Über den neuen Pakt der österreichischen Regierung sprach Funke-Redakteur Emanuel Tomaselli mit der Jungen Welt. Dieses Interview erschien am 7.2. in der Jungen Welt (https://www.jungewelt.de/2017/02-07/007.php). Wir veröffentlichen hier die ungekürzte Fassung.
Österreichs Große Koalition aus SPÖ und ÖVP hat sich nach internen Querelen auf ein neues, 46 Punkte umfassendes Regierungsprogramm für die kommenden 18 Monate geeignet. Welches sind die Kernpunkte und wie groß war der Einfluss der rechtspopulistischen FPÖ dabei?
Es handelt sich um die Fortsetzung des nationalen Schulterschlusses, der Burgfriedenspolitk zugunsten des österreichischen Kapitals. Die Übereinkunft ist eine uninspirierte Zusammenschau von Maßnahmen, um die Wirtschaft ins Rollen zu bringen: Deregulierungen, Unternehmensförderungen, befristete Kürzung der Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung, Verlängerung der Höchstarbeitszeit, Arbeitszeitflexibilisierung, Reduktion der Ruhezeiten, Verringerung des Arbeitnehmerschutzes, höhere Zugangsschranken für die Uni.
Österreich soll auch wieder gezielt als Anlaufziel für reiche ausländische Steuerhinterzieher attraktiv gemacht werden. Die Verbesserungen beim Steuerrecht und ein Mindestlohn von 1200 Euro netto kommen schrittweise und mit so großer zeitlicher Verzögerung, sodass man hier nicht von einer Verbesserung reden kann.
Garniert ist das Ganze mit unverhohlenem anti-muslimischem Rassismus gegenüber dem Islam, Integrationsmaßnahmen mit durchgängigem Zwangscharakter und dem Ausbau des Hochsicherheitsstaates durch Überwachung aller Verkehrswege, Vorratsdatenspeicherung, präventive Fußfesseln, Schaffung neuer politischer Straftatbestände. Selbst die faschistischen, so genannten „Identitären“ sehen, laut eigener Aussage, ihr Programm weitgehend berücksichtigt.
ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz fordert eine „Reform des Sozialstaats“. ÖVP-Finanzminister Hans-Jörg Schelling hat bereits entsprechende Vorschläge erarbeitet. Kommt jetzt auch bei Euch die Zeit der Hartz-„Reformen“?
Definitiv. Nicht mit Schröderschem Getöse sondern vorerst in klassischer sozialpartnerschaftlicher Manier, wohldosiert, aber sicheren Schrittes.
Zu den Zielen gehört auch eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Immer weniger Firmen haben einen Betriebsrat. Sind die Gewerkschaften zu erfolgreichem Widerstand noch bereit und in der Lage?
Der Kündigungsschutz für über 50jährige wird gelockert, und als Kompensation ein zweiter Arbeitsmarkt für diese Zielgruppe geschaffen. In dieser Krise hat nur die Belegschaft des Druckmaschinenherstellers KBA teilerfolgreich gegen die Schließung ihrer Fabrik gestreikt, im Jänner 2014. Die Führung des ÖGB verfolgt das Ziel durch Verbesserung der wirtschaftlichen Situation die soziale Frage zu lösen. Damit ist die Organisation völlig unfähig und auch desinteressiert etwas anderes zu tun als bei Massenentlassungen Sozialpläne auszuhandeln. Der Kampf um die Verteidigung der Arbeitsplätze und den Erhalt des Standorts eines Betriebes ist schlicht kein Thema. Zunehmend ist folgerichtig auch die Qualität des Arbeitsplatzes von minderem Interesse. Hauptsache die Jungen lernen was Arbeitsmarktgerechtes und die 50-jährigen sehen nicht permanent auf der Straße. Dementsprechend hat auch die ÖGB-Spitze dem Regierungsprogramm volle Unterstützung und Mitarbeit zugesichert.
Einige politische Kräfte wollen – quasi als Alternative – mittels Volksbegehren ein Bedingungsloses Grundeinkommen erreichen. Was hältst Du von dieser Idee?
Sozialpoltisch würde das konkret auch nur die Zerschlagung der solidarischen Formen der Kranken- und Pensionsversicherung bewirken. Die Kräfte auf der Linken, die dafür werben, sind klein und diese Forderung setzt auch an keinerlei relevanter gesellschaftlicher Situation an. Inhaltlich ist diese Forderung aus marxistischer Sicht falsch, da sie von der reaktionären Utopie ausgeht, dass die Reichen die Armen mildtätig durchfüttern würden. In der konkreten Umsetzung kann man sich das im realen Kapitalismus nur als eine Form des generalisierten Kombilohnes, der alle anderen Formen der sozialen Absicherung ersetzt, vorstellen.
Verfolgt man in den letzten Monaten beispielsweise die Berichte in der linksliberalen Tageszeitung „der Standard“, dann könnte man den Eindruck gewinnen, eine Koalition von SPÖ und FPÖ auch auf Bundesebene ist kein Tabu mehr. Wie ist die Entwicklung in dieser Frage?
Vergangenen Sommer wurde klar, dass führende Kreise des österreichischen Kapitals der FPÖ klar zu verstehen gegeben haben, sich auf eine „verantwortungsvolle Rolle“ vorzubereiten. Da wollten große Teile des SPÖ-Apparates schlicht aus Eigenerhaltungsinteresse nachziehen und diese Option für sich selbst öffnen.
International erleben wir, dass die Bourgoisie an Kontrolle über ihr politisches Personal einbüßt, siehe die Abhaltung der Brexit-Volksabstimmung. Die chaotisierende US-Präsidentschaft Donald Trumps und die stabilisierende Rolle des liberalen Präsidenten Van der Bellen in Wien – zwei konträre Ausdrücke dieses Prozesses – bewirken in Österreich eine zeitweilige Stabilisierung der Großen Koalition. In diesem chaotischen Umfeld bietet der Betonblock Klassenzusammenarbeit einen Standortvorteil.
Teile der Rest-Linken lancierten Ende letzten Jahres eine Initiative zur Vereinigung und Bildung einer gemeinsamen Wahlalternative. Hat so etwas Aussicht auf Erfolg? Wie kann eine antikapitalistische Linke wieder zu einem politischen Faktor werden und dem Masseneinfluss der rechtspopulistischen FPÖ entgegenwirken?
Der Kongress vom Juni 2016 mit über 1000 Teilnehmern war ein Erfolg, ergab aber keine tragfähige politische Plattform, da nichts ausdiskutiert wurde und nichts Konkretes beschlossen wurde. Beides war kein Zufall, sondern entsprach der politischen Konzeption der Initiatoren. Aber abseits von diesen subjektiven Schwächen ist auch das klar: Nur durch soziale Kämpfe wird ein linkes Wahlprojekt abheben können. Mich erinnert das heute an die Periode, die dem Jahr 1917 voranging: bleierne Schwere und ideologische Verwirrung. Der Klassenkampf wird aber zurückkehren und der aufgestaute Frust wird sich immens zornig entladen.