In der Sozialdemokratie vor dem 1.Weltkrieg wurde die österreichische Partei gerne als „Musterknabe der Internationale, bezeichnet. Das schnelle Wachstum der Bewegung, die gewaltigen 1.Mai-Demos oder die erfolgreiche Wahlrechtskampagne rechtfertigten dieses Urteil durchaus. Das Wort „Musterknabe“, ist angesichts der männlichen Dominanz in der Bewegung mehr als zutreffend. Dies führt uns zu einem Aspekt der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, der regelrecht nach einer kritischen Auseinandersetzung schreit: der Rolle der Frauen in der Sozialdemokratie.
Die ArbeiterInnenklasse des 19. Jhdts. bestand keineswegs nur aus den muskulösen, verschwitzten männlichen Metall- oder Bergarbeitern. Um die Kosten zu senken, stellten die Kapitalisten in der Industrie immer mehr Frauen und Kinder ein. Der Alltag proletarischer Frauen war durch extrem lange Arbeitszeiten und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in den Fabriken geprägt. Nach der Erwerbsarbeit war aber natürlich nicht Feierabend. Unter den Bedingungen fürchterlichen Elends war die Versorgung der eigenen Familie, die gänzlich auf den Schultern der Frauen lastete, kaum zu schaffen. Junge Frauen, die als Dienstbotinnen oder als Heimarbeiterinnen arbeiteten, gehörten zu den am meisten ausgebeuteten Schichten. Wer bei einer bürgerlichen Familie als Hausgehilfin bis spät in die Nacht schuftete, mußte sich des nächtens nicht selten vor sexueller Belästigung und Vergewaltigung durch den Hausherrn erwehren. Frauen, die in der Abtreibung den letzten Ausweg sahen, machten sich nicht nur strafbar, sondern begaben sich zusätzlich noch in akute Lebensgefahr. Völlige politische Rechtlosigkeit, kein Zugang zu Bildung und die erdrückende Macht des Klerikalismus machten ein Ausbrechen aus dieser Hölle auf Erden nahezu unmöglich.
Frauenerwerbstätigkeit
Die junge ArbeiterInnenbewegung hat das historische Verdienst, das Schicksal der in den Werkstätten, Küchen und Fabriken dahinvegetierenden proletarischen Frauen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben. Die erste Forderung, welche die Sozialdemokratie in diesem Zusammenhang erhoben hatte, war die nach einer Beschränkung der Frauenarbeit. Viele Arbeiter verstanden darunter aber nicht so sehr den Schutz des weiblichen Körpers, der unter dem unmenschlichen Fabriksalltag ganz besonders litt, z.B. durch eine Verkürzung der Arbeitszeit, sondern vielmehr einen Weg, die Frauen vom Arbeitsmarkt zu verdrängen.
Demgegenüber stellten die für die weitere Entwicklung der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie zentralen Positionen von Engels und Bebel zur Frauenerwerbstätigkeit einen gewaltigen Fortschritt dar. Sie sahen die Unterdrückung der Frau als Resultat ihrer ökonomischen Abhängigkeit. Die Familie wird so für Engels zu einem Abbild des Klassengegensatzes, wenn er schreibt: „Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat., Mit dem Einzug der Frauen in die Fabriken würde der Männerherrschaft mehr oder weniger der Boden entzogen. Mit dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft würde auch „die wirkliche Gleichberechtigung, von Mann und Frau kommen. Ausgehend von den Schriften der Klassiker konnte sich somit eine sehr ökonomistische Sicht der Frauenfrage durchsetzen. Der geschlechtsspezifische Unterdrückungszusammenhang, der durch das traditionelle Frauenbild der Mutter und Hausfrau, die sich als Ehefrau ihrem Gatten jederzeit sexuell hinzugeben hat, fleißig reproduziert wurde, konnte so sehr leicht in der Arbeiterbewegung ausgespart werden.
Proletarische Frauenbewegung
In der Presse der proletarischen Frauenbewegung spiegelt sich dies wider. Eine genauere Beleuchtung der besonderen Unterdrückung der Arbeiterinnen als Frauen wurde weitgehend hintangehalten. Dies paßte sehr gut in das oberste organisatorische Prinzip der Sozialdemokratie: die Einheit der Bewegung, der alle Sonderinteressen unterzuordnen sind.
Die Organisierung der Frauen stand in Österreich in den 1890ern trotz erster Streiks erst in den Kinderschuhen. Die ersten Frauen, die in der Bewegung eine führende Rolle einnahmen, konnten sich nur gegen den offenen Widerstand vieler männlicher Genossen etablieren. Anna Altmann wurde als einzige von einer Basisorganisation gewählte Delegierte sogar die Teilnahme am Einigungsparteitag von Hainfeld 1888/9 verwehrt, da die Frauen noch nicht ausreichend politisiert wären.
Die weiblichen Hilfstruppen
Diese Arbeiterinnen, die in der Regel kaum eine Schulbildung hatten und zwar durch ihre eigenen Erfahrungen in der Fabrik ein Klassenbewußtsein entwickelten aber kaum über politische Bildung verfügten (siehe „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin, von Adelheid Popp, die eine zentrale Rolle beim Aufbau der proletarischen Frauenbewegung spielte; eine Schrift, die zu den beeindruckendsten Dokumenten der frühen Arbeiterbewegung gehören), nahmen sich oft selbst zurück und unterstützten aufopferungsvoll den Kampf der Gesamtbewegung.
Die Stärke des Klassengegners erforderte natürlich eine einheitliche Bewegung. Alle Kräfte mußten auf einen Punkt konzentriert werden, wo man in die Offensive gehen konnte. Das war die Frage des Kampfes um das Wahlrecht (für Männer) und um soziale Reformen. Die Erfahrung aus der Frühgeschichte der österreichischen ArbeiterInnenbewegung war, dass dies nur über eine strikte Abgrenzung zu allen bürgerlichen Kräften gelingen konnte. Die Schwäche der demokratischen Kräfte im bürgerlichen Lager bestärkte dies tagtäglich.
Dieses prinzipiell korrekte Beharren auf einen Klassenstandpunkt wirkte sich in der Frauenfrage aber eher kontraproduktiv aus. Getrieben von dem Bedürfnis, sich von der (ohnedies nur sehr schwachen) bürgerlichen Frauenbewegung abzugrenzen, wurden die besonderen Formen der Unterdrückung von Frauen der Klassenfrage untergeordnet.
Besonders deutlich wird dies in der Wahlrechtsfrage. Auf das Wohlwollen der männlich dominierten Parteispitze konnten die Frauen nicht zählen. Dazu ein vielsagendes Zitat von Victor Adler: „Aber es fragt sich, ob die politische Lage reif ist, um einen Feldzug für das Frauenwahlrecht zu unternehmen. (…) Wir müssen bei jeder Gelegenheit erklären, dass wir für das Frauenwahlrecht sind, dass wir auch den ersten Schritt auf diesem Gebiete machen wollen, aber dass der letzte Schritt erst gemacht werden kann, wenn der erste Schritt gemacht ist, und der ist: die Erkämpfung des Wahlrechts für die Männer.“
Dabei spielten gerade Frauen eine ganz entscheidende Rolle beim Kampf um soziale und demokratische Reformen, was auch Adler anerkennen mußte: „Wir in Österreich verdanken den Erfolg des hinter uns liegenden Wahlrechtskampfes in erster Reihe dem Opfermut, der Disziplin, dem Verstand und der Hingabe unserer Genossinnen.“
Wie organisieren?
Zur Organisierung der Frauen wurde 1890 der Arbeiterinnen-Bildungsverein gegründet, der sich weitgehend auf Bildung und Wissensvermittlung beschränken sollte. Durch den großen Zustrom zu diesen Vereinen sah sich die Partei- und Gewerkschaftsführung gezwungen, Frauen verstärkt in die Gesamtbewegung einzubinden. Selbständige Aktionen der Frauenbewegung wurden durch diese Integration, die sich auch in finanzieller Abhängigkeit ausdrückte, aber eher erschwert als gefördert. Immer wieder prallten die Frauen auf eine Mauer der Gleichgültigkeit gegenüber der Frauenfrage. Der Versuch, auch verheiratete Hausfrauen zu organisieren, stieß bei vielen Genossen auf blankes Entsetzen. Parteisekretär Schuhmeier meinte dazu sogar, „dass Sie meine bessere Hälfte nicht mehr zu organisieren brauchen, die hab ich mir selbst organisiert“, und lieferte ein Musterbeispiel für den herrschenden Sexismus in der Sozialdemokratie.
Als die Frauenbewegung nicht mehr so einfach unter Kontrolle zu halten war, schaffte man 1908 mit der Institutionalisierung freier politischer Frauenorganisationen im Rahmen der Partei eine „Spielwiese“, die eine gewisse Eigenständigkeit in organisatorischen Fragen hatte, politisch aber völlig abhängig war und auf ihre traditionelle Rolle als Hilfsorgan der (männlich dominierten) Gesamtbewegung beschränkt wurde.
Aufgabe der Frauenorganisation war nun vielmehr die Bindung von Frauen an die Sozialdemokratie durch Feste, Nähkurse usw., als die Erziehung zu sozialistischen Kämpferinnen. Diese Entpolitisierung war eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung reformistischer Tendenzen auch in der proletarischen Frauenbewegung.
Die Pionierarbeit unzähliger Arbeiterinnen im Kampf für Sozialismus und Frauenbefreiung kann aber trotz allem gar nicht hoch genug geschätzt werden.
Gernot Trausmuth,
SJ Wien/Neubau