Die Frage nach den Methoden im Kampf gegen Frauenunterdrückung ist heiß umstritten. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten marxistischer und feministischer Theorien zur Frauenbefreiung analysiert Jutta Uhuru.
Feminismus ist keine einheitliche Theorie oder politische Bewegung, vielmehr werden unter dem Begriff verschiedenste akademische und soziale Bewegungen zusammengefasst, die sich mit der Unterdrückung und Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzen.
Schon in den Anfängen der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert zeigte sich, dass nicht alle Frauen dieselben Interessen verfolgen. Den bürgerlichen Frauen und damit der bürgerlichen Frauenbewegung ging es vor allem um die Erlangung gleicher bürgerlicher Rechte für Männer und Frauen. Eine der bekanntesten Forderungen war dabei jene nach dem Wahlrecht für Frauen. Auch das Recht auf Zugang zu den Universitäten und freie Berufswahl waren wichtige Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung. Der Situation der Arbeiterinnen schenkten die bürgerlichen Frauen wenig Beachtung. Wenn, dann höchstens in Form von karitativer Arbeit für die „armen Schwestern“. Da sie die Methode des Klassenkampfes ablehnten, ist es nicht verwunderlich, dass die meisten bürgerlichen Frauen an Wendepunkten der Geschichte nicht Seite an Seite mit ihren proletarischen „Schwestern“ standen, sondern auf der Seite der bürgerlichen Männer.
Die proletarischen Frauen hingegen hatten mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Sie mussten arbeiten, um ihre Familien ernähren zu können. Es ging ihnen daher neben dem Kampf um demokratische Rechte vor allem um eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und sie hatten daher ein Interesse an einem gemeinsamen Kampf gegen die herrschende Klasse an der Seite der proletarischen Männer.
Dritte Frauenbewegung
In den 1960er Jahren erlebte die Frauenbewegung ausgehend von den USA einen neuerlichen Aufschwung. Die antirassistische Bürgerrechtsbewegung, die Proteste gegen den Vietnamkrieg und das politische Erwachen an den Universitäten waren für viele Frauen der Ausgangspunkt sich erneut für die eigenen Rechte zu engagieren. 1963 brachte das Buch „Der Weiblichkeitswahn“ der US-amerikanischen Soziologin Betty Friedan erstmals zum Ausdruck was viele Frauen fühlten. Das Buch basierte auf Interviews mit tausenden Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg, trotz guter Bildung wieder aus der Arbeitswelt verbannt, und auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter reduziert worden waren. Betty Friedan zeigte auf, wie sich die Werbe- und Konsumgüterindustrie dieses Rollenbild zunutze gemacht hat. Trotz steigendem Lebensstandard fühlten sich viele Frauen unzufrieden in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Als einzigen Ausweg aus dieser Identitätskrise sah Friedan, die Selbstständigkeit der Frau durch eine befriedigende Erwerbsarbeit. So wichtig Betty Friedans Untersuchung für die wieder erstarkende (bürgerliche) Frauenbewegung gewesen sein mag, schaffte sie es doch nicht die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen für eine Befreiung der Frau darzulegen. Wenig verwunderlich, da ihre Untersuchung sich nur auf die weiße, gebildete Frau in den amerikanischen Vororten stützte. Betty Friedan selbst war eigentlich der Meinung, dass echte Frauenbefreiung nur gemeinsam mit den Männern erreicht werden könnte und geriet mit dieser Einstellung schnell ins Abseits der sich radikalisierenden Frauenbewegung.
Geprägt durch sexistische Erfahrungen in linken Gruppen und Organisationen waren viele Frauen der Meinung, dass es eigene, reine Frauenorganisationen benötigen würde. Diese Erfahrungen wurden bestärkt durch die Erkenntnis, dass auch in Osteuropa und der Sowjetunion die Frauenunterdrückung weiterhin existierte. Die fehlende wissenschaftliche Grundlage für eine Theorie der Frauenunterdrückung machte sich jedoch rasch bemerkbar und ließ viele Frauen in radikalfeministischen Konzepten eine Antwort suchen. Diese propagierten den „Geschlechterkampf“ als eine Alternative zum Klassenkampf. Das bestimmende Herrschaftssystem war für sie nicht der Kapitalismus, sondern das Patriarchat. Dieses analysierten sie als eine über sämtliche Epochen reichende Herrschaft der Männer über die Frauen. Radikalfeminstinnen sahen Frauenunterdrückung als eine klassenneutrale Angelegenheit.
Ähnliches können wir auch heute noch bei vielen scheinbar feministischen Forderungen, die die Befreiung der Frau unterstützen sollen, beobachten. So mag die Forderung nach einer Quote in Aufsichtsräten zwar für bürgerliche Frauen sinnvoll erscheinen, für die Arbeiterinnen ist es aber irrelevant, ob sie von einer Frau oder einem Mann ausgebeutet werden. Sie brauchen keine Quoten für Managementpositionen, sondern ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem, gute Löhne und kürzere Arbeitszeiten.
Marxistischer Feminismus
Eine Alternative zum bürgerlichen Radikalfeminsmus versuchte der sogenannte marxistische bzw. sozialistische Feminismus zu formulieren. Marxistische Feministinnen stellten an ihre eigenen Theorien den Anspruch eine feministische Perspektive auf den Marxismus zu liefern und gingen auf die Verschränkung zwischen Patriarchat und Kapitalismus ein. Ihr Hauptkritikpunkt am Marxismus war und ist, dass die Frage der Produktion zu sehr im Zentrum steht und die Frage der Reproduktionsarbeit und der gesellschaftlichen Aufteilung von Arbeit zu sehr in den Hintergrund tritt. An radikalfeministischen Theorien kritisierten sie vor allem die Nichtbeachtung der ökonomischen Bedingungen.
Ausgehend von den, von ihnen analysierten, Lücken in beiden Theorien, stützten sich viele sozialistische bzw. marxistische Feministinnen auf die Zwei-System Theorie. Diese geht davon aus, dass Kapitalismus und Patriarchat als zwei verschiedene Herrschaftssysteme existieren, die voneinander profitieren. Eine der wichtigsten Vertreterinnen dieser Zwei-System Theorie war Heidi Hartmann. In ihren Arbeiten versuchte sie, laut eigenen Angaben, eine „materialistische“ Sicht der Frauenunterdrückung zu liefern. Aus ihrer Sicht profitiert „der Mann“ (damit sind sowohl bürgerliche als auch proletarische Männer gemeint) zumindest kurzfristig von der Frauenunterdrückung, da er ihre Dienstleistungen (gemeint ist die unbezahlte Reproduktionsarbeit), als Sohn oder Ehemann in Anspruch nimmt. Langfristig jedoch, hat die Frauenunterdrückung auch negative Auswirkungen auf den proletarischen Mann, da auch er sich innerhalb des patriarchalen Familien- und Gesellschaftssystems nicht vollständig befreien kann. Durch die kurzfristigen Vorteile für den Arbeiter wird er aber, laut Hartmann, die Kontrolle über die Frau nie freiwillig abgeben.
Innerhalb der marxistisch-feministischen Theorien gab es auch den Versuch Marxsche Begriffe neu zu definieren, um die Rolle der Frau in der Reproduktionsarbeit besser analysieren zu können. Frigga Haug, eine deutsche Soziologin und Philosophin, die sich selbst als marxistische Feministin bezeichnet, geht es in ihren Arbeiten beispielsweise um eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, die darauf eingeht, dass das kapitalistische System auf die unentgeltliche Reproduktionsarbeit von Frauen angewiesen ist, um eine Gesellschaft aufrecht zu erhalten, die sich der Profitlogik verschrieben hat und in der die Reproduktion der Gattung Mensch dem Profitinteresse entgegensteht.
Auch Ursula Beer, die sich ebenso wie Frigga Haug als marxistischen Feministin bezeichnet, geht davon aus, dass es ohne der Existenz von Geschlechtern kein Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital geben könnte. Sie stellt weiters auch fest, dass Frauen im Kapitalismus doppelt ausgebeutet werden. Die Arbeitsaufteilung im Kapitalismus folgt ihrzufolge einer geschlechtshierarchischen Logik und Frauen sind doppelt ausgebeutet. Einerseits aufgrund ihres Geschlechts, da die geschlechterhierarchische Logik im Kapitalismus ihnen die unbezahlte Reproduktionsarbeit zuweist. Andererseits aber auch durch ihre Rolle als Lohnabhängige. Ursula Beer stellt auch fest, dass selbst innerhalb der Lohnarbeit Frauen vor allem für reproduktive Tätigkeiten, als Kindergartenpädagoginnen, Krankenschwestern oder Lehrerinnen vorgesehen sind. Durch diese doppelte Ausbeutung im privaten wie im ökonomischen Bereich ist das Patriarchat so fest in der Gesellschaft verankert.
Marxismus und Frauenfrage
Auch wenn es in vielen Bereichen Überschneidungen zwischen MarxistInnen und marxistischen FeministInnen gibt, lassen sich doch auch gravierende Unterschiede feststellen. Zum Beispiel in der Sichtweise auf das Patriarchat. Während Feministinnen das Patriarchat als eine Herrschaftsform des Mannes über die Frau sehen, welches sich über Jahrhunderte kaum geändert hat, sehen MarxistInnen es in seinen konkreten historischen Bedingungen. Das Patriarchat in seiner Erscheinungsform innerhalb des kapitalistischen Systems ist für MarxistInnen ein soziales Relikt der Frühgeschichte der Menschheit, das vom Kapitalismus instrumentalisiert wurde. Kurzfristig profitiert der Arbeiter (scheinbar) davon, dass Frauen den größten Teil der unbezahlten Reproduktionsarbeit leisten. Da aber die Familie die kleinste ökonomische Einheit im Kapitalismus darstellt, erweisen sich patriarchale Unterdrückungsmechanismen als eine Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus. Arbeiter profitieren zwar (scheinbar) in manchen Lebensbereichen von patriarchalen Unterdrückungsmechanismen, jedoch längst nicht in allen, wie z.B von Heidi Hartman behauptet. Daher ist der Kampf gegen patriarchale Familienstrukturen und patriarchale Verhaltensweisen für die Befreiung der Arbeiter unerlässlich und es gibt keinen Grund, warum Arbeiter den Arbeiterinnen im Kampf gegen den Sexismus nicht solidarisch die Hand reichen sollten.
MarxistInnen gehen davon aus, dass der Klassenkampf dem kapitalistischen System die Basis für die Unterdrückung der Frau nehmen wird. Daher ist der antisexistische Kampf untrennbar mit dem Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals verbunden und lässt sich nicht in zwei parallele Kämpfe, den Geschlechter- und Klassenkampf, aufteilen. Auch nicht in Haupt- und Nebenwiderspruch, wie dies in manchen degenerierten Spielarten des Marxismus (z.B. Maoismus und Stalinismus) der Fall ist. Der antisexistische Kampf und der Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals bilden ein untrennbares Ganzes. MarxistInnen sehen also keinen unüberwindbaren Gegensatz zwischen den Geschlechtern. Wir sehen den Sexismus als ein Hineinzwängen von Frauen und Männern in ein soziales Geschlecht, das beide daran hindert, ihre Fähigkeiten voll und ganz zu entfalten. Der Weg zur Frauenbefreiung kann also nur der Weg zum Sozialismus sein und die dazugehörende Methode der Klassenkampf. Und zwar nicht, weil wir die Befreiung der Frau als weniger wichtig als die Befreiung von der Herrschaft des Kapitals ansehen, sondern weil wir wissen, dass die Frauenbefreiung nur durch eine Befreiung von der Herrschaft des Kapitals vollständig möglich sein kann. In der Praxis bedeutet das, dass wir jeden Kampf um eine Verbesserung der Lage der arbeitenden Frauen unterstützen, dabei aber stets versuchen, diesen mit einer Perspektive der gesamtgesellschaftlichen Veränderung zu verknüpfen. Die Losung der MarxistInnen muss daher stets lauten: „Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau!“