Das Ende der Zweiten Republik vollzieht sich nicht durch einen politischen Akt der FPÖ, sondern durch die gesellschaftliche Isolation und Selbstzerfleischung der Volksparteien SPÖ und ÖVP. Emanuel Tomaselli analysiert.
Das österreichische Kapital setzt über kurz oder lang auf eine Bürgerblockregierung von FPÖ und ÖVP, wobei sich die wirtschaftlichen Eliten wünschen, dass das geprüfte politische Personal der ÖVP dabei die führende Rolle einnehmen kann. Das Programm einer solchen Regierung wird es sein die Wettbewerbsbedingungen der österreichischen Wirtschaft rasch zu verbessern. Angesichts der negativen Entwicklung der Standortbedingungen im Vergleich zum Hauptexportland Deutschland und der großen Risiken in Osteuropa, kann die Steigerung des Profits der österreichischen Kapitalbesitzer nur auf Kosten der heimischen Lohnabhängigen erfolgen. Diese Einschätzung wird das Programm der kommenden Regierung diktieren.
Der Bürgerblock wird geschmiedet
Allein diese neue Orientierung muss in den politischen Apparaten erst durchgesetzt werden. Im Lager der ÖVP kommt dabei dem Außenminister Sebastian Kurz die Schlüsselrolle zu. Er gilt als Hoffnungsträger des wirtschaftlich dominanten und politisch tonangebenden Raiffeisenkonzerns. Er soll die Karten der ÖVP bei den kommenden Wahlen durch Wahlabsprachen mit den NEOS und durch die Strahlkraft seiner Person als Spitzenkandidat mit der Attitüde des salonrassistischen Schwiegersohnes absichern.
Raimund Lopatka, dem Klubobmann der ÖVP, geht dies nicht rasch genug. Gestützt auf einen schwarzen Parlamentsklub, der mehrheitlich bereits jetzt für ein Bündnis mit der FPÖ steht, agiert er zunehmend hektisch für diese politische Option. Zuletzt sprach er sich für eine Unterstützung Hofers bei der Bundespräsidentenwahl aus und konterkarierte damit die vom großkoalitionär eingestellten Parteivorsitzenden ausgegebene Linie der Nicht-Wahlempfehlung. ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner lud den renitenten Klubobmann zu einer Aussprache, um anschließend öffentlich seinen Machtverlust in der Partei eingestehen zu müssen. Der Sozi-Hasser Lopatka bleibt nicht nur im Amt, sondern blamierte Mitterlehner straffrei gleich ein zweites Mal innert Tagen. Mitterlehner hat nicht nur die Wahlumfragen, die die ÖVP konstant unter 20 % Wählerunterstützung sehen, gegen sich, sondern zunehmend auch sein eigenes politisches Personal, das straflos gegen seine Linie rebelliert. Auch die ÖVP Niederösterreich soll nach Medienberichten bereits vollständig auf die schwarz-blaue Linie eingeschwenkt sein.
Die Lähmung der SPÖ
Spiegelverkehrt brechen in der Sozialdemokratie alle Dämme zu den Blauen. Offiziell wird ein Kriterienkatalog für zukünftige Koalitionen erstellt, in der Praxis wird diese Option bereits offensiv vorbereitet. Das TV-Gespräch von Bundeskanzler Kern mit Strache beendete die Ausgrenzungspolitik de facto, so die Interpretation von LH Niessl und Muchitsch, die politisch seit langem offen für diese Option Stimmung machen. Zuletzt legte sich auch Ex-Innenminister Caspar Einem, die Personifikation einer moralisch begründeten Aus- und Abgrenzung der FPÖ, offensiv für eine Öffnung hin zur FPÖ ins Zeug.
Der letzte Exponent der FPÖ-Ausgrenzung ist damit der Wiener Bürgermeister Häupl. Diese Haltung wird offen von einer Reihe SP-Bezirksvorsitzender aus den klassischen Wiener Arbeiterbezirken bekämpft. Diese Fraktion nennt sich selbstbewusst die „Mehrheit“ und wagt es gar den neuen Bundesvorsitzenden Kern öffentlich anzupatzen, geschehen durch den abgesetzten Wiener SPÖ-Sekretär Deutsch. In der Öffentlichkeit wird dieser heftige Fraktionskampf in der SPÖ Wien als Konflikt zwischen „Links“ und „Rechts“ beschrieben. Allein die Fakten bieten keinerlei Unterstützung für die These, dass es um tatsächlich linke und rechte Flügel geht. Vielmehr tobt hier eine offene Auseinandersetzung zweier politischer Netzwerke um den Zugang zu und Erhalt von Macht und Posten angesichts zunehmender gesellschaftlicher Isolation.
SPÖ-Wien versinkt im Privatisierungssumpf
Die AnhängerInnen des apostrophierten „linken“ Flügels beschränken sich darauf abstrakt die sozialdemokratischen Werte zu verteidigen und zu betonen, dass Wien die lebenswerteste Stadt der Welt ist. Auf die aufgestauten sozialen und wirtschaftlichen Probleme in der Stadt haben sie keine Antwort anzubieten. Diese Haltung bereitet den Weg in eine schwere Niederlage. Die Häupl-Gegner, die in den Arbeiterbezirken den Hauch der FPÖ im Nacken spüren und ihr oft bereits hinterher hecheln, ist dies zu wenig. Sie wollen ein politisches Nachfolgeprojekt in Form von Koalitionen mit der FPÖ offensiv vorbereiten.
Ein sozialer Inhalt ist in dieser Auseinandersetzung nur partikelförmig vorhanden. Die Häupl-KritikerInnen benennen die sozialen Brennpunkte in der Stadtentwicklung: Krankenhausmisere, Rückstand im Wohnbau und Probleme in der Kinderbetreuung, aber gleichzeitig auch die seit der Krise 2008 stark zunehmende Verschuldung der Stadt, die man „Griff bekommen müsse“. Außerdem warnen sie vor eine Überforderung des Sozialbudgets durch die Ausgaben für die Mindestsicherung und verknüpfen das mit der Forderung nach restriktiveren Regelungen in der Flüchtlingspolitik. Damit zielen sie offen auf die Ressorts von Sonia Wehsely, Sandra Frauenberger und Renate Brauner. Damit sind die ExponentInnen der „Willkommenskultur“ benannt, v.a. aber auch die zuständigen Resortleiterinnen, die eine Fülle von Problemen, die direkt der neoliberalen Auslagerungs- und Refinanzierungspolitik der Gemeinde Wien entspringen.
Brennpunkt der politischen Auseinandersetzung ist der Krankenanstaltsverbund KAV. Neben unüblich hohen Gehältern für das Management gab man hier in der Periode 2012-2015 über 48 Mio. € für externe Beraterverträge aus. Der Bau des Krankenhauses Nord wurde ohne klar definiertes Projektmanagement und Controlling begonnen, die Kosten haben sich gegenüber der ursprünglichen Budgetierung auf über 1,2 Mrd. verdoppelt. Die „Linke“ Sonja Wehsely sucht in ihrem politischen Überlebenskampf nun den Weg in die Offensive, indem sie die vollständige Auslagerung des KAV vorbereitet. Damit könnte sie einem drohenden Untersuchungsausschuss des Gemeinderates, der das Ende ihrer politischen Karriere besiegeln würde, entgehen. Offenbar konnte sie den Bürgermeister für diese Flucht nach vorne gewinnen.
Ähnlich gelagerte Skandale poppen nun in allen Ressorts auf: Subventionen an private Kindergartenbetreiber, die versandeten, Scheinrechnungen in der Höhe von 64 Mio. € bei Renovierungsprojekten in Gemeindebauten (zuständiger Stadtrat ist hier Michael Ludwig, graue Eminenz der FPÖ-affinen „Mehrheit“), Probleme durch die Aufwertung der Fremdwährungskredite, die vollständige Reichtumsvernichtung der ehemaligen Zentralsparkasse der Gemeinde Wien durch ihre Umwandlung in ein „Expansionsvehikel“ für die Banken-Ostexpansion, dreistellige Millionenverluste der WienEnergie in gescheiterten Kraftwerksprojekten in Osteuropa,…
Das Aufbrechen dieser Probleme allein zeigt die politische Krise der alten politischen Ordnung an. Jahrelang besoffen von der Idee der Überlegenheit des Marktes wird nun eine Rechnung dieser Politik nach der anderen fällig gestellt und an die Öffentlichkeit gespült. Die Wohnungsvergaben in Wien sind heute objektiviert, die Wartelisten lang wie die Operationslisten in den Krankenhäusern, dafür dominiert heute lukrative Intransparenz für private Privilegien-Ritter in den Schnittstellen von Gemeinde, Privatwirtschaft und Management.
FPÖ muss nur warten
In diesem Panorama der zusammenbrechenden, im Spitzenpersonal allseits prinzipienbefreiten Sozialdemokratie, muss die FPÖ nur abwarten und die Finger in die Wunden legen. Ihr Aufstieg ist durch keinen der beiden politischen Orientierungen in der Sozialdemokratie (moralisch begründete Ausgrenzung vs. offene Umarmung) aufzuhalten.
Auf Seiten der ÖVP ist die Auseinandersetzung um die politische Orientierung in der Koalitionsfrage eine taktische Frage der Machtausübung der wirtschaftlichen Elite. Das Kapital setzt klar auf den Bürgerblock und richtet sich ihr politisches Personal dafür her. Dass dies nicht reibungslos vor sich geht, bietet keinerlei Ansatzpunkt für Hoffnung, dass die politische Stabilität der Zweiten Republik noch einmal zusammengeschustert werden könnte.
Der Bundespräsidentenwahlkampf dient dabei dazu das gesamte politische Spektrum nach rechts zu rücken und dem kommenden Bürgerblock eine festere ideologische Basis zu geben. Van der Bellens Loden-Wahlkampf macht Positionen von ganz rechts nun auch in der Linken mehrheitsfähig. Wir haben diesen Prozess antizipiert und von vorneherein jede Unterstützung eines „kleineren Übels“ abgelehnt. Der Preis für eine solche Politik wird hoch sein, wie wir noch erleben werden, die (temporäre) vollständige Demoralisierung und Handlungsunfähigkeit der Linken droht.
Die politische Agenda wird aufgrund der Krise von ÖVP und SPÖ bereits jetzt vollständig von der FPÖ dominiert. Dies ist nur die Antizipation des Kräfteverhältnisses, das sich bei den kommenden Neuwahlen manifestieren wird.
Nur Klassenkampf bietet Ausweg
Nur der von Polit-Taktik befreite, offen ausgetragene Klassenkampf bietet einen positiven Ausweg aus der politischen Trümmerlandschaft der Zweiten Republik. Die Ansätze dafür sind gegeben. In einem historisch einzigartigen Dokument stellt sich die (sozialdemokratische) Belegschaftsvertretung des KAV (also der Hälfte des Personals der Stadt Wien) offen gegen die politische Führung. In einem offenen Brief vom 10. 11. Schreiben sie:
„Im KAV wächst die Unruhe und Unzufriedenheit mit jedem Tag – und wir informieren Sie (Bürgermeister Häupl, Anm.) und die amtsführende Stadträtin Sonja Wehsely seit langem darüber: Funktionierende Strukturen wurden und werden zerstört, Ergebnisse von Arbeitsgruppen werden negiert, verworfen oder fließen erst über externe Berater wieder teuer ein.
Fachkräfte wandern nach Jahren der Enttäuschung ab. Standorte wurden geschlossen und tausende MitarbeiterInnen entwurzelt. Gleichzeitig werden hohe Summen an das Management und externe Berater überwiesen.
In der Hoffnung auf Ruhe und Stabilität fügen sich die Beschäftigten ihrem Schicksal. Doch sie erleben nun, dass die Überlegungen ihres sozialdemokratischen Bürgermeisters zur Zukunft des KAV weit über ein sozialdemokratisches Maß hinausgehen. Ergebnisse zur Mitarbeiterzufriedenheit liefern katastrophale Ergebnisse, (…)“
Was die Personalvertretung der Hauptgruppe II hier zu Papier bringt, ist tiefste politische Entfremdung. Ihr Stillhalten in den letzten Jahren hat sie selbst beinahe vollständig von den KollegInnen entfremdet, nun stellen sie sich in diesem Papier in Opposition zur Stadtpolitik, um diesem Trend in einem Klima der weiteren Angriffe etwas entgegenzusetzen.
Nur diese Konflikte können – sofern sie offen ausgetragen werden – eine politische Wende in der Arbeiterbewegung herbeiführen und dem Rechtsrutsch in Politik und Gesellschaft einen Riegel vorschieben. Der rassistische Populismus der FPÖ ist zum Schweigen verdammt, wenn sich die Klasse bewegt und mit ihren Methoden solidarisch kämpft. Ein Bruch mit der Sozialpartnerschaft auf allen Ebenen, konkret in Wien ein Bruch mit der Spar- und Privatisierungpolitik aller (SP-)Fraktionen, kann einen positiven Ausweg aus dem Zusammenbruch des politischen Systems der Zweiten Republik aufzeigen.