Während in Österreich rund um die Regierungskrise hunderttausende Menschen gespannt der politischen Situation folgen, ist von der von der Linken außerhalb der SPÖ kaum etwas zu hören. Der Grund dafür ist, dass vergangene Fehler und falsche Analysen bedeuten, dass viele ihrer Akteure in zentralen Fragen schlicht und einfach nichts zu sagen haben. Florian Keller bezieht Stellung.
Will man das Problem allgemein zusammenfassen, müsste man sagen: In den letzten Jahrzehnten wurde der Marxismus in der Arbeiterbewegung und der Linken immer weiter zurückgedrängt – und mit ihm die Methode, gesellschaftliche Phänomene, Parteien und Gruppen auf Basis der Spaltung der Gesellschaft in gegensätzliche Klassen mit verschiedenen Interessen zu analysieren. Stattdessen erlebten verschiedenste Konzepte des philosophischen Idealismus einen Aufschwung und in ihrem Windschatten die Logik des kleineren Übels, Oberflächlichkeit und die Suche nach Abkürzungen. Selbst Viele mit marxistischem Selbstverständnis kapitulierten in der Praxis vor diesem Druck.
So wurde der offen selbstdeklarierte liberale Bürgerliche Van der Bellen auch mit Hilfe einer Kampagne der unkritischen und „kritischen“ Unterstützung fast der gesamten Linken (inklusive ihres „radikalen“ Teiles) zum Bundespräsidenten gewählt – als angebliches „kleineres Übel“ gegenüber dem FPÖ-Kandidaten Hofer. Wir müssen festhalten, dass dieses „kleinere Übel“ der wichtigste Stützpfeiler für die ÖVP und Sebastian Kurz im Versuch war, den Misstrauensantrag zu überstehen. Im Sinne des Wirtschaftsstandortes, der Exporte, des Tourismus und dem Ansehen Österreichs im Ausland rief er die Opposition in einer Rede an die Nation dazu auf, freiwillig auf ihre parlamentarischen Rechte zu verzichten und eine Alleinregierung Kurz im Amt zu lassen. Nachdem drei Parteien diesem Ruf nicht folgten, ist Van der Bellen jetzt der Hauptkronzeuge von Sebastian Kurz und seiner Medienmaschinerie in seinem Opfermythos. Die Linke fasst ihn trotz alledem weiterhin mit Samthandschuhen an – man hat ja für ihn aufgerufen und gestimmt. Doch es ist notwendig klar zu sagen, was Alexander Van der Bellen repräsentiert: Er war und ist ein nicht wegzudenkender Teil des Bürgerblocks und dessen politischer Strategie, er wird diese Rolle auch in Zukunft spielen, er ist ein politischer Gegner der Arbeiterklasse und der Linken.
Der Sturz von Kurz war richtig
Doch insbesondere im Bezug auf den harten parteiinternen Kampf in der Sozialdemokratie, ob Sebastian Kurz im Parlament das Misstrauen ausgesprochen oder er doch im Interesse der kapitalistischen „Stabilität“ gestützt werden sollte, stand die Linke außerhalb der SPÖ völlig abseits. Während der größte Teil der (radikalen) Linken zu dieser Frage einfach verschämt schweigt, hat der Bundessprecher der Jungen Linken, Tobias Schweiger, ein ausführliches öffentliches Posting auf Facebook verfasst, in dem er seine Position darlegte. Wir begrüßen diesen Schritt, da er eine Debatte ermöglicht, der sich ein großer Teil der Linken mit einer vagen Orientierung auf eine notwendige „linke Kandidatur“ völlig verschließt.
So schrieb Schweiger: „Aus linker Sicht ist die Frage, ob die SPÖ dem Misstrauensantrag zustimmen soll oder nicht aber gar nicht die relevante Frage.“ Warum? Weil die SPÖ einen Misstrauensantrag mit einer Rückkehr zur Sozialpartnerschaft verknüpfen würde, und diese Position in der Bevölkerung verhasst sei. Schweiger weiter: „Die SPÖ ist längst keine linke Kraft mehr, wenn man darunter mehr versteht als dass sie den aktuellen Zustand weniger unmenschlich verwaltet. Auch unter der SPÖ hat es in den letzten Jahren und Jahrzehnten Sozialkürzungen, rassistische Politik und Korruption gegeben“.
Wir stimmen zu: Die Sozialdemokratie hat in der Regierung alles getan, um das österreichische Kapital zu stützen. Und wir würden hinzufügen: In der Frage des Misstrauensantrag gegen Kurz hat die Parteispitze rund um Rendi-Wagner und Drozda versucht, genau das wieder zu tun – indem sie von Beginn der politischen Krise an nichts gesagt hat außer die Notwendigkeit von „Stabilität“ zu betonen, und bis zuletzt keine Position einnehmen wollte, um vielleicht doch noch die Möglichkeit einer Enthaltung beim Misstrauensantrag offen zu lassen.
Doch gleichzeitig hat es eben einen enormen Druck von der Basis der Partei gegeben, der die Parteispitze letztendlich gezwungen hat, eine Position einzunehmen, die sie nicht einnehmen wollte, und Kurz zu stürzen. Das haben eine ganze Reihe von Interviews mit Parteigranden deutlich gemacht: Rainer Wimmer, als Vorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) und der PROGE dem Druck des organisierten Teils der Arbeiterklasse ausgesetzt, gab so im Profil zum Besten, dass alles andere als ein Misstrauensvotum gegen Kurz „die aufgebrachten Genossen für den Nationalrats-Wahlkampf im Herbst total demotivieren“ würde.
Hans-Peter Doskozil meinte sogar im „Presse“-Interview:
„Und Sie sind selbst überzeugt davon, dass das richtig ist, Kurz per Misstrauensantrag zu stürzen?“
Doskozil: „In der jetzigen Situation ist es insbesondere mit Blick auf die Parteiinterna richtig. Aber es ist nicht klug in Bezug auf die Nationalratswahl. Weil die Wähler es möglicherweise anders sehen. Die Bevölkerung wird es bis zu einem gewissen Grad anders sehen. Das ist für mich schon auch ein Widerspruch: Dass man einerseits stabile Verhältnisse will und dann beim Misstrauensantrag mitgeht. Es ist ein Widerspruch, den man erklären muss. Aber es gibt für die SPÖ mit einem starken Blick ins Innenleben keine andere Möglichkeit.“
Es ist klar, dass die SPÖ durch ihre Politik in den letzten Jahren viel Unterstützung in der Arbeiterschaft verloren hat – wie auch die EU-Wahlen wieder eindrücklich gezeigt haben. Doch das ändert nichts daran, dass sie im Moment der einzige massenhafte politische Ausdruck des organisierten Teils der Arbeiterklasse ist. Das hat sich etwa am 30. Juni des letzten Jahres gezeigt, als die (sozialdemokratisch geführte) Gewerkschaftsbewegung innerhalb weniger Tage 120.000 Menschen zur Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag mobilisieren konnte. Den arbeiterfeindlichen Charakter der schwarz-blauen Regierung haben diese Menschen sehr gut verstanden und richtig erkannt, dass Kurz weg muss. Die SPÖ ist weiterhin eine Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung.
Das ist jetzt durch den enormen Druck auf die Parteispitze deutlich geworden, diesen offensichtlichen Feind der Arbeiterklasse jetzt loszuwerden. Die Parteiführung hatte letztendlich die Wahl, Kurz zu stürzen und die Einheit der Partei zu bewahren, oder Kurz zu stützen und damit einen massiven Exodus von Parteimitgliedern, eine offene parteiinterne Opposition inmitten von Wahlkampfzeiten, oder vielleicht sogar eine Spaltung in Kauf zu nehmen. Um die zweite Option zu verhindern, hat sie die Flucht nach vorne ergriffen und einen eigenen Antrag zu Sturz nicht nur von Sebastian Kurz, sondern der ganzen Regierung eingebracht.
Sozialpartnerschaft
Nachdem der Genosse Schweiger erklärt hat, dass der Kampf in der Sozialdemokratie nicht wichtig für Linke ist – weil er auf dem Boden der Sozialpartnerschaft stattfindet – bezieht er dann aber nicht einmal Stellung dazu, ob eine sozialpartnerschaftliche Positionierung aus linker Sicht objektiv gut oder schlecht ist. So schreibt er: „Es geht dabei gar nicht darum, ob die rot-schwarze Sozialpartnerschaft für eine linke Position vorteilhaft oder nachteilig ist – sie hat in den Augen vieler Menschen an Legitimation verloren.“ Also muss man gegen Sozialpartnerschaft sein – weil „viele Menschen“ dagegen sind. Das ist nicht nur eine philosophisch idealistische Position, in die Praxis umgesetzt verurteilt sie zu weiterer Tatenlosigkeit.
Die Basis der SPÖ wollte den Arbeiterfeind Kurz unter allen Umständen stürzen. Die Parteispitze wollte das nicht, aber nachdem sie dazu gezwungen wurde, interpretiert sie das natürlich vollkommen in ihrem Sinn – also als einen Akt der „Verteidigung der Demokratie“, appellierend an die „vernünftigen Kräfte in der ÖVP“, appellierend an eine Wiedererrichtung der „Sozialpartnerschaft“ – und hoffen dabei auf die jahrzehntelangen Illusionen innerhalb der SPÖ-Basis, um mit dieser Linie durchzukommen.
In so einer Situation ist es die erste Aufgabe eines jeden Linken, gegen die „Sozialpartnerschaft“ entschlossen und klar Stellung zu beziehen – und zwar nicht weil „viele Menschen“ dagegen sind, sondern weil ein weiteres Klammern an die „Sozialpartnerschaft“ und die Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen die Arbeiterbewegung in die Katastrophe führen wird.
Auf der Basis eines gemeinsamen Kampfes um den Sturz von Kurz hat und hätte es auch durchaus die Möglichkeit gegeben, in dieser Frage mit einer breiten Schicht an unzufriedenen Sozialdemokraten in Diskussion zu treten und in der Praxis zu beweisen, dass es gerade die sozialpartnerschaftliche Orientierung ist, die einem entschlossenen Kampf gegen die arbeiterfeindliche Regierung entgegenstand und auch in Zukunft entgegenstehen wird.
Die Position des Genossen Schweiger verdammt dagegen, in die Praxis umgesetzt, im doppelten Sinne zu einer völligen Tatenlosigkeit der Linken. Sie lässt die Dominanz der rechten Führung über die Arbeiterbewegung wie auch die Illusionen in die Sozialpartnerschaft völlig unangetastet – und das in einer Situation, in der wieder die Wahllogik die Dynamik der nächsten Monate bestimmen wird und dadurch die Blicke auf die Sozialdemokratie gerichtet sein werden.
Nur eine entschlossene und prinzipielle Einheitsfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie auf Basis des weitreichenden Kampfes für soziale Reformen, die gleichzeitig deutlich macht wie der Kapitalismus in einer Sackgasse steckt und eine sozialistische Alternative formuliert, wird es der Linken in den kommenden Monaten erlauben, eine praktische Rolle in den sich überstürzenden Ereignissen zu spielen und die Basis für eine tatsächliche linke Wende in Österreich zu legen.