Einige Hundert Kolleginnen und Kollegen der VAI ließen sich heute im Linzer Design Center von Geschäftsführer Albrecht Neumann und dem Siemens Österreich Chef Wolfgang Hesoun über die Zukunft ihres Unternehmens informieren. Ein Bericht von unserem Korrespondenten.
Zuvor waren „etwa 200 Mitarbeiter […] zu Fuß vom Werksgelände über die Wiener Straße ins Design Center gewandert. Begleitet von Trillerpfeifen und einem Transparent „Mit uns nicht, da könnt ihr Kopfstehen“ gingen sie teils im Regen. […]Die Belegschaftsvertretung hat vor dem Design Center einen Kranz mit roten und weißen Nelken niedergelegt. „Wir haben die österreichische Lösung, als die die Übernahme durch Siemens vor neun Jahren bezeichnet wurde, zu Grabe getragen“, sagt Betriebsratsvorsitzender Gerhard Bayer.“ (nachrichten.at – Siemens VAI-Mitarbeiter fürchten um ihre Jobs)
In seinen etwa 20 minütigen Plädoyers für die beschlossene Joint Venture Gesellschaft, an der Siemens 49% und Mitsubishi 51% halten werden, führte Neumann vor allem die Überproduktion als Argument ins Feld. Der Markt sei im Keller. Aufgrund des Booms der letzten Jahre wäre zu viel in die Stahlproduktion und den Anlagenbau investiert worden. Dies sei vor allem in China der Fall. Schon seit 20 Jahren verlagere sich die Stahlproduktion nach Asien. Zu den chinesischen Kunden der VAI würden bald auch chinesische Konkurrenten hinzukommen. Darum sei laut Neumann die Joint Venture der Idealfall, um sich Zugang zum asiatischen Markt zu schaffen und um Synergieeffekte zu erzielen. Neumann bemühte sich sehr, die beiden Konzerne als ideale Puzzleteile darzustellen. Mitsubishis Kerngeschäft sei der Maschinenbau, jener der Siemens-VAI hingegen der Anlagenbau. Zudem wären auch die geographischen Einflusssphären (Siemens: Europa, USA, Indien; Mitsubishi: Japan und China) und die Vertriebssysteme (Siemens: eigener Vertrieb; Mitsubishi: Handelshäuser) komplementär. Mitsubishi wäre gar nicht an der VAI oder deren Teilen als solchen interessiert, vielmehr interessiere Mitsubishi „nur das Geschäft der VAI“.
Neumann sprach sehr souverän und setzte alles daran, der Belegschaft ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Neumanns Rhetoriktalent offenbarte sich darin, dass er trotz seines Beschwichtigungsversuchs mit einer wohl dosierten Offenheit durchblicken ließ, wie die Kapitalseite denkt. So gab er unumwunden zu, dass für Siemens der Gewinn der Besitzer bzw. Aktionäre an oberster Stelle stehen würde. Weiter sei die Entscheidung für Mitsubishi der stetig sinkenden Risikobereitschaft des deutschen Kapitals zuzuschreiben. So würde sich vor allem der umfassende Anlagenbau immer weniger rentieren. Es seien zwar hohe Umsätze im Spiel, aber der zu geringe Profit stehe nicht dafür. Mit dem Joint Venture hätte man nun die Möglichkeit, die Hauptverantwortung an einen der größten Weltkonzerne mit 2 Millionen Mitarbeitern abzugeben, der es sich auch leisten könnte, längere Perioden der Unterauslastung hinzunehmen (und wohl durch seine schiere Größe die Mitbewerber nieder zu konkurrieren.)
Diese Offenheit nahm freilich in der darauffolgenden Diskussion mit dem Angestellten-Betriebsratsvorsitzenden Gerhard Bayer und der Belegschaft wieder ab. Zwar gestand Neumann zu, dass es keinerlei Jobgarantie geben würde und zudem relativ sicher 200 weitere Kolleginnen und Kollegen den Hut nehmen müssten. Dies sei noch Teil des Sparpakets, das man mit der Boston Consulting Group schon in der Vergangenheit unabhängig von den neuen Plänen erarbeitet hätte. Von Neumann gab es jedoch kein Wort darüber, wieviel Arbeitsplätze die Zersplitterung des Joint-Venture Unternehmens in 12 Kompetenzzentralen, die jeweils einem Weltmarktverantwortlichen unterstehen, kosten könnte. Keine Aufklärung darüber, was es bedeuten könnte, dass Mitsubishi zwar von den anvisierten 9000 Mitarbeitern des Joint-Venture Unternehmens nur 1000 beisteuern, aber die 51%-Mehrheit am Unternehmen halten würde. So blieb völlig im Dunkeln, wie viele Arbeitsplätze die „Synergieeffekte“, die festgestellte „zu teure Verwaltung“ und die durch das Zusammengehen mit Mitsubishi entstehenden „Überkapazitäten“ kosten werden. Bezüglich der nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen erfolgenden Verlagerung der Konzernzentrale nach Manchester wurde Neumann sogar einigermaßen zynisch, in dem er meinte, es stehe jedem betroffenen Mitarbeiter frei, sich für Manchester zu bewerben, um dadurch seinen Lebenslauf mit einem interessanten Job im Ausland aufzuwerten. Außerdem läge der Vorteil des neuen Standorts der Zentrale darin, dass er „unabhängig“ von jeglichen Standorten agieren könne. Dementsprechend erntete diese Aussage auch viel zynisches Gelächter aus den Reihen der Belegschaft.
Nachdem für die Belegschaft in Punkto Arbeitsplatzsicherheit nichts aus Neumann herauszuholen war, konzentrierten sich viele in ihren Wortbeiträgen auf ihre Unzufriedenheit mit der bisherigen Leitung der VAI durch die Siemens AG. So sei seit der Übernahme durch die Siemens AG der Arbeitsalltag komplett von bürokratischen Regulierungen in Bezug auf Risiko- und Qualitätsmanagement überlastet. Die vor der Übernahme durch Siemens bestehende Schnelligkeit der Entscheidungsabläufe, die Flexibilität in den Arbeitsprozessen bzw. eine gewisse produktive „Lockerheit“ sei völlig verloren gegangen. Auch die für die VAI bestehende Abnahmepflicht von Siemens-Produkten würde vieles erschweren. Man sei teils komplett unfähigen Managern ausgeliefert, die nichts vom Anlagenbau verstehen würden. Ein pensionierter Kollege klagte in einer sehr emotionalen Wortmeldung die Geschäftsführung an, sie hätte wesentliche, sehr kompetente Führungsleute weggemobbt. In weiteren Wortmeldungen wurden auch Fragen zu diversen Rückziehern aus möglichen Geschäften und zu den Zukunftsaussichten zu diversen Sparten der VAI gestellt. Insgesamt legte die Belegschaft eine teils große, teils verhaltene Skepsis zu den Plänen der Geschäftsführung an den Tag. Es zeigte sich in den zahlreichen Wortbeiträgen, dass die Kolleginnen und Kollegen sehr, sehr viel vom Geschäft der VAI verstehen und nicht viel Zutrauen zur Kompetenz der Siemens-Manager haben. Neumann wies die meisten Vorwürfe zurück, gab aber immerhin zu, dass sich durch die Größe des Siemenskonzerns gewisse bürokratische Erscheinungen zeigen würden. Doch dieser Trend würde durch das Joint Venture wieder völlig umgedreht werden.
Betriebsratsvorsitzender Bayer und die übrigen Mitglieder des Betriebsrates prangerten neben der fehlenden Jobsicherheit vor allem die katastrophale Informationspolitik der Besitzer bzw. des Managements und des Aufsichtsrats an. Warum hätte man bisher alles nur aus den Medien erfahren? Neumann konterte mit dem Hinweis auf das Aktiengesetz, das es nicht erlauben würde, zu informieren, solange es keine Beschlüsse gäbe, da dies ja sofort Auswirkungen auf die Aktienkurse hätte. Der ebenfalls anwesende Aufsichtsratsvorsitzende wurde von einem Betriebsrat auf den § 109 des Arbeitsverfassungsgesetzes hingewiesen, der es vorschreibe, die Belegschaftsvertretung ehestmöglich über die Betriebsänderung zu informieren, damit sie an der Gestaltung mitwirken könne. Seine Antwort: Die Entscheidung für das Joint-Venture sei eine Entscheidung von Siemens für die VAI und nicht durch die VAI. Der Aufsichtsrat hätte einfach noch keine Beschlüsse zu fassen gehabt und deshalb auch nicht informieren müssen. Der ehestmögliche Zeitpunkt wäre eben erst jetzt gewesen. Diese Aussage ließ sicherlich einige in der Versammlung nachdenklich werden, nachdem schon kurz zuvor Neumann einem Mitarbeiter geantwortet hatte, dass er bereits seit Mitte Jänner von den Plänen der Siemens AG wisse. Genau dieses Unverständnis der Belegschaft griff ja auch Betriebsratsvorsitzender Bayer auf, als er davon sprach, dass er nun „dem Management ganz genau auf die Finger schauen“ wolle und auf die Informationspflicht hinwies. Mit dem gleichzeitigen Eingeständnis der Schweigepflicht des Betriebsrats in den kommenden Verhandlungen offenbarte Bayer freilich auch ein großes Handicap der Arbeitnehmervertretung.
Im Gespräch mit einigen Kolleginnen und Kollegen der VAI nach der Veranstaltung verstärkte sich der Eindruck, dass momentan in der Belegschaft die Haltung eines skeptischen Abwartens vorherrscht. Niemand könne sagen, was dies nun genau für den Standort Linz heiße. Freilich könnte es plötzlich Schlag auf Schlag gehen und sich das Verhältnis der Mitarbeiter (8000 VAI, 1000 Mitsubishi) drastisch ändern. Doch momentan könne man als Belegschaft nichts tun, man sein den zwei Konzernen „ausgeliefert“. Von der SPÖ, die ja unter anderem in den letzten Tagen durch einen „Standortfonds“, d.h. mit einer öffentlichen Sperrminorität für von der Abwanderung betroffene Betriebe aufhorchen ließ (siehe: SPÖ ÖÖ – Mit Industriefonds gegen Arbeitslosigkeit vorbeugen), oder einer österreichischen Lösung durch heimische Unternehmer erwartet man sich außer einem Rückzieher nicht viel.
Somit stellt sich die große Frage, wie Betriebsrat und Belegschaft der VAI aus der Defensive kommen können. Durch die Informationsveranstaltung wurde klar, dass das Unheil für die VAI mit der Übernahme durch Siemens begann und nun mit der Joint Venture drastisch vergrößert wird. Um die Profite zu steigern wird das Unternehmen mehrheitlich einem der größten Weltkonzerne übergeben und in Segmente zerlegt, die je einer Weltmarktleitung unterstehen. Das dies schlussendlich aus das völlige Aus für den Linzer Konzern bedeuten könnte, scheint nicht zu weit hergeholt, zumal bei der heutigen Informationsveranstaltung keine Job- oder Standortgarantie abgegeben wurde.
Vor diesem Hintergrund ist wohl die dringlichste Herausforderung, vor der der Betriebsrat steht, die sogenannte Schweigepflicht (als Aufsichtsratsmitglieder). Bei solch existentiellen Fragen, wo es darum gehen sollte, um jeden einzelnen Job zu kämpfen, wäre es fatal, sich in Geheimverhandlungen mit dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand gefangen nehmen zu lassen. Vielmehr sollten die Betriebsräte alles daran setzen, um eine größtmögliche Einheit mit der Belegschaft und der Öffentlichkeit herzustellen. Das würde natürlich höchstwahrscheinlich heißen, dass die Betriebsratsmitglieder vorerst gar keine Information mehr erhalten. Doch dann hätte man alle Hände frei, um durch regelmäßige Betriebsversammlungen und öffentliche Aktionen Druck aufzubauen. Die öffentliche Meinung wäre ganz auf Seiten der Belegschaft, wenn doch sogar die Oberösterreichischen Nachrichten, d.h. das bürgerliche Leitmedium im Land, nicht anders können, als um den Standort zu bangen.
Im Aufbau solch einer Bewegung für den Erhalt der VAI und den Standort Linz ist die Forderung nach einer Offenlegung der gesamten Geschäftstätigkeit vor den Augen der Öffentlichkeit zentral. Soll doch die Belegschaft und die oberösterreichische Arbeiterbewegung selbst die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob denn die VAI nicht auch alleine überleben könnte! Natürlich stellt sich dann die Frage, wer der Eigentümer sein soll. Die Forderung der SPÖ OÖ nach einem Industriefonds weist hier sicherlich in die richtige Richtung. Sie sollte nun zu ihren Worten stehen und sich klar auf die Seite der Belegschaft stellen! Eine Sperrminorität wäre allerdings unseres Erachtens zu wenig. Außerdem wäre es unerlässlich, dass eine etwaige Vergesellschaftung der VAI und die Fortsetzung des Geschäfts unter der Kontrolle der Belegschaft ablaufen. Nur so würde verhindert, dass die Siemens-Bürokratie durch eine andere, diesmal staatliche Bürokratie ersetzt wird. Die Belegschaft hat bei der heutigen Versammlung an den Tag gelegt, dass sie die beste Expertise in Bezug auf die VAI hat. Wie sollte es auch anders sein? Wer sollte den Betrieb besser kennen, als diejenigen, die ihn jeden Tag am Laufen halten?
Für eine Mobilisierung der Belegschaft und der Öffentlichkeit!
Für den Erhalt des Standorts und jedes einzelnen Arbeitsplatzes!
Für die Offenlegung der gesamten Geschäftstätigkeit der VAI!
Für eine öffentliche Übernahme des Betriebs, falls keine Standort- und Jobgarantie erkämpft werden kann!
Ein Bericht von Johann Linsmaier vom Protestmarsch ist hier zu finden: http://www.linsi.at/.