Die Legende vom Zweiten Weltkrieg

Im bürgerlichen Geschichtsbild werden die realen sozialen Kräfte und Interessen, die zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führten und seinen Verlauf bestimmten, von einem Geflecht aus nationalistischen und moralisierenden Legenden verdeckt. Eine Klarstellung zum 80-jährigen Jubiläum des Endes des Zweiten Weltkrieges. Von Sandro Tsipouras
Jeder kennt die Legende: Es war einmal ein gescheiterter Maler mit wenig künstlerischem, aber viel rhetorischem Talent. Aus Weltschmerz beschloss Hitler, Politiker zu werden und die Deutschen zu einem völlig grundlosen kollektiven Selbst- und Massenmord zu verführen. Gegen alle Regeln der Weltordnung und des Anstandes entfesselte er den größten Krieg und den größten Völkermord der Geschichte. Doch die alliierten Siegermächte retteten das Gute und Schöne auf der Welt vor dem verführten deutschen Volk und verhalfen nebenbei der „österreichischen Nation“ zur Selbstfindung.
Heute wie damals dient die Legende vom Zweiten Weltkrieg der Bourgeoisie zur Verschleierung ihrer Ziele. Wir müssen sie widerlegen, um zu verstehen, was war, was ist und was kommt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte der Kapitalismus eine neue Entwicklungsstufe, die von Lenin als Imperialismus bezeichnet wurde und die unter anderem folgende Aspekte kennzeichnen:
Erstens die Herausbildung kapitalistischer Monopole, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinauswachsen. Zweitens die Indienstnahme der Staatsapparate für die Interessen dieser Monopole.
Drittens die wirtschaftliche, geopolitische und kriegerische Aufteilung der Welt unter die Großmächte, wie der Erste Weltkrieg ab 1914 unter Beweis stellte.
1917 beschloss die internationale Arbeiterklasse, angefangen bei der russischen, sich nicht weiter dafür massakrieren zu lassen, dass eine Räuberbande sich gegen eine andere durchsetzt, und stattdessen den Kapitalismus zu stürzen. In Deutschland führte die Revolution zur militärischen Niederlage. Die übrigen Imperialisten taten sich zusammen, um die Weltrevolution unter Kontrolle zu bringen. Nur in Russland konnte die Arbeiterklasse dauerhaft die Macht ergreifen.
Die übrigen Imperialisten machten sich über den Verlierer Deutschland her. So lockerten sich zunächst die Spannungen zwischen ihnen. Mit dem Friedensvertrag von Versailles 1919 verlor Deutschland Territorium und Kolonien. Die USA förderten mit Krediten die deutsche Wirtschaft, um zugleich Reparationszahlungen an Frankreich und Großbritannien zu ermöglichen – ein Kreislauf des Kapitalexports, ein weiteres typisches Merkmal imperialistischer Ökonomie.
Die mittleren 1920er Jahre brachten zunächst eine Phase des Wirtschaftsaufschwungs – die „Goldenen Zwanziger“. Die US-Wirtschaft wuchs rasant und überschüttete die Welt mit Kapital und Waren. Die Überakkumulation von Kapital in den USA führte zu einer Spekulationsblase an den Börsen. 1929 platzte diese Blase und löste die Krise aus, die als Große Depression bekannt wurde. Innerhalb weniger Jahre kam es zu einem beispiellosen Einbruch der Produktion und des Welthandels. Bis 1934 verringerte sich das Welthandelsvolumen um rund 60%.
In allen Industrieländern erreichte die Arbeitslosigkeit historische Rekordwerte. Deutschland verlor fast 60% seiner Exporte und 40% seiner Industrieproduktion. Die bürgerliche Demokratie geriet in eine Legitimationskrise. 1933 übernahm der „einzigartige“ Maler die Macht und setzte sofort auf ein gar nicht einzigartiges Programm: Aufrüstung und Autarkie.
Alle großen Volkswirtschaften zogen sich ins protektionistische Schneckenhaus zurück. Es bildeten sich abgeschottete Blöcke heraus:
Großbritannien schuf das System der „Imperial Preference“, das innerhalb des Empires Zölle senkte, aber gegenüber Drittländern hohe Schutzzölle errichtete. Frankreich und einige Nachbarn klammerten sich an den Goldstandard und bildeten den sogenannten Goldblock. In der sogenannten „Reichsmark-Zone“ unter deutscher Führung tauschte Deutschland Industrieerzeugnisse gegen Rohstoffe aus Ungarn, Rumänien, dem Königreich Jugoslawien und Bulgarien.
Die Aufteilung des Weltmarkts ließ dem eingeengten deutschen, japanischen und italienischen Kapital keinen Raum, sich durch friedlichen Handel oder den schrittweisen Aufbau von Kolonien zu entwickeln. Die Wirtschaftsinteressen dieser Länder, die später die faschistische „Achse“ bildeten, verlangten also nach militärischer Durchsetzung.
Sofern die Massen sich nicht gegen den Kapitalismus erheben, ist es alternativlos, dass der Staat „immer inniger mit den allmächtigen Kapitalistenverbänden verschmilzt“ (Lenin). Sie haben die Macht, sich die Staaten dienstbar zu machen und es wäre völlig irrational für sie, das nicht zu tun.
So kam es, dass die Nazis 1936 beschlossen, die deutsche Wirtschaft binnen vier Jahren kriegsfähig und unabhängig von Rohstoffimporten zu machen. Ihre Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren Teil ihrer Aufrüstungspolitik. Rüstungsaufträge kurbelten Schwerindustrie, Chemie und Maschinenbau an. Der Anteil der Rüstungsausgaben am deutschen Haushalt stieg von nur 4% (1933) auf 50% (1938). Nahezu identisch spielte sich die Entwicklung in Italien ab.
Großbritannien und Frankreich mussten sich dieser Entwicklung anschließen. Wie wir bereits im Funke Nr. 231 schrieben („Schutzzoll oder Freihandel?“), kann sich eine kapitalistische Regierung nicht nach Gutdünken entscheiden, ob sie Schutzzölle oder Freihandel anstrebt. Noch weniger kann sie sich aussuchen, ob sie mitmacht, wenn die Spannungen militärisch eskalieren.
Ab 1934 begann Großbritannien, aufzurüsten. 1939 führte es die Wehrpflicht ein. Dasselbe geschah in Frankreich. Jede Macht musste ihre Positionen sichern, bevor es zum großen Konflikt kam.
1933 wurde die deutsche Arbeiterklasse in ihre schwerste Niederlage geführt. Politische Grundlage dafür waren der Reformismus der Sozialdemokratie und die Sozialfaschismusthese der stalinistischen KPD-Führung. Diese untersagte jede öffentliche Zusammenarbeit kommunistischer und sozialdemokratischer Arbeiter und verhinderte so die Einheit der Klasse im Kampf gegen Hitler. Die Faschisten übernahmen widerstandslos die Macht und zerstörten die Arbeiterorganisationen, ihre Führer wurden massenhaft eingesperrt und umgebracht.
Im Jahr 1936 hätte die Arbeiterklasse gleich zwei weitere Gelegenheiten gehabt, den Krieg zu verhindern. Wieder scheiterte sie an ihrer Führung.
1934 bildete die KP Frankreichs mit der Sozialdemokratie und den bürgerlichen „Radikalen“ ein Aktionsbündnis gegen den Faschismus: die sogenannte Volksfront, das heißt die Unterordnung der Arbeiter unter die Kapitalisten. Die Bildung „antifaschistischer Volksfronten“ mit „demokratischen“ Bürgerlichen wurde ab 1935 von der Kommunistischen Internationale (Komintern) für alle KPen verpflichtend gemacht.
Im Mai 1936 gewann die Volksfront die Parlamentswahlen und der Sozialdemokrat Léon Blum bildete eine Regierung. Im Juni kam es in Frankreich zu einer massiven Streikwelle und Fabrikbesetzungen. Die Regierung machte Zugeständnisse und konnte die Arbeiter dennoch nicht besänftigen. In einer solchen Situation müssen Kommunisten eine revolutionäre Machtübernahme anstreben. Doch die KPF rief die Arbeiter auf, den Streik zu beenden.
Noch schlimmer ging die KP in Spanien vor. Nach dem faschistischen Putschversuch von General Franco im Juli 1936 kam es zu spontanen Enteignungen. Räte wurden gebildet. Eine Doppelmachtsituation entstand. Der sozialdemokratische Premierminister Caballero lud die KP ein, gemeinsam mit den Bürgerlichen eine Volksfrontregierung zu bilden. Die KP stimmte zu – unter der Bedingung, dass diese Regierung keine sozialistische Politik machen würde!
So kam es auch. Die Volksfrontregierung massakrierte im Mai 1937 über 500 revolutionäre Arbeiter in Barcelona. Der „Antifaschismus“ der stalinistischen Führung bestand darin, die spanische Revolution von innen zu zerstören. Im März 1939 brach die Republik zusammen.
Die revolutionären Situationen im Juni/Juli 1936 hätten die europäische Revolution befeuern können. Die Volksfrontpolitik führte sie in die Niederlage. Das ermöglichte den Imperialisten, die Arbeiterklasse in den Krieg zu schicken, ohne einen Aufstand fürchten zu müssen.
Die Abwendung der Stalinisten von revolutionärer Politik zugunsten von Kompromissen mit den Bürgerlichen gipfelte schließlich im Abschluss eines Nichtangriffspakts zwischen der Sowjetunion und Deutschland im August 1939. Daraufhin beendeten die KPen ihre antifaschistische Agitation.
Die Naziideologie vom „Lebensraum im Osten“ behauptete, das deutsche Volk brauche mehr Land und Ressourcen, um gegen die anderen Mächte bestehen zu können. Dahinter steckte aber ein ökonomisches Bedürfnis, das mit der Naziideologie an sich nichts zu tun hatte: Die Monopole drängten auf Expansion.
So besetzte Japan 1931 die Mandschurei, um sich Kohle und Eisenerz zu sichern und unabhängig von westlichen Importen zu werden. Mitsubishi machte gewaltige Profite mit Kohlengruben. Nissan übernahm den Aufbau der Schwerindustrie im eroberten Gebiet.
Auch Italien begründete seine Besetzung Äthiopiens 1935 mit „Lebensraum“ („spazio vitale“). Mussolini erhoffte sich, durch die Kolonie Land für überschüssige italienische Bauern zu gewinnen und sich von Importen (Getreide, Kaffee, Baumwolle) unabhängig zu machen. Fiat erfreute sich gewaltiger Rüstungsaufträge. Italienische Baufirmen profitierten vom Aufbau der Infrastruktur in der neuen Kolonie.
Im März 1936 marschierte die deutsche Wehrmacht im Rheinland ein, das durch den Versailler Vertrag demilitarisiert worden war. Im März 1938 wurde Österreich von Deutschland annektiert bzw. schloss sich an. Im Herbst übernahm die IG Farben die Skodawerke-Wetzler AG, das damals größte österreichische Chemieunternehmen. Kurz darauf begann Hitler mit der Einverleibung der Tschechoslowakei.
Österreich und die Tschechoslowakei brachten Gold, Rohstoffe, Devisen, Industriekapazitäten, militärisches Gerät und Arbeitskräfte. Doch die Monopole wollten mehr: Getreide aus Rumänien und der Ukraine, die Ölfelder des Kaukasus und die Industriezentren Polens.
Die Zollschranken, die ihnen den Weg zu dieser Beute versperrten, durchbrach der deutsche Staat schließlich mit Panzerdivisionen, als er Polen am 1. September 1939 den Krieg erklärte.
Die Westmächte nahmen Hitlers Aggression hin, solange ihre eigenen Interessen nicht berührt waren. Sie wollten Nazideutschland als Bollwerk gegen die UdSSR nutzen – doch als diese infolge ihres Nichtangriffspakts gemeinsam in Polen einmarschierten, platzte dieses Vorhaben.
Die Perspektive, dass sich ein sowjetisch-deutscher Block als Konkurrent bilden könnte, zwang Großbritannien und Frankreich zum Handeln. Am 3. September 1939 erklärten sie Deutschland den Krieg. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.
Ab März 1941 mischten sich die USA in den Krieg ein, zuerst durch Hilfslieferungen an Großbritannien. Ab April eskortierte die Marine britische Handelsschiffe zur Sicherung des Handels. Im Juli wurde Island besetzt, um den Deutschen zuvorzukommen. Die Parallelen zur Gegenwart sind offensichtlich: Hilfslieferungen an die Ukraine, militärische Sicherung des Handels am Horn von Afrika und Bestrebungen der USA zur Annexion Grönlands.
Die USA nutzten den späten Kriegseintritt, um ohne die frühen Verluste der Europäer letztlich als Hauptgewinner dazustehen und zu verhindern, dass nach dem Krieg wirtschaftliche Konkurrenten ihre Märkte abschotten. Globaler Freihandel unter US-Führung war das zentrale Kriegsziel. Als Bedingung für materielle Unterstützung seitens der USA musste Großbritannien zusichern, sein koloniales Präferenzzoll-System nach dem Krieg nicht wieder einzuführen.
Ab 1942 etablierten die Westmächte ihre militärische Präsenz in rohstoffreichen Zonen (Iran, Saudi-Arabien und Nordafrika) und an strategischen Handelsrouten (U-Boot-Abwehrschlacht im Atlantik, Mittelmeer-Seerouten, Inselhopping im Pazifik).
Lenin hatte schon 1916 festgestellt: Der Imperialismus „will nicht Freiheit, sondern Herrschaft.“ 1943-44 wurden kommunistische Partisanen in Norditalien von den Westmächten bombardiert und im Dezember 1944 ging die britische Armee in Athen militärisch gegen die kommunistisch geführte griechische Widerstandsarmee ELAS vor.
Die Herrschaft des Kapitals zu erhalten war wichtiger als irgendwelche Freiheitsbestrebungen, die über den Kapitalismus hinauswiesen. Dasselbe galt für die Kolonien: Die britische Herrschaft in Indien, Afrika und dem Nahen Osten blieb während des gesamten Krieges aufrecht. Frankreich gab zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf sein Kolonialreich in Nordafrika, Südostasien und Syrien auf.
Nicht „Gut“ hat über „Böse“ gesiegt, sondern einerseits die westlichen Imperialisten über die Achsenmächte – und andererseits der amerikanische Imperialismus über den britischen. Während Großbritannien nach 1945 aus finanzieller Schwäche viele Militärposten aufgeben musste, errichteten die USA hunderte Stützpunkte auf vier Kontinenten und auf allen Weltmeeren.
Diese globale Militärpräsenz wurde zur Grundlage der Nachkriegsordnung, die sich heutzutage „regelbasiert“ nennt. Die UNO wurde als institutioneller Rahmen dieser „Ordnung“ gegründet, die nichts anderes ausdrückt als die Weltherrschaft der USA und ihre Rolle als „Weltpolizist“.
Solange der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt bestand, entlarvte die Komintern den Wunsch Großbritanniens, seine Kolonien zu behalten. Über Deutschlands und Italiens Wunsch, diese an sich zu reißen, schwieg sie jedoch. Sie sprach über den Imperialismus Japans und der USA, verurteilte aber kaum noch den Imperialismus Hitlers. „Dieser einseitige und durch und durch geheuchelte ‚Kampf‘ gegen den Imperialismus offenbart nur, dass Moskaus Politik nicht unabhängig ist, sondern den Interessen eines Imperialismus gegen den anderen dient“, kommentierte Trotzki.
Als Deutschland die UdSSR im Juni 1941 angriff, verbündete diese sich mit den Westmächten. Die Komintern drehte sich kommentarlos um 180 Grad und schwieg fortan zu den imperialistischen Interessen der plötzlich befreundeten „Demokratien“ Großbritannien, Frankreich und USA.
Auch jetzt noch, als sich die UdSSR im Krieg befand, schärfte die Komintern den KPen ein, sich ja keinem „Geschwätz über die Weltrevolution“ hinzugeben und „in eurer gesamten Agitation unbedingt zu vermeiden, den Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion als Krieg zwischen kapitalistischem und sozialistischem System darzustellen“, wie es in einem Telegramm an die KP Frankreichs vom 25.6.41 heißt. „Für die Sowjetunion ist dies ein nationaler Verteidigungskrieg gegen faschistische Barbarei.“ (zit. in: Bayerlein: Der Verräter, Stalin, bist du. Berlin: Aufbau 2008.)
Die KPen der imperialistischen Länder sollten also nicht versuchen, den Krieg für die Revolution zu nützen, sondern einen „nationalen Verteidigungskrieg“ gegen Hitler führen – an der Seite ihrer herrschenden Klassen und in Unterordnung unter deren jeweilige imperialistische Ziele.
Das war die logische Konsequenz der Volksfrontpolitik: Die Komintern wurde zuerst zu einem willenlosen Instrument der sowjetischen Außenpolitik degradiert und dann weggeschmissen, als sie dafür nicht mehr zu gebrauchen war. 1943 wurde sie aufgelöst.
Im Zuge der Volksfrontpolitik begann die KPÖ ab 1937, die Existenz einer eigenständigen österreichischen Nation mit besonderem Nationalcharakter (katholisch, friedlich, musikalisch) zu betonen. Grillparzer, Mozart und Strauß, so der KPÖ-Theoretiker Alfred Klahr, seien „auf keinem anderen als österreichischem Boden denkbar“ („Zur nationalen Frage in Österreich II“). 1943 erklärte die Moskauer Deklaration Österreich zum ersten Opfer Hitlers. Die Alliierten wollten die Selbstständigkeit Österreichs, um Deutschland im Zaum zu halten. Die KPÖ unterstützte diese Linie und präsentierte sich als führende Kraft im Kampf für die nationale Unabhängigkeit.
Die Idee der österreichischen Nation ist das Produkt geopolitischer Manöver der Stalinisten und Imperialisten. Nach Kriegsende war die österreichische Arbeiterklasse mehrheitlich nicht der Ansicht, einer besonderen Nation anzugehören. Vernünftig, wie sie war, konzentrierte sie sich darauf, die Betriebe zu besetzen und wieder in Gang zu bringen. Die KPÖ nutzte die Situation nicht. Anstatt für die Revolution zu kämpfen, widmete sie sich dem Aufbau des österreichischen Kapitalismus im Rahmen dieser Nation. Das brachte ihr die Beteiligung an einer Volksfrontregierung (1945-49) und die hehre Verantwortung ein, die österreichische Polizei aufzubauen.
Die USA und die Sowjetunion schlossen noch während des Krieges einen Deal zur Aufteilung Europas in Einflusszonen. Die Überwindung des Kapitalismus in Osteuropa und am Balkan war dabei keine Absicht des Kremls, sondern ein Produkt der Kräfteverhältnisse und gesellschaftlichen Dynamiken. Im späteren Westeuropa sorgten die stalinistischen KPen erfolgreich für die Konsolidierung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse.
In den von der Roten Armee befreiten Gebieten (Rumänien, Bulgarien, Polen, Tschechoslowakei) installierte die Sowjetbürokratie bürgerliche Marionettenregierungen nach dem Muster der Volksfront und ließ das Privateigentum zunächst unangetastet. Unter dem Deckmantel dieser „demokratischen Volksfrontregierungen“ errichteten die Stalinisten bürokratische Regimes nach dem Muster der Sowjetunion. Dies war notwendig, um die Bewegung der Arbeiter und Bauern unter Kontrolle zu halten, war aber auch ein Signal der Kompromissbereitschaft gegenüber den westlichen Imperialisten.
Erst später, unter dem Druck der Massen (z.B. 1948 in der Tschechoslowakei) und als der einsetzende Kalte Krieg die Hoffnungen der Bürokratie auf eine fortgesetzte friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus zunichtemachte, enteignete die Bürokratie die Bourgeoisien in Osteuropa, schaffte den Kapitalismus ab und führte die Planwirtschaft ein.
In Jugoslawien und Albanien, wo sich dieser Prozess nicht unter der Kontrolle der Roten Armee, sondern der Partisanenbewegung vollzog, kamen regionale Bürokratien (unter Führung von Tito und Hoxha) an die Macht. Diese standen unter dem Druck der mobilisierten Massen und waren unabhängiger von der Sowjetunion. Diese Regimes (später auch China) gerieten bald in Widerspruch zur Kremlbürokratie.
In der westlichen Einflusszone (Italien, Frankreich, Griechenland) befahl Moskau den Partisanen die Waffen nach dem Krieg niederzulegen, um die Herrschaft der Kapitalisten zu festigen.
In Großbritannien gelang es den revolutionären Kommunisten der Workers’ International League (WIL, ab 1944: Revolutionary Communist Party), dieser stalinistischen Farce frühzeitig eine Klassenposition entgegenzustellen.
Die britische Bourgeoisie nutzte den Antifaschismus der Arbeiterklasse aus, um sie für die Verteidigung ihres Empires gegen einen imperialistischen Konkurrenten zu mobilisieren. Die WIL argumentierte, dass die demokratischen Ziele der Arbeiterklasse nicht an der Seite der Bourgeoisie, sondern nur durch deren Sturz verwirklicht werden konnten.
Die WIL schrieb in ihrer Zeitung: „Die britischen Arbeiter wollen ein Ende des Hitlerismus … und der Beherrschung einer Nation durch eine andere. Sie wollen die Völker Europas für einen gemeinsamen Kampf gegen diese Übel gewinnen. Sie wollen, dass die Sowjetunion die volle Unterstützung erhält, die sie braucht.“ Doch nur ein revolutionäres Programm konnte den Krieg „in einen Krieg verwandeln, der wirklich der nationalen Befreiung und der Verteidigung der Sowjetunion dient.“
Sie forderte also: „Sofortige Freiheit Indiens und der Kolonien; Verstaatlichung der Banken, der gesamten Schwerindustrie und der Rüstungsindustrie unter Arbeiterkontrolle; Wahl der Offiziere durch die Soldaten; Verschmelzung der Streitkräfte mit dem bewaffneten Volk.“ Und sie stellte klar: „Nur eine Arbeiterregierung kann solche Maßnahmen ergreifen.“
Die Geschichte des „Cairo Forces Parliament“ zeigt die Richtigkeit dieser Taktik, die von Lenin und Trotzki als „proletarische Militärpolitik“ (bzw. „Militärprogramm der proletarischen Revolution“) bezeichnet wurde.
Dieses „Parlament“, eine Art Diskussionsforum innerhalb der Armee, war ein Zugeständnis der Armeeführung an die Soldaten, die sich durch die Erfahrung des Krieges weit nach links politisiert hatten. Churchills Konservative Partei war darin völlig marginalisiert, während Labour überwältigende Mehrheiten hatte. Das „Parlament“ in Kairo stimmte für die Verstaatlichung der Banken, des Grund und Bodens, der Bergwerke und der Transportunternehmen in Großbritannien. Die entsetzte Armeeführung entfernte die Genossen der WIL aus Kairo und entließ sie teilweise aus dem Militärdienst. Die Mehrheit der britischen Truppen in Kairo wollte sich nach Kriegsende nicht entwaffnen lassen, sondern im Gegenteil mit der Waffe in der Hand in der Heimat für eine bessere Gesellschaft kämpfen.
Heute steht der imperialistische Krieg wieder auf der Tagesordnung. Die Legende vom Zweiten Weltkrieg wird genutzt, um die Massen dafür zu mobilisieren. Der Westen und Russland vergleichen sich gegenseitig mit Hitler und begründen ihren Krieg mit der Tradition des „antifaschistischen“ Zweiten Weltkriegs. Israel rechtfertigt seine Existenz im Allgemeinen und seinen Genozid in Gaza im Besonderen mit dem Holocaust.
Heute wie damals gilt: Die Arbeiterklasse und Jugend dürfen niemandem ein einziges Wort glauben, der behauptet, dass der imperialistische Krieg ein Kampf des Guten gegen das Böse sei. Wir können dem Krieg nicht mit pazifistischen Illusionen begegnen, denn es gibt im Imperialismus keinen dauerhaften Frieden. Wir müssen den Krieg vielmehr als Hebel nutzen, um die eigene Bourgeoisie zu stürzen.