der Hand geben würden, und das muss auch weiterhin so bleiben. Wer am vergangenen Samstag in Zürich dabei war, wurde von der Kampfbereitschaft und der positiven Stimmung vollkommen mitgerissen.
Unsere Aufgabe als MarxistInnen besteht nicht zuletzt darin, in unserem Umfeld darauf hinzuweisen, dass die Methoden der KollegInnen in der Schweiz auch in Österreich endlich wieder zum fixen Bestandteil der ArbeiterInnenbewegung gehören müssen. In ganz Europa ist die Sozialpartnerschaft mausetot. Was wir benötigen sind keine sentimentalen Rückblicke in die „traute“ Zeit der Klassenkollaboration der 1970er Jahre, wo noch „alles besser“ war, sondern eine kämpferische Perspektive. Nicht nur in der Schweiz sondern auch in Österreich sind die Lohnabhängigen mit katastrophalen Einschnitten in ihren Lebensstandard konfrontiert und mussten bereits unglaubliche Verschlechterungen hinnehmen (Pensionsreform, Reallohnverluste, wachsende soziale Ungleichheit,…) Das Schweizer Beispiel zeigt uns vor allem, dass es auch anders geht, dass Lohnabhängige nicht von vorne herein dazu verdammt sind, alles bedingungslos zu akzeptieren was von oben kommt und dass es notwendig ist, zu kämpfen.
Lukas Riepler, Landesvorsitzender der SJ Vorarlberg
Lesetipp:
Harry De Boer „Wie können wir einen Streik gewinnen?“
Der Autor der Broschüre war einer der Organisatoren des erfolgreichen Teamsters-Streik 1934 in Minneapolis (USA) und sein Leben lang ein klassenkämpferischer Gewerkschaftsaktivist und revolutionärer Marxist.
Preis: 3 Euro