Welche Taktik und Strategie braucht die neue Linke? Stefan Wagner über unterschiedliche Konzeptionen in der österreichischen Linken.
Nach der Kapitulation von Bundeskanzler Kern gegenüber CETA kam es in der österreichischen Linken zu einer offenen Debatte über die Aufgaben kritischer Intellektueller bzw. allgemeiner über Fragen von Strategie und Taktik der Linken. Nach verbalen Gefechten in den Sozialen Medien kulminierten die Meinungsverschiedenheiten in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 23.11., wobei hier neben den Hauptproponenten Robert Misik und Lukas Oberndorfer (Mosaik-Blog) auch andere Stimmen aus der Sozialdemokratie auf der einen und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite zu Wort kamen. Robert Misik nahm dabei die Rolle des Intellektuellen ein, der Verständnis für die Politik von Bundeskanzler Kern einmahnt.
Von der anderen Seite wird der Sozialdemokratie ein großer Fehler vorgeworfen, da sie einmal mehr nur versucht hat, durch einen Kompromiss, Schlimmeres zu verhindern. Laut Lukas Oberndorfer hat Kern die Chance nicht genützt, mithilfe des Symbols CETA eine Debatte anzustoßen, die sich nicht mit Kompromissen zufrieden gibt, sondern in einen Konflikt mit der neoliberalen herrschenden Elite tritt. Denn nur durch den bewussten Konflikt mit dem System konnten politische Durchbrüche ermöglicht werden, wobei er sich positiv auf Syriza, Podemos, Corbyn und Sanders bezieht. Interessanterweise sind sich beide in diesem Punkt aber sogar einig. Beiden geht es darum, die ideologische Vorherrschaft in der Gesellschaft, also die Hegemonie, zu erkämpfen und die neoliberale Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte und deren Stagnation und sozialen Katastrophen zu beenden. Das Ziel ist also das gleiche, der Weg dorthin ist ein anderer.
Für Misik braucht es ein Durchhaltevermögen auf internationaler Ebene, um die notwendigen Arrangements durchzubekommen. Man müsse versuchen mithilfe von Kompromissen europa- und weltweite Allianzen einzugehen, um einen Kurswechsel zu starten. Das zentrale Feld politischer Auseinandersetzung ist dabei für ihn die Frage der Steuergerechtigkeit, womit er sich – basierend auf einer falschen Krisenanalyse – ganz klar auf eine reformistische Strategie beschränkt. Beim Schmieden dieser Allianzen habe die gesellschaftliche Linke aber momentan nichts zu bieten, weswegen die Spielräume für Leute wie Kern klein sind. Misik tut somit nichts anderes als den real existierenden Reformismus der Sachzwänge zu legitimieren.
Für Oberndorfer hingegen muss die „Neue Linke“ den Konflikt mit den neoliberalen Eliten suchen und sich dabei sowohl auf die Basis der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften als auch auf andere antikapitalistische Bewegungen (Ökologie, Anti-Globalisierung, Anti-Krieg, etc.) stützen. Auf analytischer Ebene ist Oberndorfers Ansatz weit näher an der Realität. Er nimmt die Integration der sozialdemokratischen Polit-Elite in die Spardiktatur als objektiven Faktor an und entwickelt seine politische Position von hier ausgehend weiter. Misik hingegen verschleiert und legitimiert die konkrete Rolle der Sozialdemokratie mit ihrer pro-kapitalistischen Krisenbewältigungsstrategie nur.
Überlassen wir Misik also seiner geschäftigen Arbeit als Berater des Bundeskanzlers und diskutieren wir die Ideen der „Neuen Linke“ weiter. Die Zielvorstellung des zu erreichenden politischen Projektes wird als „Bruch mit der neoliberalen Hegemonie“ beschrieben. Der Weg dahin geht über „Reflexionsflächen“, die es erlauben, eine heterogene Linke von der Ökobewegung bis hin zu oppositionellen SozialdemokratInnen gemeinsam „handlungsfähig“ zu machen. Oberndorfer orientiert die Linke zurecht auf eine Strategie des Konflikts, aber er sagt nicht oder bleibt sehr vage in der Frage, mit welcher Perspektive und welchem Programm dies zu erfolgen hat.
Die Unschärfe, ja die teilweise Unverständlichkeit eines solchen Politikentwurfes liegt offen auf der Hand. Nicht zuletzt hat dieser Politikansatz in der konkreten Auseinandersetzung zwischen dem griechischen Volk und Arbeiterklasse und den EU-Institution den Praxisbeweis nicht bestanden. Alexis Tsipras ist es keineswegs gelungen, einen Raum für „anti-neoliberale Hegemonie“ zu schaffen, er ist vielmehr selbst zum wichtigsten Instrument der Spardiktatur geworden, zu einer neuen Sozialdemokratie, nachdem die alte zerrieben worden war. Ihm selbst droht das ruhmlose Ende in wenigen Monaten, der griechischen Arbeiterklasse Jahrzehnte an Armut und Entrechtung – sofern sie nicht ein revolutionäres politisches Programm mehrheitsfähig macht.
Griechenlands anhaltende Knechtung ist kein Zufall, sondern ein direktes Resultat dieser linken „Diskursstrategie“, die explizit oder implizit davon ausgeht, dass man neoliberale Politik und Diskurs bekämpfen müsse und erfolgreich bekämpfen könne, anstatt den Kapitalismus an sich in Frage zu stellen. Die Notwendigkeit einer revolutionären Perspektive formuliert Oberndorfer nicht.
In diesem Sinne ist unsere Meinungsverschiedenheit mit der „Neuen Linken“ leicht auf den Punkt gebracht: Wir werben in der Jugend und Arbeiterklasse für ein anti-kapitalistisches Programm (zukünftiger) sozialer Bewegungen, wir argumentieren geduldig die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus durch die Enteignung des Kapitals als einzige nachhaltige Maßnahme zur Stabilisierung der Lebensbedingungen der Menschen.