Der Kitt, der die Unruhe in der Sozialdemokratie absorbiert hat, ist pulverisiert. Mit dem Tabubruch, im Burgenland eine rot-blaue Koalition zu beschließen und dem darauffolgenden Handeln der Parteiführung offenbart sich für alle sichtbar, dass es der führenden Kaste in der SPÖ nur um den eigenen Machterhalt geht. Wir sind in eine kritische Periode der Entwicklung der Arbeiterbewegung eingetreten. Von Emanuel Tomaselli.
Die Koalition mit der FPÖ löst starke zentrifugale Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei und denen ihr politisch nahestehenden Organisationen aus. Der nun beschleunigte Erosionsprozess der SPÖ könnte nur durch prinzipielle politische und personelle Brüche beginnend in der Führung der Partei gestoppt werden: Abwendung von Bürgerlichen und Staatsorientierung, Hinwendung zur Arbeiterbewegung und ihrer sozialen Kernfragen, muss das Motto der Linken lauten.
Der Parteivorstand und der Apparat sind organisch zu einer Selbstreform unfähig, was uns täglich vorgeführt wird. Man stelle sich vor: ein rassistischer Männerbund namens FPÖ verwandelt eine Bank in einen Freunderl-Bankomat und die Rechnung von 20 Mrd. € (!) bezahlen die SteuerzahlerInnen. Dennoch gelingt es dieser Partei, sich in breiten Teilen der Arbeiterklasse als die einzige Alternative zum System zu positionieren. Was absurd klingt ist österreichische Realität, die strukturell bedingt ist: über tausende Fäden an ein morsches System gebunden, sind der sozialdemokratische Parteiapparat und ihre Funktionäre unfähig, eine Alternative zum Status Quo zu formulieren. Stattdessen gehen sie den ganzen Weg, bis hin zur Selbstaufgabe und -zerstörung, mit einem totkranken System.
Mitgliedern ist es sowieso – oftmals bewiesen – unmöglich die Politik der Partei mitzugestalten. Abwarten und Hoffen ist nun keine Option mehr.
Die sich widersprechende Politik der führenden Ebenen in den Ländern und Teilorganisationen entspringen einem geteilten Interesse: den unterschiedlichen Positionierungen zu Rot-Blau liegen in den allermeisten Fällen keine prinzipiellen politischen Unterschiede zugrunde. Die anders gelagerten wirtschaftlichen Interessenslagen der Landes- und Teilorganisationen bestimmen die jeweilige politische Position: Braucht man im Burgenland die Blauen um sich in den Ämtern und staatsnahen Jobs zu halten, braucht man angesichts der Wiener Wahlen ein antifaschistisches Profil, um das gleiche Ziel zu erreichen. In der Steiermark hat sich der Apparat noch nicht entschieden, und steht unter zusätzlichem Druck, da VP-Schützenhofer sich denkt: was die burgenländischen Roten machen, können die steirischen Schwarzen schon lange.
Hier nur noch nebenbei erwähnt: wer glaubt, dass die Sozialdemokratie sich durch die Entfesselung aus der Zusammenarbeit mit der ÖVP neue politische Optionen schafft, wird stündlich von der Realität eingeholt. Perspektivisch gesehen ist sogar das Gegenteil der Fall: Die FPÖ wird durch die Regierungsbeteiligung von der SPÖ wieder regierungsfähig gemacht. Das Bürgertum wird sich dafür bedanken, indem es bei der erstbesten Gelegenheit die verbrauchte SPÖ mit Hilfe einer Bürgerblockregierung aus dem Amt jagt. Die Sozialdemokratie wird ohne die Möglichkeit, dagegen Widerstand zu organisieren, zurückbleiben: War doch sie es, die Sparpolitik und Bankenrettung durchgesetzt hat, war doch sie es, die die FPÖ als erstes wieder in eine Regierung geholt hat. Das jetzige Verhalten der SPÖ-Bürokratie entwaffnet die Arbeiterbewegung komplett.
Die Position des Weiterwurstelns mit dem Zweck des Selbsterhalts im Schoße der öffentlichen Institutionen wurde vom gestrigen SPÖ-Präsidium zur neuen Linie erhoben: jeder darf machen was er will, allein auf Bundesebene verlangen wir von der ÖVP, dass sie sich an uns bindet. Diese ist eine lachhaft durchschaubare Positionierung des Machterhalts und des Zuganges zu Staatsposten um jeden Preis. Bei gleichzeitiger Abwesenheit von jedem sozialen Anliegen, ist dieser Kurs der Mühlstein am Hals der SPÖ.
In dieser Situation muss eine Debatte darüber stattfinden, wie ein Weg aus dieser Misere heraus aussehen kann. Diskussionen darüber finden auch schon reichlich statt, etwa in der Sozialistischen Jugend und anderen roten Jugendorganisationen. Dabei stehen Ideen im Raum wie etwa die Organisierung einer Konferenz, bei der die linken Kräfte zusammenkommen und über den weiteren Weg diskutieren.
Eine solche Initiative wäre ein richtiger Schritt und würde die Unterstützung der marxistischen Strömung erhalten. Es ist wichtig, das Verhalten der SPÖ und die Zukunft der Sozialdemokratie einer breiten öffentlichen Debatte zu unterziehen. Doch ein Erfolg kann so eine Initiative nur werden, wenn im Vorfeld und auf der Konferenz selbst eine Hinwendung zur politischen und sozialen Realität erfolgt.
Schon jetzt gibt es eine gewaltige Austrittswelle aus der Sozialdemokratie. Dieser individualisierte Form des Umgangs mit einem politischen Problem, die letztlich nichts bringt, muss eine organisierte Alternative dazu entgegengesetzt werden. Gleichzeitig lehnen wir eine Zielsetzung einer Konferenz „zur Rettung der Sozialdemokratie“ ab. Man kann nichts und niemanden retten, was zielstrebig in eine andere Richtung unterwegs ist. Eine Konferenz, die das Ziel hätte, diesen Umstand auszusitzen und zu verschleiern kann den Zersplitterungsprozess nicht aufhalten, sondern wird ihn im Gegenteil beschleunigen. Dieser Slogan zeichnet ein falsches, nämlich Illusorisches Bild der Realität und geht am Empfinden der Mehrheit der AktivistInnen der Sozialistischen Jugend vorbei.
Weiters muss man akzeptieren, dass die Sozialistische Jugend nicht mehr die Dominanz in der Jugendbewegung hat, wie das ab Beginn der 2000er der Fall war. Diese wurde mit der Bildung der Großen Koalition 2007 geopfert. Die Führung die Organisation manövrierte die Organisation in eine schwankende Mittelstellung, in der die Politik der SPÖ innerhalb der Bundesregierung nur zaghaft angegriffen wurde, um die Stellung der SJ im Hinblick auf die SPÖ nicht zu gefährden. Um diese Rechtsentwicklung möglich zu machen wurde ein intensiver und langjähriger organisationsinterner Kampf gegen die MarxistInnen geführt. Das hat die Organisation geschwächt. Allerdings ist politische Positionierung der SJ weiter von zentraler Wichtigkeit, da sie trotzdem noch, aus ihrer historischen Rolle wie auch ihrer bundesweiten Verankerung heraus als eine mit politischer Autorität ausgestattete Fraktion der Arbeiterbewegung agieren kann.
Folgende Grundlagen einer Konferenz müssen für die marxistische Strömung gegeben sein:
- Keine Konferenz „zur Rettung der Sozialdemokratie“. Wir brauchen eine „Konferenz der Linken“. Eingeladen werden sollen alle linken Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie (inklusive ihrer Teilorganisationen wie VSSTÖ, Rote Falken, FSG-Jugend etc,), aber auch linke Kräfte, die abseits der Sozialdemokratie über soziale Verankerung verfügen, nämlich die KPÖ Steiermark und die Offensive gegen Rechts sowie Betriebsräte, die Arbeitskämpfe führen. Darüber hinaus ist jeder und jede, der die rot-blaue Koalition und die Politik der großen Koalition ablehnt, eingeladen teilzunehmen.
- Wir wollen keine Debatte in kleinen Gruppen mit „ExpertInnen“, die uns erklären wie die Sozialdemokratie zu retten ist, sondern eine breite Plenardebatte, auf der diskutiert wird: Wie und mit welchem Programm können wir gegen rot-blau und gegen den Sozialabbau der GroKo kämpfen? Was für konkrete Schritte werden gesetzt?
Die Erfahrung der „Offensive gegen Rechts“ im antifaschistischen Bereich gilt es auf die soziale Frage auszuweiten. Eine Konferenz der Linken muss sich zur Aufgabe stellen, dieselbe Handlungsfähigkeit zu erreichen. Deren Eckpfeiler sind: Nein zu jedem Sozialabbau und Bankenrettung, nein zu jeder Koalition mit bürgerlichen Parteien, nein zur Sozialpartnerschaft, nein zur rassistischen Spaltung. Für einen offensiv vorgetragenen Antikapitalismus.
Die Idee und die Praxis einer Organisations- und strömungsübergreifenden Vorbereitung von sozialem Widerstand muss auf die Tagesordnung der Linken gehoben werden. Den verbreiteten Zorn gilt es auf die schamlose Selbstbedienung der Banken und ihrer politischen Abteilungen zu lenken. Auf einer solchen politischen und praktischen Basis halten wir die Bildung eines sozialistischen Projektes für die kommenden Nationalratswahlen für möglich und wichtig.
„Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer `das laut zu sagen, was ist`.“ Rosa Luxemburg.