Ende Oktober, Sonntag, 5 Uhr morgens: eine im Bregenzerwald gut integrierte armenisch-iranische Flüchtlingsfamilie, deren Asylantrag in letzter Instanz abgelehnt wurde, wird von der Polizei abgeholt, um abgeschoben zu werden. Nach der Abschiebung des Lustenauer Gastronomielehrlings Quamar Abbas ist dies ein weiterer Fall von unmenschlicher Abschiebepraxis in Vorarlberg. Seither geht ein Sturm der Entrüstung durch das Land. Von Ursula Holzer.
Seit Wochen geht jeden Sonntag eine Protestbewegung aus Flüchtlingsinitiativen, bürgerlichen PolitikerInnen, Grünen und kritischen links-liberalen Privatpersonen mit mehreren hundert Leuten in Hohenems auf die Straße. Im Landtag, wo Kurz wenige Tage später zum „Bürgerdialog“ weilte, wurde er von den bürgerlichen InitiatorInnen der Bewegung – Sigrid Brändle aus dem FPÖ-Umfeld, Klaus Begle von der ÖVP – zur Rede gestellt und musste sich zur unmenschlichen Praxis der Abschiebungen rechtfertigen. Dabei schlug ihm eine Welle der Entrüstung entgegen.
Der Protest gegen die Bundesregierung wird in Vorarlberg maßgeblich von Personen aus denselben Parteien organisiert, die auch die Bundesregierung stellen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Abschiebungen von Lehrlingen unmittelbar den Bedürfnissen der kleinen Gewerbetreibenden widersprechen, die einerseits auf diese Lehrlinge angewiesen sind, andererseits aber auch die soziale Basis von FPÖ und ÖVP auf dem Land ausmachen. Der Rassismus der Regierungsparteien gerät hier in Widerspruch mit den Interessen der eigenen Klientel. Das heißt aber nicht, dass FPÖ und ÖVP jetzt unser Vertrauen verdient hätten! Für sie ist die An- und Abwesenheit von Flüchtlingen allein eine Frage der wirtschaftlichen Berechnung. Dass sie zufällig einmal auf der richtigen Seite stehen, macht sie nicht zu verlässlichen Bündnispartnern im Kampf um eine bessere Welt.
Auf den Sonntagsdemonstrationen in Hohenems und anderen Vorarlberger Städten kommen viele Leute zu Wort: Es wird über gelungene Integration berichtet, ein Flüchtling erzählt von seiner Arbeit, Unternehmer setzen sich für Geflüchtete als Lehrlinge ein, die sie dringend benötigen, PolitikerInnen verschiedener Parteien verurteilen die Hartherzigkeit der Regierung, viele RednerInnen betonen, dass sie gemeinsam ein starkes Zeichen für mehr Menschlichkeit setzen und einen Beitrag zur Veränderung leisten wollen, Priester rufen dazu auf, Mut zu zeigen und sich gegen die schwarz-blaue Regierung zu stellen, es wird empört erklärt, „wir Vorarlberger“ lassen „uns“ diese Abschiebepraxis aus Wien nicht gefallen, und es werden religiöse Lieder gesungen.
Die Stimmung auf diesen Demos ist kämpferisch, aber angesichts des Charakters des Protests liegen die Schwächen dieser Bewegung auf der Hand. Dass das weltweite Verhältnis zwischen Arm und Reich und die globale Ausbeutung des größten Teils der Menschheit die Ursache all der geschilderten Missstände sind, wird kaum ausgesprochen. Der Funke ist auf diesen Demos stark präsent. Wenn wir beim Verkaufen unserer Zeitung davon sprechen, dass das Problem viel tiefer liegt, nämlich in den Bedingungen, die durch den Kapitalismus herrschen, stimmen uns die meisten Leute zu, und nicht wenige kaufen eine Zeitung.
Die Widersprüchlichkeit, die diese Bewegung durchzieht, darf uns nicht verwundern. Aber die Menschen werden durch Erfahrungen dazulernen, die sie im Kampf machen, an politischer Klarheit gewinnen und schließlich lernen, Freund und Gegner auseinanderzuhalten: Der Abschiebeterror in Österreich kann besiegt werden, wenn die ganze Arbeiterklasse vereint gegen die Regierung der Reichen vorgeht und sich den Sturz von Schwarz-Blau zum Ziel setzt!
(Erschienen im Funke Nr. 169/Dezember 2018)