Seit Jahren stellt die Industrie in den Lohnverhandlungen die kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitsverhältnisse in Frage. Sie werden von den Betriebsleitungen als unzeitgemäße Einmischung in die an sich harmonische „Betriebsgemeinschaft“ gesehen. Ute Zechner berichtet.
Wie bereits berichtet, hat dieses Jahr die Konfrontation bereits im Juni ihren Anfang gemacht, als Arbeitgeber-Chefverhandler Collini „Einzelgespräche“ zum Metaller-KV angeboten und eine „Regionalisierung“ der Kollektivverträge gefordert hat. Das bedeutet einen neuen Anlauf zum Ende des Rechts auf Weihnachtsgeld und bundesweit garantierte Minimalstandards in allen Betrieben. Wir stehen dafür, dass die Gewerkschaft ihre Gegenvorbereitungen unter der Prämisse trifft, dass eine harte Streikbewegung notwendig sein wird. Dies gilt es auch in den Betrieben einzufordern.
Wie in Deutschland
Die Angriffe auf das Kollektivvertragswesen stehen weltweit auf der Tagesordnung. Auch in Deutschlands wichtigstem Industriezweig, der Metall- und Elektroindustrie mit fast vier Millionen Beschäftigten, bahnt sich ein Grundsatzkonflikt zwischen den Sozialpartnern an. Der Präsident des „Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall“, Rainer Dulger, droht mit einem Ende des Flächentarifvertrags in der Metall- und Elektroindustrie, der seit Jahrzehnten die Arbeitsbedingungen von 1,9 Millionen Beschäftigten in rund 3400 Unternehmen, die als Mitglieder der Arbeitgeberverbände unmittelbar tarifgebunden sind, regelt. Der Arbeitgeberpräsident beklagt, dass die IG Metall viele Betriebe mit zu hohen Löhnen und zu viel Freizeit überfordere und die Tarifverträge inzwischen viel zu kompliziert seien. Diese Argumente werden auch hierzulande von den Unternehmern gebetsmühlenartig vorgebracht.
Kollektivvertragsflucht
Die deutsche Diskussion findet vor dem Hintergrund des Anfang vergangenen Jahres erzielten Tarifabschlusses für die Metall- und Elektroindustrie statt. In einer Streikbewegung wurde eine Lohnerhöhung von 4,3 Prozent sowie eine Sonderzahlung von 27,5 Prozent eines Monatslohns oder acht zusätzliche freie Tage erreicht.
„Wenn alle Unternehmen die Tarifbindung verlassen, kann die Gewerkschaft zusehen, wie sie sich im Häuserkampf durchschlägt“, droht Dulger in der „Süddeutschen Zeitung“. Soll heißen: Dann müsste sie versuchen, Unternehmen für Unternehmen Vereinbarungen zu erzielen.
Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hat unlängst in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. dafür plädiert, durch eine neue Tarifpolitik die Wirksamkeit der Kollektivverträge in Deutschland wieder zu stärken. Dies steht nicht im Widerspruch zur Politik der Metall-Unternehmer – im Gegenteil. Konkret schlug Kramer nämlich vor, mehr Öffnungsklauseln in die Kollektivverträge reinzunehmen, denn Tarifverträge seien zu oft nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip gestrickt, so der Boss. Er tritt dafür ein, Tarifverträge „modular“ zu denken – Betrieben also die Möglichkeit zu geben, auch nur einzelne Bausteine aus einem Flächentarifvertrag anzuwenden.
Solche „Diskussionsbeiträge“ bereiten eine neue Offensive gegen Arbeitsrechte und das Lohnniveau vor.
„Ungleichgewicht im Arbeitskampf“
Fast schon verhöhnend klingt dabei das neue „tarifpolitische Leitbild“ des „Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall“, wenn die Unternehmer darin ein Ungleichgewicht im Arbeitskampf beklagen. Konkret beziehen sich die Eigentümer auf die Tagesstreiks, mit denen die IG Metall Anfang vergangenen Jahres erstmals seit Jahren einen schärferen Arbeitskampf gewagt hatte. Längere Streiks treffen die Unternehmen deutlich härter als Warnstreiks, die in der Regel wenige Stunden dauern und kaum einen wirtschaftlichen Hebel erzielen: der Produktionsrückstand kann schnell wieder hereingearbeitet werden. Die Arbeitgeberverbände fordern daher, dass ganztätige Arbeitsniederlegungen künftig de facto nicht mehr legal sein sollen. Zudem wäre „ein verantwortungsvollerer Umgang der IG Metall mit Streiks notwendig.“ Bei der Tarifrunde im vergangenen Jahr hätten diese Streiks – die von der Gewerkschaft das erste Mal ausgerufen wurden und jeweils 24 Stunden dauerten – drei Millionen Arbeitsstunden gekostet, „dreimal so viele wie die Jahre davor“. Dagegen könnten sich die Arbeitgeber bisher „gar nicht“ wehren, so Dulger. Der Gewerkschaft warf er vor, mit ihrer Streiktaktik diejenigen Unternehmen zu verprellen, die am Flächentarifvertrag festhalten wollten. Damit sagt er der IG Metall: „Wenn ihr euch nicht noch stärker selbst beschränkt, verliert ihr eure Bündnispartner, also jene Unternehmen, die prinzipiell mit euch verhandeln würden.“
Spieß umdrehen
Für die Unternehmer gibt es keine Selbstbeschränkung, wenn es darum geht die Ausbeutungsschrauben anzuziehen. Denn die Quelle ihres Profites ist die Ausbeutung unserer Arbeitskraft. Kollektivverträge sind daher ein wichtiger Schutzmechanismus, der gewisse Minimum-Standards für alle festlegt. Doch täuschen wir uns nicht: Wenn wir uns nicht gemeinsam stark machen, wird dieser Schutzschild noch löchriger als er bereits jetzt ist. Dies ist das deklarierte Ziel von Collini und seinesgleichen. Mach dich daher stark für eine kämpferische Herbstlohnrunde.
(Funke Nr. 176/28.8.2019)