Ende Oktober fand der Verbandstag der Sozialistischen Jugend Österreich statt. Mit dem Ausscheiden von Andreas Kollross als Verbandsvorsitzender der SJÖ geht eine Ära zu Ende. Wohin geht die SJÖ und wofür steht die marxistische Strömung in der SJÖ rund um die Zeitschrift „Der Funke“?
Andreas Kollross hat es in den letzten vier Jahren geschafft, die SJ auf linkssozialistischer Grundlage zu einen, zu politisieren und die Kampagnenfähigkeit zu verbessern. Zur Herangehensweise von Andreas Kollross gehörte ein pluralistischer Zugang, der allen Strömungen in der SJÖ einen gewissen Spielraum gab. In einigen Fragen nahm die Verbandsführung sogar Initiativen anderer Strömungen auf und setzte sie um (z.B. die von uns geforderte Mobilisierung zu den Anti-WEF-Protesten nach Salzburg 2001 und 2002). Ein Klima entstand, in dem sich Meinungsverschiedenheiten tendenziell auf einer politischen Ebene als Wettbewerb der Ideen austragen ließen und zumeist nicht auf die bürokratische Ebene verschoben wurden.
Auf Grund der personellen Schwäche und der geringen theoretischen Substanz, die Andreas Kollross in der Sozialistische Jugend vor vier Jahren vorgefunden hat, ist der Kurs der letzten Jahre eng mit seiner Persönlichkeit, seinem Charakter, seiner Offenheit gegenüber anderen Meinungen und seiner Ehrlichkeit verbunden. Viele Schwächen, Widersprüche und Unzulänglichkeiten des Kurses der letzten vier Jahre wurden durch seine Persönlichkeit zugedeckt und kompensiert. Durch seine politische Autorität stellte er so etwas wie die Achse dar, um die sich große Teile der SJ gedreht haben. Unter ihm bildete sich in der SJ wieder ein austromarxistisches Zentrum, das zwar der Verbandsorganisation und den größten Landesorganisationen (Wien, NÖ, OÖ) den Stempel aufdrückte, aber in nicht geringem Maße selbst von Widersprüchen und unterschiedlichen Konzepten gekennzeichnet ist.
Nebenbei bemerkt ist es durchaus mit der marxistischen Analyse vereinbar die Rolle der Persönlichkeit in geschichtlichen Entwicklungen herauszustreichen. Ja, unter gewissen materiellen Bedingungen kann die Rolle der Persönlichkeit sogar bestimmend, entscheidend sein. Im Mikrokosmos der SJÖ spielte Andreas Kollross durchaus eine derartige Rolle.
Mit dem Ausscheiden von Andreas Kollross als Verbandsvorsitzender werden sämtliche Widersprüche, die sich in den letzten Jahren unter der Oberfläche in der Organisation angesammelt haben, offen an die Oberfläche treten. Die Sozialistische Jugend tritt wieder ein in einen Zustand des Übergangs. Die Karten werden neu gemischt.
Die ersten Anzeichen spiegelten sich schon am Verbandstag wider. Mit diesem Text soll der Verbandstag wie schon zuvor der „Miniverbandstag, im Juni einer chronologischen Analyse unterzogen werden soll.
Das neue Grundsatzprogramm
In der „Bilanz des Miniverbandstages, wurden die wesentlichen Argument der Debatte um das neue Grundsatzprogramm bereits erläutert. Neue kamen nicht hinzu. Interessant zu beobachten ist dennoch, dass die Analysen und Positionen der „Funke“-Strömung diesmal deutlich mehr Zustimmung erhielten als auf dem Miniverbandstag. Zum einen haben die Delegierten der JUSOS Tirol am Verbandsausschuss vor dem Verbandstag in allen Fragen des Grundsatzprogramms mit uns gestimmt, zum anderen hat sich die SJ Floridsdorf, eine der stärksten Wiener Bezirksorganisationen, der revolutionär-marxistischen Kritik angeschlossen. Hinzu kommen einzelne Delegierte der SJ Burgenland und der SJ Niederösterreich. In der Frage des Staates hat der Stamokap-Flügel begonnen seine leninistischen Wurzeln neu für sich zu entdecken und unterstützte unsere Argumentation. Wir gratulieren Tibor Zenker zu seiner Analyse, dass zwar einzelne Politikfelder unter dem Druck der Arbeiterklasse beeinflussbar sind, der Staat an sich jedoch sein Wesen als Herrschaftsinstrument der Ausbeuterklasse damit nicht verändert.
Das Grundsatzprogramm ist ein sehr großer Fortschritt gegenüber allen früheren Programmen der SJÖ in der Nachkriegszeit. Wir erkennen durchaus die inhaltliche Radikalisierung des Programms und vieler AktivistInnen im Gegensatz zu früher, müssen allerdings leider feststellen, dass die endgültige Fassung trotz aller Radikalität der Forderungen nicht mit der Methode der Sozialdemokratie bricht, welche die Welt für die Massen verbessern möchte, anstatt die Massen selbst aktiv in den Kampf einzubeziehen und ihnen die Kontrolle über diesen zu geben. Mit unseren Abänderungs- oder Erweiterungsanträgen haben wir versucht, dem Programm einen revolutionären Charakter zu geben. Dafür haben wir leider keine Mehrheit bekommen. Da das Programm mit der reformistischen Methode eben nicht bricht, haben wir gegen das gesamte Programm gestimmt.
Wären modernistische Kräfte, beispielsweise die SJ Linz, in einer Position, wo sie dieses Grundsatzprogramm in Frage stellen könnten, hätten wir das Grundsatzprogramm verteidigt und kritisch unterstützt. Dem war aber nicht so. Deshalb haben wir auch die Betonung auf die Verteidigung marxistischer Grundpositionen in prinzipiellen Fragen gelegt. Die Einschätzung der Weltlage, bürgerlicher Institutionen wie der UNO und dem Staatsapparat und des Verhältnisses von Reform und Revolution sind solche prinzipielle Fragen. In der „Bilanz des Miniverbandstages, haben wir die Haltung von Marx und Lassalle zitiert was die Unversöhnlichkeit in theoretischen Kämpfen betrifft. Diesmal wollen wir Lenin zitieren:
„Obwohl die russische Sozialdemokratie ihre ganze Kraft auf die Fabrikarbeiter richtet, ist sie bereit jene russischen Revolutionäre zu unterstützen, die in der Praxis dazu kommen, ihre sozialistische Arbeit auf den Boden des Klassenkampfes des Proletariats zu stellen, wobei sie keineswegs verheimlicht, dass keinerlei praktische Bündnisse mit anderen revolutionären Fraktionen zu Kompromissen oder Zugeständnissen in der Theorie, dem Programm und dem Banner führen können und führen dürfen.“
Auch wenn wir gegen das Grundsatzprogramm in seiner Gesamtheit gestimmt haben, werden wir seine korrekten Analysen und Forderungen, und das sind viele, gegenüber unmarxistischen Abweichungen verteidigen. Wenn wir uns in der Kritik an der Politik der Führung der SJÖ auf das Grundsatzprogramm berufen, so ist es nicht von Bedeutung, dass wir gegen das Grundsatzprogramm gestimmt haben, sehr wohl aber, dass die Führung dafür gestimmt hat. Wir werden die Führung darauf aufmerksam machen, wenn sie in ihrer praktischen Politik gegen ihre eigenen Grundsätze verstößt, auch wenn wir diese Grundsätze nicht zur Gänze teilen.
Trotz der wachsenden Zustimmung den unsere Ideen erhalten haben, muss auch klar festgehalten werden, dass sich der Einfluss unserer Ideen in der SJÖ aus zwei Gründen nicht zur Gänze im Abstimmungsergebnis widergespiegelt hat.
Zum einen gab es den Druck der Länderorganisationen Wien und Niederösterreich auf ihre Delegierten, gegen unsere Abänderungsanträge zu stimmen. Dieser Druck wurde dabei zum Teil damit argumentiert, dass die Delegierten einer Landesorganisation nach außen die Beschlüsse der Landesorganisation mitzutragen hätten. Dieses Argument ist ein bürokratisches Argument, dass in einer marxistischen Organisation nichts verloren hat. Der Verbandstag ist das höchste Gremium der Sozialistischen Jugend. Der Verbandstag ist kein Ort, wo wir die Grundsätze unserer Landesorganisationen verteidigen, sondern ein Ort an dem wir unvoreingenommen etwas viel höheres, nämlich die Linie der Gesamtorganisationen erarbeiten sollten. Der Verbandstag ist das höchste Gremium der Sozialistischen Jugend und damit er das sein kann, dürfen die Delegierten rein statutarisch keinen Länderbeschlüssen oder sonst einem gebundenen Mandaten unterworfen werden. Das heißt, dass in den Ländern und Bezirken sehr wohl auch vor den Verbandstagen diskutiert werden muss und Beschlüsse gefasst werden können. Den Delegierten muss jedoch das Recht zugestanden werden ihre Meinung am Verbandstag zu ändern bzw. erst dort eine endgültige Meinung zu bilden. Ansonsten wäre der Verbandstag kein richtungsweisendes höchstes Gremium, sondern nur ein Aufeinandertreffen vorgefasster Meinungen, jegliche Diskussion wäre demnach von vornherein sinnlos. Das Ergebnis der Abstimmungen wäre schon im vornherein klar, ein einfaches Zählen der Mitgliederstärke der Landesorganisationen würde genügen. Führt man dieses Denkschema konsequent fort, wird den Verbandstagen die Existenzgrundlage entzogen.
Wir sind im Gegensatz zu den AnhängerInnen des gebundenen Ländermandats sehr wohl der Meinung, dass Verbandstage nützlich sind. Die Grundsatzprogrammdiskussion ist das beste Beispiel dafür. Schlussendlich wurde nur auf Miniverbandstag und Verbandstag nicht jedoch in den Ländern die Diskussion in aller Breite und Tiefe geführt.
Zum anderen liegt die noch mangelhafte Widerspiegelung unserer tatsächlichen politischen Stärke in Missverständnissen und Vorurteilen gegenüber dem Trotzkismus, die sich über Jahrzehnte aufgehäuft haben bzw. bewusst genährt werden und deren Überwindung uns noch nicht vollständig gelungen ist. Das wichtigste Vorurteil ist die Meinung, wir TrotzkistInnen wollten sofort, bedingungslos und zu jederzeit eine revolutionäre Machtübernahme vom Zaun brechen, wir wollten jeden Teilkampf unmittelbar in einen Kampf um die Macht verwandeln, wir würden denken, dass die Weltsituation sich schon morgen in eine absolute Todeskrise verwandeln würde, aus der unaufhaltsam die sozialistische Weltrevolution hervorgehen müsse. Diese Meinung über den revolutionären Marxismus ist weit von der Realität entfernt, wie wir in der Folge zeigen wollen.
Marxismus und die Einschätzung der Weltlage?
Bevor wir zu den Fragen der revolutionären Taktik kommen müssen wir über die Einschätzung der Weltlage sprechen. Unser Text zur Weltlage behauptet, dass wir am Beginn einer neuen Epoche der allgemeinen kapitalistischen Krise stehen, nicht mehr und nicht weniger. Dies aus mehreren Gründen:
1. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Einheit zwischen den imperialistischen Staaten im Kalten Krieg aufgebrochen und führt zu einem dem klassischen Imperialismus ähnlichen aggressiven Vorgehen, sichtbar an der Politik der USA, dem Streben Deutschlands nach der Vorherrschaft in Europa, Frankreich in Afrika, usw..
2. Die Spannungen zwischen den Staaten haben dadurch eine Dimension erreicht wie sie in den 1970er Jahren nicht auszudenken gewesen wäre: unilaterales Vorgehen der USA; Verbreitung von Instabilität durch das Vorgehen der USA in Kaukasus, im Nahen Osten und in Zentralasien; Spaltung Europas im Verhältnis zum Vorgehen der USA. Versinken Afrikas in Stellvertreterkriegen zwischen USA und Frankreich. Die Spannungen zwischen den USA und China im Pazifischen Raum.
3. Die strukturelle wirtschaftliche Krise – Stagnation in Europa und Japan, Außenhandelsdefizit und Verschuldung der USA, die drohende Protektionismusspirale durch die Schwäche des Dollars – ist dem Potential nach viel bedrohlicher als die Krise der 70er Jahre. Damals war noch genug Fett für eine Verschuldungspolitik vorhanden und ersparte dem Kapital einen Generalangriff gegen die Arbeiterklasse wie sie ihn jetzt weltweit führt.
4. Der Generalangriff des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ist in Wirklichkeit ein Zeichen von Schwäch, konkret wirtschaftlicher Schwäche. Der soziale Friede wird untergraben und der schlafende Riese Arbeiterklasse geweckt. Die Klassenkämpfe erleben mit der revolutionären Welle in Lateinamerika, Venezuela, Argentinien, Ecuador, Bolivien aber auch mit Generalstreiks, militanten Arbeitskämpfen und Massenbewegungen in Europa einen Neubeginn wie wir es seit der allgemeinen Niederlage der Arbeiterbewegung in den 80er Jahren nicht mehr sahen. Diese Kämpfe, auch wenn sie mit Niederlagen verbunden sind, stellen jedoch nicht wie in den 80er Jahren das Ende, sondern den Beginn einer klassenkämpferischen Periode dar. Die Niederlagen führen zu wichtigen Lernprozessen in der Arbeiterklasse und nach einer Zeit der vorübergehenden Ruhe bricht die Bewegung beim nächsten Mal meist mit gesteigerter Militanz los, wie in vielen europäischen Ländern beobachtet werden kann. Die Niederlage der britischen Bergarbeiter war im Gegenzug eine Niederlage nach schweren und jahrelangen Kämpfen, wie sie heute noch nicht passiert sind.
Der Rückschluss auf einen Beginn einer allgemeinen Krise des Kapitalismus ist auch für uns revolutionäre MarxistInnen etwas nicht alltägliches und daher für uns kein zeitloses Dogma. Ted Grant etwa, der wichtigste Mitgründer unserer internationalen Strömung nach dem Zweiten Weltkrieg, hat in zahlreichen Dokumenten einen Nachkriegsaufschwung prognostiziert. Dies zu einer Zeit als sowohl die Kominform als auch die pseudotrotzkistischen Sekten von weltweitem Zusammenbruch, unmittelbar drohendem Faschismus und Krieg sprachen. Wir betrachten die 50er und 60er Jahre als Zeit des absoluten Gleichgewichts, die Zeit ab der Ölschockkrise der 70er als Jahrzehnte des relativen Gleichgewichtes und jetzt sind wir der Meinung, dass sich dieses Gleichgewicht auflöst, und sich der Zustand der Welt in all ihren Widersprüchen mehr und mehr einem Ungleichgewichtszustand nähert.
Wenn wir analysieren, dass wir uns am Beginn einer Epoche der Klassenkämpfe befinden, dann meinen wir nicht, dass übermorgen die Weltrevolution stattfindet. Marxismus ist keine exakte Wissenschaft, eine Epoche kann eine Zeit von 20 oder 30 Jahren sein. Die Zeit zwischen 1914 und 1945 war beispielsweise eine Epoche des Ungleichgewichts, eine Epoche von Krieg, Revolution und Konterrevolution. Dennoch gab es in dieser Epoche auch Zeiten des Friedens und des Wirtschaftsaufschwungs, beispielsweise die goldenen 20er Jahre. Die Stabilität war zu dieser Zeit jedoch immer nur scheinbar und konnte jederzeit zusammenbrechen. Eine kapitalistische Todeskrise in dem Sinn, dass der Kapitalismus automatisch zusammenbricht wird es niemals geben, denn die sozialistische Revolution muss ein bewusster Akt sein. Kommt es nicht zu einer bewussten Machtübernahme des Proletariats, wird der Kapitalismus immer einen Ausweg aus der Krise finden.
Das einzige was wir behaupten ist, dass wir uns am Beginn, wenn man so will am Beginn des Beginns einer Epoche der Instabilität befinden. Darunter verstehen wir nicht eine Zeit permanenter Revolutionen, es kann sogar kurzfristig Zeiten des sozialen Friedens geben. Aber die Instabilität ist das entscheidende bestimmende Moment, das Wesen solcher Epochen. In so einer Epoche muss man sich auf revolutionäre Situationen vorbereiten. Revolutionäre Situationen sind in diesen Epochen eine Erscheinung mit der zu rechnen ist, nicht morgen, nicht übermorgen, aber in einem breitem Rahmen. Wie gesagt sollte man sich bewusst sein, dass der Marxismus keine exakte Wissenschaft ist, und keine konkreten Zeitangaben macht sondern den breiteren Begriff der Epoche beschreibt.
Lenin und revolutionäre Strategie I
TrotzkistInnen denken nicht, nicht einmal in einer Zeit der Instabilität, dass Revolutionen jeder Zeit möglich sind. Revolutionen sind nur in revolutionären Situationen an sich möglich. Revolutionäre Situationen zeichnen sich durch Formen der Doppelherrschaft aus wie sie Lenin in seiner Schrift „Von der Doppelherrschaft, beschreibt. Die Mehrheit der Arbeiterklasse, die Masse der Bevölkerung muss die Revolution unterstützen. Und selbst in solchen revolutionären Situationen muss es eine revolutionäre Strömung geben, die wie die Bolschewiki im Oktober 1917 die Gelegenheit beim Schopf packen. Diese Strömung muss nicht besonders groß sein. Selbst die Bolschewiki waren am Beginn der Revolution im Februar nur einige tausend GenossInnen. Sie müssen jedoch, wie die Bolschewiki als linker Flügel der russischen Sozialdemokratie, gewisse strategische Positionen in den Massenorganisationen der Arbeiterbewegung halten. Sie müssen schon vorher durch jahrelanges geduldiges Erklären und Verbreiten revolutionärer Ideen einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Avantgarde der Arbeiterklasse erreicht haben. Der russische Marxismus war beispielsweise cirka 30 Jahre alt, bevor er die Macht ergriffen hat. 30 Jahre lang verband er unter der Führung zuerst von Plechanow und dann von Lenin sogenannte wirtschaftliche und demokratische Agitation mit sozialistischer Propaganda. Das heißt die russischen Marxisten intervenierten in tagtägliche Kämpfe der Arbeiter um wirtschaftliche Verbesserung und demokratische Rechte und verbanden diese Agitation mit sozialistischer und demokratischer Propaganda wie sich Lenin in, Aufgaben der Sozialdemokratie, ausdrückt. Agitation bedeutet dabei das unmittelbare Eintreten für Tagesforderungen, die Entlarvung des Systems anhand seiner Erscheinungen in der Massenbewegung. Propaganda bedeutet die Verbreitung von Ideen, die nicht bei den Erscheinungen stehen bleiben, sondern zum Kern der Sache vordringen. Die Verbreitung der Ideen richtet sich nicht sosehr an die Masse der Kämpfenden, sondern an die fortgeschrittensten Schichten der Arbeiterklasse und der Jugend. Mit der demokratischen Agitation meinte Lenin folgendes: Die MarxistInnen intervenieren in einen Kampf beispielsweise für eine längere Mittagspause mit konkreten Forderungen und Vorschlägen wie der Kampf geführt werden könnte. Gleichzeitig erklären sie den fortgeschrittensten ArbeiterInnen, dass die Arbeiterklasse erst ihre Situation nachhaltig verbessern kann, wenn sie sich legal organisieren könnte, daher erst wenn die Selbstherrschaft gefallen ist und durch die Demokratie ersetzt wird. Dabei handelt es sich natürlich um das russische Spezifikum des Zarismus. Sozialistische Propaganda meint nach Lenin, den fortgeschrittensten ArbeiterInnen gleichzeitig folgendes zu sagen: Die Bürgerlichen sind inkonsequente, rückwärtsgewandte Kräfte der demokratischen Revolution. Daher müsse die demokratische Revolution schlussendlich vom Proletariat geführt werden, in den Worten von Lenin, in dem es die Masse der Bauernschaft heranzieht. Die demokratische Revolution mündet also direkt in Kämpfe mit dem Kapital, die wirkliche Befeiung der Lohnarbeit, die nachhaltige Lösung der Probleme kann das Proletariat demnach nur in der sozialistischen Revolution finden, die nach Lenin initiiert durch den Sturz der russischen Selbstherrschaft europaweit an der Tagesordnung liegen würde. Die demokratische und sozialistische Propaganda müssten nach Lenin untrennbar miteinander verbunden sein.
„Und in der Tat, seit ihrem Auftreten als besondere soziale und revolutionäre Richtung haben die russischen Sozialdemokraten stets mit aller Bestimmtheit auf diese Aufgaben ihres Wirkens hingewiesen, haben sie stets die zwiefache Form und den zwiefachen Inhalt des proletarischen Klassenkampfes hervorgehoben und stets auf dem untrennbaren Zusammenhang ihrer sozialistischen und demokratischen Aufgaben bestanden“…., LW Band 2, S. 330
Die Bolschewiki konnten ihre Rolle im Jahre 1917 nur deshalb spielen, weil sie jahrelang ihre Agitation für Tagesforderungen mit einer beständigen Verbreitung der Idee verbanden, dass die täglichen Probleme des Proletariats nur durch den Sturz der Selbstherrschaft und durch eine sozialistische Revolution möglich sei.
Was die demokratische Revolution betrifft, die zuerst 1905 und dann noch einmal auf einem höheren Niveau 1917 ausbrach näherte sich Lenin schrittweise an Trotzkis Thesen der permanenten Revolution weiter an. In seinem Buch, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie, kommt er zum Schluss, dass die demokratische Revolution gegen das Kapital durchgesetzt werden muss, da das Kapital durch tausend Fäden mit der Selbstherrschaft verwoben sei. Er stellt die Losung auf, dass das Proletariat die führende Initiative ergreifen muss und nicht bei der Position der Unterstützung des „demokratischen, Kapitals stehen bleiben darf. Das Proletariat müsse eine sogenannte demokratische Diktatur gestützt auf die Bauern und die Volksmassen errichten. Die demokratische Diktatur stützt sich jedoch auf Das bewaffnete Proletariat und vom Proletariat selbst geschaffene Organe wie die Sowjets, die dem Proletariat große Macht geben. Dies verängstigt die Bürgerlichen und die wohlhabenden Bauern und treibt sie in Richtung Konterrevolution. Die demokratische Diktatur löst eine Dynamik in Richtung sozialistische Revolution aus und in Verbindung mit der Bewaffnung der Arbeiter und der außerparlamentarischen Mobilisierung der Arbeiterschaft in Räten schafft sie selbst die Brücke den Übergang zur sozialistischen Revolution.
„Allein das Proletariat ist fähig, ( in der demokratischen Revolution ) konsequent bis zum Ende zu gehen, denn es geht weit über die demokratische Umwälzung hinaus. Deshalb kämpft das Proletariat in den vordersten Reihen für die Republik und weist mit Verachtung die törichten und seiner unwürdigen Ratschläge zurück, darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Bourgeoisie möglicherweise abschwenkt.,
„Das Proletariat muss die demokratische Umwälzung zu Ende führen indem es die Masse der Bauernschaft an sich heranzieht, um den Widerstand des Absolutismus zu brechen und die schwankende Haltung der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muss die sozialistische Umwälzung vollbringen, indem es die Masse der halbproletarischen Elemente der Bevölkerung an sich heranzieht, um den Widerstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie zu paralysieren, LW Band 9, S. 90
Diese Passage ist bei Lenin hervorgehoben und zeigt den Übergangs der demokratischen in die sozialistische Revolution in aller Klarheit. Es ist auch klar, dass die das Proletariat die Führungsrolle übernehmen muss:
„damit die fortgeschrittenste Klasse (das Proletariat), unbehindert von der Halbheit, Unbeständigkeit und Unentschlossenheit der Zwischenklassen (Kleinbourgeoisie und Bauerntum), mit um so größerer Energie, mit um so größerem Enthusiasmus an der Spitze des ganzen Volkes für die Sache des ganzen Volkes kämpfe, LW Band 9, S. 102
Auch im folgenden wird die Untrennbarkeit der demokratischen und der sozialistischen Revolution sichtbar:
„Nie vermag die Volksmasse als ein so aktiver Schöpfer neuer gesellschaftlicher Zustände aufzutreten als während der Revolution. In solchen Zeiten ist das Volk fähig, gemessen an dem engen kleinbürgerlichen Maßstab des allmählichen Fortschritts, Wunder zu vollbringen. Es ist aber notwendig, dass in einer solchen Zeit auch die Führer der revolutionären Partei ihre Aufgaben umfassender und kühner stellen, dass ihre Losungen der revolutionären Masse stets vorangehen, ihnen als Leuchtturm dienen, dass sie unser demokratisches und sozialistisches Ideal in seiner ganzen Erhabenheit und Verlockung zeigen und den allerkürzesten, den geradesten Weg zu vollen, unbedingten und entscheidenden Sieg weisen., LGW Band 9, S. 103
Lenin und die revolutionäre Strategie II
Uns TrotzkistInnen wurde am Verbandstag vorgeworfen die internationale Perspektive zu vernachlässigen. Das Gegenteil ist wahr. Wir denken, dass eine Revolution in einem europäischen Land unmittelbar eine revolutionäre Welle in ganz Europa und darüber hinaus zur Folge haben würde. Es ist wahr, dass erst die europäische Revolution die sozialistische Revolution vollenden könnte, aber kein einzelnes Land darf sich davor fürchten die Revolution zu beginnen. Genau die selbe Perspektive verfolgte Lenin:
„Der Grundgedanke ist hier derselbe, den der „Werperjod, (Zeitung von Lenin, Anm.) mehrfach formuliert hat, als er davon sprach, dass wir einen vollen Sieg der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution d.h. die revolutionäre demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft nicht fürchten dürfen, denn ein solcher Sieg werde uns die Möglichkeit geben, Europa zur Erhebung zu bringen, und das sozialistische Proletariat Europas werde uns, nachdem es das Joch der Bourgeoisie abgeschüttelt habe, seinerseits
Und weiter:
„In diesem Stadium (nach dem Sieg der demokratischen Diktatur) organisieren also die liberale Bourgeoisie und die Wohlhabenden plus ein Teil der mittleren Bauernschaft die Konterrevolution. Das russische Proletariat plus das europäische Proletariat organisieren die Revolution. Unter diesen Umständen kann das russische Proletariat einen zweiten Sieg erringen. Die Sache ist nicht mehr hoffnungslos. Der zweite Sieg wird die sozialistische Umwälzung in Europa sein. Die europäischen Arbeiter werden uns zeigen, „wie es gemacht wird“, und dann werden wir gemeinsam mit ihnen die sozialistische Revolution machen.„
LW Band 10, S. 80
Worin besteht also zusammenfassend die Taktik von Lenin? Er rechnet mit einer bürgerlichen Revolution gegen den Feudalismus und die Selbstherrschaft. Auf Grund der Inkonsequenz der russischen Bourgeoisie ihrer Verbindung mit dem Zarismus muss jedoch das Proletariat die Führung in dieser Revolution übernehmen, durch sein konsequentes Vorgehen gegen die Großgrundbesitzerregierung gewinnt es die Bauernschaft als Anhänger für sich. Gemeinsam mit der Bauernschaft erringt es die Herrschaft. Diese Herrschaft, die sich hauptsächlich auf das bewaffnete Proletariat und die Kampforgane des Proletariats – die Räte stützt, stärkt das Proletariat und seine Kampfkraft ungeheuer. Daher sehen im selben Augenblick in dem das Proletariat gemeinsam mit der Bauernschaft die Herrschaft erringt, die Bourgeoisie aber auch die wohlhabende und mittleren Bauernschaft ihr Privateigentum gefährdet. Sie beginnen die Konterrevolution zu organisieren. Jetzt tritt die Revolution in die zweite Phase. Das Proletariat tritt gestützt auf eine revolutionäre Welle in Europa und auf die ausgebeutetsten Schichten der Bevölkerung den Kampf für die sozialistische Revolution an. Dies ist die Art und Weise wie sich Lenin die Dynamik der russischen Revolution vorstellt. Seine Forderungen der demokratischen Revolution knüpfen am Bewusstsein der Bevölkerung an, die demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft schlägt aber, so bald sie die macht in Händen hält, durch ihre Herausforderung der liberalen Bourgeoisie und der wohlhabenden und mittleren Bauernschaft schon eine Brücke zur sozialistischen Revolution. Ganz klar sehen wir bei Lenin auch die internationalistische Perspektive, dass die Revolution in einem Land auf ganze Kontinente übergreifen würde.
In der Phase vor der revolutionären Situation sah Lenin die Aufgabe für die Sozialdemokratie darin, ihre Agitation für demokratische und wirtschaftliche Teilforderung mit einer demokratischen und sozialistischen Propaganda untrennbar zu verbinden. In den Teilkämpfen sollte propagandistisch die demokratische und sozialistische Revolution vorbereitet werden. Das war die dynamische und konkrete Herangehensweise von Lenin, die nichts mit einem rigiden Zwei-Etappen-Verständnis oder einer Vorstellung allmählicher gradueller Verbesserungen zu tun hatte. Im Gegenteil: Lenin unterscheidet zwar klar zwischen zwei Phasen der Revolution. Diese zwei Phasen sind aber miteinander verwoben, gehen in einander über. Die zweite Phase liegt in der Widersprüchlichkeit der ersten Phase begründet. Die zweite Phase wartet nicht auf die Vollendung der ersten Phase, sondern ist selbst die Vollendung, die notwendige Ergänzung der ersten Phase. Wenn wir jetzt Lenins Strategie mit unserer heutigen Strategie vergleichen sehen wir das es sich um die selbe Methode handelt.
Revolutionärer Marxismus und revolutionäre Strategie heute!
Bevor wir zum Vergleich übergehen müssen noch die Unterschiede hervorgestrichen werden. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass es in Österreich keinen Feudalismus mehr gibt und keine Selbstherrschaft. Österreich ist eine bürgerliche Demokratie und als hochindustrialisierter Kapitalismus kämpft es nicht mehr mit dem Erbe des Mittelalters. Die Aufgaben der demokratische Revolution sind im Wesentlichen erfüllt. Die Masse der Bevölkerung ist lohnabhängig und die Zwischenschichten spielen eine sehr geringe Rolle im Kräfteverhältnis der Klassen. Schon Lenin stellte fest, dass in Europa demokratische Fragen schon fast untrennbar mit der sozialistischen Revolution zu sehen sind:
„Dort (in Deutschland; Anm.) ist die Situation so, dass die Frage der Republik praktisch kaum von der Frage des Sozialismus zu trennen ist., LW Band 9, S. 75
Nichts desto trotz ist unsere Taktik, derjenigen von Lenin methodisch ähnlich. Wie Lenin versuchen wir in unseren Forderungen an das Bewusstsein der Massen anzuknüpfen und eine Brücke zur sozialistischen Gesellschaftsveränderung zu schlagen Wie die leninschen SozialdemokratInnen besteht unsere Tätigkeit vor allen Dingen einmal in der Intervention in wirtschaftliche und politische Teilkämpfe der Jugend und der Arbeiterklasse. In diesen Teilkämpfen agitieren wir für Tagesforderungen. Beispielsweise hat die trotzkistische Strömung in der SJ ein Solidaritätskomitee gegen Privatisierung und Sozialabbau initiiert und antifaschistische Demonstrationen für das Verbot des BFJ organisiert. Gleichzeitig verbinden wir diese Agitation gegen Privatisierung, Sozialabbau und faschistische Banden mit einer sozialistischen Propaganda. Das heißt wir versuchen nicht die Teilkämpfe unmittelbar zur Revolution zu führen, sondern wir benutzen die Teilkämpfe um unsere revolutionären Ideen zu verbreitern. Weil keine revolutionäre Situation besteht, können wir heute keine Revolution machen. Wir können jedoch Vorbereitungsarbeit durch sozialistische Propaganda machen. Der Slogan der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern ist natürlich im heutigen hochindustrialisierten Österreich hoffnungslos veraltet. Die Methode ist jedoch gleich.
Wir erklären den fortgeschrittensten Arbeitern und Jugendlichen, dass die Teilforderungen nur dann nachhaltig erreichbar sind, wenn wir eine Arbeiterregierung, eine SPÖ- Alleinregierung haben, die ein wirklich sozialistisches Programm durchführt. Diese SPÖ-Alleinregierung müsste die Banken und Schlüsselindustrien verstaatlichen und einem demokratischen Wirtschaftsplan unterstellen, die Arbeitszeit müsste radikal verkürzt werden.
Eine solche SPÖ-Alleinregierung müsste sich jedoch auf die mobilisierte Arbeiterschaft stützen und dieser Rechenschaft schuldig sein, um erstens nicht die Sabotage des bürgerlichen Staatsapparats fürchten zu müssen, zweitens beispielsweise als Minderheitsregierung mehr Schlagkraft zu haben und drittens damit die inkonsequente Spitze der SPÖ keinen Verrat an den ArbeiterInnen begehen kann. Wenn die SPÖ Regierung Gesetze erlässt, sorgt die mobilisierte Arbeiterklasse für die nahtlose Umsetzung der Gesetze und bricht, falls notwendig, den Widerstand der bürgerliche Opposition oder die Sabotage des bürgerlichen Staatsapparats.
Die mobilisierte Arbeiterschaft organisiert sich in demokratisierten und österreichweit vernetzten Betriebsräten. Diese Betriebsräte organisieren den demokratischen Wirtschaftsplan und überwachen die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf alle arbeitsfähigen Menschen.
Diesen Slogan der Arbeiterregierung, gestützt auf die Mobilisierung der Massen, verbreitern wir. Wir bleiben aber nicht dabei stehen sondern denken weiter.
Eine Arbeiterregierung würde schnell auf den stärksten Widerstand des Bürgertums und des bürgerlichen Staatsapparats stoßen. Diese würden wie Lenin sich ausdrücken würde, beginnen die Konterrevolution zu organisieren. Möglicherweise bricht die SPÖ-Spitze unter diesem Druck zusammen, begibt sich auf einen Weg der Zugeständnisse und verrät ihr Programm. Jedenfalls geht die Revolution in die zweite Phase der Revolution. Die vernetzten Betriebsräte gehen dazu über die wirtschaftliche und politische Macht zu ergreifen und setzen eine Arbeiterregierung ein, die den Weg konsequent weitergeht. Der bürgerliche Staatsapparat wird zerschlagen und die Wirtschaft vergesellschaftet.
Dieses Szenario ist klarerweise nur in revolutionären Situationen möglich oder geht mit revolutionären Situationen einher. Es ist nicht ein Szenario für morgen oder übermorgen, aber für die kommende Epoche. Bis dahin intervenieren wir in Teilkämpfe der Klasse und der Jugendlichen und versuchen unsere revolutionären Ideen und unser Programm der Arbeiterregierung so weit wie möglich zu verbreiten und verankern. Wenn die revolutionäre Situation sich entfaltet müssen wir auf eine klassenbewusste, möglichst große revolutionär gesinnte Avantgarde zurückgreifen können.
Die revolutionäre Strategie und der Slogan der „antimonopolitischen Demokratie“
Der Slogan der antimonopolistischen Demokratie ist in der Debatte um das Grundsatzprogramm nicht gefallen, wir wollen jedoch kurz darauf eingehen, weil er der zentrale Slogan der Stamokap-Strömung ist. Die antimonopolitische Demokratie versteht sich als Bündnis des Proletariats mit dem fortschrittlichen Bürgertum, den Kleingewerbetreibenden gegen die Monopole.
Der erste Fehler dieses Slogans besteht darin, dass im Gegensatz zu Lenin selbst, der untrennbare Zusammenhang zwischen demokratischen Forderungen und der Frage des Sozialismus in kapitalistisch entwickelten, bürgerlich-demokratischen Staaten nicht erkannt wird. Im heutigen Europa, indem die bürgerlich-demokratische Revolution bereits erkämpft ist besteht ein offener Gegensatz zwischen dem Proletariat und den bürgerlichen Klassen. Selbst wenn es ein liberales Bürgertum, oder eine wohlhabende Bauernschaft, oder sonst irgendwelche relevanten Zwischenschichten in bedeutendem Umfang geben würde, würden sich diese in einem offenen Gegensatz zum Proletariat befinden. Dieses Fakt ist jedoch nicht von großer Bedeutung, denn mit Österreich verhält es sich genau umgekehrt zum zaristischen Russland. In Österreich machen die Lohnabhängigen über 80% der Bevölkerung aus und nicht knappe 10% wie in Russland, die Bauernschaft und die Kleingewerbetreibenden sind eine unbedeutende Schicht. Lenin selbst hielt schon im April 1917 nur zwei Monate nach dem Sturz des Zarismus den Slogan der demokratischen Diktatur für veraltet und stellte die Diktatur des Proletariats und die sozialistische Revolution ins Zentrum der Politik der bolschewistischen Partei:
„Wer jetzt (April 1917, Anm.) lediglich von „revolutionär-demokratischer Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft spricht, der ist hinter dem Leben zurückgeblieben, der ist damit faktisch zum Kleinbürgertum übergegangen, der ist gegen den proletarischen Klassenkampf, der gehört in ein Archiv für „bolschewistische, vorrevolutionäre Raritäten., LGW Band 24 S 27
Dies ist jedoch nicht die einzige Ungereimtheit der antimonopolistischen Demokratie. Wenn Lenin von einer Heranziehung der Bauern und der Zwischenschichten an das Proletariat spricht, so meint er keinesfalls eine Koalition mit deren Parteien. Im Gegenteil: Er sagte 1905 und noch mehr 1917 den bürgerlich- bäuerlichen Parteien, den Kadetten und Sozialrevolutionären einen unversöhnlichen Kampf an und entlarvte sie als Stützen der Reaktion und als Verräter an den Interessen der Bauern. Seine Taktik bestand darin die Bauern ihren traditionellen bürgerlichen Parteien zu entreißen. Eine Koalition wurde erst möglich als sich die Sozialrevolutionäre entlang von Klassenlinien spalteten und der linke Flügel bereit war, die Enteignung des Großgrundbesitzes mitzutragen.
Unter der antimonopolistischen Demokratie wird aber wie bei der Volksfronttaktik eine Koalition der Parteien verstanden. Weil die traditionellen Parteien der Bauern und der Zwischenschichten durch tausend Fäden mit der herrschenden Klasse, mit den Monopolen, wenn man so will, verbunden sind, sind sie zu einem konsequenten Kampf gegen die Monopole gar nicht fähig. Koaliert man mit diesen Parteien verrät man nicht nur die Interessen des Proletariats, sondern auch die Interessen der Zwischenschichten und der Bauern. Beispielsweise teilte die spanische Volksfrontregierung zwischen 1936 und 1939 die Ländereien der Großgrundbesitzer nicht auf die Masse der landlosen Bauernschaft auf, wie es Lenin 1917 getan hatte. Sie wollte die Parteien der Zwischenschichten nicht verschrecken. Mit einem konsequenten Eintreten für die Landreform hätten die Zwischenschichten ihren inkonsequenten Parteien entrissen werden können. Die Volksfrontregierung verlor gegen Ende, durch die nicht gewährte Landreform, mehr und mehr die Unterstützung der Bauern und der ArbeiterInnen.
Lenin verstand unter seiner demokratischen Diktatur keine Koalition von Parteien, sondern ein Bündnis von Klassen, welches durch den konsequenten Kampf gegen sämtliche inkonsequenten Teile der demokratischen Revolution zustande kommt, eben indem die Zwischenschichten aus dem Bündnis mit ihren bürgerlichen Parteien herausgerissen werden.
Darüber bestehet noch ein wesentliche Unterschiede zwischen dem Slogan der antimonopolistischen Demokratie und dem Slogan der demokratischen Diktatur. Lenin sah sowohl 1905 als auch 1917 die zentrale Stütze der demokratischen Revolution in der bewaffneten und durch Räte mobilisierten Arbeiterschaft. Der Rahmen der bürgerlich-demokratischen Verfassung oder des bürgerlich-demokratischen Parlaments war für ihn keine Grenze. Wir erinnern uns: Lenin bezeichnete das Proletariat als konsequenteste Kraft der demokratischen Revolution, eben weil es bereit war über den demokratischen Rahmen der Revolution hinauszugehen. Die Volksfrontregierungen wie auch die Konzepte der antimonopolistischen Demokratie blieben immer streng im Rahmen der herrschenden Verfassungen und Parlamente. Die Spanische Volksfront entwaffnete die ArbeiterInnen und Bauern und zerschlug ihre Ansätze der demokratischen Selbstorganisation.
Last but not least verfolgt die Zwei-Etappentheorie das Konzept, dass die erste Etappe sagen wir der antimonopolistischen Phase, völlig abgeschlossen sein muss bevor wir in die zweite Phase gelangen. Lenin betrachtete den Phasenübergang viel dynamischer. Eine wirklich demokratische oder antimonopolistische Politik müsse die Kräfte der liberalen Bourgeoisie, der wohlhabenden und mittleren Bauern ins Lager der Konterrevolution treiben. Vor dem darf sich das Proletariat nicht fürchten. Im Gegenteil, dann beginnt der Kampf für die sozialistische Revolution.
In den konkreten Programmpunkten unterscheidet sich die antimonopolistische Demokratie fast nicht von unserer Arbeiterregierung mit sozialistischem Programm: Beide wollen die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, Arbeitszeitverkürzung und viele andere schöne Dinge. Worin sich diese Konzepte unterscheiden, das ist die Methode. Für uns ist die in demokratisch vernetzten Betriebsräten mobilisierte Arbeiterschaft ein zentrales Moment. Wir sehen die Koalition mit bürgerlichen Parteien als Gefahr an, die uns die Hände auf den Rücken bindet. Wir wollen die Masse der Bevölkerung für die Arbeiterregierung gewinnen in dem wir sie ihren traditionellen Parteien durch konsequente Politik entreißen.
Die Antragsdiskussion
Die Debatte um die Anträge kann nicht anders bezeichnet werden als ein „testimonium pauperoris“, ein Armutszeugnis für die das austromarxistische Zentrum. Vierundzwanzig Stunden nachdem man sich mit großem Pathos ein Grundsatzprogramm gegeben hat, macht man unmissverständlich deutlich, dass man nicht vorhat es auch nur ansatzweise umzusetzen.
In der Debatte um den Ausschluss einer konterrevolutionären, semifaschistischen Jugendorganisation in Venezuela aus der IUSY verfährt man nach der traditionellen austromarxistischen Methode. Grundsätzlich betrachten wir faschistische Organisationen als unsere GegnerInnen, aber die Parlamentsarithmentik in den Gremien der IUSY erlaubt kein konsequentes Vorgehen.
Die Debatte um die antifaschistische Arbeit verlief ähnlich. Sie sagt viel über das Verständnis von der Kampagnenfähigkeit in der Sozialistischen Jugend aus. Heißt für uns Kampagnenfähigkeit, dass das Verbandsbüro oder die Landessekretäre durch die Länder und Bezirke touren und dort Flugzettel verteilen und bestenfalls Veranstaltungen organisieren, oder ist Kampagnenfähigkeit mehr. Wir sind der Meinung, dass die SJ dazu übergehen muss direkt am antifaschistischen Kampf teilnehmen muss. Es reicht nicht Jugendliche zu organisieren, man muss sie aktiv in den antifaschistischen Kampf miteinbeziehen. Dazu gehört es nicht zuletzt den Kampf um die Straße zu führen, auf wichtige Demonstrationen auch überregional zu mobilisieren, den FaschistInnen in ihren Orten und Treffpunkten das Leben schwer zu machen. Generell müssen Kampagnen der Sozialistischen Jugend darauf abzielen in die Teilkämpfe der Jugend und der ArbeiterInnenbewegung aktiv einzugreifen, was in einem äußerst unbefriedigenden Ausmaß passiert. Kampagnen finden oft losgelöst von den tatsächlichen Kämpfen statt und haben nur den Zweck Jugendliche zu organisieren, nicht den Zweck in das politische Geschehen einzugreifen. Kein Wunder, dass die neu gegründeten Ortsgruppen sich oft nicht als Kampforganisationen verstehen, sich unregelmäßig treffen und abgesehen von Freizeitaktivitäten wenig Gruppenleben passiert. Es ist absolut unverständlich, dass der Stamokap-Flügel uns bei unserem Antrag nicht unterstützt hat. Gerade Lenin betonte immer wieder die führende Teilnahme der SozialdemokratInnen an den Kämpfen der Jugend und der Arbeiterklasse.
Die Ablehnung unseres Antrags zur Frage der Arbeiterregierung stellt eine 180°-Wende zum Grundsatzprogramm dar. Im Grundsatzprogramm hat sich die revolutionär-marxistische Position in aller Unzweideutigkeit durchgesetzt. Doch Programme sind nach austromarxistischem Denkmuster wohl ohnehin nur für die Schublade. In der praktischen Politik ist das Bündnis mit den Grünen plötzlich wichtig. „Eine Alleinregierung ist auf mehrere 100 Jahre unrealistisch., Welch ein kleinkariertes Denken! In Wirklichkeit ist es so, dass nach den letzten Jahren schwarz-blauer Attacken gegen die Arbeitnehmerschaft, jede sozialdemokratische Parteiführung, die gemeinsam mit einer kämpferischen Gewerkschaftsführung auf Grundlage einer wirklich konsequenten Oppositionspolitik eine absolute Mehrheit bekommen hätte müssen. Nicht die Arbeiterklasse hat versagt sondern die Partei- und Gewerkschaftsführung!
Das neue Verbandsbüro
Wie weiter oben schon festgestellt brechen nach dem Ausscheiden von Andreas Kollross werden nun die Widersprüche des Kurses der letzten vier Jahre aufbrechen, die strukturelle Schwäche des Kurses wird offen zum Vorschein kommen. Schon das neue Verbandsbüro selbst ist ein Bündel von Widersprüchen, genauer, ein prinzipienloser Kompromiss der SJ Wien, der SJ Niederösterreich und der SJ Oberösterreich.
Beginnen wir mit Oberösterreich, wo sich der Kurs der Politisierung und Erringung von Kampagnenfähigkeit am wenigsten verankert hat. Die SJ Oberösterreich hat sich weder an der antifaschistischen Mobilisierung nach Braunau noch an der Mobilisierung in Linz beteiligt. Die Begründung war vollkommen heuchlerisch. Auf der einen Seite dürfe man den BFJ nicht offensiv angreifen, denn dadurch würde man ihm Zulauf verschaffen. Was für ein ausgemachter Schwachsinn!!! Auf der anderen Seite wäre eine Mobilisierung in Linz Sache des Bezirks Linz. So argumentiert ein Michi Eibl, der genau weiß, was für eine verräterische Rolle die SJ Linz bei solchen Kampagnen spielt, der offensichtlich vergessen hat, dass die SJ Oberösterreich als Landesorganisation die übergeordnete Struktur ist. Während Politsekten österreichweit mobilisiert und die Demonstration vereinnahmen, steht die SJ Oberösterreich mit untätigen Händen da. Nebenbei vertrat die SJ Oberösterreich gemeinsam mit der SJ Niederösterreich im Verbandsvorstand die Auffassung, dass die Antifa-Kampagne der SJÖ zu politisch sei. Diese beiden Landesorganisationen befinden sich weit hinter dem Niveau von Andreas Kollross. Ohne seine Autorität drohen sie hinter die Tendenz der letzten vier Jahre zurück zu fallen und zu einer hörigen Parteijugend zu verkommen.
Kommen wir zur SJ Niederösterreich. Die SJ Niederösterreich hat bezüglich der Tendenz der letzten Jahre einen Rückwärtsgang eingeschaltet. Die Politisierung der Gruppen kam viel zu kurz. Allgemein dominiert das Freizeitkonzept. Und im nächsten Jahr will die Führung der SJ NÖ im kommenden Jahr ihre Energien dem Wahlkampf der SPÖ zur Verfügung stellen. Genosse Wieland vertritt nicht nur was Kampagnenfähigkeit und Politisierung betrifft andere Ideen wie die frühere Verbandsführung. Er stellt auch den Pluralismus in der SJ in Frage. Nach ihm gäbe es überhaupt keinen Platz für Strömungen in der SJÖ. Jeder hätte sich den Beschlüssen der Gremien absolut zu unterwerfen und dürfe in Wort und Tat nichts Abweichendes vertreten. Mit Sabine Schatz und Robert Strayhammer ziehen zwei GenossInnen ins Verbandsbüro ein, die unter diesen Vorstellungen von SJ-Arbeit politisch sozialisiert wurden.
Zuletzt die SJ Wien. Die Abwanderung von Ludwig Dvorak ins Verbandsbüro wird eine Belastungsprobe für die SJ Wien. Auch ideologisch macht sich jetzt die Schwäche der SJ Wien bemerkbar, in dem bürgerliche Ideen in der Form der antideutschen Theorie in die SJ Wien einzudringen beginnen.
Generell sind die Landesorganisationen durch die Abwanderung von Schatz, Strayhammer und Dvorak ausgedünnt und geschwächt. Auch das gefährdet die Zukunft der SJÖ.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass die versöhnliche Politik des austromarxistischen Zentrums gegenüber den Modernisten von der SJ Linz eine ständige Gefahr für die Linke in der SJ darstellt. Die gesamte SJÖ müsste den Kampf der linken Opposition in der SJ Linz um die Gruppe Römerberg ideologisch und materiell unterstützen und für einen Machtwechsel in der SJ Linz eintreten, um die Gefahr ein für allemal einzudämmen.
Für ein Bündnis zur Verteidigung und Vertiefung des Kurses von Andreas Kollross
Wir glauben, dass der Kurs der letzten vier Jahre gefährdet ist. Wir glauben, dass die AktivistInnen aller linken Strömungen in der SJÖ einen Block zur Verteidigung und Festigung des Kurses der letzten vier Jahre formieren sollten. Der Block soll auf folgenden inhaltlichen Grundlagen fußen
· Erkennen des revolutionären Potentials unserer Epoche auf Weltebene und der Verschärfung des Klassenkampfes in Österreich.
· Kampf für eine Arbeiterregierung, d.h. in Österreich eine SPÖ-Alleinregierung mit sozialistischem Programm, gestützt auf eine mobilisierte Arbeiterschaft, die in demokratisch vernetzten
Betriebsräten organisiert ist.
· Erkenntnis, dass die SJ in die Teilkämpfe der Jugend und der Arbeiterklasse intervenieren muss.
· Kampf gegen die Umklammerung der ArbeiterInnenbewegung durch eine Führung, die der Standortlogik und der Politik der Klassenversöhnung verhaftet ist.
· unversöhnlicher Kampf gegen bürgerliche Strömungen in der SJÖ, wie die SJ Linz
· Organisieren einer Solidaritätsbewegung mit dem revolutionären Prozess in Venezuela
Es sei darauf hingewiesen, dass diese Punkte zum überwiegenden Teil im Grundsatzprogramm bereits enthalten sind.
Mit der wachsenden Zustimmung zu den Ideen der trotzkistischen „Funke“-Strömung in der Debatte um das Grundsatzprogramm und die Anträge, mit der Kandidatur von Josef Falkinger gegen die Kandidatin der SJ Linz hat der Kampf für die Verteidigung und Vertiefung des Kurses der letzten Jahre schon auf diesem Verbandstag begonnen.
Die SJ Oberösterreich, die SJ Niederösterreich und die SJ Wien haben aufgerufen gegen Josef Falkinger zu stimmen. 40″2 % der Delegierten haben sich diesen Aufforderungen widersetzt. Wenn man die rechten Delegierten zum Beispiel der SJ Steyr oder der SJ Linz wegrechnet, dann repräsentieren diese 40″2 % die Mehrheit der gesamten Linken in der SJÖ, die sich ausdrücklich der Weisung des austromarxistischen Zentrums widersetzt hat. Die Kandidatur geschah mit dem Programm der Verteidigung und der Vertiefung des Kurses der letzten vier Jahre. Josef Falkinger kandidierte mit dem Selbstverständnis entschiedenster Teil dieses Kurses zu sein.
Die Delegierten, die Falkinger gewählt haben, sind nicht alle TrotzkistInnen. Wir betrachten jedoch dieses Ergebnis als Mandat der linken AktivistInnen unseren Weg fortzusetzen und für eine revolutionäre und marxistische SJ einzutreten. Der Verbandstag 2004 war ein großer Schritt vorwärts auf diesem Weg.